Nr. 25� ♦ 4S.�ahrgattg
Seilage des Vorwärts
Mittwoch, 6. �uni 192Z
Die Feuerbestattung. Die technische Einrichtung der Krematorien. � Der kommunale Einheitssarg für Berlin .
Zu den zahlreichen Aufgaben Berlins gehört auch die Be- arbeitung des Bestattungswefens. Di« Anforderungen, die hier gestellt werden, sind mit dem Ansteigen der Bevölkerungsziffer ständig gewachsen. Neben der althergebrachten Erdbestattung findet die Feuerbestattung immer mehr Anklang. Das 5euerbestattuagsgesetz. Nach Paragraph 2 des Feuerbestattungsgesetzes vom Ii. September 1911„darf die Genehmigung zur Einäscherung nur Gemeindeverbänden übertragen werden, denen die Sorge für die Beschaffung der öffentlichen Begräbnisplätz« obliegt." Preußen hat sich lange gesträubt, ein solches Gesetz zu erlösten. Schon 1856 lag dem Abgeordnetenhause eine Petition um Einführung der all- gemeinen Leichenverbrennung vor, über die jedesmal zur Tages- Ordnung übergegangen wurde, bis schließlich die wenigen sozial- demokratischen Vertreter vor dem Dreiklassenparlament das Feuer- beftattungsgefeh durchsetzten. Bis Ende Juli 1921 bestanden in Deutschland etwa 55 Kremalorien. Berlin besitzt zurzeit drei betriebsfähige Krematorien und ein weiteres ist im Bau begriffen. Das neuerbaute in Wilmersdorf , wurde Anfang Mai seiner Be- stimmung übergeben. Ueberschüsse sollen aus diesem Unternehmen nicht erzielt werden, aber„die Gebühren sind so zu bem-csten, daß sie die Kosten der Einrichtung einschließlich Verzinsung und Tilgung, der Erhaltung und Berwaltung der Anlag« decken.," Diese Be- stimmung führt naturgemäß zu fortwährenden Erhöhungen der Gebühren, die oft schon dann wieder überholt sind, wenn sie die Genehmigung der obersten Instanz gefunden haben. Die Verbrennung. Verfolgt man einmal einen solchen Verbrennungsakt, ist man überrascht von diesem Prozeß. Heber die Bauart des Ein- üfcherungsofens bestehen in weiten Kreisen ganz falsche Ansichten. Der Ofen ist vollständig aus Chamotlesteinen gebaut und besteht aus folgenden Haupttcilen: Koksgaserzeuger, Verbrennungsraum, Aschensammelraum, Gas- und Luftzügen und dem Schornstein kanal. Der Derbrennungsraum ist so groß, daß ein Sarg in der vorge- schriebenen Größe von 2 Metern Länge, 75 Zentimetern Breite und 72 Zentimetern Höhe bequem darin Platz hat. Unter dem Aschen- sammelraum find die Züge für die Zuführung der frischen Luft und zur Abführung der bei der Einäscherung entstandenen Gas« an- geordnet. Der in Betrieb genommene Ofen wird jeden Tag neu angeheizt, nachdem zuvor der Generator von anhängenden Schlacken befreit, der Eisenrest gereinigt und die Wasterpianne frisch gefüllt worden ist. Vier Stunden vor der ersten Einführung wird der Generator nach und nach mit 10 Zentnern Koks beschickt, bis die Ehamottewände hellrot glühen und zeigen, daß die vorgeschriebene Erhitzung von 1000 Grad Celsius erreicht ist. Durch verschiedene Schieber'stellungen wird nun die Koksflamm« aus dem Ver- brenn-ungsraum zurückgezogen. Jetzt erst ist der Ofen zur Arbeit bereit. Die groß« Ofentür wird geöffnet, der vordere Teil des Wagens, der aus einer Schicnengabel besteht, wird mit dem Sarg in den Verbrennungsraum gerollt, hier abgesetzt, der Wagen auf seinen früheren Standort zurückgezogen und die Ofentür wieder qeschlosten. Der Holzsarg entzündet sich in der heißen Luft und ver- brennt mit heller Flanüne, Der Zinksarg schmilzt im Augenbsick, und das durch den Rost und die schiefe Ebene herablaufende flüssige Zink wird aufgefangen und sofort entfernt, von einem erwachsenen Men'cken bleiben 2 bi» 2lA Silogramm Asche. Dieie wird nun mit einer Chamottenummer in einem bereitstehenden Blechbehälter, der mit Registernummer und den Personalien des Verstorbenen versehen ist, gefüllt. Alsdann wird der BeHölter verlötet und in den Aschen- aufbewahrungsraum gebracht. Es darf kein Sarg angenommen werden, an dem nicht ein Etikett mit dem Namen des Verstorbenen sowie Tag und Stunde der Einäscherung angebracht ist. Im Urnen hain wird schließlich die Asche beigesetzt. '» Im Foyer des Berliner Rathauses prangte vorgestern zur Auf- klärung und Belehrung der dort zu Ausschußberatungen versammel- ten Stadtverordneten der kommende Groß-Berliner kom- munale Einheitssarg. Ein städtischer Ausschuß beschäfttgte sich mit der von uns schon besprochenen Vorlage über die Ver- billigung des B e st a t t u n g s w e fen s. Trotz großer Schmerzen der Rechtsparteien, die den vollkommenen Bankerott irnd Untergang der edlen Tischlermeisterzunft ob solcher
umstürzlerischen Pläne des Magstirats schon kommen sahen, wurde die Vorlage mit unbedeutenden Abänderungen schließlich doch ein- stimmig angenommen, weil die Not am Ende doch alle drückt. Der Groß-Berliner Ouetschsarg(so genannt nach der normalen Höhe von 59 Zenttmetern, die nach Aussage eines demokratischen Sachversiändi- gen für allzu umfangreiche Herren nicht ausreichen soll) wird also in absehbarer Zeit in Funktton treten. Leute, die einen etwas höheren und bester ausgestatteten Sarg haben wollen, werden eben mehr zu bezahlen haben. Hoffentlich wird ihnen das Sterben dafür etwas leichter.
Die Lanöstraße.
.Vor einem Menschenalter schien es, als sollte die Landstraße für überflüssig erklärt werden. Di« allerorts ausgefühiten Klein- bahnen nahmen die Menschen und die Güter auf, die sonst von Wagen auf den Landstraßen befördert wurden. Dann kam das Fahrrad auf und mit einem Male waren die Straßen bevölkerter denn je; man sparte Geld und tat noch ein übriges für die Gesund- heit, wenn man fleißig in die Pedale trat. Das Automobil vollendete, was das Fahrrad begonnen. Die Landstraße wird jetzt die bitterste Notwendigkeit für den riesenhaft anschwellenden Verkehr. Das Reifen im Automobil wurde eine neue Mode, und es gab auch unter diesen Touristen eine ganz« Anzahl verständiger Meirschen, die den von dem Poeten Bierbaum in seiner ersten deutschen Auto- fahrtbeschreibung(Berlin — Sorrent ) aufgestellten Unterschied zwischen Rase- und Reisewagen anerkannten. Wer das Glück hat, draußen auf dem Lande an einer Landstraße zu wohnen— weit genug ab von ihr, als daß der Staub in trockenen Tagen lästig werden könnte — hat Gelegenheit, das Treiben auf der modernen Landstraße zu beobachten. Ganz früh kommen die Radler, die sich aus den Dörfern und Einzelgehöften zur Arbeit begeben, später folgen die Auto-Last- wagen, Käse, Vier, Brennmaterial, Baumstämme usw. befördernd, dann wird es am Vormittag ruhiger. Der Arzt und der Tierarzt begeben sich auf ihre Tour in kleinen Selbstfahrerwagen, ein paar Touristenwagen eilen in vernünftigem Tempo vorüber, da plötzlich ein Höllenlärm: Ein Kilometer„fressender" Automobilist ist auf der Bildfläche erschienen und alles flüchtet entsetzt vor dem Ungetüm. Abends ist die Verkehrsfolge die umgekehrte: die Arbeiter, An- gestellten und Geschäftsherren streben vom Zentrum wieder auf ihre Siedlungen und die Touristen und Geschäftsreisenden kehren zur Großstadt zurück. Zweier Landstraßengruppen soll ober noch ge- dacht werden: der Zigeuner und der Schausteller. Auch die letzteren sind sehr oft Automobilisten, da ihre Karustells, Schaukeln, Buden usw. heute wie alles ins Gigantische gewachsen und Pferde- fleisch und Hafer recht teuer sind. Das scheinen sich auch die Zi- geuner zu sogen, denn meist haben sie jämmerliche Pferde— wenigstens dem Aussehen nach—, von denen sie aber recht bedeutende Leisttingen verlangen. Abgsehen von lustigen Wandervögeln, die genau so wie es die Leute zu Großvaters Zeiten mich taten, auf Schusters Rappen reisen, herrscht doch der von der Maschine vermittelte Verkehr auf der Landstraße vor. Er hat ihr das Gepräge aufgedrückt. Die gut- gpflegte Ehaustee von heute hat nichts mehr gemein mit jenen „idyllischen Landstraßen" vergangener Jahrhunderte, auf denen dos Reisen alles andere als ein Vergnügen war.
Ein„Mädchcnfreund". Ein gefährlicher„Freund" junger Mädchen hatte sich, vor dem Schöffengericht Schäneberg wegen Verführung einer Minderjährigen und wegen Kuppelei zu oerantworten. Die Anklage richtete sich gegen den Kaufmann Wilhelm Seiffarth, der in der Schwä- bischen Straß« 17a eine Wohnung innehatte. Es ist dieselbe Woh- nung, die vor ihm Frau Helene Spanier, mit der der An- geklagte seinerzeit gemeinsam Kvmmistionsgeschäst« betrieben hatte, bewohnt hat. Di« Mieter des Hauses waren infolge des ausfälligen Treibens in dieser Wohnung zusammengetreten und hatten beschlosten, durch
den Mieterrat eine Anzeige bei der Staatsanwallschast gegen Seiffarth zu erstatten. Eine von der Kriminalpolizei vorgenommene Haussuchung förderte ein pornographisches und fadisti- fches Museum zutage. Ein Nottzbuch enthielt über 199 M ä d» chenadressen. Die in der Verhandlung vernommenen Mieter des Hauses gaben an, daß der Angeklagte fast täglich mit jungen Mädchen, die Zöpfe mit großen Schleifen trugen, das Haus be- treten habe. Oester fanden sich auch noch andere Kavaliere ein und Weingclage, unterbrochen von Peitschenknallen, Äechzen und Hilfe- rufen aus der Wohnung, ließen die Mitwohncr nachts aus dem Schlafe fahren. Besonders kraß lag der Punkt der Anklage, nach welchem Seiffarth eines Tages am Bayerischen Platz ein 1 5 j ä h- riges Mädchen angesprochen, sich ihr durch seine Visitenkarte als Direktor einer Filmfabrik vorgestellt und sie gefragt hatte, ob sie nicht bei ihrer guten Figur und ihrem guten Film- g e s i ch t Filmschauspielerin werden wolle. Das Mädchen besuchte denn auch den„Herrn Filmdirertor" eines Sonntags in seiner Wohnung. um dort angeblich Filmregisteuren vorgestellt zu werden. In der Wohnung wurde sie mit Kaff«, Torte und Likören bewirtet, bis sie schl-eßlich dem Zureden und der Verführung des Angeklagten, eines im übrigen recht unansehnlichen, kleinen und häßlichen Mannes mit großer Brille und stechenden Augen, zum Opfer fiel. Als sich die Folgen des Verkehrs bei dem jungen Mädchen einstellten, offen- harte es sich der Mutter. Das von dem Angeklagten sofort aus- gestellte schriftliche Heiratsversprechen konnte die Mutter nicht verhindern, Strafanzeige zu erstatten. Der Staats- anwalt geißelte scharf die Gefährlichkeit derartiger Leute, die gerode die Gegend des Bayerischen Platzes unsicher machen und beantragte gegen den Angeklagten eine Gefängnisstrafe von drei Monaten, die in eine Geldstrafe von 6 Millionen Mark umgewandelt werden sollte. Das Gericht nahm an, das Vorschub der Unzucht aus Eigen- nutz nicht erwiesen sei, so daß Freisprechung von der Anklage der Kuppelei erfolgen mußte. Dagegen wurde der Angeklagte Seiffarth wegen Verführung zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt und diese Strafe in 699999 Mark Geldstrafe umgewandelt.
der 5rauenmorS in Üer Vaßmannsiraße. Iuchkhaus für die Täler. Ein mtt ganz besonderer Grausamkeit ausgeführter Raubmord, bei dem nach dem ärztlichen Gutachten das Opfer ein« Stunde sich in Todesqualen gewunden haben muß, beschäftigt jetzt das Schwur- gericht. Angeklagt waren der Händler I ä d i ck e und der Arbeiter B i e r b a ch wegen Mordes an dem Straßenmädchen Olga Witt. Am 2. Oktober 1922 wurde das Straßenmädchen Olga Witt in ihrer am Keller des Hauses Waßmannftr. 32 gelegenen Wohnung tot aufgefunden. Die Tote war an Händen und Füßen gefesselt und um den Mund hatten die Mörder ein Halstuch geschlungen, um die Ueberfallene am Schreien zu oerhindern. Dann hatten sie ihr Opfer noch mit einer starken Wäscheleine an die Bettpfosten gefesselt. In dieser entsetzlichen Stellung ist das Mädchen dann langsam erstickt. Sämtliche Sachen der Ermordeten waren geraubt. Schon am nächsten Tage stellte sich der Angeklagte Iädicke selbst der Polizei, und auf Grund seiner Angaben wurde dann auch Bierbach verhaftet. Der H a u p t a n st i f t« r zu der Tat ist der 19 Jahre alte Bierbach gewesen, ein entsprungener Fürsorgezögling, der im Juni aus der Anstalt geflüchtet war und seitdem unangemeldet'allent-, halben nachtete. Der Prozeß enttollte in seinem Verlauf ein t r o st- loses Sittenbild aus den tiefsten Schichten des Dirnen-' und Zuhältertums. Der jetzt 29jährige Bierbach bestritt, daß er die Absicht gehabt habe, die Witt zu töten. Nach seiner Belzauptung habe diese auch noch gelebt, als sie die Wohnung oerließen. Diese Be- hauptung steht sehr im Widerspruch mit den Feststellungen der Sach- verständigen, wonach die Witt längst ersttckt sein mußte. Der Ange- klagte behauptete weiter, daß er der Witt 5999 M. zur Aufbewahrung übergeben gehabt hätte und daß diese ihm das Geld nicht habe herausgeben wollen. Er habe stillschweigen müssen, weil er bei einer Anzeige Gefahr gelaufen wäre, daß seine Adresie entdeckt werde und daß er wieder in die Fürsorgeanstalt zurückgebracht wor- den wäre. Es sei ihm nur darauf angekommen, von der Witt sein Geld zurückzubekommen, und er habe sie nicht berauben wollen. Wegen dieses Verhaltens der Witt habe er gegen dieselbe eine u n- geheure Wut gehabt. Die weitere Beweisaufnahme ergab nichts Wesentliches. Di« Geschworenen verneinten die Fragen nach Mord und Totschlag, bejahten bei beiden Angeklagten aber die Frage nach Raub mit Todesersolg. Das Gericht oerurteilte daraufhin Kurt Bierbach, den es als den Anstifter zu der Tat bettachtete, zu 14 Iahren Zuchthaus und Iädicke, bei dem angenommen wurde, daß er infolge seiner unglücklichen Familienverhältnisse leicht beeinflußbar gewesen sei, zu 11 Jahren Zuchthaus unter An- rechnung der Untersuchungshaft.
(Copyright by Wegweiser-Verlag Berlin .) « Als die Wasser fielen. von Otto Rung . Aus dem Dänischen von Erwin Magnus . Er genoß diesen aus allen Poren des Schiffes rieselnden Lai'.t, den ersten frischen Larst vom Morgen aller Zeiten, der wie Quellenstrudel und sausende Wogen klang. Das nasse Deck schien fast eine Fläche mit der See zu Hilden , der Hafen lag blank wie der frischgescheuerte Fußboden da, dessen er sich von den Morgenstunden in seinem Heim entsann: Sausen in allen Gardinen und die fleißig scheuernden Mädckjen. Und dort, an der niedrigen Täfelung des feuchten Bollwerks entlang, lagen die Bojen des Hafens wie Spielzeug, das die Kinder am Abend vergessen hatten. Er ging munter umher und gab seinem Mann Aufträge. Hier sollte eine Kette freigemacht, da ein verfaulter Persen- ning abgerissen, dort eine Stag gestrafst oder eine Want mit Kabelgarn gespleißt werden. Für einige Tage erhielten sie Hilfe von einem Seemann , den Matti durch seinen Freund, den Tätowiermann im Keller oben in Nyhavn, ver- schaffte. Es wurde gezimmert und gesägt, die Kojen aus der Leutekajüte entfernt und das Skylight über den Rahmen der Borderluke gebaut. In der Lampenkammer hatte Gude Ge- fäße mit weißer und grüner Farbe gefunden. Trotz allem konnte noch eine Wohnung aus„Beß Ruthby" werden. Matti warf eine Leine über den Bug 8es Schiffes, und darin, wie in einer Schaukel hängend, begann er die abge- scheuerte Nase der Gallionsfigur mit Zinkfarbe schneeweiß zu malen. Es war«ine Dame, wahrscheinlich Beß Ruthby selber, wer sie auch immer sein mochte, deren Goldhaar fahnenartig um den Steven des Schiffes flog. Hier hatte ihre Stirn hundert Jahre lang Sturzseen gespalten, ihr Mund SalP ge- schmeckt. Und sie hob ihre beiden Brüste, eine Steuerbord und eine Backbord, trotzig, bewußt, als wären sie es. die dem Schiffe Gleichgewicht und Ballast auf See gaben! >* Der März war jetzt weit vorgeschritten. Das letzte Treibeis hatte seine Kämme in grünem Bruch gegeneinander erhoben und war untergetaucht, um in See zu stechen. Als
Gude jetzt am frühen Morgen an Deck kam. teilte sich gerade der Frostnebel und wogte fort wie schneeweiße, von der grauenden Sonne beleuchtete Dämpfe. Wie die Dunkelheit aus der Erde emporgeströmt war, so sog die Tiefe nun die Nebel ein. Hier stand er auf seiner Arche und sah die Wasier fallen. Schon erhob ein Wald von Schiffsmasten seine Spitzen, die von der Sonne über dem Nebel vergoldet waren. Christianshavn entschleierte seine Türme, zuerst die goldene Spirale der Erlöserkirche und nun auch die irischgrüne Laterne unter der Turmspitze der Deutschen Kirche. Langsam tauchte der Hafen aus Wolken auf, die steilen Giebel des grönländi- schcn Packhauses, die beiden stolzen Paläste des asiatischen Platzes. Und jetzt wurden die alten Bollwerke des Tran- grabens frei, auf denen die niedrigen gelben Zeilen, die ziegel- gedeckten Buden, wie ihrer Schachtel Mnommens Spielklötze, standen. Die Schnakenbeine der Krane spreizten sich über Haufen aufgespeicherter Kohle. Jetzt wurde auch die See, blaugrün und blank, hinter den Nebelstreifen sichtbar. Ein leichter Ostwind sauste in der Takelung der Bark, Möwen lösten sich wie Schneeflocken aus dem Nebel und hingen still über dem Schiffe, obwohl es wehte. Doch der Hafen erwachte nicht. Seite an Seite lagen die Hunderte von aufgelegten Schiffen. In den Kanälen jenseits des Hafens standen die Masten der Segelschiffe mit schrägen Raljen in Reih und Glied. Kein Schornstein rauchte. Der Hafen lag tot da, nur ein Bagger gurgelle mitten im Strom seinen Schlamm plätschernd in einen Leichter. Als er an Deck kam, sah er, wie ein gelber Hund von Bord lief. Er strich über die Laufplanke und verschwand hinter dem Backhause. Matti hatte ihn schoy früher an Bord gesehen. Wahrscheinlich hatte er seinen Aufenthalt in einem Raum achtern und lebte von Ratten und Raub. Offenbar hatten Ob- dachlose jeder An jahrelang das ausgediente Schiff aufgesucht. Dieser herrenlose kleine Hund war der letzte blinde Passagier an Bord. Gude ließ ihn in Ruhe. Er hatte sich in den vorderen Räumen eingerichtet. Das übrige Schiff benutzte er nur als Promenadendeck. Unter das Skylight hatte er seinen Arbeiistisch gestellt. Die Wände waren mit alten Seekarten bedeckt, die er in der Kojenbank des Schiffers gefunden hatte. Dekorativ genug waren sie. Er konnte sich über Marken und Baken, zrmschirn Zlntiefeii und Riffen in Kattegatt und Ostsee , diesen heimischen Gewässern,
die er in seine? Kadettenzeit mit dem Schulschiff befahren hatte, hindurchpeilen. Zu seiner Arbeit fand er jetzt viel mehr Ruhe als früher. Um Besuchern zu entgehen, behielt er seine Hoteladresie bei und ließ sich alle Post durch den Portier zuschicken. Er war noch lange nicht fertig mit der Sortierung der russischen Konsulatsarchive. Nur wenig war aus dem großen Zusammenbruch im Osten zu retten gewesen. Er hatte selbst einen Teil gesammelt, der ihm von Petrograd und Moskau nach Archangelsk gebracht und allmählich heimlich über die Grenze geschafft worden war, ehe er schließlich selbst seinen Posten räumen mußte. Noch immer hatte er endlose Konferenzen mit den Bureaus des Außenministeriums. Er war der einzige Sach- verständige bei der Ordnung des losgerissenen und weit ver- streuten Materials. Eine Zeillang hatte ihn das Ministerium zudem auf eine Orientierungsreise nach den neugebildeten Randstaaten von der baltischen Küste bis zu den Karpathen geschickt. Endlich waren ihm als Erpert in finanziellen' Angelegenheiten und mit besonderer Einsicht in maritime Ver- Hältnisse andere Aufträge erteilt worden. Er war zu einer verttaulichen Besprechung ins Handels- Ministerium gerufen worden. Der Minister teilte ihm mit, daß die führenden Banken ihn gebeten hätten, einen Beirat zu ernennen mit der Vollmacht, eine Reihe industrieller und merkantiler Unternehmungen zu untersuchen, die setzt nach Beendigung des Krieges und bei der allgemeinen Depression nur durch ihren, bis aufs äußerste angesparmten Bankkredit aufrechterhalten wurden. Der Wunsch der. Banken, daß einer oder mehrere solcher Sachverständigen ernannt würden, rührte wohl daher, daß sie sich, wenn das große Abschlachten begann, selbst den Rücken frei halten und den betreffenden Kunden gegenüber den Schein wahren wollten. Gleichzeitig wollte n�an jedoch gern einen Vorschlag zur Wiederaufrichwng dessen haben, was gerettet werden konnte. Gude hatte gefragt, welche Befugnisse er hätte. Der Minister lächelte:„Das liegt ganz in Ihrer eigenen Hand. Die Banken wünschen nur die kritische Sichtung durch einen unparteiischen Sachverständigen. Ich dagegen betrachte Ihre Stellung als diskretionär und überlasse alles Ihrer per- fönlichen Autorität. Ich sehe selbst die Dinge vorläufig mit dem allergrößten Pessimismus an!" (Fortsetzung solgt-l