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Im weiteren Verlauf der Feier ergriff u. ct.? Reichsmimster des Innern Dr. Oefer das Wort. Er dankt« im Namen des Reichspräsidenten   und der Reichsregierung für die Begrüßungsworte und gab dann einen ge- schichtlichen Ueberblick über die Verknüpfungen der Beziehungen Frankfurts   zu der Geschichte des Deutschen Reiches. Dann betonte er, daß das, was heute hier erlebt werde, ein Stück der besten Ge- schichte Deutschlands   sei. Als das Jahr 15�8 vorbei war und 1849 kam, wer hätte damals geglaubt, daß die Gedanken des Parlaments in dieser Lebendigkeit noch einmal Wirklichkeit werden würden in Deutschland  , wie«s gegenwärtig der Fall ist. Als Republi- k a n e r hätten wir keine Neigung, irgendetwas Großes, Edles und Schönes, das in frülseren Zeiten in Deutschland   hervorgetreten sei, nicht als unseren geistigen Besitzstand anzuerkennen. Ein Volk ohne Geschichte sei«in entwurzeltes Volk. Wir wollen nicht abreißen lassen den Faden der Geschichte, wir wollen auch den Willen, den das deutsche   Volk in schwerster Zeit betonte, weiter entwickeln. In der Gegenwart wollen wir daran denken, was der deutsche Genius geschaffen hat, und wenn dieser Tag in«in« ernste schlichte Feier «usklingen soll, so ist dies auch der Wunsch der Reichsregierung. Wir suchen in diesen Tagen eine ernste und tiefe Einkehr in das Wesen Deutschlands  , wir wollen uns in dem Gedanken an die Geschichte Deutschlands  stählen und Härten für die Taten und die Zeiten, die vor uns liegen, und wir wollen aus der deutschen   Geschichte lernen, wie sich die Geschicke Deutschlands   vollziehen, wir wollen nicht aufhören zu hoffen auf die Zeit, die nach uns kommen wird im Vertrauen auf den deutschen Genius, der die schlimmsten Zeiten stets überstanden hat und der Deutschland   wieder zur Blüte führen wird. In diesem Gedanken wollen wir deutsch   sein und deutsch   bleiben.(Lebhafter langanhaltender Beifall.) Mit stürmischem Beifall begrüßt, trat darauf der Präsiden» der d-eukschösterreichischen Nationalversammlung Seih an das Rednerpult und betonte, immer wieder stürmisch begrüßt, daß die Deutschösterreicher unter allen Umständen diese Feier besucht hätten, wül es ein Herzensbedürfnis für sie ge- wesen wäre, die schöne Erinnerung von 48 aufzufrischen und der Tage zu gedenken, wo die Volksgenossen des Deutschen Reichs und Oesterreichs   sich eins fühlten. Aber, fuhr der Redner fort, wir haben besonderen Wert darauf gelegt, jetzt zu Euch zu kommen, jetzt in der Zeit der Bedrohung Deutschlands   durch die brutale Gewalt im Westen.(Stürmischer Beifall.) Jetzt, wo diese Bedrohung Eures Westens zum Symbol der Unterdrückung des deutschen  Volkes geworden ist, und um Euch zu sagen, daß wir Euch lieben und immer wieder lieben, komme was wolle.(Stürmischer Beifall.) Das Frankfurter   Parlament hat, obwohl es auseinandergegangen ist, doch immer fortgelebt im deutschen   Volk, und so können wir sagen, daß die Idee der Einheit des Volkes im Innern vcr- wirklicht ist. Noch aber steht vielleicht in weiter Ferne die Einheit der deutschen   Völker zu erhoffen. Durch die Friedensverträge soll dieses verhindert werden und Deutschland   in die verschiedensten Staaten aufgeteilt oder zerstückelt werden. Das häßlichste Wort in diesen Ver- trägen, das abscheulichste Wort ist das von der Unab. hängigkeit Lest erreich s. Der Vertrag von Versailles   hat Deutschland   vorgeschrieben, daß es die Unabhängigkeit Oesterreichs  zu wahren habe; das ist ein arges Stück. Aber es ist ein kleines Stück zu der Ungeheuerlichkeit von St. G e r m a i n, die uns zwingt, unsere Unabhängigkeit gegen Deutschland   zu wahren. Wir mußten uns fügen wie Ihr Euch. Wir mußten auf das verzichten, was wir so nahe vor uns sahen. Die Revolution von ISIS sollte als reife Frucht die Einheit aller Deutschen   Mitteleuropas  in einem Staat bringen. Es ist nicht fo gekommen. Wir mögen Ihnen vielleicht zu weich erscheinen, und unsere Literatur, unsere Kunst und unser geselliges Leben mag diese Annahme bekräftigt haben. Aber in einem sind wir fest, in einem sind wir hart und in einem liegt auch in uns ein starker und entschlossener Wille, in dem Gedanken, daß wir einst an Deutschland   kommen müs. s e n und daß sich das große Sehnen des deutschen   Volkes nach Ein- heit erfüllen muß.(Lebhafter Beifall.)
Professor Alfred Deber-Heidelberg sagte: Unzweifelhaft, die Versammlung von 1848 Hai das Glück gehabt, über den Ausbau Deutschlands   beraten zu können, ohne von Machtfaktoren außen- und innerpolitischer Art g e st ö r t zu werden. Das furchtbare Verhängnis, das über der staatlichen Bildung Deutsch- lands schwebt, daß wir Deutschen   bei dem Ausbau unserer inneren Gestaltung zu allen Zeiten gleichzeitig vor die Aufgabe gestellt wor- den sind, euch unseren äußeren politischen Staatskörper überhaupt erst zu schaffen, der anderen glücklicheren Nationen von Natur schon vorweg geschenkt ist, war, als die Versammlung in der Paulskirche zusammentrat, abgedämpft Dieses Parlament hat die Logik des Wirklichen so gut wie begriffen, daß es über alle Empfindungen gegen die wahrhastig nicht demokratisch und revolutionär gesinnte preußische Führung hinweggohend'im Interesse der deutschen   Einheit die preußische Hegemonie zum ersten Male durch Voltsbeschluß als Grundpfeiler der deutschen  Einheit ausgerichtet hat. Nichts ist heute problematischer, als das, was den Männern der Paulskirche so sehr am Herzen lag, Wesen und Wirtlichkeit des geisti» gen Fundaments von Europa   selber. Europa   hat auch im Augenblick nichts mehr zu tun mit dem Begriff« der innerlich ver- bundenen Völkerfamilie, um das schöne Wort des greifen Ernst Mo.'itz Arndt zu verwenden. In Europa   sind die Prinzipien der dcmo- kratischen Staatsregie.nmg bis in die Grundfesten erschüttert. In jedem Teil Asiens  , Amerikas   und Australiens   gelten heute die Wenschenrechke und die auf ihnen aufgebauten Teile des Völkerrechts wahr als in deren ursprünglichem Lande in Europa  . Wir erleben Ver- urteilungen zum Tode, zu Zwangsarbeit, zu Gefängnis und zu allen anderen Strafen durch Gerichte, welche einen Rechtstitel gegen- über den Personen, um die es sich handelt, nicht besitzen, sondern rechtlich angesehen reine Gewaltausschüsse sind, die dies« rin®e JU dder sonstigen Zwecken vornehmen. Wir er- leben Kolben st äße und Peitschenhiebe, mit denen ein eiiropäijches Volt ein anderes wie eine nichtgesügige Sklaven Herde regiert, und wozu es sich außerdem noch unter dem europäischen   Kuliurniveau stehender und von ihm abhängige? Kräfte bedient. In Europa   gibt es Ausweisungen, Ein- sp errungen, Wegnahme von Privateigentum, Ignorierung aller selbstverständlichen persönlichen Freiheitsrechte in brutalster rvorm, vollzogen mitten im Frieden und im Herzen Europas  . Alles ursprünglich Europäische ist in Europa   selbst zerrüttet. ... h"be nur zu sagen, daß nicht nur wir, sondern Europa  selbst zugrunde gehen wird, wenn es sich nicht auf seine Lebens- Prinzipien besinnt. Wir Deutscken fühlen uns frei von allen Jllu- fionen Aber ich glaube, daß äußer« Macht und Positionen zer- m u r b t und aufgebraucht werden können. Das, was wir heute an der Ruhr erleben, ist bereits in Wahrhelt dies: Verteidigung des Nationalen im Menschlichen, des Menschlichen»n Nationalen. Die Deutschen  , die dort nicht befreit sind, ihre Menschenwürde aufzugeben und lieber von Haus und Hof gehen, sich zu Zwangsarbeir und Gefängnis oerurteilen lassen, als ihre nationalen Urrechte aufzugeben, sind Kämpfer, die mit ihren Opfern Europa   den Spiegel vorhalten. in dem es seine eigene Verzerrung sehen kann. Wir werden den l'>Q6 �cr i?r<JU von S ta e l in Erinnerung bringen, daß die Unterwerfung eines europäischen   Volkes unter ein anderes �aiur ist. daß die europäische   Völkerfamilie ihre Unabhängigkeit nur gleichzeitig mit der Unabhängigkeit Deutsch  . lands bewahren kann. Wir willen, daß wir allein mit bloßen Mitteln und mit unserem Charakter kämpfen gegen die stärkste und konkurrenzloseste Machtzusammcnballung, die Europa  vielleicht semals gefunden. Die Tradition der Paulskirche wird uns die Krafl zu diesem Kampf stärken, wir stehen doch äbnlich in der- selben Lage wie die Männer von damals, die auch kein« Macht für ihre Ideen zur Verfügung hatten. So wenig wie sie werden wir uns dadurch entmutigen lasten. Das Opferlied von Beethoven   schloß die erhebende Feier. Inzwischen hatten sich auf dem im reichsten Flaggenschmuck prangenden Römerberg und den angrenzenden Straßen un­gezählte Menschenmengen eingefunden, aus denen sich die Gestalten der Sportler und Turner, die im Sternlauf dem- mer zugeeilt waren, wirkungsvoll abhoben. Der althistorische Platz bot vom Altan des Römer aus, auf dem der Reichspräsident, die
Minister und die Staatsoberhäupter der benachbarten Bundesstaaten erschienen, ein unvergeßliches Bild. Nach einem Bläserchor von der Empore der Nikolaikirche und der HymneDie Himmel rühmen des Ewigen Ehre", vorgetragen von der Frankfurter   Sängervereinigung ergriff Reichsiagspräsidenk Löbe das Wort und sagte u. a.: Tage einer von Idealismus bewegten, von Freiheitsdrang er- füllten Zeit sind es, deren Erinnerung dieser Platz in uns wachruft. Da heute unsere Einheit und Freiheit abermals bedroht erscheint von fremder Herren Gewalt, haben wir uns hier eingefunden, das Gedächtnis derer zu ehren, die den geistigen Grundstein gelegt haben zur neuen Verfassung des Reichs. Wir haben uns eingefunden. um das Gelöbnis abzulegen, für des Reiche, llnabhängigkeik und seine llnvcrsehrkheii einzutreten bis zum Tags der Erfüllung. In Erinnerung an die Borkämpfer der deutschen   Einheit und Freiheit gebe ich hiermit das Zeichen, daß über diesem schönen alten Platz die Flagge der deutschen Republik gehißt werde als Zeichen unseres Bekenntnisses zu Einheit, Freiheit und Vaterland!" Auf ein Zeichen des Präsidenten wurden zwei mächtige olagg-n in den Reichsfarben gehißt und von der Menge die erste Strophe des Deutschlandliedes gesungen. Der Präsident fuhr dann fort: Blicken wir auf den Kre>s großer Männer, deren Namen durch das letzte Jahrhundert leuchtet, dann vermögen wir nicht zu fasten, wie heute noch Landsleute, die auch gute Deutsche   sind, Angst und Abneigung vor Demokratie und Bolksrechten, vor den Heiligtümern der Paulskirch- empfinden, die gegen Volk und Bürger und für Herren- und Herrscherrechteeinzu- treten sich anschicken. Steht nicht die pokikische Gleichberechtigung aller Stammesgenosien an der Schwelle der staatlichen Entwicklung der Germanen?, Die Weimarer   Bersassung ist am kreuesten die Ueberlieserung der ältesten germanischen Gemeindeverfasiungcn. und deshalb rufen wir in dieser feierlichen Stunde unser Volt auf zur Wahrung seiner inneren Freiheit, zur Verteidigung seiner poli- tischen Rechte im demokratischen Staat. .Unter lebhaftem Beifall rief der Präsident dann auch zur Wah- rung dieser Rechte nach außen, zum Schutz« der Einheit des beut- scheu Voltes gegenüber fremder Gewalt und fremden Einflüsterungen auf. Im Namen des Selbstbestimmungsrechtes erhob er feierlichen Protest gegen die Verletzung deutschen   Boden-, gegen die Nerge- waltigung deutscher   Landsleute und gegen das Attentat auf die Selbständigkeit und Freiheit unseres ganzen Doltsstammes. Brausender Beifall erscholl, als der Präsident auf Grunds dieses Selbstbestimmungsrechtes auch den Anschluß Deuts ch ö st e r- r e i ch s an die gemeinsame deutsche   Bevölkerung forderte. Auch in den schwersten Tagen nicht werde Deutschland   auf diesen Gedanken der Einheit verzichten. Zum Schlusie begrüßte der Präsident, daß sich heute in die Träger des Staates ein« neue Kraft eingereiht habe, die A r b e i t e r, das Proletariat, und gab der Zuversicht Ausdruck, daß aus Kriegen voll roten Blutes und dunkler, schwarzer Vergangenheit, das goldige Licht der Zukunft von den Farben strahlen möge, die vor 7S Iahren die besten Männer unseres Volkes geschmückt hätten. Die Rede Löbes wurde mit großem Jubel aufgenommen. Die Menschenmenge vor dem Römer sang begeistert das Deutschlandlied und stimmte ein in den Ruf: Es lebe die deutsche Republik! Dann ging die Menschenmenge ordnungs- gemäß auseinander. Am Abend war ein F a ck e tzu«durch die Straßen der Stadt, der sich am Opernhaus auslöste. Reichs- Präsident Ebert hielt vom Balkon des Opernhauses nochmals eins Ansprache an die Menge. TherfiteS. Buten hatten in der Nacht vorher die Fassaden der PaUlskirch« an dem Eingang links und rechts mit großen Hakenkreuzen bemalt, und zwar mit einer schwer auslöschbaren Farbe, so daß diese beiden Schandmale mit Girlanden überhangen werden mußten. Die geplante Gesamtbeteiligung der Hochschüler an dem FackA- zug wurde durch Radaudrohmigen gewisser Element« verhindert.
Das Unsichtbare.
Don Hans Gothmann. Die nächtliche Stadt mit einsamen Straßenzügen, schnirr geraden, verschwimmenden Lichtreihen, den dunklen Häuserfronten, erloschenen Fenstern, hat etwas Beängstigendes. Ich steh« und horche. Das Leben nicht sehen und es doch fühlen, erleben, ahnen, wissen... das ist das Bedrückende. Solche Qual muß ein Blinder zeitlebens leiden.' Ich schließe die Augen... man könnte diese Ruh? einschlürfen ... endlos... sich auf einen Stern träumen oder an das ärmste Bett... Nichts lenkt ab, nichts stört, nichts hemmt, aufzusteigen über drs scheußliche Gewirr der übrreinandergestapelten Menschen- wohnungan in den reinen Atem der Rächt oder lautlos unterzu- sinken in dieser lautlosen Oual des Lebens, diesem Bewußtsein aller müde gestreckten Leiber, verkrampften Hände, stillgewordenen Klagen, verstummter Schmerzenslaute.... Diese Nacht der Stadt hat nichts Erlösendes, Befriedigendes. Sie schnürt die Brust ein. Diese Stille hat keine Ruhe. Pause nur zwischen den Hetzjagden des Alltags. Wie ich noch stehe, klappern fern Pferdehufe auf. Ein Wogen rollt laut. Sein trübes Licht schwankt über den Fahrsteig. Ich gehe weiter. Der Wagen kommt näher. Das Klappern der Hufe- zerstör: brutal dies� Stille. Es echot von den stsilen Häusern: Laut der Qual. Bon Wand zu Wand dröhnt es. Es muß Träumende aus dem Schlafe reißen. Da fällt aus einem Hause ein Lichtschein. Hinter Gardinen ein mattes Licht aus dem dritten Stock. Ich sehe hinauf. Immer- fort. Dieser Glanz ist schön. Es ist der warme Schein der Stille, die nach Leben schreit. Die Flamme der Sehnsucht, die über allen Untergängen jauchzt. Der Wagen hat mich eingeholt. Er hält vor dem Haus. Ich sehe, wie eine Frau aussteigt, hinter ihr ein Mann. Schweigsam. Er entlohnt den Kutscher. Eilig streben sie auf das Haus zu. Meine Seele wird weit. Als wollt« sie diese schlafende Stadt umarmen. Diese Stadt? Die Welt... die Erde... Dort oben wird ein Kind geboren. Ich stehe weltvergessen an der verschlossenen Haustür. Wie ein ernster Hüter. Nichts rührt sich Unsichtbar meinem armen Auge wird ein neues Leben. Ich fühle mich so winzig, klein, ohn. mächtig, als wäre ich selbst eben erst erstanden. In meinen Augen steigt es auf.... Schmerz... Freude? Ueber ein fremdes Leben?! Ein Leben, das ich nie sah, nie sehen werde? Wundervolle Nacht der Erfüllung! Mein Schritt tapst auf dem Pflaster hart. Brüderliche Welt! Wie nah sind wir Menschen oft einander! Und scheu und wissen es nicht..,,
Die glücklichen Scharfenberger. Es war Sonntag. Eltern führten uns zu den Jünglingen auf Scharfenberg, der größten unter den Inseln im Tegeler See  . Durch sprießenden Wald schlenderte der Weg zu fröhlich bewegtem Wasser. Weiße Segel, von blauer Luft gebläht, schaukelten aus flimmerndem Spiegel. Drüben der Wald, von Sonnenglast über- fponnen, reichte mit frommer Gebärde seine hellgrünen Wipfel himmelan. Jünglinge spielten am Jnselstrand im frischen Wind, der Brust und Wangen   fächelte. UnserHol ruber!" schnellte ihrer zwei in den Kahn. Ruder knarrten und warfen im Schwung junger Arm« glitzernden Sprühregen. Sanft wiegend glitt das Boot, raunend Geplätscher um Kiel   und Wanten: lief, knirschend im Sand, auf den Strand, und fröhliche Knaben mit blanken Zähnen und sonnigen Augen sprangen, uns aufs Trockene zu helfen. Sie führten uns lauschigen Pfad über blühenden Waldboden, eng zwischen Sträuchern und wölbenden Bäumen zum Hause. Im Hause ist's lustig bunt. Der Zeichenlehrer hat fein Talent matten lassen und einen futuristischen Fries von Wand zu Wand geschlungen. Oben«in Kämmerchen ist ganz blau, unten im Keller em Freskogemälde frei nach Vinci lodert in gdb und dort in den Stuben ein hübscher Scherenschnitt von Schulerhand. Sie wohnen zu mehreren in den Stuben. Teilweise sind die Betten übereinander gestellt. Spartanische Einfachheit ist Grundsatz; aber selbst gewählter. Die Lebeneordnung beruht auf Selbstzucht. Lind wie sein Ramei Blume ist der Sinn de» Gründers und Leiters. Lehrer und Schüler oerbindet Freund- schoft. Ihr Umgang ist völlig zwanglos und vertraulich. Unter- richt ist gemeinsames Denken. Nicht allein der Schüler ist Empfan- gcnder. Wenn schon der Lehrer naturgemäß die Führung behält, hat er sie doch kraft tieferen Wissens, größerer Erfahrung, schärferer Klugheit und nicht nur kraft seines Amtes. Natürliche, nicht auf. gepfropfte Autorität: entkeimend Achtung, Liebe und Verehrung. Zensuren gibt es nicht: Schülerarbeiten werden in gemeinsamer Aussprache von Schülern und Lehrern beurteilt. Die moralische Wirkung hiervon übersteigt weit die der Lehrerzensur. Vor solcher Autorität erstirbt Kritik nicht. Themen wie:Was gefällt uns nicht an unseren Lehrern, und was gefällt diesen nicht an uns?" werden rückhaltlos gemeinsam erörtert. Um auch die leichte Tischunter. Haltung zu kultivieren, liest einer mal Lehrer, mal Schüler bei Beginn des- Mittagsmahles eine Stelle aus einem Buch oder Zeitungsartikel vor, über die man sich dann unterhält. Der Musik- lehrer bemüht sich, den Sinn für Musik zu wecken und zu ent- wickeln, indem er die Jünglinge praktisch in die Orchestermusik ein- führt. Ein interessanter musitpädagogischer Versuch: Der Schüler bekommt irgendein Orchesterinstrmnent, etwa Geige, Baß. Klari- nette, in die ungeübte Hand und wird sofort ohne vorausgehenden Elementarunterricht an die Orchesierstimme eines klassischen Musik­werkes gesetzt An Hand dieser Sttmme lernt er die für ihre Aus- führuna erforderlichen Noten und Griffe sofort im Zusammenspiel prakttsch anwenden. Wir hörten einen Satz aus einer Haydnschen Sinfonie. Ziel dieser musikalischen Unterhaltung ist, musikalischen Sinn zu wecken. Ernste wissenschaftliche Arbeiten sahen wir von dem begabten Sohne eines bekannten Hygieniters: so eine reizvolle Abhandlung mit Planzeichnungen über den Baumbestand der Insel und eine interessante Untersuchung über die Entwicklung mikrosko- pischer Lebewesen.
Auch dasHausbuch" bekamen wir zu sehen, ein gemeinsames Tagebuch, die Cchrontt. Wir lasen manches drin, was wert ist. von vielen gelesen zu werden. Da war ein Blatt--, der es geschrieben hat. stand neben uns; wir blickten in sein glückssrohes junges Gesicht. Er strahlte im selben souveränen Lachen, das in jeder Zeil  « dieses Blattes war.Ihr habt gut lachen, ihr Scharfen- bcrger!" hat Berlins   Oberbürgermeister Bäh bei einem Besuch drunter geschrieben. Ihr habt in der Tat gut lachen, ihr Scharfen- bergerl Ihr lebt dort draußen in und mit einer herrlichen land- schemlichen Natur, ihr hobt eure weiten Wiesen, worauf sich die Arbeitspferde zur Ruhezeit tummeln, ihr habt eure Obstallee, hobt eure eigene fruchtbar« Landwirtschost, ihr habt euren weiten, weiten Himmel, euer« See--! Wir aber fahren in überfüllten Bahnen zurück in die Heimwüste, in die grauen Straßen, aus grauem Asphalt. zwischen grauen, eintönigen, endlosen Metkasernenftonien zu den Menschen, denen Mappen unter die Arme, Zeitungsdlätter vor die Nasen wachsen. Ihr habt gut lachen, ihr Schorfenberger! _ Victor N o ack. Schicksale«ine« altdeutschen Vogels. Auf der Euphratinsel, nahe bei der Fähre von Bumbody, hat man vor einiger Zeit einen Vogel angetrosfen, der bisher nur in Nordafrika   heimisch war und sich vermutlich auch nur aus der Nahrungssuche so weit von seinem Lande entfernt hatte. Ein Exemplar dieses Vogels es ist der afrikanische Schoosidis(Geronttcus) lebte seinerzeit auch im Berliner   Zoologischen Garten, bewundert und angestaunt als ein interessanter Vertreter der afrikanischen Vogelwelt. Und nun kommt da? Seltsame: der Schopfibi«, der setzt am Euphrat   streicht, ist nämlich alles eher als ein«rfritanischer Vogel. Er ist in Wirt- lichteit ein alter deutscher   Vogel, und zwar der Woldrabe, von unseren Vorfahren W a l d r a p p genannt, der in unseren deutschen  Wäldern bis ins 17. Jahrhundert hinein hauste. Dann verschwand er und niemand wußte, wohin er gekommen war. Es war im Jahre 1832, als ein junge? deutscher   Zoologe als erster den afritamschen Schopfibis entdeck:«, der selbstverständlich als afrikanischer Vogel galt, bis im Jahr« 1897 ein anderer Forscher nachwies, daß der-chopfibie einfach der alte deutsch« Waldrab« sei. Der Vergleich alter und sehr getreuer Abbildungen des Waldraben mit dem lebenden Schopfibis hatte diese Feststellung ermöglichst. Das Fleisch der jungen Waldraben war in der deutschen Küche sehr ge- schätzt, und obwohl die Vögel in den einsamsten Wäldern, in schroffen tj eisen, alten Türmen wie überhaupt nur an den unzu- länglichsten Stellen msteten, wurden sie doch unablässig verfolgt, bis sie schließlich so dezimiert wurden daß die wenigen noch übrig- bleibenden Bogel vermutlich die Rückkehr nach Deuischland nicht mehr wagten. Gelebt hat de? Waldrabe hauptsächlich im süddeut» sehen Gebirge, in den Aloen, im Donaugebirge Bayerns   wie auch bis weit nach Oesterreich   hinein. Er war ein auszesprochzner Felsenvogel und ist auch in Afrika   nicht wie der wirkliche Ibis zum Sumpfvogel geworden. Vertrieben wurde da, alte deutsch  « Tier da« schon in den Zeiten der Germanen in unseren Waldern lebte, nur durch die Unvernunft des Menschen, der es vernickstet« und ausrottete. Und so kam es denn, daß der Waldrapp   jetzt über die Inseln des Euphra: streicht und von einem Deutschen   als afrikanischer Vogel entdeckt werden konnte.