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Nr. 153 40. Jahrgang

2. Sellage öes vorwärts

Sonntag, 1. �lpril 1425

Magere berliner Ofterfreuöen. sieht es ihr an, daß sie wohl weiß, welch segenbringenden Engel sie s darstellt. Nichtüberzeugt davon ist eine andere, verhärmte in dem Wagen 4. Klasse, die leisen Zweifel zu haben scheint, daß die armen Leute sonderlich entzückt sind, wenn der liebe Gott mit ihnen ist. Die Inhaberin der Eicrkörbe versucht zu ergründen, was damit gemeint ist. Der lieb« Gott ist für sie Autorität: weil er die Hühner schuf und die Kartoffeln immer noch wachsen läßt, ohne daß man eigentlich weiß warum; solchem Herrn darf man nicht untreu werden. Also witterte die Dicke Feindseligkeiten außerhalb ihrer Eierkörbe, läßt sich in kein Gespräch mehr ein, sieht schwarze Fabriken draußen vorüber- eilen, Rauch, Ruß, Mauern. Der Zug hält. Die Dick«, schwerbelastet, erkämpft sich den Ausgang, sieht auf dem Bahnsteig zwei magere Jungen, ruft sie an:Tragen helfen?" Gut. die Jungen tragen. Nach einer Viertelstunde hält der Eiertransport schnaufend vor dem Gemüseladen. Entlohnung: jeder Junge kriegt 20 Mark.Wat?" sagt der eine, guckt die 20 Mark an und dann die Dick«. Protest' und Auflauf. Die Frau aus dem Gemüseladen stürzt heraus, erfähn den Tatbestand. Andere Frauen nehmen Partei gegen die Herrin der Eierkörbe, die plötzlich Gefahr sieht. Di« Gemüsefrau, resolut, greift in den Korb, steckt jedem der Jungen drei Eier in die Tasche. Die Dicke schnauft und schimpft, sieht sechs Eier davonlaufen und ist nun wirtlich überzeugt, daß der liebe Gott mit den armen Leuten ist, wenn auch auf ihre Kosten. Der Gemüsefrau, die sie damit tröstet, daß auch die Berliner Jungen mal ein Osterei haben wollen, antwortet sie tief bekümmert:Wer schenkt mich ein Osterei?" Sie hat es nötig!

Man nehme", steht in den alten Kochbüchern zu lesen; und da die Kochkunst es noch immer nicht gelernt hat, eine gute Sache her- zurichten, ohne etwas nehmen zu müssen, steht es auch in den neuen Büchern. Man nehme, st�eht da, 10 Eier, sondere das Gelbe vom Weißen, rühre das Gelbe mit Zucker und schlage das Weiße zu Schnee... Nun ist es sicher nicht Sache der Kochbuchdichter, sich darum zu kümmern, woher einer etwas nimmt. Dt« Kochbuchdichter waren in dem Glauben groß geworden, daß man die Eier z. B. den Hühnchen wegnimmt, vorausgesetzt, daß man Hühnchen besitzt. Da aber die meisten Men'chen keine Hühnchenbesitzer sind, so müssen sie sich an dle wenden, bei denen neben den fetten Schw.'inen und den milch- erfüllten Kühen auch noch das Federvieh Unterschlupf gesunden hat. Diesen Lieben etwas wegzunehmen, ohne es mit einer auf schönem Papier gedruckten hohen Zahl zu belegen, ist seil Jahrhunderten ver­geblich versucht worden. Es wird auch heut« nicht gelingen, wenn man nicht mit den gebündelten Paketen der Tausender anrückt, die ein gutrs Kochbuchrezept zum Erstehen der ausreichenden Eiermenge erfordert. Also können uns die Kochbücher gestohlen bleiben und wir hauen aus Brotkartenauch" Niehl, Margarine und feinstem Süß- stoff den Osterkuchen von 1023 zusammen. Das ist die wahrhaft« Be- freiung vom El.(Herlliche Eigelbillusion, wo es erforderlich, bietet Safran.) Nämlich nach dem Liede:Safran macht den Kuchen gehl" »«> Der liebe Gott ist mit den armen Leuten", sagt di« gute Bauernfrau, die 1,23 Meter im Durchmesser ist und aus der Fahrt 4. Klasse von der Priegnitz nach Berlin begriffen ist. Sie sagt das im sicheren Schutz einer Barrikade von drei Eierkörben, die, bis zum Rande mit dem Hühpcrprodukt gefüllt, Berlin unermcßlich beglücken werden. Man

Gsterreigen 192Z. Ringelringelreihe macht nich' son jroß Ieschreie! Wir wer'n auch nich zu Ostern satt, weil Mutta keene Jelder hat? Wa kicken in de Röhren wa Jähren! Ringelringelreihe wa sind jetzt dreimal dre«! Wat Vata von die Arbeit hat, det macht uns jrade eenmal satt Un Strümpe ham wa keene an die Beene! Ringesringelreihe wa kriejen keene neie! Wat Mutta so zusammenstreicht, jerad for'n bißken Schwarzbrot reicht, Zichorie, Marmelade un keene Schokolade! Ringelringelreih« Hört uff mit det Leschreie! Wa brauchen nich' ze suchen un Ostereier suchen Die hast der Sauer feste im Neste! Ringelringelreihe uns fährt keen Mensch in't Freie! Wa könn' im Hofe spielen uns uff die Straße sielen, un Kuchen jibt't kernen, nich eenen! Ringelringelreihe wa stich jetzt dreimal dreie! Auch Ostern is'ne Neppe vei keen Kuchen, Irunewald, keen Eil Wa kicken in de Röhren wa Jähren! 3. M. F.

vergessene berliner Gsterfttten. Wir schreiben bekamillich das Jahr 1923. Um das Jahr 1100 herum stand auf dem Harlunger Berg in Brandenburg noch das Heid- nifche Götzenbild des Trizlaff, der allerdings kein germanischer, son- dern ein wendischer Gott war. Die Spanne, die uns von dem Heidentum trennt, ist also gar nicht so groß, etwa 800 Jahre, und es ist deshalb wohl zu verstehen, wenn sich besonders auf dem Lande und dort wieder in recht abgelegenen Gegenden allerlei Sitten und Gebräuche erhasten haben, deren Ursprung auf das Heidentum mit feinem Aberglauben zurückgeht. Unsere modernen Völkischen aber sehen besonders in diesen altenSitten und Gebräuchen" ein Stück germanisch-deutschen Volkstums, das man hingebend pflegen muß, auf daß wir nichtinternational" werden, sondern unsvöllisch" von anderen Nationen unterscheiden. Je weiter wir uns aber von agrarischen zu industriellen Wirtschaftsformen entwickeln, um so mehr verlieren die alten Sitten und Gebräuche ihren Einfluß und ihre Kraft. Der Berliner Maid, die sich in der Osternacht zwischen 11 und 12 Uhr in der Karl- oder Hannoverschen Straße an das Ufer der lieblich duftenden Pank« begeben würde, um nach altgermanifchem Brauch schweigend das Osterwasser zu schöpfen, das bekanntlich, wenn man es trinkt, innere Kronkhesten vertreiben und äußerlich zur Schönheit verhelfen soll, dieser Maid würde es wohl übel ergehen. Denn das Pankewasser innerlich wie äußerlich zu genehmigen, dürfte selbst in der von allers so segensreichen Osternacht nicht ratsam sein. Und von den schönen Mädchen von Bernau , woselbst die herrliche Pank« ihre Quelle Hot, vernahm man noch niemals, daß sie in der Osternacht an die Pankquelle pilgern Di« alten Sitten und Ge-

tRachdruck verboten. Der Malik-Verlag , Derlin.) Drei Soldaten. 76s von lohn dos Paffos. Aus dem amerikanischen Manuskript übersetzt von Julian Sumvertz. Als sie den Boulevard Saint Germain überschritten, wur- den sie von einer Droschke angefahren, die sie mit einer ge- hörigen Ladung Dreck beschlammte. Sie hielt sich an seinem Arm fest und blieb dann zitternd vor Lochen stehen. O, wie schrecklich, wie schrecklich," sagte sie. Andrews lachte und lachte. Aber halten Sie doch den Schirm über uns... Der Regen läuft auf meinen besten Hut," sagte sie. Ihr Name ist Ieanne?" meinte Andrews. Impertinent... Sie hörten meinen Bruder mich so nennen... Armer Kerl. Mußte in jener Nacht wieder zur Front. Er ist erst neunzehn Jahre alt... Sehr klug... O, wie bin ich glücklich, daß der Krieg vorbei ist!" Sie sind älter als er?" Zwei Jahre... Ich bin das Haupt der Familie... Haben Sie schon immer in Paris gelebt?" Nein. Wir-kommen aus Laon ... Wegen des Krieges." Flüchtlinge?" Nennen Sie uns nicht so; wir arbeiten." Andrews lachte. Gehen Sic weit?" fragte sie und sah ihm ins Gesicht. Nein, ich wohn? hier in der Nähe...' Mein Name ist übrigens genau der gleiche wie der Ihre." Jean? Wie komisch. Wo gehen Sie hin?" Rue Descartes, hinter Saint Eticrme." Dann wohne ich ja ganz in Ihrer Nähe." Alfer Sie dürfen nicht kommen. Die Pförtnerin ist eine Tigerin. Ctienne nennt sie immer Madame El6menceau." Wer. der Heilige?".. Nein. Sie Dummkopf, mein Bruder. Er fft Soziasist, Setzer bei der Humanit«4. So? Ich lef« oft die Humanit6." Armer Junge. Er hat früher immer geschworen, nie ins Heer einzutreten. Er wollte nach Amerika . Das würde ihm jetzt nicht viel helfen," meinte Andrews bitter.»Was arbeiten Sie jetzt?"

Ich?" Erbitterung überlief ihre Stimme.Warum sollte ich's Ihnen nicht sagen? Ich arbeit« bei einer Schneiderin... Doch da sind wir ja." Sie lachten beide. Wollen wir uns nicht wieder treffen?" Gut. Im Kaffee am Ende des Boulevard Saint Michel. Aber Sie werden wahrscheinlich doch nicht kommen." Ich schwöre, daß ich kommen werde!" rief Andrews eifrig aus. Werden sehen." Sie lief fort, die Straße hinunter. Andrews blieb allein inmitten des rauschenden Regens. Er fühlte sich ruhig und müde. Als er in fem Zimmer zurückkam, fand er kein« Streichhölzer in der Tasche. Durch das Fenster drang ein Licht. Er härte nur das zischende Geräusch des Regens im Ofen. Er stolperte über einen Stuhl. Bist du betrunken?" kam Wallers Stimme aus dem Bett.Auf dem Tisch sind Streichhölzer." Aber wo zum Teufel ist der Tisch?" Endlich gelang es ihm. die Streichholzschachtel zu er- wischen. Das rote Flackern des Zündholzes blendete ihn. Er blinzelte. Die Lider waren noch voller Regentropfen. Als er eine Kerze angezündet und sie zwischen die Noten auf den Tisch gestellt hatte, riß er sich die nasien Kleider vom Leibe. Habe gerade ein entzückendes Mädchen getroffen, Walters" Andrews stand nackt neben dem Haufen Kleider und rieb sich mit einem Handtuch ab. Donnerwetter, bin ich naß... Aber sie ist wirklich das entzückendste Geschöpf, das mir bisher in Paris über den Weg gelaufen ist." Ich dachte, du wolltest die Weiber zufrieden lassen?" Die Dirnen, meinst du wohl." Ist nicht jedes Mädchen, das du von der Straße rauf- holst,'ne Dirne?" Unsinn." In diesem verfluchten Land gibt's nur Dirnen... Gott , ich möchte'mal wieder fo'n nettes, fesches, gesundes ameri» kanifches Mädchen zu sehen kriegen." Andrews antwortete nicht. Er blies das Licht aus und stieg ins Bett.

Andrews begann an Ieanne zu denken, und der Gedanke an sie ließ ein Gefühl ruhigen Wohlseins durch seinen Körper strömen. Wenn er mit ihr durch die abendlichen, menschen- gefüllten Straßen schlenderte, besänftigte die Berührung mit ihrem Körper die Erregtheit seiner Nerven, so wie er es noch nie vorher gekannt hatte. Es erregte ihn, mit ihr zu fein, doch sehr süß und sanft, so daß er fast vergaß, daß seine Glieder steif in eine unbequeme Uniform eingepreßt waren, so daß seine fiebrigen Wünsche fast aus ihm auszuströmen schienen, bis er mit ihrem Körper zusanimen mühelos in dem Strome all der Leben der vorübergehenden Menschen zu treiben schien. Er war dann so matt von der ruhigen Liebe, die ihn um- strömte, daß die harten Wälle seiner Individualität fast ganz in dem nebligen Straßenzwielicht zu zerfließen schienen, und auf einen Augenblick, wie er daran dachte, stieg ihm der Geruch von Blumen, schwer von Blütenstaub, und von sprießendem Gras und feuchtem Moos und schwellenden Säften in die Nase. Manchmal, wenn er an einem rauhen Tag« im Ozean schwamm, hatte er dieselbe unbekümmerte Heiterkeit gefühll. wenn er von einer ungeheuren, brausenden Welle gefangen an die Küste getragen wurde. Er saß ruhig und still in dem teeren Weinladen an diesem grauen Nachmittag und fühtte sein Blut in den Adern murmeln und anschwellen, wie das neue Leben jetzt murmelte und anschwoll in den Keimen der Bäume, im zarten Grün, das sich unter ihrer rauhen Rinde regte, in den kleinen Tieren der Wälder und in dem Bich, das auf den Wiesen zur Weide hinausging. Dieser Vorfrühling war eine unwiderstehliche Kraftquelle, die ihn und alle mit sich forttrug. Die Uhr schlug fünf. Andrews sprang auf und stürzte. noch kaum in seinen Mantel geschlüpft, aus der Tür. Ein rauher Wind blies auf dem Platze. Der Fluß war schmutzig grau-grün, geschwollen und strömend. Ein heiseres, triumphiereirdes Brüllen entstieg seinen Wellen. Der Regen hatte aufgehört, aber das Pflaster war mit Matsch bedeckt, und in der Gosse waren große Pfützen, die der Wind kräusett«. Alles Häuser, Brücken, Flüsse und Himmel war kalt grau-grün beschattet und nur von einem Fetzen Ockergelb am Himmel unterbrochen, gegen den Notre Dame und ihr schlan» ker Turm dunkel und rötlich aufragten. Andrews ging mit schnellen Schritten, paffchte durch die Pfützen, bis er einen überfüllten grünen Auwbus erreichte. (Fortsetzung folgt»