Abendausgabe
Nr. 107 40. Jahrgang Ausgabe B Nr. 54
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5. März 1923
Vorwärts=
Berliner Volksblatt
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Geschäftszeit 9-5 Uhr
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Zentralorgan der Vereinigten. Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands
Einbrecherkampf im Botschaftspalais. Ein tschechisches Ausnahmegeſetz
Rom , 5. März.( WEB.) Die Billa das deutschen Botschafters wurde nachts von Einbrechern heimgesucht. Das Hauspersonal ichoß auf die Einbrecher und verwundete einen von ihnen am Fuß. Die Polizei nahm die Einbrecher fest. Wie Agenzia Stefani hierzu meldet, hat es Ministerpräsident Mussolini getadelt, daß die Benichung der Umgegend der Botschaft ungenügend gewesen sei. Er hat dem Botschafter sein Bedauern ausgesprochen.
Nach einer in Berlin eingetroffenen amtlichen Meldung aus Nom ist bei dem Anschlag der Legationssekretär Altenburg durch Oberschenkelschuß schwer, aber erfreulicherweise nicht lebensgefährlich verletzt worden.
Vor Cunos Reichstagsrede.
one März beginnt im Plenum des tschechoslowatischen Abgeordnetenhaujes die Beratung jenes Schutzgesetzes für die Republit, an dessen Ausschußberatung teilzunehmen die gesamte Opposition aller Nationen abgelehnt hat. Warum das lehrt die folgende Darstellung, die uns von leitender Stelle der Deutschen Sozialdemokratischen Ar Die vorzeitige Einberufung des Reichstags zweds Ent beiterpartei in der tschechisch- slowakischen Republik zugeht: gegennahme einer Regierungserklärung hat in Deutschland und darüber hinaus großes Aufsehen hervorgerufen. Ver- Mundtotmachung jeder politischen Opposition ist die Ge Das Hauptmittel der tschechischen Regierungsmehrheit zur schiedene Gerüchte über den Inhalt der bevorstehenden Reichs schäftsordnung des Parlaments. fanzlerrede, die im Umlauf sind, sind nach unseren Infor- ments wa che sorgt dafür, daß im Hause immer Ruhe iſt, mationen unrichtig. Insbesondere trifft es nicht zu daß Dr. Ausschlüsse aus Sigungen sind an der Tagesordnung, wenn Cuno morgen den Abbruch der diplomatischen Bedie Opposition einmal aufmuckt. Während in allen Ländern diehungen mit Frankreich und Belgien erklären wird.
Französischer Verhandlungsfühler.
Eine Parla.
die parlamentarische Tribüne frei ist und die Möglichkeit bietet, eine Kritik an den herrschenden Zuständen zu üben und sie Ohne daß in diesen WTB.- Meldungen, die in Deutschdann auch der Deffentlichkeit zu unterbreiten, hat man in der land verbreitet werden, irgendein Verdacht ausgesprochen Der Temps" vom Sonnabend schreibt: demokratischen" Tschechoslowakei über den normalen Zensor, wäre, daß es sich um einen französischen Einbruch zur Die deutschy: Propaganda hat wirklich ein Wunder vollzogen, der bei jeder politischen Bezirksverwaltung zu finden ist, nod Erlangung deutscher Aften handle, verbreitet die Agentur indem es ihr gelungen ist, die Franzosen zugleich als die teuflichsten den parlamentarischen 3ensor in der Person des Havas eine lange Bolemit gegen eine solche Anschuldigung. den Gedanken hegen würden, dem Deutschen Reiche wie durch einen Teile davon, die ihm gegen das Staatsintereffe zu ſein Havas eine lange Bolemit gegen eine solche Anschuldigung. und als die naivsten Menschen hinzustellen, die teuflichsten, weil sie Vorsitzenden des Parlaments gefekt. Er kann Reden oder Darüber liegt folgende Meldung vor: Taschenspielertrid reiche und weite Gebiete zu fcheinen, aus dem Parlamentsprotokoll streichen, wodurch Paris , 5. März.( EE.) Der Kommentar der Havas - Agentur entreißen, auf die die ganze Welt die Augen gefie ihre Immunität verlieren. Das ist auch wiederholt geschehen. behauptet, daß es sich um einen einfachen Zwischenfall handele, bei richtet hat, und die na often, indem sie zu solchen Zielen zu ge- Aber den Machthabern wurde immer noch zu viel herumdem man sich nicht weiter aufzuhalten brauche, wenn man sich nicht langen gedächten, indem sie sich als zugleich mit Schuld- und mit tritisiert und deshalb soll ein Ausnahmege seg die legeinem deutschen Manöver gegenüber befände, das diesen Einquartierungsscheinen vorstellen würden, beides Rollen, in denen ten Regungen einer oppositionellen Aeußerung erstiden. Nach Zwischenfall in eine politische Angelegenheit umwandeln und ihn zum es felten gelingt, die Herzen zu erobern. dem Mordanschlag auf den Finanzminister Dr. Raschin, den Schaden Frankreichs ausbeuten wolle. Die französische Regierung In Wirklichkeit will Frankreich nur zwei Dinge, immer bie ein unreifer Bursche verübt hat und für den man irgendeine habe nicht die Absicht gehabt, fich irgendwelcher deutschen Dokumente gleichen: seine Reparationen und seine Ruhe. Aber es denti Partei nicht verantwortlich machen kann, wurden sogleich bei zu bemächtigen. Deutschland beabsichtige, die guten Beziehungen nicht daran, an das eigene Bein einen Bloc deutscher Bevölkerung zwei Parteien der Regierungsfoalition, bei den National. zwischen Frankreich und Italien zu trüben. Die italienische zu feffen, den es sodann wie eine Bleifugel schleppen müßte. Was demokraten, der Partei der Schwerindustrie, und leider Bolizei glaube der deutschen Darstellung aber nicht. Der ganze haben die Deutschen Südtirols , bie doch nur ein paar hundert auch bei den tschechischen Sozialdemokraten Stimmen Diebstahl erscheine befremdlich, zunächst deshalb, weil man in der deutschen Botschaft die Diebe erwartet habe. Das Personal tausend Menschen sind, nicht alles für Unannehmlichkeiten der italieni - laut, die nach einem sogenannten„ Schußgefeß für die lauerte ihnen auf. Man habe die ganze Angelegenheit dramatisieren schen Regierung bereitet! Republit" riefen. Namhafte tschechische bürgerliche Blätter wollen. Havas wünscht, daß die italienische Bolizei das abschließende zum Schuke der Republik gedacht, finnlos fei; aber die Agiverwiesen darauf, daß ein solches Schußgefeß, wenn wirklich Ergebnis ihrer Untersuchungen baldigst veröffentlichen möge. Inzwischen würden die deutschen Kreise wohl eine neue ueber fation dafür ruhte nicht, bis sie ihren fonkreten Niederschlag fand in einem vom Innenministerium ausgearbeiteten Entraschung vorbereiten. wurf, der dann den Koalitionsparteien als Berhandlungsgrundlage diente.
Ende bereiten könnten, so sehen mir eigentlich nur die eine: das Was neue Tatsachen anbelangt, die dem Ruhrkonflift ein wäre die Absendung schriftlicher, genauer, offizieller und annehmbarer Borschläge, die die deutsche Regierung direkt entweder den Besagungsmächten oder der Gesamtheit jener alliierten Mächte übermitteln würde, die auf. Reparation Anspruch haben. Wenn Deutschland sich an die Besagungsmächte menden Der ursprüngliche Entwurf enthielt eine Reihe ganz unwürde, d. h. an Frankreich und Belgien , dann würden sich letztere möglicher Bestimmungen, die im Regierungsentwurf ausgedie nach einer Bariser TU.- Meldung der italienischen Polizei raten. Und wenn Deutschland sich an die Gesamtheit seiner Gläubiger fechs Monaten bedroht, wer an einem öffentlichen Auflauf selbstverständlich mit den übrigen interessierten Mächten be- merzt wurden. So war mit Gefängnis von zwei Wochen bis gegeben worden ist: wenden würde, so ist es ebenso selbstverständlich, daß teine teilnimmt, obwohl er verboten war. Es hätte also ein einSeit einer Woche bemerkten die Angestellten, daß verdäch- Regelung getroffen werden könnte, ohne die Zustimmung der Be- faches Demonstrationsverbot genügt, um alle Teilnehmer fige Individuen in der Umgebung der Botschaft sich herum- sakungsmächte und Italiens . Aber Deutschland ist bisher hartnädig unter harte Strafen zu stellen. Der§ 35 des ursprünglichen trieben und ihre Ausgänge bewachten. Außerdem machte es den dabei geblieben, teine schriftlichen, genauen und offiziellen Vorschläge Entwurfs fegte auf Streitbrohung aller öffent Eindruck, daß die Mitglieder der Botschaft überwacht würden. zu machen. Herr Cuno hat sich nicht einmal enischlossen, sein Anlichen Angestellten, fomohl des Staates wie der GeVor einigen Tagen wurden zwei italienische karabineri gebot von Ende Dezembere zu veröffentlichen, jenes Angebot, bas überrascht, die sich im Garten der Botschaft aufhielten. Auf eine Herr Bergmann beauftragt war, mündlich vor der Bariser Frage des Pförtner erklärten fie, geglaubt zu haben, daß es ein Konferenz zu stizzieren. öffentlicher Garten sei. Daraufhin wurde das Personal zufammengerufen, und es wurden Borsichtsmaßnahmen ergriffen. Die Sekretäre der Botschaft blieben die Nacht im Gebäude, und zwar im Nachbarraum des Geschäftszimmers, in welchem sich ein eiserner Schrant mit geheimen Schriftftüfen befindet. In der letzten Nacht
Strenge Bestrafung der Spionage. Eine Verordnung des Reichspräsidenten . Der Reichspräsident hat auf Grund des Artikels 48 drangen um die Mitternachtsstunde drei Personen über die Dienst- Absatz 2 der Reichsverfassung folgende Berordnung betr. treppe in die Geschäftsräume und bemächtigten fich, nachdem fie Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung für den Schrank mit Hilfe eines a chichlüssels geöffnet hatten, das Reichsgebiet erlaffen: des Chiffre buches und eines Umschlages mit diplomatischen§ 1. Mit 3uchthaus nicht unter zehn Jahren Dokumenten. Daneben befand sich in dem Schrank eine Summe oder mit lebenslangem 3uchthaus wird bestraft, wer in Geldscheinen, die von den Einbrechern nicht berührt wurden. während der in Friedenszeit erfolgten Besetzung deutschen Gebietes Der Botschaftersekretär v. Schmieden, der sich im Nebenraum befand, durch eine fremde Macht dieser in wirtschaftlichen, politischen oder erfolgte die Einbrecher über die Treppe und gab einen Revolver - militärischen Angelegenheiten als Spion dient oder Spione huß ab, der einen am Bein verlegte. Das ermöglichte die Ber - diefer Macht aufnimmt, verbirgt oder ihnen Beistand leistet. Bei aftung ron zwei Einbrechern, während der dritte ent fiehen mildernden Umständen ist die Strafe Zuchthaus bis zu zehn Jahren nate. Das Botschaftspersonal feffelte die Feffgenommenen und oder Gefängnis nicht unter zwei Jahren.
nterzog fie einer Untersuchung. Währenddessen erschienen mehrere§ 2. Neben der Freiheitsstrafe ist auf Gelbftrafe bis zu Berfonen, die trotz der verschloffenen Türen einzudringen vermochten, fünfhundert Millionen Mart zu erkennen. Neben Gegaben fich für Polizeiagenten aus und verlangten, daß man fängnis fann auf Berlust der betleideten öffentlichen ihnen die Einbrecher ausliefere. Die Angestellten verweigerten Aemter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen das jedoch, indem fie erklärten, daß zuerst das italienische Ausen. Rechte erfarnt werden. ministerium verständigt werden müsse. Die beiden angeblichen§ 3.§93 des Strafgesetzbuches über die Beschlagnahme Bolizeiagenten wurden als diefelben Personen festgestellt, die im des Bermögens gilt entsprechend. Botschaftsgarten ertappt worden waren. Gestern früh begab sich der deutsche Botschaffer in das Außenminifterium, wo er rom Generalsekretär v. Contarini empfangen wurde. Bald darauf Die Verordnung wird in dem am 5. März 1923 zur Ausbegab sich ein Beamter des Minifteriums in die Botschaft zusammen gabe gelangenden„ Reichsgesehblatt" Teil I r. 17 erscheinen. mit wirklichen Polizeibeamten, die die beiden Einbrecher verhafteten. Diese Darstellung wird auch pon zuständiger Berliner Stelle bestätigt.
Neue Besetzung und alter Terror. Frankreich begründet die neuen Besetzungen mit der Sperrung Frankreich begründet die neuen Besetzungen mit der Sperrung des Rhein- Herne- Kanals durch Versenkung zweier Kähne.
Der Mannheimer Sentralgüterbahnhof ist stillgelegt. Alle Baren im Hauptzollhofen sind beschlagnahmt. Infolge der Personalverjagung liegt der Bfälzer Bahnverkehr still. Die Gendarmerie in Offenburg und Appenweier ist aufgelöst.
Der sächsische Landesparteitag.
Die Frage der Regierungsbildung. Dresden , 5. März.( Eigener Drahtbericht.) Die Landesversammlung der VSPD. Sachsens lehnte mit 95 gegen 30 Stimmen die Resolution des Landesausschusses und damit die Roalition mit den Demofraten ab.
In Duisburg ist wieder eine Milliarde Reichsbankgeld be.nahme der Kommunisten an der Regierung fordert und zweds Ber
schlagnahmt.
Am Hauptbahnhof in Effen erfoß ein franzöfifcher Posten einen bisher unbekannten Deutschen .
In der Nacht vom 3. auf den 4. März ist der Bergmann Franz Grote in Westerholt ohne jeglichen Grund von einem Franzosen erfchoffen worden.
meinden und schließlich jener der privaten Elektrizitätswerke, Berkehrsanstalten usw., mit ein- bis sechsmonatigem, den vollendeten Streit Rerter von sechs Monaten bis drei Jahren. Im Kriegsfalle waren doppelte Strafen vorgesehen, und als den Höhepunkt sah dieser Entwurf sogar die Verbannung vor.
Der definitive Regierungsentwurf, auf dessen Grundlage jezt das Parlament verhandelt, hat dafür eine Reihe anderer Baragraphen aufgenommen, die feineswegs hinter jenen des ersten Entwurfs zurückſtehen. So wird z. B. nach dem§ 12 mit acht Tagen bis fechs Monaten Gefängnis bestraft, wer den Präsidenten der Republik oder dessen Stellvertreter durch Beschimpfung, Mißhandlung oder mit Gebärden(!) an der Ehre fräntt", wobei jeder Wahrheitsbeweis oder die Ueberzeugung von der Wahrheit ausgeschlossen ist. Ob bas dem demokratischen Empfinden des Boltes sonderlich dient, darf wohl bezweifelt werden.
Der§ 15 enthält die Fußangeln, in denen die Presse gefangen werden soll. Er bestraft mit Arrest von drei Tagen bis zu drei Monaten den, der unwahre Nachrichten verbreitet, die für wahr zu halten er feine genügenden Gründe hatte". Damit kann natürlich jede journalistische Betätigung unmög lich gemacht werden, weil jeder nationalistische Richter- und es gibt deren leider nicht wenige in der Tschechoslowakei - schließlich immer fagen fann, ein Redakteur habe keine genügenden Gründe für die Annahme gehabt, eine von ihm aufgenommene Nachricht sei wahr. Und wie weit man hier gehen will, beweist der§ 34, der die Blätter bei wiederholter Be ftrafung wegen dieser Delifte mit der Einstellung, und zwar bis zur Dauer von sechs Monaten, bedroht.
Der§ 16 wäre, objektiv angewendet, einer der vernünftigsten Abschnitte des Gesetzes. Er stellt unter schwere Strafen Gewalttätigteiten oder andere feindliche Handlungen, bie gegen einzelne Gruppen der Bevölkerung wegen ihrer Nationalität, Sprache, Raffe oder Religion begangen werden oder zu denen aufgereizt wird. Es ist bezeichnend für die geistige Einstellung der tschechisch- bürgerlichen journalistischen Kreise, daß sie gerade gegen diese Bestimmungen, die ihren deutschfeindlichen Hezereien einen gewissen Riegel vorschieben, Sturmgelaufen find; voraussichtlich werden diese Strafandrohungen auch gemildert.
Angenommen wurde mit 93 gegen 32 Stimmen ein Antrag raupe. Edel- Liepmann, ber die neuen Borschläge der KPD. für eine geeignete Berhandlungsgrundlage erklärt, tie Teil- Eine ganz traffe Berlegung aller demokratischen Rechte ftellt aber der§ 23 dar: Arreststrafe von acht Tagen bis zu handlungen mit diesen einen siebengliedrigen Ausschuß einsetzt. sechs Monaten für den, der in einer Druckschrift einen BeEin Antrag Dr. Kleinirbst Chemniß, der die fächsische richt über außerordentliche Maßnahmen zur Gewerkschaftszentrale auffordert, ihren Beschluß gegen bie in Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung berufung eines Betriebsrätefongreffes aufzuheben der Ruhe veröffentlicht, obwohl dies verboten war". und die Einberufung vorzunehmen, wurte dagegen abgelehnt. Es hat sich in der letzten Zeit herausgestellt, daß bei größeren Gleichfalls mit 68 gegen 57 Stimmen wurde abgelehnt, mit den Kom- Streits große Militär- und Gendarmerieaufgebote zur Aufmunisten für die Auflösung des Landtags zu stimmen. rechterhaltung der Ruhe" mobilisiert wurden, obwohl er
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