Nr. 22? ♦ 40. Jahrgang
1. Heilage ües vorwärts
Sonntag,?Z. Mak 1023
Scheiüemann über öas öeutsthvöltisthe Komplott. Die deutschnationale Interpellation vor dem Reichstag .
In der gestrigen Sitzung des Reichstags wurde unver- ändert der Gesetzentwurf betr. ein deutsch -polnisches Abkommen betr. Uebcrleitung der Verwaltungsstreits. Steuerverteil ungs- und Verwaltungsbeschluß- fachen sowie der Rechtsmittelverfahren und in Kirchensteuer- suchen im oberschlcsischen Abstimmungsgebiet wird in allen drei Lesungen und in der Gcsamtabstimmung debattelos erledigt. Ein- stimmig angenommen wird ferner der Antrag Beyermann und Gen. fD. Vp.) die Reichsregierunz zu ersuchen, den die Lehrer- bildungsfrage zurückstellenden Kabinettsbeschluß einer Nach- Prüfung zu unterziehen und die Neuordnung der Lehrer- b i l d u n g nach den Forderungen der Verfassung durch Reichsgesetz schleunigst zu regeln. Auch ein Antrag Schreiber(Ztr.), in den Etat des Reichsministeriums des Innern zur Behebung kultureller Notstände eine einmalige Summe von zwölf Milliarden Mark einzusetzen, wird gegen die Stimmen der Sozialdemokraten angenommen. Don diesen Mitteln sollen drei- viertel an die Religionsgesellschasten fallen, aus der Restsumme sollen kulturelle und gemeinnützige Bereinigungen, an deren Erhaltung das Reich Anteil nimmt, und die studentische wirt. fchaftliche Selbsthilfe Unterstützung erfahren. Abgelehnt wird daaegen ein Antrag Wurm(Soz.) statt zwölf Milliarden nur zwei Milliarden für die studentische Wirtschaft- liche Selbsthilfe zu bewilligen. Der Ergänzungsetat wird bewilligt, ebenso der Ergänzungsetot des Wirtschaftsministeriums und des Finanzministeriums, und das Etatsgesetz in•zweiter Lesung. Eine Entschließung des chaushaltsausschusies u«r die Der- tellung der zur Unter st ützung notleidender Anstal- ten der freiwilligen Wohlfahrtspflege bewilligten Mittel war an den Ausschuß zurückverwiesen worden, der nach nochmaliger Be- ratung erneut die unveränderte Annahme empfiehlt. Das chaus beschließt demgemäß. Zum Etatsgesetz werden ferner Entschließungen des Ausschusses angenommen, wonach für die Besoldungen an Stell« der Ortsklasseneinteilung ein Wohnungsgeld treten soll, in der Zeitschrist„Wirtschast und Statistik' Uebersichten über die Einkommen der Beamten neben der Darstellung der Bezüge der Arbeiter und Angestellten veröffentlicht werden sollen und die Bezüge der Beamten in den besetzten Gebieten nachgeprüft und so festgesetzt werden sollen, daß namentlich für die unteren Be- 'oldungsgruppen der Berschiebrmg gegenüber den Arbeitslöhnen Rechnung getragen wird. Darauf begwnt die dritte Beratung de, Reich schaushaklsplano 'ür 1923 mit dem Haushalt des Reichsmtnisterlums des Innern in Verbindung mit den beiden Interpellationen hergt (Dnat.) und Gen. wegen der Auflösung See Deutjchvölkischen Jreihettspartei durch den preußischen Minister des Innern und des Vorgehens des- selben Ministers gegen alle Selbstlchukorganifationen. Abg. Graf Westarp(Dnat. Vp.): Nicht parteipolitische Gründe laben uns zu diesen Interpellationen veranlaßt, sondern grund» kgtzlZche Erwägungen, denn es bestehen gewichtige Unterschiede 'wischen uns und der Deutschvölkischen Parte!. Das Vorgehen des Ministers gegen die Deutschvölkische Partei greift in ein schweben- ev Vcrfahren vor dem Staatsgerichtshos ein. Wir haben zu 'em Gerichtshof kein Vertrauen. Der Staatsgerichtshof 't ein vorläufiges Urteil gefällt und das Material des Ministers wtring gegen die Deutschoölkische Partei als Anlaß genug '■m Vorgehen angesehen, er hat aber das Verfahren aus- "etzt bis zur EntfcheSiung über Roßbach. Da verkennt der Ge- bishof dos vermal tungsrechtliche Verfahren. Wenn das Material cht ausreicht«, mußte er das Verbot des Ministers aufheben, und lenn der Prozeß Roßbach weiteres Material ergeben hätte, hätte da« Verbot erneuert werden müssen. Die Deutschoölkische Freiheits- nartei als solche ist etwas anderes als eine bloße Vereinigung. Die vosttifche Partei hat besondere Rechte, zu ihr gehören nicht nur Per- lonen, sondern auch Korporationen. Auch für die Organi- 'dionen der Deutschvölkischen Freiheitspartei scheint der Erlaß des Ministers Severing unhaltbar, und zwar, weil er alle Organi- fchonsn nur deshalb verbietet, weil sie zur Partei gehören. Jede W a h l a r b« i t für die Partei macht der Minister unmöglich, wenn er die Partei als solche verbietet. Das Verbot widerspricht der Reichsver.sassüng. Nach dieser geht die Staatsgewalt vom Volke aus, also vom Reichstag, tatsächlich von der Mehrheit des Reichstags, die von Parteien gebildet wird. Es ist eine innere Un- Wahrheit, es so darzustellen, als ginge das Ganze wirklich vom Volke aus. Zur Bildung einer Mehrheit gehört es nach parlamentarischer Uebung, daß eine Minderheit da ist. Es kommt vor, daß Minderheit und Mehrheit sich in der Bildung einer Regierung ab- wechseln. Eine Regierung sägt den Ast ab, auf dem sie sitzt, ver- nichtet das ganze parlamentarische System, wen sie eine Minderheit verbietet. Wir müssen also gegen das Berbot aufs schärfste grund- sätzlich Einspruch erheben. Gegenüber den Kommunisten ver- sagt die preußische Regierung überall. Ich erinere nur an die Vorgänge in Mülheim , und wie sieht es erst in Sachsen aus. Die Art, wie in Preußen, Sachsen und Thüringen regiert wird, schädigt die Reichspolitik.(Lebhafter Beifall rechts.) Zur Beantwortung der Interpellationen nimmt das Wort Minister des Innern Oeser: Die Unterlage,: für das Drebot der Deutschvölkischen Freiheits- partei sind in der öffentlichen Verhandlung vor dem Staatsgerichts- Hof am 26. April vorgetragen und von dem Gerichtshof gewürdigt worden. Ich darf annehmen, daß die Interpellation in bezug auf diesen Punkt ihre Erledigung gefunden hat.(Lachen rechts.) Das endgültige Befchlußverfahren steht im Zusammenhang mit der Strafsache gegen Roßbach und wird bis zur Entscheidung über diesen Fall vertagt werden. Der Minister verliest hieraus wörtlich die Begründung für den betreffenden Beschluß des Staatsgerichts- Hofs, �>arin he�ßt es u.a.:„Wenn auch die Deutschoölkische Freiheits- parte, grundsätzlich den heutigen Parlamentarismus bekämpft, so hört sie doch hierdurch noch nicht aus,«ine politische Partei zu fem. Im übrigen hat ja auch die Deutschvölkifche Freiheitspartei nach den in der mündlichen Verhandlung durch den Abg. v. Graefe abge- gebenen Erklärungen Wert darauf gelegt, im Parlament für ihre Zwecke zu kämpfen. Daß die Parteigründung vielleicht nur zu dem Zwecke erfolgt ist. um vor der etwaigen Auflösung durch die Verwaltungsbehörden g e d e ck t zu sein, vermag an dem inneren Charakter als politische Partei nichts zu ändern. Nach An- sicht des Staatsgerichtshofes sind aber auch politische Parteien von den Bestimmungen des Schutzgesetzes über Per- einigungen nicht ausgenommen. Ob eine politische Partei als ein Derein oder eine Bereinigung anzusehen ist. ist im wesent- sichen eine Tatfrage. In sachlicher Hinsicht konnte der preußische Minister des Innern sehr wohl der Meinung sein, daß die Borausfetzungen für ein Verbot gegeben feien. Insbesondere ist die Austastung zurückzuweisen, daß er einseitig und mit unnötiger Schärfe vorgegangen sei. Allerdings bestehen nicht unerhebliche Bedenken, und das Berbot bedarf'einer sirengen Nachprüfung durch den Staatsgerichtshos. (Lebhaftes Hört, hört! rechts.) Klarheit wird erst zu schaffen sein, w-nn das Strafverfahren gegen Rohbach und Genossen beendet ist.
Unter diesen Umständen schien es geboten, den Beschluß auszusetzen." Die rechtliche Entscheidung darüber, so fährt der Minister fort, wie weit eine im Parlament vertretene Partei verboten werden kann, steht dem Gerichishof zu, und gegen dessen Entscheidung will und kann ich meinerseits nicht eingreifen. Die Partei- Mitglieder sollen gar nicht gehindert werden, in legaler Weise parla- mentarische Beziehungen aufrechtzuerhalten, die Abgeordneten sollen auch nicht behindert werden, Versammlungen zu veranstalten. Das Nähere ergibt sich aus einer Verfügung des Ministers Severing. Durch die Auflösung der Organisation ist auch, so heißt es in der Verfügung, die Einberufung von Versammlungen durch diese Orga- nisation unzulässig. Andererseits ist es den Abgeordneten selbst, die im Reichstag eine besondere Gruppe bilden, auf Grund ihrer parla-. mentarischen Rechte unbenommen, persönlich und schriftlich unmittelbar mit ihren Anhängern in Ber- kehrzutreten und Versammlungen abzuhalten, sofern die Einberufung von den Abgeordneten ausgegangen ist. Nach Der- lefung dieser Verfügung fährt Minister Ocser fort: Dieses Verfahren wird die preußische Regierung natürlich nur dann innehalten, wenn in den Versammlungen keine Verstöße gegen das Gesetz erfolgen und wenn auch sonst Abmachungen des Verbots der Organisation der Partei nicht in Frage kommen. Ich muß mich heute auf diese Ausführungen beschränken. Von einer Erörterung der dem Verbot zugrunde liegenden Vorgänge möchte ich absehen. Auf die zweite Interpellation möchte ich folgendes erwidern: Die R e i ch s r e g i e r u n g ist mit der preußischen Regierung darin einig, daß es Aufgabe des Staates ist, alle geletz- mäßigen Versammlungen zu stützen, und Versuche, solche Versammlungen zu verhindern und zu sprengen, mit den Machtmitteln des Staates zu bekämpfen. In dieser Hinsicht ist eine Uebereinstimmung auch mit den übrigen Landesregierungen herbei- geführt worden.(Lachen rechts) Andererseits ist es Aufgabe des Staates, darüber zu wachen, daß die Versammlungsfreiheit nicht zu Gesetzwidrigkeiten mißbraucht wird. Nur auf dieser Grundloge können wir zu wirklicher Versammlungsfreiheit und zu innerpoli- tischer Gesundung gelangen. Der Schutz der persönlichen Sicherheit und Freiheit ist Sache des Staates und nicht des einzelnen. Es ist nur«in Gebot der Pflicht des Staates, wenn die preußische Regie- rung den Bestrebungen rechts- wie linksgerichteter radikaler Elemente zum Selbstschutz entgegentritt und demgegenüber die Staatsautorität wieder herstellt. Die Reichsregierung ist der Meinung, daß es sich hier um «in« gemeinsame Aufgabe all« Sandes regßnunaen hcmbett and Ist ihrerseits bereit, die Landesregierungen bei der Es- füllung dieser Aufgabe nachdrücklich zu unterstützen. In meinem Ministerium ist der Entwurf eines neuen Reich s-Bereins- g e i e tz e s fertiggestellt, der den freiheitlichen Grundsätzen der Reichsverfassung entspricht. Die Verhinderung von Gesetzwidrigkeiten ist Sache des Staatts und muß es unter allen Umständen bleiben. Graf Westarp hat die Tätigkeit des Staatsgerichtshofes abfällig kritisiert. Ich darf darauf hinweisen, daß gerade seine Ausführungen In bezug auf den Begriff der Beschimpfung nicht mit der Judikatur des Staatsgerichthofes übereinstimmen, daß diese Judikatur aber sich in voller Uebereinstimmung mit der des Reichsgerichts befindet, wenn nämlich der Staatsgerichtshof der Ansicht ist, daß zu dem Begriff der Beschimpfung eine verletzende und grobe Form gehört. Darum möchte ich die Ausführungen des Abg. Westarp energisch zurückweisen.(Beifall.) fibg. Schelöemana(Soz.): Ich bedaure außerordentlich, daß wir erst heute Gelegenheit bekommen, zu der Auflösung der Deutschvölkischen Freiheitspartei Stellung zu nehmen. Das reaktionäre Treiben gegen den Bestand der deutschen Republik ist keineswegs nur eine innenpolitische Frage, es ist vielmehr«ine politische Frage, die in der ganzen Welt mit der größten Aufmerksamkeit verfolgt wird und deren Ausfchlach- tung ganz besonders durch Frankreich das gange deutsche Volk in der schlimmsten Weise auszubaden hat. Während nun die Reichsregierung eine Zurückhaltung beobachtet hat. für die mir jedes Verständnis fehlt, und während die bayerische Regierung das Menschenmögliche getan hat, um der Arbeit der Reaktion— ich will nicht sagen, direkt Vorschub zu leisten, aber doch diese Arbeit mindestens zu erleichtern, haben wir erleben müsien, daß vom Reich aus gar nichts geschah. Rur der preußische Innen- minister hat mit fester Hand zugegriffen, um wenigstens den übelsten und gemeingefährlichsten Organisationen endlich das Handwerk zu legen, soweit es überhaupt möglich gewesen ist. Weil nun Minister Severing eingegriffen hak. deshalb interpellieren die Deutschnationalen.- Es ist für einen Sozialdemokraten nicht gerade ein« angenehme Aufgabe, staatliche Maßnahmen verteidigen zu müsien, von denen wir natürlich wissen, daß sich durch sie ein Teil des Volkes, fei es mit Recht, fei es mit Unrecht, bedrückt fühlt. Es handelt sich Zweifel- los um ein« Einschränkung der staatsbürgerlichen Freiheit, und wir lasten gar keinen Zweifel darüber, daß ihre Verteidigung keine ange- nehme Aufgabe für uns ist. Deshalb stelle ich auch an die Spitze meiner Ausführungen ausdrücklich das sozialdemokratische Bekenntnis zur Freiheit det presse, des Vereins- und Verfammlungswesens, so wie es in dem Derfasiungswert von Weimar verankert worden ist. Wir find grundsätzlich für jede Freiheit des Wortes, und es hat erst der furchtbaren Lehre des Mordes an Erzberger und Rathenau bedurft, um uns zu der Ueberzeugunq zu bringen, daß in den gegenwärtigen außerordentlichen Verhältnissen eine persönliche Verhetzung, die sich schließlich in blutigen Taten geäußert hat, von Gesetzes wegen einfach nicht geduldet werden kann.(Lebhafte Zustimmung links.) Westarp hat auf Beschimpfungen hingewiesen, mit denen sich«ine neue Konstruktion des Staatsgerichtshofes be- fchäftigt habe. Wir sind auch meinethalben dafür, wenn Herr Westarp es wünscht, eine gewisie Schimpfsreiheit einzuführen. Wir wollen es dann allerdings Ihnen überlasten, davon Gebrauch zu machen. Auch wir setzen voraus, daß diese Schimpfsteiheit nicht in eine Schießfreiheit ausartt. Schimpfen Sie(nach rechts) meinethalben, ich stehe da auf dem Standpunkt des deutschen Sprich- worts: Hunde, die viel bellen, beißen nicht! Einer Einschränkung der Vereinsfreiheit haben wir auch insofern zugestimmt, als es sich um Dereine mit ausgesprochen verbrecherischen Zielen handelt. Vereinigungen zu unterdrücken, die mit.ge istigen Waffen für ihre Ueberzsugung wirken, dazu werden wir uns nie- mals hergeben. Wir würden daher auch dem Verbot der fogenann- tm Deutschvölkischen Freiheitspartei nie unsere Zustimmung gegeben haben, wmn wir nicht den Beweis als geli»fert ansehen müßten, daß diese sogenannke Partei nichk, anderes ist als eine Verschwörer- gefellschaft. die planmäßig darauf ausgeht, die gegenwärtige Rechtsordnung zu stürzen und an Stelle einer Herrschaft der Mehrheit die Herrfchaft einer bewaffneten Minderheit zu setzen. Da wir diesen Beweis als erbracht ansehen, sind wir allerdings der Meinung, daß die deutsche Republik die Pflicht hat, mit aller Kraft den Kampf um ihre Selbsterbaltung zu führen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Wir bettachten die Energie, die der preußische Innenminister auf diesem Gebiet« entfaltete, als beifpi«!»
geben brauch für die deutsche Reichsregierung.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Nach der vorläufigen Entscheidung des Staatsgerichtshofes ist Minister Severing berechtigt gewesen, das Verbot der Freiheitspartei auszusprechen. Auch die Frage, ob eine Partei als solche aufgelöst werden kann, hat der Staatsgerichts- Hof bejaht. Dabei hatte er sich in Uebereinstimmung befunden mit einem der gescheitesten Deutschvölkischen, wie ich annehme, mit dem Professor v. Freytag-Loringhoven.(Abg. v. Graefe: Das ist keiner von unseren Freunden!)— Aber erlauben Sie, wieviel MM- meter steht denn der von Ihnen weg?(Heiterkeit links.— Zuruf der Volk.)— Ja, erlauben Sie, das ist für uns die Schwierigkeit: da die Nabelschnur zwischen Ihnen, und den Deutschnationalen überhaupt noch nicht zerschnitten worden ist, so weiß man ja nicht: steht er hier oder da? lGroße Heiterkeit?) Man hat der preußischen Staatsregierung immer wieder den Vorwurf gemacht, sie messe rechts und links mit zweierlei Maß und wende gegen die Deutschvölkischen Maßregeln an, die den Kommunisten gegenüber ebenio am Platze wären. Dazu kann ich nur folgendes sagen: Hätten die Kommunisten in der letzten Zeit ähnliche Vorbereitungen getroffen wie die Deutschvölkischen, so wäre es die Pflicht der Regierungen gewesen, gerade so gegen die Kommunisten vorzugehen, wie gegen die Deutschvölkischen. Gerade der jetzige preußische Innenminister hat auch im Kampfe gegen die Kommunisten ein nicht geringes Maß von Energie ausbringen müsien, was ihm gewiß nicht leicht geworden ist. Heut« haben die Kommunisten eingesehen, daß di« Arbeiter diese Putsch- taktik nicht mehr mitmachen. Die Kommunisten wenden sich von der Gewalt ab. die Deutschvölkischen ihr zu. (Sehr wahr! links.) Die Rechtsradikalen haben sich nicht nur ttotz ihrer Schandtaten vielfach reichlicher Gunst und Duldung erfreut, sondern sie haben auch an einer großen politischen Partei und deren Press« eine Stütz« gehabt. Erst der Mord an Rathenau hat die deutschnationale Partei gezwungen, einen ge- wissen Trennungsstrich zu ziehen, oder bester gesagt, ihn nur zu markieren: denn wir haben vorhin ja wieder aus den Aus- führungen Westarps gehört, wie eng sie eigentlich im Grunde ge- nommen noch liiert sind. Während die Sozialdemokraten gegen den Putschismus von links einen geistigen Schutzwall in den Ueberzeugurrgeir ihrer Anhänger haben, sind die Grenzen zwischen der Deutschnationalen Partei und dem Rechtsvutschismus bis auf den heutigen Tag noch imm«r ganz»erwischt geblieben. Wäh- rend sich die republikanistb» Staatsgewall bemüht, die Republik zu verteidigen, stellen sich dt« Deutschnativnalen nicht etwa auf die Seit« derer, die die Autorität des Staates aufrechterhalten wollen, sondern ergreifen Partei für die Deutschvölkischen und bringen diese Interpellationen ein. Nun einige Bemerkungen über den törichten Versuch der sehr merkwürdigen Freiheitspartei, hier den Beweis zu liefern, daß 1. nie zuvor eine andere Partei verboten oder unterdrückt worden fei, daß aber 2. die Unterdrückung der sozialdemokratischen Partei des. halb zu Recht erfolgt fei, weil sich dkd Sozialdemokratie zur G e- walt bekannt habe.(Hört! hört! und Heiterkeit bei den Soz.) Diese Argumentation, daß es 1. überhaupt nicht passiert fei und daß es 2. zu Recht geschehen sei, erinnert bekanntlich an die Ge- schichte mit dem geliehenen Tops. Das Sozialistengesetz wurde be- kanntlich erlassen, weit, man die Mordbuben Hödel und Nobiling den Sozialdemokraten an die Rockschöße gehängt hat Keiner dies«? beiden Leute hatte mit der Sozialdemokratie auch nur das Geringste zu tun. Hödel war Mitglied der Christlichfozialen Partei, als er die Mordtnt zu begehen versuchte und von dem Nobiling sagte der Untersuchungsrichter zu einem Redakteur der Zentrumspresse: „Nobiling war noch dümmer als Hödet'(Hört! hörtl bei den Soz.) Die Behauptung der„Deutschen Tageszeitung", daß Robi. ling den Besuch von sozialdemokratischen Versammlungen auf dem Sterbebett« zugestanden hätte, ist unwahr. Niemals ist der Be- weis erbracht worden, daß er in einer sozialdemokratischen Ver- sammlung war und niemals hat irgendein Mann in autoritärer Stellung damals in der Gerichtsverhandlung das behauptet. Aber wenn wirklich schon der Nobiling einmal in feinem Leben eine sozialdemokratische Versammlung besucht hätte— deshalb sollte er der Sozialdemokratie angehängt werden und deshalb sollte er die Ursache sein, wie das von Ihnen früher behauptet worden ist, und jetzt auch wieder behauptet wird, also mit einem Mordbuben zu rechtfertigen, daß man die Sozialdemokratische Partei damals unter ein Ausnahmerecht stellte? Wie wollen Sie denn alle jene Mordbuben, die gefaßt und verurteilt worden sind, von denen nachgewiesen ist, daß sie nicht Ihre Versammlungen besucht haben, sondern Ihre Mitglieder gewesen sind(Sehr gut! b. d. Soz.), auch nur mit der germgsten Aussicht aus Erfolg jemals von Ihren Rockschößen abschütteln können?(Erneute lebhafte Zustimmung b. d. Soz.) Noch bevor Bismarcks Ausnahmegesetz in Kraft getreten war, ging die tollste Hetze durch das Land, c Herr Wulle, Sie haben keine Ahnung davon, wenn Sie sich jetzt darüber beschweren, daß man Ihnen von soundsoviel Zimmern ein paar weggenommen hat, wie man die Sozialdemokratische Partei damals in der fchand- barsten Weife behandelt hat. Noch bevor das Ausnahmegesetz zu» standegekommen, wurden. Zeitungen verboten, wurden Haussuchungen und Verhaftungen vorgenommen, unsere Leute eingesperrt: Maje- stätsbeleidigungsprozesse der tollsten Art hat es damals geregnet. Ich «rinner« an«ine Deputation des Berliner Stadtgerichts, die an einem Tag« sieben Personen zu 22 Jahren 6 Monaten Gefängnis verurteilt« wegen angeblicher Majestätsbeletdigung. Em betrun- kener Mann hat damals abends auf der Straße gesagt„Wilhelm ist tot, Wilhelm lebt nicht mehr." Dafür erhielt er 2 Iahre Gefängnis. Eine Frau hatte von dem verwundeten Kaiser Wilhelm I. gesagt: „Der Kaiser ist wenigstens nicht arm, er kann sich pflegen." Da- für erhielt di« Frau 1 Iahr 6 Monate Gefängnis. (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Das erste Ausnahmegesetz, das dmTReichs- tage vorgelegt wurde, fand als Befürworter überhaupt nur die Rechtsparteien, diejenigen, die heut« interpellieren, daß man ihnen angeblich weh« getan hätte.(Hört, hört!) Sehr bezeichnend ist, daß man damals die Sozialdemokraten, um deren Kopf und Kragen e» sich handelte, nicht einmal an den Kommistionsberatungen hat teil- nehmen lasten. Hier im Haus« sitzen noch Männer, die man damals mit Kett«n gefesselt durch das ganze Land gehetzt hat— wegen nichts, wegen gar nichts! Verboten waren damals 113 periodisch und nichtperiodifch erscheinende Zeitungen, 132 Arbeiterorganisationen, darunter fast alle Gewerkschaften. 900 Männer, darunter S00 aus den FamUitn herausgerissen, sind durch die Länder gehetzt worden.(Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Mit welcher Brutalität man damals vorgegangen ist, beweist der Umstand, daß man am Weihnacht?- abend in Frankfurt a. M. 29 Familienväter aus ihrer Familie herausgerissen und durch die Länder gehetzt hat!(Stürmische Zuruf« bei den Sozialdemokraten.) Glauben Sie nicht, daß wir diese Dinge vergessen! Das Ergebnis des Sozialistengesetzes war, daß im Jahre 1888, als es in Kraft trat, die Sozialdemokratie 437 000 Stimmen zählte und zu dem Zeitpunkte, als das Gesetz fiel, 1 427 000. Wenn ich auf dies« Dinge hingewiesen habe, so ist es nicht deshalb ge- fchehen, weil es von Ihrer Sette(nach rechts) in der Press« provoziert worden ist, sondern um nach außen hin den jungen sozloldemokraiischcn Arbeitern ins Gedächtnis zurückzurufen, was die Sozialdemokratie für schwierig« Kämpfe unter de« häßlichen Verhältnissen hat durchführen müssen, um Überhaupt