Volkskunst, Cinzelkunst. Konzertumschau von Kurt Singer . Der„Deutsche Dolksgesangverein", Wien , fand in der Philharmonie den lieben Empfang, der ihm gebührt. Wir hören in Berlin sehr wenig Dolksliedcr, und gar keine fast von gemischten Chören. Dabei existiert das sogenannte Kaiserbuch und existieren die Ochsschcn Bearbeitungen. Dem Oesterreicher, Wiener zumal, liegt das Mir-Gefangliche so im Blut, er ist mit Melodie und Mutterlaut und Volkstum in der Musik zur Welt gekommen, er kommt mit den primitiven Klängen aus und meidet das nervöse Tempo, die Spielereien mit dem Hormoniesystem. In dieser Natürlichkeit des Liedmaterials, in der herben Einfachheit der Stimmen, in der boden- ständigen Wucht des Ausdrucks liegt der Reiz, liegt auch die Kunst dieser Volksgesangvereine. Sie singen echte Bolkslieder, sie singen deutsches Lied. Unbegleitet, chorisch, solistisch, mit Laute, mit Zieh- Harmonika, und mit der Sensation für die norddeutsche Kultur- gelecktheit: dem Jodler..Ssier ist die Freude, das Jauchzen und die Freiheit Ton geworden, das Leben in Berg und Tal, bef Tanz und Trunk, bei Hochzeit und Kirchweih schreit, lebt sich aus. Bom öfter- reichischen Volkslied bis zur Kunst Lanners und Straub', Schuberts und Bruckners, vom Tanz der Alpenländer bis zum Scherzo der Wiener Klassiker ist der Weg nicht so weit. Die Seele des Landes klingt auf, hier wie dort, im Reich der Natur wie der Kunst. Da der musikalische Leiter Karl L i e b l e i t n e r das Herz auf dem rechten Fleck und seine 3S0 Leute fest und froh am Zügel hat, so kommt eine prächtige Leistung und, was mehr wert ist, eine packende, Sänger und Hörer zusammenschweißende Stimmung zuwege. Oester- reich und Deutschland in eins verschlungen— mehr als einmal hat man den tieferen Sinn dieser Sängerreise verstanden und gefühlt. Grüaß euch Gott ! Volksmusik hörten wir auch bei dem Konzert des Ukraini - scheu Künstlerchors unter Leitung T u r u l a s. Es ist nicht der Originalchor des phänomenalen Musikanten Koschyts, den wir im vorigen Jahre priesen. Aber auch diese 18 solistischen Stimmen geben ein gutes und eindeutiges Abbild ukrainisch -nationalen Volks. tums. Der Dust dieser religiösen, familiären und politischen Gesangs- blüten dringt jetzt auch nach Westeuropa . Zuweilen den synagogalen Gesängen nicht unähnlich, meist ober in Empfindung und Rhythmik sehr eigen, norwegische und russische Melismen bindend, so klingen diese Gesänge uns ans Herz, oft kunstvoll von Stetsenko, Turula, Leontowytsch für gemischten Chor gesetzt. Ti�ula versteht es, mit wenigen ausdrucksstarken Bewegungen aus schonen Stimmen schöne, inbrünstige Wirkung herauszuholen. Was künstlerische, was musikanttsche Bewegung ist und was sie an Empfindungen wachrufen kann, das zeig! Mary W i g m a n, das Tanzgenie, mit ihren Schülern. Sie tanzt nicht etwa zu Musik- begleitung, sondern sie tanzt Musik. Ein Gong, ein Harfenton, ein Baß-Pizzikato, ein einförmiges Klavierbegleitthema, das sind mehr Stichworte als Inhalte. Die Musik mit allen dynamischen und rhythmischen Stusungen, allen Crescendi und Decrescendi wirkt aus dem Schwung und der Hemmung van Gliedern, aus dem Zuein- ander- und Doneinander-Treiben der Körper, aus dem wundervollen Verbinden. Sichheben. Sichsenfen ganzer Gruppen. Ekstatische
Dramen, Episoden der Ergriffenheit, der Verzweiflung, ja, des lauernden Irrsinns schweben hoch-, Leiber verkriechen sich auf dem Boden, schleichen mit gebeugtem Rumpf einher, krallen, ballen, fallen ineinander, umeinander. Die Bewegung, die Stellung, die Ruhe und das Rasen: in allem seht ihr, hört ihr Symmetrie, Ordnung und Sinn für Gestaltung. Ich kenne das Programm nicht, aber ich weiß: ein Drama, woU das Drama der Mutter, schreitet vorbei. Was wir an Analogien und Bildern in der Musiksprache kennen: hüpfend« Motive, hinjagende Themen, perlende Läuse, Pausen der Ergriffen- heit, schwebend« Schritte, dissonierender Schrei, harmonische Aus- geglichenheit— hier ist es aus dem Tanz, aus der Bewegung heraus gebildet, geklärt, vergeistigt. Körper sind zu Melodien geworden, Mienen zu Akkorden gchtimmt. Mary W ig m a n, die begnadete Mustikantin, gibt Tonart, Farbe, Rhythmik an. Ein Fest der Augen und der Sinne! Heinrich Maurer und Josef Philipp sind an Temperatur und Temperament, auch an künstlerischem Lcbcnsfchnitt ein etwas ungleiches Paar. Maurer, der Aeltere und Reifere, führt und dominiert, auch wo Geichstellung am Platz« wäre. Philipp geht nicht sehr aus sich heraus, ist aber in seiner soliden, bescheidenen Art ein höchst sympathischer Geiger. Sein Geigenton ist dünn, ober edel, seine Finger sind gewandt, er zieht auch eine schön getönte Kantilene; nur die überzeugende, tief empfundene Berufung zum Beethoven-Spiel wird(auch im herrlichen Adagio der C-Moll- Sonate) noch nicht erwiesen. An seinen Aufstieg wollen wir glauben. Karl Kämpf zeigt sich in seinem Op. 68 wiederum als ein im Handwerk vorzüglich gebildeter Musiker. Darüber hinaus hat er für märchenhafte, verträumte, düstere und pathetische Stimmungen sowohl Einfälle wie Mittel der Darstellung in geschmackvoller Wahl zur Berfügung. Sinfonische Zwischenspiele erläutern und ergänzen die vom Bund Berliner Männerchöre vorgetragenen Idyllen. Eine Liebes- und Leidensgeschichte breitet sich aus, wie ein« Kantate, wie eine sinfonisch« Dichtung. Hätte Kämpf eine größere Kraft der thematischen Gestaltung, der innerlichen Eni- wicklung zu Höhepunkten, dieses Werk könnte ein deutsches Festspiel heißen. So wirkt« es in einzelnen Teilen(„Prolog",„Die Stadt") stärker als im Ganzen. Die erneute großonig« Talentprob« Kämpfe (von Konrad K o r t h sicher und mit Schwung vorgeführt) hatte Erfolg. _
Berliner Zdylle. Es gibt in den Berliner Straßen jetzt aller- Hand zu sehen, vom Fenster aus, Neuestes und Allerneuestes. Da steht das groß« Haus in der Straße, erbaut mit ollem Komfort des glorreichen Jahrhunderts. Damals protzt« es mit knalligen Farben und Türmchen und Schnick und Schnack. Dann kamen die bitter- bösen Kriegsjahre, nagten an den Türmchen, stoßen den Zierrat ab, leckten die knallige Farbe auf. Nun steht das Shaus da mit greisen- haften Zügen, zerschunden und gebrechlich, mit abgeblättertem Ber- putz und fröstelnden Kahlstellen der Mauern. So stand es nun schon an die fünf, sechs Jahre, von Tag zu Tag wuchs sein Aussatz. Jetzt aber sind die Heilkünstler gekommen: die Maurer: die legen aus Leitern und Latten einen Schutzverband um das kranke Hau». Mit zögernden Händen, sie haben ja schon so unendlich lange kein krankes Haus mehr gesund gemacht, haben es fast verlernt, wie man mit solchem Patienten umzugehen hat. Staunend folgt die ganz«
der Außenhandelskontrolle, dem Abbau der Zwangsmieten und der Aufhebung aller Demobilmachungsvorfchriften steht in der Note vom November vorigen Jahres. Nichts ist davon zu vernehmen, bei grundsätzlicher Aufrechterhaltung des Acht- stundentages im Interesse einzelner Jndusstieller eine Er- höhung der Tariffreiheit vorzunehmen. Der wesentliäie Unterschied zwischen der Note des Kabinetts Wirth und dem Angebot der Industrie ist der, daß damals den Ententemächten mit Rücksicht auf die Verhältnisse und unter der Voraussetzung einer Stabilisierung der Wäh- rung Konzessionen angeboten wurden, die von der Repara- tionskommission wiederholt verlangt worden sind, während jetzt die Industrie in Gewinnabsicht dem� Reich eine Rechnung präsentiert, deren Bezahlung ihre„Opfer" reichlich ausgleichen würde. Die Sozialdemokratie handelt deshalb nur im Interesse der Allgemeinheit, wenn sie die Bedingungen des Reichsverbandes der Indist.ne ablehnt. * Der Reichsverband der deutschen Industrie sah sich veranlaßt, am Donnerstag vor Pressevertretern sein Angebot genauer auszulegen. Mit Nachdruck wurde betont, daß die Denk- schrift an den Reichskanzler lediglich«in Gutachten der In- dustrie, aber kein politisches Dokument darstelle. Die Industrie habe nur getan, was die politischen Parteien und die Gewerkschaften seit Jahr und Tag von ihr gefordert hätte: sich zu einer außerordent- lichen Abgabe bereit erklärt: ob aus der Substanz oder dem Ertrag, bleibe einstweilen dahingestellt. Der Frag«, ob dieses Angebot von 200 Millionen Goldmark zur Befreiung des Ruhrgebiets auch auf- rechterhalten bleib«, wenn aus irgendwelchen polttischen Umständen heraus die Borbedingungen, die das Angebot enthalte, nicht erfüllt würden, wich man allerdings aus. Was die Industrie als Bor» aussetzung verlange, sei eine Intensivierung der ge- samten deutschen Produktion; diese verlang« sie ebenso von Arbeitgeber- wie von Arbeitnehmerseite. Auch die Dertehrs- inftitut« des Reichs wolle man lediglich produktiv gestaltet wissen: eine Uebernahme durch die Privatwirtschaft käme überhaupt nicht in Frage, schon weil diese finanziell gar nicht dazu in der Lage wäre. Aus Gründen der Loyalität geben wir den Kommentar der Industrie zu dem Schreiben an den Reichskanzler wieder. So Horm- los, wie Herr Bücher das Angebot der Industrie darstellt, ist es in seinem Wortlaut nicht. Wir haben jedenfalls von unserem Kom- mentar zu den Bedingungen der Industriellen nichts zurückzunehmen.
Die Organisation üer Reichsbahn. Gegen Verpfändung. Nachdem in der in- und ausländischen Press« die Frage der Verpfändung der Eisenbahnen Gegenstand von verschiedenartigsten Erörterungen geworden ist, hat es der R e i ch s v« r k e h r s- m i n i st e r für nötig gehalten, auch die Stellungnahme der be- rufenen Vertretungen der Beamten- und Arbei- terschaft zu den in Frage stehenden Problemen herbeizuführen, da naturgemäß auch die Belange des Personals dadurch ent- scheidend berührt werden. Dementsprechend ist mit dem bei der Reichsbahnverwaltung bestehenden Organisationsausschuß in einer außerordent- lichen Sitzung gestern nachmittag im Reichsverkehrsministerium diese Frag« dahin besprochen worden, daß die Eisenbahn grund- sätzlich wie bisher als Reichsbetrieb weit« erhalten bleiben soll.
Die Reichsbant klagt. In unserer Sonntagsausgabe hatten wir unter der Rubrik „Wirtschaft" ausgeführt, daß Innerhalb des Reichsbankdirek- toriums in der Zeit des letzten Marksturzes Erwägungen im Gange gewesen sind, auf welche Weise den Direktoren Gold- Pensionen sichergestellt werden könnten. Die Reichsbank hat das dementiert, wohingegen wir unsere Mitteilungen austechterhalten haben. Jetzt läßt das Reichsbankdirektorium ankündigen, daß es Straf- antrag gegen den„Vorwärts" stellen wird,„um die schwer gefähr-
Regierung der diskontfähigen Unterschriften hätte jetzt Ge- legenheit zu zeigen, was sie kann. In der Bekämpfung der Teuerung jedenfalls und auf dem Gebiete der Währungs- Politik hat sie erschreckend versagt. Das Kapital, das aus diese Politik enorme Vorteile zog, hat ihr aber die Gefolgschaft verweigert, als sie bei der Auslegung der Dollaranleihe an die besitzenden Kreise appellierte. Auch jetzt, wo ernsthaft an die Liquidation der Ruhraktion gegangen werden soll, hat die Industrie in ihrem Garantieangebot denselben Mangel an Opferbereitschaft gezeigt, der bisher die Möglichkeit aussichtsreicher Reparationsverhandlungen erschwert hat. Nachdem die Stützungsaktion zu Fall gebracht worden ist und die Preise wieder unaufhörlich steigen, bleibt kein anderer Ausweg mehr, als durch eine entschiedene Lohn Politik die Anpassung der Löhne und Gehälter an die Preise herbeizuführen. Die Gew er ksch asten sind bestrebt, ihre ganze Macht einzusetzen, um eine Erhöhung des Real- lohnes zu erzielen. Die sozialdemokratische Reichs- tagsfraktion, die die verfehlte Wirtfchafts- und Finanzpolitik der Regierung seit Monaten unausgesetzt bekämpft, hat gestern die Reichsregierung mit allem Nachdruck darauf hin- gewiesen, daß eine allgemeine Erhöhung der Löhne und Ge- hälter unverzüglich erfolgen muß und daß jedes Abwarten schwere innen- und außenpolitische Gefahren mit sich bringt. Es ist dringend zu wünschen, daß diese Bestrebungen, die Ge- fahren des Marksturzes von der Arbeiterschaft abzuwenden, bald greifbare Erfolge zeitigen. Selbstverständlich lassen die Ko m m u n i st e n auch diese Gelegenheit nicht vorübergehen, ohne sie ihrer Agitation zu- nutze zu machen. Aus Betrieben im Reiche und in Berlin haben sie gestern Delegationen nach dem Reichstag beordert, um von der Regierung Abhilfe zu fordern. Der Wunsch nach Abwehrmaßnahmen gegen die Teuerung ist durchaus berech- tigt. Es ist aber unzweckmäßig, diesem Wunsche durch Dele- gationen Ausdruck zu verleihen, wo die Arbeiterschaft durch ihre Gewerkschaften und durch ihre gewählten Vertreter im Parlament die Möglichkeit hat, ihre Forderungen zur Gelwng zu bringen. Hier aber wird es mit allem Nachbruck geschehen, und die Regierung wird den Forderungen der breiten Massen entgegenkommen müssen. Eine Wirtschafts- und Finanzpolitik, wie sie bisher betrieben worden ist und die die ganze Last der Teuerung auf die Arbeiterschaft abwälzt, die steuerlichen Lasten der Unternehmer aber mildert und aus die Erfassung der riesigen Exportgewinne durch hohe Ausfuhr- abgaben verzichtet, war nicht nur schon bisher verfehlt, sie ist jetzt vollends unhaltbar geworden und bedarf gründ- licher Revision. Auf keinen Fall geht es an, daß die Arbeiter- fchaft und mit ihr die auf öffentliche Unterstützung angewiesenen Kreise die ganze Last des Marksturzes tragen. Täglich wächst das Elend der breiten Massen, die sich schon außerstande
Die Regierung aber hat die Pflicht dafür zu sorgen, daß nun endlich der Teuerung Einhalt geschieht. Mittel dazu stehen ihr zur Verfügung. Vor allem ist zu verlangen, daß sie den Ausschreitungen am Devisenmarkt nun endlich entschieden ent- gegentritt und den Dollarkurs zu senken sucht. Dann aber muß sie unter allen Umständen bewirken, daß die Unternehmer ihre bisherige Haltung in der Lohnpolitik preisgeben. Die wachsende Erbitterung der Bevölkerung ist eine eindringliche Mahnung an alle zuständigen Stellen, jetzt das letzte aufzu- bieten, um die Lage der breiten Massen zu erleichtern. Die Gefahren, die dem Volksganzen drohen, find größer, als man es am grünen Tisch glauben will.
ihrer Arbeitskraft zu kaufen. Und mit der wachsenden Not steigt auch die Erbitterung, die sich oft sinnlos gegen die Warenverteiler wie selbst gegen diejenigen Kreise richtet, die zur Besonnenheit mahnen. Trotzdem kann nicht eindringlich genug davor gewarnt werden, etwa durch Gewaltakte in die Warenverteilung einzugreifen. Erst neuerdings haben die von Kommunisten geführten Kontrollausschüsse im Ruhr- gebiet damit kläglich Fiasko erlitten. Es gelang ihnen zwar, für einige Stunden die Preise zu senken, und dann konnte der kaufen, der gerade dabei war und der klug genug war, sich für diesen Zweck Geld aufzuheben. Gleich aber dar- auf stockte die Lebensmittelzufuhr, die Händler weigerten sich, Ware einzukaufen auf die Gefahr hin, sie dann unter Der- lüften verkaufen zu müssen, und der Erfolg war, daß nun alles nach der Ware jagte und diePreifeerstrechtstie- gen. Aehnliche Zustände müßten in Berlin und in anderen Großstädten die Lebensmittelbelieferung auf das schwerste ge- fährden und die Not der Arbeiterschaft noch vergrößern. In der geschlossenen Aktion der organisierten Arbeiter- schaft durch das Parlament und durch die Gewerkschaften liegt die einzige Hilfe.
Die Vorbereitung öes zweiten Angebots. Die Besprechungen des Reichskanzlers mit den Parteiführern haben heute ihren Fortgang genommen. Der Reichskanzler empfing im Laufe des Tages Vertreter der verschiedenen Parteien des Reichstages zu Einzelbesprechungen und orientierte sie über die Lage, die einer Klärung soweit entgegengeführt ist, daß mit dem Abschluß der Bor - arbeiten für die deutsche Antwort Anfang nächster W o ch e zu rechnen ist._ Inüuftrie und Novembernote. Aus guten Gründen hat die Sozialdemokratie es abge lehnt, die notwendigen Opfer des Besitzes zur Erfüllung der Reparationsverpflichtungen an bestimmte Bedingungen knüp- fen zu lassen. Es ist bemerkenswert, daß auch der Hansa- b u n d für Gewerbe, Handel und Industrie die Form des Industrieangebots als„nicht glücklich" bezeichnet und im gleichen Zusammenhang betont, daß die Verhandlungen über die Garantiefrage nicht zu einer Machtfrage der Wirtschaft gegenüber dem Staat werden dürfen. Wenn trotzdem jetzt der Deutsche Gewerkschaftsbund(Christen) gegenüber der Stellungnahme der Sozialdemokratie die Behauptung auf- stellt, daß ein wesentlicher Teil der jetzt von den Industriellen geforderten Voraussetzungen zur Opferbereitschaft in der Note vom 14. November 1922 enthaften war, so stimmt das nicht. Ein Vergleich des Jndustrieangebots bzw. seiner Voraus- setzungen mit der Note vom 14. November 1922 zeigt, daß die Behauptung des Deutschen Gewerkschaftsbundes falsch ist. Gewiß hat sich das Kabinett Wirth damals unter dem Druck der Verhältnisse und der Voraussetzung eines vier- jährigen Moratoriums bereit erklärt, durch innere Reformen seine Ausgaben einzuschränken und seine Einnahmen zu er- höhen. Zu diesem Zweck war die Aufhebung aller entbehrlich werdenden Behörden, die Verminderung der Zahl der Ange-
......._. stellten und Beamten, die Vermeidung unproduktiver Aus sehen, auch nur die notwendigsten Lebensmittel zur Erhaltung gaben, die Beschränkung der gesetzgeberischen Maßnahmen, die •»««?/*«•?*** ITrtS Sn«.-4�«« S OT____________ l,.c KI-
dingliche Ausgaben verursachen, auf die dringlichsten Erfor dernisse und eine produktive Gestaltung der Reichsbetriebe zur Erzielung ihrer Rentabilität geplant. Außerdem sah die Note vom 14. November eine Neuregelung des Arbeitszeitgesetzes unter Fe st halten des Achtstundentages und einen Abbau der Zwangsbewirtschaftung für Brotgetreide vor. Der Mehrzahl dieser Reformpläne hat die Sozialdemo- kratie im November v. I. zugestimmt. Andere, z. B. den Ab- bau der Zwangswirtschaft für Getreide, lehnte sie ab. Auch heute noch hält sie an dem Beschluß vom November 1922 fest, obwohl ihr das unter dem 5�abinett Wirth mit sozialdemo- kratischen Miniftern viel eher möglich war als es heute der Fall ist. Aber zu vergessen ist nicht, daß die sozialdemokratische Reichstagsfraktion ihre Zustimmung zu einzelnen Reform- Plänen in der Note vom 14. November von de r_ Voraus- fetzung abhängig machte, daß durch währungs- politische Maßnahmen eine Stabilisierung der inne- ren Verhältnisse erreicht wird. Nicht im geringsten war an eine grundsätzliche Fernhaltung des Staates von der privaten Gütererzeugung und Verteilung, wie sie in dem Angebot der Industrie gefordert wird, gedacht Kein Wort von dem Abbau
Straße dem Samariterwert, jauchzend und sprinqend umtanzen immer mehr zu Schwärmen anwachsend« Kinderhorden das seltene Schauspiel. Ein kleiner drohender Ruf trifft sie, aus Wohnungen beugt sich, prüfenden Auges, die Gestalt eines Maurers: auf dem Dach knattern Rollen— das Haus wird repariert. Wird operiert. Wird gesund. Mieter machen saure Gesichter, dieses Heilverfahren kostet ihr Geld! Es ist so ganz bezeichnend für unsere noch immer elende Zeit, daß man ein« Hausreparatur anstaunt, daß der eilige, ewig geschäftige Berliner «ine Viertelstunde seinen S>astlauf hemmt und vor dem Schauspiel steht. Es ist in diesem Bild aber auch etwas Gutes, versöhnliches— man kann es mit symbolischen Blicken ansehen und sich däbei etwa denken: Wenn dieses Miethaus gesund wird— vielleicht, vielleicht wird doch auch einmal noch das große deutsche Reichshaus gesund! M. Pr. Das Telegraphon. Bereits auf der Pariser Weltausstellung von 1900 war von dem dänischen Ingenieur Poulfen ein Apparat zu sehen, der sich„Telegraphon" nannte und der zur Aufnahme, Aus- bewahrung und Wiedergabe von Tönen aller Art bestimmt war, den Phonographen verdrängen sollte. Dieser kompliziert« Apparat hat aber kein« Aufnahme in der Praxis gefunden. Dagegen ist jetzt«ine neue Konstruktion unter dem Namen„Telegraphon" auf den Markt gebracht worden, deren praktische Bedeutung in einem Aussatz der „Umschau" hervorgehoben wird. Auch dieser Apparat hat die Aus- gäbe, telephonische Gespräche festzuhalten und später in der Original- stimme wiederzugeben. Seine Handhabung ist überaus einfach. Ein Druck auf die mit„Schreiben" bezeichnete Taste setzt den Apparat in Gang und bewirkt die Aufzeichnung de» Telephongespräches. Nach dem Niederdrücken der Taste„Aus" bleibt das Telegraphon stehen und schaltet sich wieder aus.� Das Telegraphon läßt sich als Dikliennaschine benutzen, indem man ein kleines Handmitrophon in«ms der am Holzgehäuse an- gebrachten Buchsenpaare anstöpselt und die Toste„Diktat" nieder- drückt. Ist die Wachswal, ze voll besprochen, so schaltet sich der Apparat selbsttätig aus. Der Aufstellungsort des Telegraphons ist nicht an den des Fernsprechers gebunden. Man kann mehrere Sprechstellen— in der Regel drei— auf ein Telegraphon zuschalten. Dem Zweck, Unterhaltungen oder Reden durch den Apparat festzuhalten, dient eine Mikrophonanlage, die zugleich zum Diktieren einfacher Briefe benutzt werden kann. Für sehr leise ankommende Ferngespräche ist ein Verstärkungsschalter angebracht. Der Nutzen dieses neuen Appa- rates ist sehr groß. Das Telephongespräch erhält dadurch die B e- w e i s k r a f t ein es Schriftstückes: gleich werden infolge der naturgetreuen Wiedergabe der menschlichen Stimme auch persönliche Momente festgelegt, wie die Betonung und Erregung des Sprechen- den. Das neueste Anwendungsgebiet ist die Verbindung des Tele- graphons mit den von der Reichstelegraphenver waltung eingerichte- ten Prioatstellen zur Entgegennahme drahtloser telephonischer Nachrichten. Bei der Aufnahme von Telephnngesprächen braucht man keinen zuverlässigen Stenographen mehr, sondern es�vjrd ein- fach das Telegraphon eingeschaltet, das die Nachricht festhält, um sie nachher zu jeder beliebigen Zeit zu wiederholen. Nicht nur tele- phonische Zwiegespräche lassen sich aufnehmen, sondern durch beson- der« Mikrophone wird auch das freigesprochen« Wort festgehalten, so daß Parlamentsreden oder geschäftliche Unterhaltungen fixiert werden tonnen.