!Tr. 275 4 40. Iahrgattg
Seilage ües Vorwärts
Ireitag, 15.?uni 1023
Deutfthnationaler Reinfall. Eine Stadtverordnetendebatte über Stratzenbahnerkündigungen.
Mit der zweiten Lesung des Stodthaushaltplanes, die in der gestrigen Stadwerordnetenfitzung auf der Tagesordnung stand, konnte noch nicht begonnen werden. Eine Debatte über Straßen- bahnerkündigungen, bei denen angeblich der Betriebsrat nach.parteipolitischen" Gesichtspunkten verfahren sein soll, nahm einen sehr großen Teil der Sitzung in Anspruch. Die Deutsch - nationalen hatten zusammen mit der Wirtschaftspartei und der Deutschen Volkspartei durch einen auf agitatorische Wirkung berechneten Antrag eine Untersuchung der Kündigungsursachen her- beigeführt, aber die sehr umfangreiche Arbeit des Ausschusses bracht« chnen«inen R e i n s o l l. Gestern zog Stadtverordneter Pfarrer Koch noch einmal all« seine Sckimpfregister, um sein« Nieder- lag« zu verdecken. Die Redner der Linken gaben ihm die gebührend« Antwort. Genosse T e s ch k e, der für die sozialdemo- kratische Fraktion sprach, wies Kochs Angriffe gegen den Betriebsrat der Straßenbahn zurück und stellte fest, daß der Herr Pfarrer, den er einen gemeingefährlichen Demagogen nannte, sich«ine verdiente Blamage geholt hat. Di« von den Deutschnationolen, der Deutschen Volk spart« und der Wirtfchastspartei am 2Z. Januar 1S2Z geforderte Nachprüfung der Sündigungen der Straßenbahner, die über Iv Jahre im Dienst sind, kam endlich gestern, auf Grund der dazu vom Ausschuß gefaßten Beschlüsse, zu erneuter Erörterung. Der Ausschuß hat die Kündigungsfälle aus dabei vorgekommene Härten und Unbilligkeiten nachgeprüft und beantragt, den Mogistrat zu ersuchen, zehn speziell aufgeführte Fälle dem Betriebsrat und dem Tarifamt zur Erledigung zu überweisen: ferner soll der Magistrat dafür Sorge tragen, daß in Zukunft bei Massenentlasiungen größeres Gewicht auf ein enges Zusammenarbei- te n mit d em Betriebsrat gelegt wird, fo-wie daß die Straßen- bahn angewlsfen wird, bei Entlafsung älterer Leute diesen den An- trag aus Pensionierung nahezulegen und rücksichtslose Entlassungen vor Durchführung der Pensionierung zu vermeiden. Koch(Dnot. Dp.) stellt fest, daß die Direktion bei den Ent- lcssungen ganz willkürlich und sys lernlos verfahren ist: bleibt im übrigen dabei, daß die Kündigung besonders national gcsin nte und christlich organisiert« Straßenbahner betroffen habe, die mm den freigewerkfchaftlichen Organisationen als Streikbrecher, Kapp-Putsch - Beteiligte uftv. denunziert worden feien.— Schumacher(Komm.): Der kreißende Berg hat ein Mäuslein geboren. Den Anlaß zur Einsetzung dieses Unterfuchungsousschusies gab die Behauptung des lserrn Koch, daß aus politischen Gründen bei der Straßenbahn Massenentlassungen stattgefunden hätten: im Ausschusse hat er wiederholt Stoßseufzer darüber ausgestoßen, daß ihn die Straßenbahner angelogen hätten.(Hört, hört!) Der Hinauswurf von über 2000 Straßenbahnern kostet der Stadt 300 Millionen: und gleichzeitig mußt« man Ueberstunden im Betriebe einführen! Aber Stadtrat Adler ist trotz alledem immer noch in feinem Amt! Wir halten für die Nachprüfung nicht die Be- triebsräte der einzelnen Bahnhöfe, sondern mir den Gesirmtbetriebs- rat für zuständig. Gen. Tesch k« eriniierle daran, daß gerade die Direktion es gewesen fei, die den Betriebsräten plötzlich d»e Kündigungslisten vorgelegt habe. Die Direktion wurde von den Betriebsräten und vom «chlichiungsausfchuß abgewiesen. Es kam dann zu den 2015 Frage- bogen, die die vom Magistrat eingesetzte Revisionskommission in der kurzen Frist von 8 Tagen zu bewLitigen hatte. Aui den Fragebogen baben die Dienststellenleiter ihrer Laune und Willkür vielfach die Zügel schießen lassen. Die ganze Enllassungsakkion fällt der Direktion zur Last. die einen sehr hartnäckigen Standpunkt einnahm, den Tarif- vertrag und den Manteltarif einfach ignorierte, sogar den Ge- samtbetriebsrat nicht hörte und erst durch die schwierigen Ber- hällnisse gezwungen ihn hinzuzog. Daß von politischen Motiven bei den Entlassungen nicht die Red« ist, hat sogar Herr Koch anerkennen müssen: m den betreffenden zehn Fällen Legen lediglich Härten vor. Den Gesamtbetriebsrat trifft keinerlei
Schuld, damit entfällt auch gänzlich der Vorwurf der Brutalität, den Herr Koch erhoben hat. Für die Deutschnationalen hat es sich lediglich um Agitation gehandelt, deren Kosten wieder einmal die Bürgerschaft tragen muß. Herausgekommen ist lediglich eine Blamages ür den gemeingefährlichen Demagogen Herrn Koch. Stadrbaurat Adler: Die Entlassungen waren notwendig g«. worden einmal wegen der enormen Geldentwertung, der die Tarifs nicht nachkommen konnten: es wurden Linien eingezogen oder ver- kürzt oder abgelenkt. Der andere Grund waren große Verbesserungen am Wagenmaterial und im Betriebe, die viele Werkftattarbeits- kräfte entbehrlich machten. Hätte man die Entlassungen hinausge- zögert, fo wären die Verluste für die Stadt noch größer gewesen. Der Abbau hat ziemlich gleichmäßig bei den Arbeitern and bei den Angestellten stattgefunden: in dieser Beziehung sind die Vorwürfe gegen die Direktion unzutreffend. Berlin hat auf der befahrenen Schienenlänge von allen Großstädten den niedrigsten Etat. Hoffen wir, daß damit die Entlassungsaktion zum Abschlütz gekommen ist.— Baron(U. Soz.) bezweifelt, daß Gerechtigkeits- liebe die Rechte zu ihrem Antrag veranlaßre, man habe sich wohl auf diesem Wege billiges Stimmvieh verschaffen wollen. Die Debatte fand hiernach durch Annahm« eines Schlußantrages em Ende. Koch verwahrte sich dagegen, daß er gesagt haben solle, er sei von den Straßenbahnern angelogen worden. DerAusschuß- antrag wurde fast einstimmig angenommen: statt„De- triebsrat„Gesamtbetriebsrat" wurde mit 90 gegen 80 Stimmen be- Massen,„Gesamtbetriebsrat" zu sagen. Di« Privatlyzeen Fleck, Kirsten und Coretius, sowie die Privaffchule JDiarfch in Steglitz , haben die Stadt um Unterstützung durch Zuschüsse ersuckt, obwohl sie ihre Vorschulen nicht abgebaut haben. Der Magistrat will Zuschüsse gewähren, da setzt mit dem Abbau begonnen worden ist. Nach einem früheren Versammlungs- beschlusse sollte auch in diesem Fall« kein Zuschuß bewilligt werden. Gen. Dr. L o h m a n n legte dar, daß die Stadt um ihres eigenen Ansehens willen auf dieses Ansinnen der Schrllvvrfteherinnen ein- zugehen ablehnen müsse. Die drei Berliner Anstalten hätten ein Jahr lang einen Kampf gegen Berlin geführt, um sich Äs Standesschulen zu erholten: setzt beriefen sie sich auf die Rot der Lehrer und der Schülerinnen, um die Stadt günstig zu stimmen. Berlin dürfe«in solches System nicht einreißen lassen. Selbst wenn die Stadt mit der llnterbrmgung der Schüle- rinnen Schwierigkeiten haben sollte, so dürfe das nM entscheidend sein. Werstadffchulrcft Pausseu: Sollen die Lehrerschaft und die Schülerinnen für die Versäumnis der Borsteherinnen büßen? Im Prinzip hat Dr. Lohmann recht: aber die Lyzeen hoben den Abbau begonnen refp. zugesagt. Tragen Sie dem prokrische» Bedürfnis Rechnung! Merten(Dem.) erklärte nach dieser überzeugenden Begründung und Verteidigung der Vorlage durch den Stadtschulrat, aufs Wort verzichten zu wollen. Für die Vorlage stimmten alle bürgerlichen Vertreter; die Aus- Zählung ergab Annahme mit 98 gegen 80 Stimmen.(Lebhafter Beifall rechts.) Die Dringlichkeitsvorlage, in der auf Grund eines Angebots der Firma Siemens und Halste der Ausbau der Röntgenabteilung des Krankenhauses Moabit zu einem Röntgeninstitut ersten Ranges vorgeschlagen wird, nahm die Versammlung ohne Erörterung einstimmig an. Eine Anfrage der Deuffchnotionalen nach den Gründen, die die die Werkverwaltuny bewogen haben, eine größere Anzahl von Arbeitern aus der Gasanstalt Danziger Straße nach dem Tegeler Gaswerk zu versetzen, wurde von Stadtrat T r e i t e l dahin be- antwortet, dkß die anderweite Verteilung der Leute auf Grund einer Liste erfolgt sei, auf die sich schließlich Direktion und Betriebsrat geeinigt hätten. Politische Gründe hätten dabei keine Rolle gespielt. Nunmehr hätte— gegen%9 Uhr— endlich mit der Beratung des Haushaltsplan, für 1923 begonnen werden können. Es wurde
indessen die Erledigung einiger welterrr Vorlagen noch vorwegg« nommen. Ueber die Vorlage wegen Fefffetzung neuer Einkommens-! grenzen für die Teilnehmer an der städtischen Boiksspeisuag berichtete Genosse Gotffr. Schulz. Der Ausschuß hat am 2. Juni beschlossen, die unentgeltliche Abgabe bei monatlichen Ein- kommen unter 40 000 M. zu empfehlen: im übrigen soll das Essen unentgelllich allen Personen gegeben werden, deren Einkommen die Hälfte der jeweiligen Sozialrentnerunterstützung nicht übersteigt, bei einem Einkommen von der Hälfte, bis zu drei Vierteln dieses Betrags zum vierten Teil des Preises, bei einem Einkommen von drei Vierteln des Betrags bis zum vollen Betrage zum halben Preise. Stadtrat H i n tz e teilte mit, daß die Soziolrente im Reich für Mai aus 80 000, für Juni auf 120 000 M. erhöht wird: damit werde die Grenze für die Gratis- oder die Lieferung zu ermäßigtem Preise sich auf 60 000 bzw. 90 000 M, heraufsetzen lassen. Zu den Ausschußvorschlägen nahm die Versammlung einen Antrag unserer Genossen an, der u. a. für Ehegatten eine weitere Heraufsetzung der Grenze um 30 Proz. bezweckt. Der Antrag der Kommunisten, die Grenze für die unentgeltliche Abgabe von 40 000 auf 250 000 M. heraufzusetzen, blieb ebenso in der Minderheit wie ein Antrag der Deutschnationalen, der die Lieferung auf eine ganz abweichende Grundlage stellen wollte. Dem Uebergang der Baupolizei in Eharlottenburg, Neu- kölln und Lichtenberg auf den Oberbürgermeister wurde zugestimmt. Mit dem unzulänglichen Bescheid des Polizeipräsidenten in Sachen der Aufhebung des kleinen Belagerungszustandes wollte sich K u b e(Dnat.) durchaus nicht zuftieden geben. Er fand jedoch nirgends Unterstützung: die Versammlung nahm die Magistratsmit- teilung lediglich zur Kenntnis. Inzwischen war es 9 Uhr geworden und man trat in die Haus- Haltsberatung nicht mehr ein.
Der neue Kartosselpreis. Wir haben unsere Leser davon unterrichtet, daß die Preis» Notierungskommission für Kartoffeln sich veranlaßt ge- sehen hat, die Preise gegen letzten Freitag um 1000 bis 3500 M. höher zu notieren.— Diese Preise werden von der Kommission nicht „gemacht", sondern sie stellen das Ergebnis von Beratungen dar, aus denen hervorgeht, was tatsächlich dem Erzeuger, d. h. dem Land- wirk, gezahlt worden ist. Diese so gefundenen Preise bilden alsdann die Grundlage für die Wuchergerichte. Alle nach dem anfkaufenden Großhändler folgenden Zwischenstationen, städtischer Großhändler, Kleinhändler usw. dürfen auf diese Preise, abgesehen von den entstehenden Spesen, Fracht, Rollgeld usw. nicht mehr als den Handel sü blichen Aufschlag nehmen. Diese Kaufleute find also gezwungen, sich bestimmte Beschränkungen auf- .zuerlegen, wenn sie nicht mit den Wuchergerichten in Konflikt kam- men wollen.— Wie steht es nun aber mit dem aufkaufenden Groß- Händler? Er ist an keine Notierung gebunden. Je nachdem wie es die Marktloge erfordert, zahlt er dem Landwirt die von diesem geforderten Preise bzw. bietet er ihm ohne irgendeine Beschränkung nach oben Preise, von denen man sehr wohl der Meinung fein kann, daß sie eine Ausnutzung der Rot. läge der städtischen Verbraucherschaft darstellten. Es erscheint uns nicht müßig, einmal diese Frage hiermit anzuschneiden.
Der Münzentopf von Spanda«. Im März d. I. fanden spielende Kinder auf dem fiskalischen Gelände der Pionierstelle m Spandau einen Topf mit Sil» bermünzen. Der Fund wurde dem Münzkabineit über- geben, welches feststellte, daß der Topf 30 Münzen eus dem 15. und 16. Jahrhundert enthielt, und zwar 10 Exemplare in Größe eines 5-M.-Stückes, 10 Exemplare in Größe eines 1-M.-Stückes und 10 in Größe eines l4-M.-Stückes. Das Münzenkabinett hat den Wert der Münzen auf 152 200 M. festgesetzt. Den Kindern bzw. deren Eltern wird der gesetzliche Findcrlohn, der nach Sj 984 BGB. die Hälfte des Wertes des Fundes betrögt, ausgezahlt werden. Wir geben diese Nachricht aus einer Berliner Lokalnachrichten-Korrejpon. denz wieder und es scheint uns, als ob der reine Metallwert der Münzen unterschätzt worden ist, von dem numisma- tischen Wert nicht zu reden. Reichsfilbermünzen werden doch heut« bereits zum Svvofachen des Friedens- neu n w e r t e s umgerechnet.
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Als die Wasser fielen.
„Ihr Hund", sagte Rustad,„schnappte nach mir, als ich ihn in der Dunkelheit trat. Sind Sie sicher, daß er nicht toll ist?" „Nein, das bin ich natürlich nicht", gestand Gude. Rustad faltete die Hände über dem Bauche und sandte Rauchwolken gegen die Decke. Die Kajütenlampe schwang leise hin und her als einziges Zeichen vom Stampfen des Schiffes. Gegen das Kuhauge schlug der Strom schmatzend und leise brodelnd. Möglicherweise schwammen jetzt die Aale und Kaul- köpfe des Hafens herbei und glotzten durch das runde Aquarienglas herein, wo er selbst mit seinem Gaste saß, der dickbäuchig, fischäugig und feucht war wie ein Meergott, den ein Bagger von Nyhavns Grund heraufgeholl und ausgespien hatte. Plötzlich tönte von der Wand ein Knall, scharf wie ein Schuß. Rustad fuhr zusammen. Er wandte sich erbleichend um: „Was war das?", Gude lauschte. Das Treibeis hätte erst etwa im Februar so klingen können, wenn es am Bug des Schiffes barst. Jetzt müßte es das Holz fein, meint« er, das alte Fahrzeug stöhnte. Immer gäbe es hier Laute! „Jedes Ding, das mit dem Menschen gelebt hat, bekommt Leben von ihm!" seufzte Rustad.—„Es sind Reflexe unser selbst. Ueberall, wo wir Sachen begegnen, die von Menschen gebraucht sind, hören und sehen wir Gespenster. Die Toten haben sich einmal in den Dingen ausgedrückt. Darum sind alle Häuser und alle Möbel verdammt, darum ist es die Truhe, in der die Urahne ihr Leinen bewahrte, und der Stuhl, mif dem sie faß! Sie poltern und krachen! Das ist der Fluch, der über unserm Gcschlechte ruht!" sagte Rustad.„Immer haben wir uns ausdrücken wollen. Wir haben all die toten Dinge mit uns bevölkert, so daMie noch lange Zeit hinter uns her rufen und heulen. Denn sehen Sie,"— er senkte die Stimme—„das, dem wir Aüsdruck verleihen, begegnet uns wieder als Ein- druck!" „Da haben wir's!" Er schlug mit der Faust auf den Tisch: „Da sehen Sie den Bankerott des Expressionismus!" Er trank aus. Es war kein Laut mehr zu hören außer dem Schlürfen des Wassers gegen die Scheibe. „Ich bin es Ihnen schuldig, Herr Gude," jagte Rustad,
„Ihnen Bescheid über die junge Dame zu geben, die ich heute an Bord brachte. Sie sagt, daß sie Gerda heißt", fuhr er fort. „Ob das richtig ist, weiß ich nicht. Warum sollte sie mir Ber- traulichkeit erweisen, frage ich! Was habe ich zu verlangen? Nichts, sage ich Ihnen. Sie kann mich bitten, von Bord zu gehen, wenn sie will!" Er erhob sich und entledigte sich seines Ueberziehers. Er setzte sich schwer und fiel in Gedanken. „Wir saßen auf der Heizung", sagte er kurz darauf.„Im Speisezimmer, wo der Dampf aus den Röhren entwich. Sie balle eine rote Bluse an und einen Pelzkragen um den Hals. Wir streiften die Schuhe ab und hiellen uns die Füße am Heizkörper warm. Feine kleine Füße", nickte Rustad bewegt. „Sie ist ein kleines Tierchen!" „Haben Sie je Kapitän Gräsmann getroffen?" fragte er darauf.„So, nicht? Ja. von ihm will ich nun auch eigentsich nicht sprechen. Er fuhr die Schiffe vom„Nordstern" und starb als Melancholiker. Aber ich mußte an Kapitän Gräsmann denken im Zusammenhang mit Kapitän Högelund. Kapitän Högelund kenne ich von Uleaborg . Er fuhr mit Bauholz. S. S. Maryland , nach Finnland , und ich lag dort im Hafen und 'malte Seestück- auf feste Bestellung für meinen Bilderhändler in Boston . Das war damals. 1910." Er trank aus.„Daher kenne ich Kapitän Högelund. Später wurde er einer der Kapi- täne der Dänischen Werft." Gude hob, plötzlich interessiert, den Kopf. „Kennen Sie die Dänische Werft, Herr Gude? Und vixl- leicht auch den Direktor?" Der Norweger duckte sich und zeigte plötzlich alle seine Zähne in einem breiten, hellen Lächeln. Offenbar suchte er das ein wenig stereotype Lächeln Andreas Paulis, des Direk- tors der Dänischen Werft, wiederzugeben: optimistisch, wohl- wollend und bestrickend, wohin er auch kam. Rustad fuhr fort:„Die Dänische Werft hat vor zwei Jahren drei Windeier gelegt. Das wissen Sie vielleicht? „Björn",„Bjarne" und„Vuris". Die drei Veen! Jedes mit einer Dampferflotte zu höchsten Frachten und Kursen bis zu den Schlangenschwänzen oben am Börsenturm. Ich haste selbst einige Kilo Aktien von jeder Gesellschaft. Das Papier liegt zu Hause auf dem Boden meines Kleiderschrankes. Schön! Andreas Zauli nahm Kapitän Högelund mit zwei Fingern von S. S. Marylands Kommandobrücke und machte ihn zum verantwortlichen Reeder von„Bjarne" mit einem Mahagoni- kontor in der Toldbodgade und fünfzehn Mann Besatzung,
Lauffungen mit Lackstiefeln und eigenen ,�nten bei ihren
Bankiers, und dann ging es los auf dem Frachtenmarkt, io hoch, wie möglich! Zu Ehren von uns Aktionären! Sie können mir glauben, ich malte keine Seestücke mehr für die Milliardäre in der Fünften Avenue! Die konnten meinet- wegen jetzt in ihnen nackten Wänden sitzen und Champagner- tränen weinen!" Er fuhr fort:„Kapitän Högelund bekam eine Achtzimmerwohnung mit Zentralheizung in dem seinen neuen Stadtteil hinter dem Fälledpark. Dort war es, wo ich die junge Dame traf. Zwei Tage hatte sie in der leeren Wohnung gesessen und nichts gegessen. Beide Zwillinge waren ausgs» gangen, um Geld zu schaffen. Die Zwillinge sind Kapitän Högelunds Töchter, verstehen Sie, und die hatten ihr ange- boten, daß sie bei ihnen wohnen könnte." Kapitän Högelund", fuhr Rustad fort,„besuchte ich zu- letzt� vor einer Woche. Er wohnte im Mädchenzimmer. Die Zwillinge waren nicht zu Hause. Leider. Es sind zwei med- liche Mädelchen, jede für sich achtzehn Jahre ast. Sie waren zu einer Premiere.— Ehe es schief mit der„Dänischen Werft" und mit„Bjarne" ging, hatten sie ja ihre Loge für die ganze Saison mit Garderobe vorausbezahlt. Also warum sollten sie nicht zur Premiere gehen. Der Kapitän lag im Bett. Nicht, weil er erkältet, sondern weil die Heizung nicht in Ordnung war und der Hauswirt sie nicht instand setzen lassen wollte. Darum wohnte er im Mädchenzimmer, das am wärmsten war. Der Kapitän war seit vier vollen Tagen nicht rasiert. Als ich seinen Kopf, strup- pig von den Augenbraunen herunter, unter der Decke hervor- gucken sah, machte ich ihm den Standpunkt klar. Du siehst aus wie ein Ameisenbär, Myrmecophagus, sagte ich zu ihm, und das weckte fem Ehrgefühl ein wenig. Dreh dich um, während ich mifftehe, sagte er. Die Pfeife hatte er bei sich im Bett, und Shagtabak hatte ich genug für uns beide. Es belebte ihn ein wenig, als er nach zwei Tagen die Wärme im Meerschaum fühlle. Dann kam er aus der Koje heraus, band sich eine Schürze über das Nachthemd, steckte die Füße in ein Paar Lackstiefel, trat das Hinterleder herunter und zündete den Spirituskocher auf der Fensterbank an, um einen Grog zu machen. In der Küche fand ich einen Stumpf Stearinlicht, das wir in eine Buvgunderflasche steckten, denn Gas und Elektri- zität waren vom Werk gesperrt. Als das Stearinlicht später in der Nacht aufgebrannt war, knipsten wir abwechselnd an meiner Taschenlampe. Der Weinkeller war ja vom Gerichts- Vollzieher abgehost, aber als wir mit dem Stock unter dem Vett suchten, fanden wir eine dreiviertelvolle Flasche Kognak zwischen ein paar Dutzend bftn Bierflaschen. >
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(Fortsetzung folgt.)