Nr. 227�4H.?ahrgaag
2. Seilage ües vorwärts
Sonntag, 13. Mai 1923
Hinter öem Vom glänzenden Hungerbrot der War an dieser Stelle schon von dem schweren Dasein?- 1 kämpf der Frauen und Mädchen, die m der heutigen bitteren Zeit sich mit Heimarbeiten oder als Bureauangestellt« manchmal| schwer und sauer ihr bißchen Geld zum notwendigsten Leben verdienen müssen, die Rede, so soll nun von einer dritten Gruppe Mädchen und Frauen gesprochen werden, die ebenfalls ihren Tag in einem Beruf zubringen, der sie dem Hause und der Hausarbeit raubt. Es handelt sich um die vielen Warenhausangestellten, die in großen und kleinen Warenhäusern, Kaufläden und Lädchen mit Berkauf, Derpacken und Expedieren von Waren des täglichen Bedarfs ihr Brot verdienen. Sie haben gerade jetzt wieder einen schweren Lohnkampf hinter sich und man sah sie vor den Geschäften Streikposten stehen, um den eilenden Passanten von ihrer Not, die sich hier unter der glänzenden Fassade der Ge- schöftzlokale verbirgt, Kunde zu geben. Publikum uuü warenhausangestellte. Sellen nur hört man aus dem Publikum ein Wort der An- srkennung oder des Bedauerns für die vielen Mädchen und Frauen, die Tag für Tag in den Warenhäusern und Läden arbeiten. Im Gegenteil, wenn man recht zusieht, kann man Feststellungen machen, die einen sozial denkenden Menschen verbittern müssen, und wenn man recht zuhört, kann man Meinungen belauschen, die nicht nur von einer Unkenntnis der wahren Derhältniss« dieser Mädchen, son- dern auch von einer manchmal brutalen Herzlosigkeit der Erzählen- den zeugen. Das Publikum, das wenig oder gar keine Ahnung von der Tätigkeit des Personals hat, ist empört, wenn es nicht sofort be- dient wird, und entrüstet, wenn es nicht mit der größten Freund- lichteit, die aufzubringen heut« manchem armen Mädel auch einmal schwer werden kann, behandelt wird. Namentlich sind es die so- genannten„besseren Domen*, die wie klein« Fürstinnen behandelt werden wollen. Sie verlangen gebieterisch, daß man sie„gnädige Frau* nennt, ihnen Paket auf Paket aus der Etagere herausnimmt und ihnen iiundenlang Waren zeigt, um schließlich keinen anderen Erfolg zu haben, als die„vornehmen" Kunden aus dem Hause ohne Waren hinausgehen zu sehen. Die übliche Phrase hit es dann:„Wir kommen noch ein- mal w i e d e r I Ich werde es mir morgen mit meinem Mann noch einmal ansehn!* und sie verschwinden auf Nimmer- wiedersehen. Natürlich sind der Chef oder Abteilungschef, die immer alles genau beobachten, wütend. Die Verkäuferin war eben in ihren Augen schuld, daß die Kunden so fortgegangen sind. Werden aber die Kunden einmal ärgerlich, bei großem Andrang oder bei Müdig- keit der Angestellten, dann hagelt es von den„vornehmen" und gut- genährten Damen:„Wo ist die Beschwerdestelle?" Diese neuen Zeiten! Diese Republik ! Diese Betriebsröte! Hier müßte einmal init eisernem Besen gefegt werden!" Und die Angestellte Hat ruhig zu bleiben, darf nicht mucksen, wenn sie es nicht erleben will, hinaus- aeworfen zu werden. Die Kunden bringen ihre Beschwerden an. Dafür sind sie ja die Zahlenden, und wenn es sich auch nur um ein Meter Band für ein paar Mark Handell! Und sie schnauzen die Chefs ebenso an, wie die kleinen Angestellten, und die Ehefs, ver- ärgert und wütend, lassen es diese wieder spüren. Die Leidtragen- den sind immer die kleineren Angestellten, auf die olle hämmern, vom Chef bis zur ersten Verkäuferin. Es ist merkwürdig, wie u n- geheuer nervös und gereizt das heutige Publi- kum ist. Der kleinst« Anlaß ist ihnen gut genug zu einer Be- stbwerde, das unschuldigste Entschuldigungswort der Verkäuferin ge- nügt schon, um Schimpfkanonaden hervorzuzaubern. Das Silü üer Verkäuferin. Die meisten sind junge, manchmal ganz jung« Mädchen, fast noch halb« Kinder, zwischen ihnen ab und zu Ehefrauen und Witwen, die um der Kinder zu Hause willen die Last aus sich nehmen. Es war«in Arzt, der einmal erklärte:„Schon die Lust in einem waren- hause acht Stunden lang Im Tage einzuaimen, genügt allein, um einen Menschen blutarm und krank zn machen!" Das nur nebenbei! Woher sollen aber sonst die roten Backen kommen, wenn die An- gestellten schon um HO Uhr im Dienst antreten und außer einer kurzen Mittagspause bis abends HU Uhr in dieser dumpfigen Waren- Hausluft arbeiten müssen? Die Mehrzahl der Angestellten bekommt die Sonne nur einmal in der Woche— Sonntags— zu sehen. Und
Laöentisth. Verkäuferinnen und Lehrmädchen. wie viele Menschen tobten, als sie hörten, daß man in Aussicht nehmen wolle, die Geschäfte um S Uhr zu schließen. Der btave deutsche Bürger denkt an die anderen immer zuletzt! Er glaubt wohl auch, sogar das allemig« Anrecht auf Llcht, Luft und Sonne zu haben. In Deutschland macht ja gern« jeder, der irgend etwas über einen anderen zu sagen hat, von seinen? Recht ausgiebigen Gebrauch. Es ist eine Art deutscher Spietzertradition, die Erbsünde des Deut- scheu, ob er nun Unteroffizier oder kleiner Beamter, Aufseher oder Abteilungschef ist! Da ist ein Erlebnis, das treffend illustriert: Sie war Kassiererin in einem großen Warenhaus im Zentrum, und zwar in einer der belebtesten Abteilungen. Wer die Arbeit einer Kassiererin einmal verfolgt, wird wissen, was das besagt! Nament- lich, wenn man bedenkt, daß jeder Rechenfehler und jede llnaufmerk- samkeit mit einem Abzug gebüßt werden muß! Eines Tages, bei besonders starker Arbeit, wurde sie von Kopsschmerz und llebelkeit so gequält, daß sie den Abteilimgschef bat, ihr zu erlauben, nach Hause gehen zu dürfen. Das wurde ihr aber glatt abgeschlagen. Der Herr Chef erlaubte es ihr erst, als sie nicht mehr gehen konnte und ohnmächtig zusammengebrochen in einer Droschke fortgeschafft werden mußt«. Das Warenhausmädel hat es tatsächlich zwischen solchen Chefs und zeitgemäßen Kunden bei Gott nicht leicht.... Die„jchönen- Gehälter! Aber der Durchschnittsmensch, unüberlegend und egoistisch, sagt einfach dazu:„Warum soll ste es denn auch so gut haben? Sie bekommt ja ihr gutes Geholt dafür! Na also!* Wie sieht es nun mit diesem Gehalt aus? Was darüber meist erzählt wird, fft häufig nur Legend«, nur Märchen! Allerdings und natürkch— die Direktricen beziehen manchmal sehr hohe Gehälter. Aber— das sind ja nur wenige! Die meisten sind nicht Direktricen und Aeltere, die meisten sind junge Angestellte und eben nur— Verkäuferinnen. Expedientinneu u. ä. Es gibt in Berlin große Läden, in denen fast sämtliche Angestellte— LeHrsräuleins sind. Die tosten nur wenig, und wenn es denen nicht paßt, wirft man sie eben vor die Tür, vor der schon hunderte neue stehen, um als— Lehrfräulein angenommen zu werden. Hier müßte hineingeleuchtet werden, um diese Läden, die keine Angestellten, sondern immer und innner nur Lehrmädchen haben und dann doch Uber die hohen Löhne jammern und mit ihnen ihre Schuhpreis« und Warenverteuerungen zu recht- fertigen suchen. Die Gehälter selbst: in einem' großen Warenhaus im Westen bekommt ein junges Mädchen Ibis zu neunzehn Jahren 32 000 eine Angestellte von '21 Jahren 120000 M. Diese Zahlen genügen; denn viel« der Mädchen sind elternlos, sind darauf angewiesen, stehen ganz für sich allein. Von dem Gehall aber gehen noch Abzügeabalsda sind: Stenern, Krankenkasse . Wohnung, Licht, Straßenbahnabonnement, � Kleider usw. Was kann da viel für Essen übrig bleiben? Wundern i sich die Herren„Christen* nun darüber, daß manches Mädchen eben gezwungen ist. sich einen„Freund* zu halten? Da heißt es, und es ist eine stchende Redensart, die die furchtbare heimliche Prosti- tuticn zu entschuldigen sucht:„Wenn ich meinen Freund nicht hätte, ich wüßte tatsächlich nicht, was ich anfangen sollt«. Ich habe mir gestern ein Paar Schuhe besohlen lassen. Dann hat mein« Wirtin die Miete erhöht, und das Essen wird auch immer teurer!* Ausbeuter. Noch viel schlimmer, direkt gemeingefährlich aber sind die Chefs kleinerer Läden, die am liebsten ihren Verdienst auf Kosten des Personals in die Höh« schrauben wollen. Es sind die wahrsten Ausbeuter der jüngeren Angestellten. In einem größeren, gut- gehenden Posamentiergeschäft des Westens hing längere Zeit ein Schild aus(vor drei Wochen bis vor vierzehn Tagen!) „Zunge verkäuserl » gesucht!" Da ich immer dort vorbeikomm«, wunderte ich mich, wie lange das Schild dort hing. Jetzt erst er- fahre ich per Zufall durch ein junges Mädchen, das sich um die Stelle beworben hatte, den Grund. Der Besitzer des Ladens, der übrigens in einem Berliner Vorort ein« Villa besitzt, hatte ein Monatsgehalt von 20 000(zwanzigtausend) Mark geboten! Das Mädchen hatte natürlich daraufhin abgelehnt und weiter gesucht und schließlich«in Unterkommen in einem Schuhgeschäft ge. funden, wo sie 65 000 M. erhält. Sie mußt« d:«s« Stelle annehmen, weil sie keine andere Stelle bekam und keine andere Verdtenstmög« lichketten sich ihr boten. Sie erzählte auch, daß einem anderen Mädchen der Posamentterchef dann schließlich, als er keine bekam,
ZOlKK) M. geboten habe. Das Schild ist verschwunden. Natürlich, die Inhaber werden sich hüten, zu verraten, wie vielen Angestellten unter manchmal über einem Dutzend sie ein halbwegs anständiges Gehalt geben Oft sind es nur zwei oder drei! Alles andere wird als Lehrmädchen mit einem Taschengeld abgespeist. Ebenso ist es in den Handarbeitsläden, den Konfitürenläden und ähnlichen Ge- fchäften. * Nur durch die ständigen Entlassungen in allen Betrieben und das dadurch begründete übergroße Angebot von Arbeitskräften ist es möglich, daß tatsächlich in vielen Läden ein Gehalt gezahlt wird, das— bei der Annahme einer Indexziffer von 5000— einem Friedensgehalt von nur 4 bis 20 Mark entspricht. Es wäre zu be- grüßen, wenn durch Belegen dieser Zahlen von Angestellten unter Angab« ihrer Gehälter und Arbeitszeit, ihrer Ausgaben und ihres Alters diese Vampyre und Ausbeuter einmal an den Pranger ge- stellt würden. Es sind das nicht in der Mehrzahl die großen Unter- nehmer, die einer ständigen Konttolle der Angestelltenverbände eher unterworfen sind, als haupfföchlich Angehörige des„braven, soliden. guten Bürgertums", der Leute mit dem guten deutschen National- bewußtsein und dem gestickten Hausgruß über dem bequemen Sofa: Wtt Deutschen fürchten Gott und sonst nichts auf der Well!*— Den Angestellten aber kann nur der feste Zusammenschluß im Zen- ttolverband helfen. Ihnen hilft olles Klagen nichts, niemand hilft ihnen, wenn sie es nicht tun. Das können sie nur, wenn sie ihre schwachen Kräfte in einheitlicher Organisation zu einer Macht ver- einigen. von öem eigenen Hruüer verführt. Ei« Ueberfall mit Maske und Revolver. Ein schwerer Raubüberfall, dem die Mutter des Staatsanwalt- fchoftsrats I. zum Opfer gefallen ist, beschäftigte gestern das Schwur- gericht des Landgerichts III. Wegen schweren Raubes hatte sich der Mechaniker Georg Steiniker zu verantworten, während der Haupt- täter, sein Bruder Richard, sich der Sühne seiner Tat durch Selbst- mord entzogen hat. Richard St. hatte die Bekanntschaft der beiden Hausangestellten bei Frau I., des Hausmädchens Elisabeth K. und der Stütze Margarete B. gemacht und war zu der letzteren in freundschaftliche Be- Ziehungen getreten; er war von Jugend auf ein Taugenichts gewesen, auch schon wegen Diebstahle vorbestraft und trieb sich arbeitslos um- her. Es gelang ihm, feinen zwei Jahre älteren Bruder Georg zu überreden, mit ihm einen Raubüberfqll in der Wohnung der Frau I. Zu unternehmen. In später Abendstunde klopfte der Angeklagte dann an die Hintertür, ließ sich von der anderen Hausangestellten, Elisabeth K. öffnen, packte sie plötzlich am Hals, würgte und betäubte sie. Dar- auf ließ der Attentäter seinen Bruder, der auf der Treppe gewartet hatte, in die Wohnung hinein. Beide banden sich schwarze Masken vor das Gesicht und gingen in das Schlafzimmer, in dem die alle Frau I. schon schlief. Mit vorgehaltenem Revolver trat Richard Steiniker der erschreckt aus dem Schlaf Auffahrenden cnt- gegen und erzwang von ihr die Herausgabe des Schmuckes, Da sie versicherte, sie werde nicht um Hilfe rufen, standen die beiden Burschn davon ab, ihr einen Knebel in den Mund zu stecken. Kaum waren die Räuber fort, stürzte die Uebsrfallene zum Fenster und schrie um Hilfe. Auf die Rufe kamen die Hansbewohner herbei- geeilt und nahmen die Verfolgung des Richard St. auf, der sich aber angesichts der verfolgenden Menge vor dem KdW, am Wittenberg - platz eine Kugel durch den Kopf schoß, so daß der Tod sofort eintrat. Es hatte sich daher nur Georg Steiniker wegen der Raubtat zu ver- antworten. Der Angeklagte behauptete, daß er nur seinem Bruder zuliebe die Tat verübt habe. Der jüngere Bruder habe ihn und die ganze Familie vollständig beherrscht. Der Vater des Angeklagten bezeichnete seinen vor den Richtern stehenden Sohn als einen fleihigen und ordentlichen Menschen. Di« Geschworenen sprachen den Ange- klagten schuldig der Beihilfe zum Raube unter Bewilligung mildern- der Umstände. Das Gericht oerurteilte den Angeklagten zu einem Jahr sechs Monaten Gefängnis unter Anrechnung der vollen Unter- suchungshaft. Das Gericht erklärte sich außerdem bereit, noch Ver- büßung von vier Monaten der Strafe die Strafaussetzung unter Ge- Währung einer Bewährungsfrist zu befürworten. Das Sohlcuami zieh! um. Es verlegt am 14. d. M. seine Räume aus dem Hause Linksttaße 25 nach dem Berwaltungsgebäude der städtischen Gaswerke Neue Friedrich st raße 103, Ecke Sttolauer Straße. Wegen des Umzuges bleibt das Kohlenamt am 14. und 15. d. M. für Verbraucher und Händler geschlossen.
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Heimweh.
Eine Geschichte der Sehnsucht von 3ohn w. Nylander. Sullivan hatte seine Wanderung hin und her aufgegeben. Plötzlich fiel mir sein Lied ein. Ob der Zimmermann hier auf der Insel vielleicht auch Jrländer war? Ich habe nie einen so starten Trieb nach der Heimat gefunden als bei den Iren. Der Nordländer jährt auch in seine Heimat zurück von der See. von Amerika . Afrika oder woher es sein mag. Er kommt heim und zeigt, ob es ihm gut ergangen ist. In einem Pelzmantel, den Pelz nach außen, in Hut und hohem weißen Kragen, in der Hand einen großen Koffer mit glänzendem Beschlag, so kommt er zurück. Ist's ihm aber nicht gut ge- gangen, so verschwindet er draußen. Aber der Ire! Sieh ihn von Bord gehen, um von New Port, Kanton. Kapstadt oder Sidney in die Heimat zu fahren. Dasselbe klein« Kleiderbündel oder ein halbgefüllter Sack auf der Schulter, dieselbe alte,«ingedrückte Mütze, dieselben plum- pen Stiefel, alles genau so wie er herüberkam, vielleicht ebenso arm, vielleicht noch ärmer und vielleicht noch vertrunkener. Aber heim, heim zu der alten Arbeit mit Hacke und Spaten, oder vielleicht heim nur um zu sterben. „Patrick,* sagte ich, als Sullivan immer noch regungslos, wie im Traum versunken, dastand,„ist es lange her, seit Sie zu Hause waren?* Sullivan antwortete nicht. Nun wandte er sich um. „Feuer voraus!* rief er. „Ay, ayl * antwortete der Steuermann und war in der nächsten Minute auf der Back. Nun kam auch der Schiffer. Er stolperte auf der stellen Treppe und atmete etwas schwer. „Da!* sagte der Steuermann und wies auf einen kleinen glimmenden Bug wei'hin unter dem Bugspriet. „Sie fischen mit Kienfackeln," sagte der Schiffer und nahm das Glas von den Augen.„Ich wette, daß es Stone mit seinen Jungen ist. Frische Fische Win Frühstück, Eentlemen!" sagte er zu Sullivan und mir gewendet.„Letzt sieren wir die Klein- segel nieder und legen bei, und dann schlafen wir ein paar Stunden. Aber ein Mann aus die Back, um Ausguck W halten. Scht«och. ob noch etwas w der Flasche ist. Und purrt mich,
wenn ich einnicken sollte. Bei Tagesgrauen, denke ich, können wir die Boje sehen." Wenige Minuten später lag Peelhew so still, als ob sie schliefe, und wurde behutsam von der Dünung auf und nieder gehoben. Als ich nach einer Welle achteraus kam, um das Tauwerk dort zu klaren, war an Bord kein anderer mehr wach als der Ausguck und der eingewurzelte alte Steuermann, der von einem Orte in Oregon träumte. „Setzt Bramsegel!" rief der Steuermann, und ich sprang schlaftrunken auf, fiel aber in demselben Augenblick wieder schwer und hilflos mit Knien und Händen auf Deck. Das Kabelgarn, das ich abends um den Zopf des Stewards geknotet hatte, war vorsichtig wie eine Fessel um meine Fußgelenke ge- bunden und in einem Ringbolzen befestigt, während ich schlief. Bong Lee war schon in vollem Gange mit feiner Arbeit. Er steckte den Kopf aus der Kombüsentür, als er den Lärm hörte, und schlug mit einem Lächeln seine schweren Augenlider etwas mehr als sonst auf. „Haben Sie sich weh getan?* kragte er. „Nicht im geringsten," antwortete ich, indem ich das Kabel- garn durchschnitt und meine schmerzenden Hände und Knie rieb. „Ich glaubte, Sie wären von der Bramrah« gefallen," sagte er freundlich. Jawohl, dachte ich. Das nächste Mal bist du an der Reihe. Ucbrigens hatte ich auch gar keine Ursache gekränkt W sein. Und außerdem, könnte wohl überhaupt ein Mensch an einem so herrlichen Morgen beleidigt sein! � Selten hatte ich die Sonne über einem herrlicheren Bilde aufgehen sehen. Der Wind hatte sich völlig gelegt. Nur hier und da wurde die See von einem leichten Windstoß gekräuselt, der schelmisch einen glitzernden Kell von spielenden kleinen Wellen über den blauen, unendlichen Wasserspiegel warf. Und mitten aus diesem schimmernden Ozean von Topas erhob sich unsere Insel, schön wie ein überirdisches Traumland. Der Bergkegel in der Mitte der Insel war in einen leichten Wolkenschleier gehüllt, und weiße, flaumweiche Wolkenstreifen tauchten hier und da an der Seite des Berges auf. Eine reiche Waldvsgetation, nur von einigen offenen Fläcl)en unterbrochen, kleidete die ganze Insel in ein wechselvolles grünes Gewand. Mannigfaltige Farbentöne vom tiefen Zypressengrün bis zu strahlendem Smaragd gaben dieser Vegetation eine Abwechse- lung und Uexpigkeit. durch die man ganz der Wirklicchkeit ent
rückt und in die Märchenwelt der Kindheit zu deren Bor- stellungen von einem Garten Eden zurückversetzt wurde. Es war nicht möglich bei dieser Entfernung schon Einzel- heiten der Landschaft zu erkennen. Nu» auf einer weit vor- geschobenen Landzunge gegen Norden— vielleicht war es auch eine Insel für sich— zeichnete sich eine lange Reihe Kokas- palmen mit ihren hohen, schlanken Stämmen und den aus- gedehnten Kronen scharf gegen den Horizont ab. Alle waren leicht nach Süden zu geneigt. Schaumweihe Brandung umgab die Insel in ihrer ganzen Ausdehnung, und das Riff, wo die Dünung Grund faßte, schien nur durch einen schmalen Wasserstreifen von der Insel getrennt zu sein. Nahe dem Strande lag ein langes, weißes Haus, und in einigem Abstände davon, mehr im Schutze des Waldes, wurden noch mehrere kleine Gebäude sichtbar. Während wir die Kleinsegel setzten, hatte Bong Lee den Morgenkaffee bereitet. Es war dumpf unten im Roof. Ich holte ein paar Zwiebäcke aus meinem Beutel und ging mit meinem Kaffeeknig auf die Back. Einem leichten LustWge vom dahinrollenden Sonnen- wagen gleich ging ein Hauch der Morgenbrise durch die Luft. Bald hatte sie uns' erreicht. Die kleinen Segel standen schon voll. Dann schüttelten sich die schweren Unterscgel«in paarmal. und halb widerwillig bogen auch sie sich, um den Windstoß leichter auffangen W können. Kelly achteraus am Ruder drehte eifrig das Rad, und bald lag dos Fahrzeug wieder in seinem Kurs. Das Wasser vor dem Steven, dos schon seit einer Weile da unten geflüstert hatte, fing nun eifrig zu rieseln an. Ab und zu schlugen schon die Tropsien bis an den Bug hinauf. Der Schoner begann rasch aufWschießen. Gerade vor uns hatten wir eine Oeffnung im Riff, und ich bildete mir ein, daß Nanawaj schon näher käme. Einige der anderen waren auch auf die Back gekommen. Wie mit Zaubermacht wurden aller Blicke dahin gezogen. Wir sprachen davon, was für Obstsorten es wohl auf der Insel geben möchte, ob die Menschen ähnlich denen auf Hawai wären oder vielleicht brauner und noch weniger bekleidet. Lauter gleichgültige Sachen. Aber ich merkte wohl, daß keiner unter uns war, der nicht ergriffen wurde von der Schönheit, die da plötzlich vor unseren Blicken auftauchte aus dem alltäglichen, einförmigen Meere. Es war deutlich auf all den rauhen Ge- sichtern zu lelen, T■'(Fortsetzung folgt.)