Nr. 148 40. Jahrgang Ausgabe A nr. 74
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Donnerstag, den 29. März 1923
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Frankreichs Ziele.
Urteil eines Amerikaners.
Unter dem Titel„ Gegen die Invasion" veröffentlicht das ehemalige Mitglied der Rheinlandkommission für die Bereinig ten Staaten, Pierrepont B. Noyes , in der angesehenen amerikanischen Zeitschrift The Nation" vom 14. März 1923 einen Artikel, der sich mit bemerkenswerter Schärfe gegen den Einbruch in das Ruhrgebiet mendet. Noyes schreibt u. a.: -3wei leitende Fattoren haben nach meiner Meinung die gegen märtige Ruhrsituation verursacht, Fatteren, deren Erkenntnis viele jonst unerklärliche Zwischenfälle der Zukunft erflären. Erstens: Die Deutsche Kriegsentschädigung ist immer viel höher festgesetzt worden, als irgendein Land von Deutschlands Größe zu zahlen imstande wäre. Zweitens: Frankreich weiß das; es hat es immer gemußt. Es hat absichtlich eine Zahl gefordert, die Deutschlands Verfehlung sicherstellen würde. Seit 1920 hat die Regierung in Frankreich stets in Händen von Männern gelegen, die
Der Krieg von 1914/1919 jedoch habe Deutschland 30 bis 40 Proz. seines Vermögens gekostet. Wenn Frankreich die Kriegsentschädigung bis zum Jahre 1873 zahlen fonnte, so war das nur möglich infolge seines Kredites, der von den Neutralen ebenso wie von Deutschland selbst gestützt werden sei. Dagegen habe die gesamte Politit der Alliierten seit dem Waffenstillstand auf die 3erstörung des deutschen Kre. dites hingearbeitet. Der Berfasser fügt hinzu: Kann angesichts dieser Zahlen ein Mensch mit gefunden Sinnen behaupten, daß Deutschland ein Sehntel der von Frankreich geforderten Reparationen bezahlen kann oder daß es nur auch eine entfernte Aussicht hat, sich von den Strafbestimmungen eines Bertragbrechers und der Drohung mit der Invasion freimachen könne?"
Der Kampf um Groß- Berlin.
Zur Reorganisation der Verwaltung. Durch die Annahme der Magistratsvorlage über die Bil. bung einer gemischten Deputation zur Nachprüfung der Sagungen aller zentralen Verwaltungsdeputationen und der Organifation der Groß- Berliner Verwaltung überhaupt hat die Berliner Stadtverordnetenversammlung in ihrer letzten Sigung einen Beschluß gefaßt, dessen außerordentliche politische und verwaltungstechnische Bedeutung nicht genug betont werden fann. Der Kampf um Groß- Berlin geht nicht seit heute und gestern. Seit Jahrzehnten fämpft die Berliner Bevölkerung um die Schaffung einer zweckmäßigen einheitlichen Verwaltung und Leitung des ungeheure: Komplexes, auf dem vier Millionen Menschen leben und arbeiten. Der Kampf ist mit dem Zustandekommen des GroßBerliner Gesetzes eineswegs zum Stillstand getommen. Die Reaktionäre aller Schattierungen haben ihre Hoffnung auf Rückwärtsrevidierung des erreichten ungeheuren Fortschritts niemals aufgegeben. Die Anträge der Rechtsdie Zerstörung von Deutschland für ungleich wichtiger die ein Versuch gewesen sei, um zu sehen, ob England energisch geschäftigen, sind aus politischen Erwägungen entstanden parteien, die den preußischen Landtag seit längerer Zeit be hielten als den Empfang von Reparationen. Die unmögliche Kriegs. nug protestieren würde. Ohne den energischen Proteft und dienen dem ausgesprochenen 3wed, dies größte deutsche entschädigung wie die riesige französische Armee sind aufrechterhalten von England wäre damals schon das Ruhrgebiet Gemeinwesen zu zerschlagen. In der gestrigen Stadtverordworden bis zu dem Tage, wo andere Affiierte, die veilleicht Ein befeht worden. Man habe immer die mangelnden Kohlen- netenversammlung zeigte sich wieder, was auch sonst in der wendungen erheben könnten, in aller Sicherheit herausgefordert lieferungen vorgeschoben. Als Borsitzender der Interalliierten werden können und die sorgsam vorbereitete Ruhrlampagne ein Kohlenfommiffion hatte der Berfaffer einen Blan ausgearbeitet, wonach Deutschland imftande wäre, 1 250 000 Tonnen Kohlen im Monat zu liefern. Er wollte dann festgestellt haben, wieviel Kohlen Frant reich zu transportieren imftande sei, du er überzeugt war, daß Deutschland mehr Kohlen liefern würde, als Frankreich zu transpor tieren imftande sein würde. Aber Poincaré widerlegte sich, daß diese Frage überhaupt diskutiert würde. Er hielt offen bar eine Berfehlung Deutschlands in den Kohlenlieferungen für wichtiger als die Möglichkeit, mehr Rohlen zu erhalten. Dies alles zufammen habe den Berfasser überzeugt, daß die Reparations frage dem militärischen Angriffsplan unterge ordnet worden ist.
geleitet werden könnte."
Der Verfasser zieht dann einen Bergleich zwischen der Kriegs. entschädigung, die Frankreich 1871
auferlegt worden ist und der Kriegsentschädigung, die man Deutsch land jetzt auferlegt hat. Damals habe nach Schätzung eines Mit gliedes der französischen Regierung das Bermögen Frant reichs 25 Milliarden Dollar betragen, so daß die Kriegsentschädi gung von einer Milliarde Dollar 4 Proz. des Bermögens betragen
habe. 1914 sei das Vermögen Deutschlands auf 75 bis 90 Milliarden Dollar geschätzt worden, so daß man wahrscheinlich Der Verfasser ist der Ueberzeugung, daß Poincarés Bolitit zu hoch greife, wenn man das Bermögen Deutschlands nach dem darauf hinausläuft, das Ruhrgebiet und Westfalen Kriege mit 75 Milliarden Dollar annähme. In London sei die zum strategischen Mittelpunkt einer imperiali. Kriegsentschädigung Deutschlands auf 32 Milliarden Dollar oder stischen Politik zu machen. Er schließt mit einer scharfen 43 Broz. des deutschen Gesamtvermögens feftgesetzt worden. Doch Kritik der amerikanischen Regierung, deren Unterlassungsdas sei nicht alles. Nach den Zahlen, die im Jahre 1872 dem fran sünden größer seien als die Begehungsfünden Frankreichs . Die zösischen Parlament unterbreitet worden find, habe der Strieg einzige Hoffnung für Europa liege in einer gemeinsamen Aktion der Bereinigten Staaten und Englands.
6 Proz. des Bermögens Frantreichs getoftet.
Neue Ruhrdebatte im Unterhaus. London , 28. März.( WTB.) Bonar Law nahm an der heutigen Debatte im Unterhaule über die Ruhrfrage nicht teil, da er noch urpäßlich ist. Sir Edward Grigg , der frühere Privatfekretär Lloyd Georges, eröffnete die Aussprache und sagte, wenn die Repa rationen nur eine Meinungsverschiedenheit zwischen der franzöfifchen und der englischen Politik darstellten, so würde er an einer Berständigung nicht verzweifeln, aber wenn der Sinn Frankreichs wirklich auf Reparationen gerichtet jei, so würde es eine andere Haltung angenommen haben gegenüber den prat: ischen und ge schäftsmäßigen Borschlägen, die von der gegenwärtigen und Letzten( britischen. Reb.) Regierung vorgebracht worden seien. Es sei aber
hinreichender Grund für die Annahme vorhanden, daß die Reparationen nicht mehr den Mittelpunkt des französischen Gedankenkreises
bildeten. Der Hauptbeweggrund Frankreichs sei nicht Sicherheit
Deffentlichkeit schon unzweideutig genug zum Ausdrud getommen ist, daß die reaktionären Bersuche auf Zerschlagung Groß- Berlins in den entscheidenden Punkten feinerlei Aussicht auf Erfolg haben. Nicht nur die Vertreter der Mittelparteien, der Demokraten und des Zentrums, betonten, daß fie für unbedingtes Festhalten an der Einheitsgemeinde und der Finanz- und Steuerhoheit des zentralen Magistrats eintreten, auch die Rechtsparteien mußten anerkennen, daß der durch die Schaffung der Einheitsgemeinde herbeigeführte steuerliche und wirtschaftliche Zustand sich nicht mehr aus der Welt schaffen lasse und ihre Bestrebungen lonzentrieren sich immer mehr auf die unter dem Gesichtspunkt der Berwaltungsorganisation zu beurteilende Frage der Kompetenzen der einzelnen Groß- Berliner Bezirke.
Diese Selbstbescheidung der Reaktionäre hat natürlich ihre tieferen Ursachen, die in erster Linie auf finanziellem und wirtschaftlichem Gebiet zu suchen sind. Heute fann niemand mehr bestreiten, daß wirtschaftlich die Schaffung Groß- Berlins ungeheure Vorteile für die Bevölkerung mit fich gebracht hat, und daß diese Vorteile( insbesondere auf dem Gebiete der Bereinheitlichung der wirtschaftlichen Unterneh mungen Berlins ) durch die Schaffung der Einheitsgemeinde Kein deutsches Vermittlungsersuchen. schneller erreicht worden sind, als wie sie auf dem Wege lang= wieriger Verhandlungen und Entwicklungen unter einem Rom , 28. März.( EE.) Der„ Meffaggero" erklärt alle Ge- 3weckverbandsgesetz hätten geschaffen werden fönnen. Außerrüchte für unbegründet, die behaupten, daß der deutsche Botschafter dem würde die finanzielle Berselbständigung der früheren in Rom eine Vermittlung der italienischen Regierung im Ruhr- Groß- Berliner Gemeinden für die so Beglückten eine fonflift erbefen hätte. Der deutsche Botschafter habe sich lediglich Finanzkatastrophe von noch nicht dagemefe. darauf beschränkt, bei verschiedenen Gelegenheiten der Regierung nem Umfang bedeuten. Die feudalen begüterten westlichen die Lage im Ruhrgebiet zu schildern.
Paris , 28. März.( EE.) Aus Brüffel wird dem Temps" gemeldet, die Behauptungen der Presse seien unrichtig, daß der Außenminister Jaspar bei seinen Besprechungen mit Mussolini eine italienische Vermittlung in der Ruhrfrage erbeten oder die Absendung italienischer Verstärkungen gewünscht hätte. In Belgien ertiäre man, es sei teine Aenderung in der belgischen Politik zu
erwarten.
Stinnes' Berhandlungen.
Rom , 28. März.( EE.) Hugs Etinnes hatte gestern in Maioder Reparationen in der alten Form, fondern Sicherheit unter einer land eine Besprechung mit dem Präsidenten der Bereinigung neuen Begriffsbestimmung, die England auf tas gefährliche vulta. nische Gebiet einer neuen Bolitik führe, die 2 os reihung deut. italienischer Industrieller Benai sowie mit verschiedenen anderen fchen Gebietes von Deutschland bedeute. Benn England Banfiers und Industriellen, besonders mit Dante Ferraris. Infolge dieje Politik unterstüßte, so würde es die Verpflichtung auf sich der Besprechung mit Stinnes beschloß der amerikanische Bankier nehmen, sich in die inneren Angelegenheiten Deutschlands einzu- Booth, der sich nach Polen begeben wollte, auch einige Tage in mischen und die deutsche Souveränität für alle Zeiten Deutschland zu verbringen. zu beschränken. Das würte in ben fommenden Jahren zu einer unvermeiblichen Explosion führen. Diese Politik sei dem britischen Weltkriegsziel und dem Bertrag von Versailles entgegengelegt, und stellte England vor ein ganz neues Broblem, daß nämlich Frankreich ber einzige SchiedsBom 22. März bis zum gestrigen Tage war der Gesundheits richter barüber sei, was Deutschland zahlen solle. Die Forde zustand ohne besondere Veränderung. Gestern abend stieg die rung, daß die Ruhrbesehungskosten in derselben Beise angerechnet Lemperatur auf 37,6. Heute früh betrug fie 38, Buls 108, werden sollen, wie die Kosten der Besehung des linten Rheinufers, Atmung 30. fbehe nicht im Friedensvertrag und jei eine neue Forderung, die Dolffommen außerhalb des Friedensvertrags stehe. Die Funktionen der Rheinschiffahrtskommiffion feien durch die Ruhr- Mostau, 28. März.( DE.) In Moskau ist im Laufe des März befegung vollkommen aufgehoben, und eine Reihe von Berhaftungen in verschiedenen Bevölkerungstreifen alle diefe Dinge ftänden außerhalb des Friedensvertrags. vorgenommen worden, ohne daß ein unmittelbarer Anlaß ersichtlich gewesen wäre. Grigg fragte, wie man diese neue Frage behandeln solle. Wohl Berwaltung( ehemals Ticheta) wird auf eine gewisse Beunruhi Die erhöhte Tätigkeit der Staatlichen Bolitischen fedes Mitglied des Hauses würde taufendmal lieber mit Frankreich übereinstimmen als nicht.( Beifall.) Man könne nicht bie Bolitit gung in Sowjetkreisen zurückgeführt, die mit der durch die Vereines ganzen Reiches auf Gründen des Gefühls allein aufbauen. schlimmerung im Befinden Lenins geschaffenen Lage zufammenhängt. Grigg forderte die Regierung auf, die Dominions in der Gesamt
frage rechtzeitig zu Rate zu ziehen und zu ihren Erflärungen namens
bes britischen Reiches innerhalb der nächsten Woche bereit zu Foch nicht in Prag . Das tschechoslowakische Pressebureau ist fein. Er hoffe, daß die Zeit kommen würde, wo die Regierung ermächtigt festzustellen, daß sich Marschall Foch zurzeit nicht in Prag in der Lage sei, zu zeigen, daß das britische Reich eine eigene Anbefindet. Damit werde auch die Meldung des„ Borwärts" über ficht und eine Stimme habe. die Bemühungen des Marschalls bei der Prager Regierung hinDie Debatte geht weiter. fällig.
Bororte, anfangs die Träger der Los- von- Berlin- Bewegung wissen ganz genau, daß sie heute ihre Berwaltung nicht ent fernt in dem Umfang aufrechterhalten könnten, wenn sie von Groß- Berlin getrennt würden. Die Einkommensteuer, früher die materielle Grundlage dieser Gemeinden, spielt heute nicht entfernt die gleiche Rolle. Die früher fo verachteten kleinen Steuern, die Gewerbe-, Bergnügungs-, Beherbungs- usw. Steuern sind heute viel bedeutungsvoller geworden und werden in erster Linie vom alten Berlin aufgebracht. Zahllose Vororte wären längst ohne Straßenbahn, wenn nicht die Einheitsgemeinde dieses Verkehrsmittel aufrechterhielte. Diese Einsicht ist unter denjenigen, die Bescheid wissen, trot aller demagogischen Treibereien in der reaktionären Presse doch bereits so weit verbreitet, daß niemand von ihnen ernsthaft daran denkt, die Berantwortung für ein Zerreißen der früher von ihnen bekämpften Einheitsgemeinde zu übernehmen.
Ist so der eigentlich politische Kampf um Groß- Berlin, wenn auch noch nicht beendet, so doch stark in den Hintergrund getreten, denn nach den Erklärungen der Demokraten und des Zentrums find ja alle solche Versuche zur Aussichtslosigkeit verurteilt, fo find in der letzten Zeit die mehr vermaltungstechnischen Fragen, die die Schaffung der Einheitsgemeinde aufgeworfen hat, immer mehr zur Diskussion gestellt worden. Es hat sich herausgestellt es wäre ganz zwecklos, das zu leugnen, daß hier eine zwedentsprechende Lösung für die Verwaltung dieses großen Gebietes no ch nicht gefunden ist. Zweifellos leidet die Berliner Bevölke abgrenzung zwischen den Bezirken und der zentralen Verwal rung unter der Unflarheit einer scharfen Kompetenztung. Sinngemäß und auch zweckentsprechend fann auf die Dauer bei aller strengen Aufrechterhaltung der steuerlichen und finanziellen Hoheit der zentralen Körperschaften, der zentralen Bearbeitung aller wirtschaftlichen Angelegenheiten usw. nur eine Berwaltung sein, bei der die laufenden Verwaltungsgeschäfte örtlich in den Bezirken unter Kontrolle der Vertretung der örtlichen Bevölkerung gelöst merden. Der Zustand, daß ganze Fragenkomplexe doppelt