Nr. 299 ❖ 4S. Jahrgang
Seilage öes VorWarts
Ireitag, 2H. Fun!?H2Z
Etatberatung im Rathaus. Die Geldentwertungsklansel für die Gemeindeftenern.
In der Stadtverordnetenosrsamn'.lung wurde gcstertt die Beratung des Haushaltsplanes fortgesetzt, aber noch nicht beendet. Längere Erörterungen gab es zunächst nur bei den Kapiteln„Werke" und„Schulwesen". Erst gegen 10 Uhr kam es zu lebhaften Auseinandersetzungen über die Steuer frage. Die sozialdemokratische Fraktion, für die Genosse L o h m a n n unter scharfen Wendungen gegen die Rechte sprach, forderte die Geld- entwertungsklausel als unerläßlich zur Sicherung der Wertbeständigkeit der Steuern. Heftig eiferten die Deutschnationalen. Der Redner der Deutschnationalen erklärte, daß sie bei Annahme der Celdentwertungsklausel den ganzen Etat ab- lehnen würden. Genosse H e i m a n n geißelte diese Haltung der Bürgerlichen. Bei einer Abstimmung gelang es ihnen, Beschluß- Unfähigkeit herbeizuführen, so daß die Sitzung aufflog. » Gestern wurde von 5 Uhr ab die Seratung öes Staöthaushalts für 192? fortgesetzt. Die Diskussion begann bei dem Haushalt der st ä d t i- fchen Werke mit kaufmännischer Buchführung(Gas-, Elektrizitäts-, Wasserwerke; Güter, Fuhrpark, Kanalisationswerke usw.). Michaelis(Dem.) glaubte, aus dem Umstand, daß die bisherigen Administratoren der städtischen Güter selbst als Pächter aufgetreten sind und trotz hoher Pachtquoten ein gutes Geschäft zu machen hoffen, die Notwendigkeit der Ueberführunq des gesamten Bestandes an städtischen Werken in Privatwirtschaft ableiten zu müssen, da sonst die Berliner Finanzwirtschaft unrettbar dem Chaos verfalle. G r o n w a l d t(Wirtich. P.): Es muß eine modernere Wirt- schaftsform, vor allem auch für die Gaswerke, gefunden werden, die eine bessere Rentabilität garantiert und auch ein Herabgehen mit den Tarifen gestattet. Noch ist diese Form nicht gefunden, aber ein Anfang ist da; nun sollte dem ersten Schritt alsbald der zweite folgen. Schumacher(Komm.): Entkommunalisiert man die städti- schen Werke, so wird sich bei ihnen genau das gleiche Schauspiel wie- derholen, wie wir es auf dem Kapitalmarkt, an den Börsen, bei Kohle imd Eisen Tag für Tag beobachten können. Die beteiligte organisierte Arbeiterschaft hat sich unbedingt für die Aufrechterhal- tung des städtischen Eigentums an den Werken ausgesprochen. Daß der Gaspreis solche enorme Höhe erreicht bat, daran ist nur die ver- kehrte Politik der Berwaltung schuld. Notwendig sind nicht nur organisatorische Neuordnungen, um die bisherig« Schwerfälligkeit des Betriebes zu beseitigen, sondern auch Personalreformen. Die städtischen Werke dürfen nicht Bersorgungs- an st alten für ältere Beamte sein. Die Betriebsräte müssen wieder in die Deputationen hinein. Stadtrat D e n e ck e verwahrte sich gegen Angriffe, die vor acht Tagen von den Kommunisten gegen ihn gerichtet wurden und auch in der„Roten Fahne" wiederholt worden sind. Er sei für die in der Zentrale Buch erfolgte Anstellung eines Ingenieurs, womit die An- greiser ihre Behauptung von seiner„verteuernden Personalpolitik" beweisen wollten nicht verantwortlich; die Stelle sei schon lange vor- her ausgeschrieben worden, und e r st viel später sei er zu dem Betr es senden in ein verwandtschaftliches Bcr- hältnis getreten.(Aha! und Heiterkeit bei den Komm.) Schumacher: Es ist zugegeben im Ausschüsse, daß die Etats d«r Gas- und Stromwcrkc verschleiert, daß stille Reserven vorhanden sind. Die Persammlung stellte die vorgenannten Haushalle nach den Ausschußvorfchlägen fest, ebenso diejenigen für Viehhof, Schlachthof, Fleischbeschau und Markthallen. Ueber die Haushalte Häfen, Straßenbahn, Untergrundbahn, Zudustriebahnen, Kohlenfelder referierte Michaelis(Dem.). Vom Ausschüsse war beantragt, den Magistrat zu ersuchen, dafür zu sorgen, daß bis zur endgültigen Fest- stellung des Stellenplanes keine Tarifkräfte irgendwelcher Art ein- gestellt werden, sowie von der Verkehrsdeputation eine Nachprüfung bezüglich der vorhandenen Tarifkräfte wegen evtl. Entlassung der- selben vornehmen zu lassen. Diese Anttäge wurden angenommen, die Haushalte festgestellt.
Ohne jede Debatte passierten die Kapitel„Gemeindebetriebe, soweit sie nicht zentral verwaltet werden",„Grundeigentum" und „Berechtigungen'. Mit dem Unterrichtshaushalt wurde verbunden der vom Genossen Dr. W e y l erstattete Bericht über„Planwirtschaft bei den höheren Lehranstalten von Alt-Berlin". Die bezüglichen Aus- schußbeschlüsse haben wir seiner Zeit mitgeteill. Im Ausschuß ist auch die Wiederbeseitigung der„H ö ch st b e g a b t e n s ch u l e n" angeregt worden. Daß sie ihren Zweck zurzeit nicht erfüllen, darüber war sich der Ausschuß einig; er schlägt vor, den Magisttat zu er- suchen, die Verfassung dieser Schulen dem Schulausschuß zu erneuter Prüfung zu überweisen. In der Aussprache über das gesamte slädkische llnterrichkzwefen ging Goß(Komm.) auf die bedauerliche Tatsache ein, daß sich jetzt auch in den Oberstufen, in den höheren Lehranstalten, eine Entvöl- kerung analog derjenigen in den Gemeindeschulen vollzieht. Das Zusammenlegen von höheren Lehranstalten wie von Volksschulen habe eine große Anzahl von Lehrkräften brotlos gemacht. Wie stehe der Magisttat zu dem Verlangen der Versammlung, die Klassen- frequenz auf 3S herabzusetzen? Auch das Schulwesen gehe einer unabwendbaren Katastrophe entgegen, wenn nicht das deutsche Volk, wenn nicht die breite Masse ihr Geschick in die eigene Hand nehme, um so auch die Volksbildung, auf eine kulturell würdige Stufe zu stellen.— Oberstadtschulrat P a u l s e n machte in Anknüpfung an den Frequenzhecabsetzungsbeschluß Mitteilung von dsm jüngsten Magistratsbeschluß, in Zukunft keine Eni- lassung von Hilfskräften mehr stattfinden zu lassen, nattirlich unter der Voraussetzung, daß auch Neuekn- stellungen nicht stattfinden; der Magisttat bringe bewußt dieses große Opfer. Zu lebhaftem Disput führte der Versuch der Rechten, die Er- richtung der beiden seit langem vom Mogistrat geforderten ZZ!agist?aksschulra!ssteAen sür Lichtenberg zu hintertreiben, während die für Char- lottenburg verlangten beiden analogen Stellen inzwischen — angeblich infolge einer fehlerhallen Information von der Zen- trale nach Eharlottenburg— so gut wie schon besetzt sind.— Gen. Dr. L o h m a n n erklärte, nach der Ueberzeugung seiner Fraktion steckten hinter den ins Gefecht geführten juristischen, finanziellen, schultecbnischen und schulpädagogischen Gründen lediglich parteipol,- tische Erwägungen, sonst sei es unverständlich, daß eine und dieselbe Partei ChaAottenburg bewillige, was sie Lichtenberg verweigern wolle. Die Fraktion beantrage deshalb, daß über Lichtenberg zu- erst abgestimmt werden soll; lägen keinerlei parteipolitische Gründe vor, so könne diese Reihenfolge nicht auf Widerspruch stoßen.— Die Abstimmung hierüber findet erst am Freitag statt.— Das Vorgehen des Bezirksamts Charlottenburg in dieser Frage wurde vom Stadt- schulrat P a u l s e n scharf gerügt. Zum Kap. ,.V e r w a l t u n g s k o st e n" begründete Schwenk einen Antrag seiner Fraktion, der die in Folge des sprunghaften Steigens der Devisenkurse und der Zurückhaltung der Waren drohende ErnLhrungskaiastrophe abwehren soll und jju diesem Zweck verlangt, daß der Magistrat alle ihm zllr Verfügung stehenden Lebensmittcloorräte zum Einstand?- preise an die arbeitende Bevölkerung unentgeltlich oder erheblich verbilligt an alle Krieosopfer, Erwerbslosen. Sozialrentner usw. abgibt, alle verfügbaren Mittel sofort zum Großeinkauf von Lebens- Mitteln verwendet bzw. solche Mittel von den zuständigen Regie- rungsstellen reklamiert; die Verteilung soll den vorhandenen städti- schen Einrichtungen und den Konsumentenorganisationen übcrttagen werden. Zum Haushalt der T i e f b a u Verwaltung empfahl der Haus- Haltsausschuh die Annahme der Vorlagen wegen Fortführung und Vollendung des Taues der Caprivi-Brücke in Charlottenburg . Die Vorlagen wurden angenommen und der Haushalt für den Tief- bau festgestellt. Ueber dos Hauptkapitel Steuern hatte Genosse Dr. L o h m a n n das Referat. Wir haben die betr. bedeutsamen Beschlüsse des Haushaltsausschusses bereits ausführlich
mitgeteilt. In beiden Lesungen hat der Ausschuß an dem Kom- promißvorschlag zur Deckung des Defizits und an der Umlagever- teilung festgehalten. Dr. N e u m a n n(D. Dp.) wandte sich gegen die Lohn- summen st euer. Weiter habe Berlin nicht die Aufgabe, im Punkte der Geldcntwertungsklausel voranzugelien: eine Frage wie diese müsse von den Zentralbehörden des Reichs entschieden werden. Auch sei es durchaus schematisth, durchweg den Rei ch s- steuerungsindex zugrunde zu legen. Die Gewerbesteuer sei überhaupt keine Besitzsteuer. Die automatische Anpassung an die Geldentwertung habe zweifellos die Tendenz einer weiteren Waren- Verteuerung, so daß schließlich der Arbeiter den Schaden zu tragen hätte. Im Falle der Annahme der Klausel würde die Fraktion sich zum Haushalt ablehnend verhalten. Genosse Dr. L o h m a n n: Die Berliner Bevölkerung würde es einfach nicht verstehen, wenn die Stadt Berlin nicht mit dieser Klausel«voranginge. Es geht darum, ob der Skeuerbelrug den Sieg davontragen soll, ob der Besitz zahlen soll oder nicht. Nach Dr. Lohmann kam Koch (Dnatl.) mit einem Antrag aus Vertagung. Die Mehrheit wollte aber mit dem Haushalt Schluß machen und lehnte den Antrag ab.— Lange(Z.) stimmte der Klausel wegen automatischer Zlnpossung der Steurn an die Geld- entwertung zu.— Dr. Leidig(DVp.) interpellierte unter wachsen- der Unruhe der Versammlung den Magistrat, wie er dazu komme, einer solchen Demonetisterung der Mark in diesem Augenblicke sein Plakat zu geben.— Der Kämmerer beschränkte sich auf die Er- widerung, daß dieser Magistratsentschluß eigentlich schon viel zu spät komme(lebhafte Zustimmung der Mehrheit); der Magistrat befinde sich damit in sehr guter Gesellschaft, denn auch der S ta a t s- rat habe in den letzten Tagen mit sehr großer Mehrheit einen gleichen Beschluß gefaßt. Die Frag« dränge zur Entscheidung; man solle nicht warten, bis die preußische Gesetzgebung gesprochen habe. Merten(Dem.) war bereit, die bezügliche Vorlage anzu- nehmen, wenn sie aus dem Ausschusse zurückkomme, in den sie ja doch gehen müsse, lehnte aber ab, sie mit dem Stadthaushalt zugleich zu verabschieden. Der Lohnsummensteuer, die durch den Ausschuß in ihren Härten abgemildert sei, stimmte er zu.— Fabian(Dnatl.): Große Bedenken hoben wir gegen die Steuer- Verteilung; dennoch nehmen wir, wenn auch nicht leichten Herzens, den Etat an. Wir lehnen ihn aber ab, wenn die Klausel durchgehen sollt«. Erst wenn ein preußisches Gesetz derart ergangen ist, wind hier die Zeit dafür gekommen sein. Unter großem Lärm in der Versammlung führte v. E y n e r n (D. Bp.) aus, daß schon aus Gründen politischer Disziplin die Klause! abzulehnen sei. Leider habe der Steuerdirektor Lang« dieses Spreng- puloer in die Versammlung geworfen.— Genosse H e i m a n n trat dem Vorredner scharf entgegen. Schon vor acht Taaen habe auch der Reichstag zu der Borlage wegen Sicherung der Browersorgung einen entsprechenden Beschluß gefaßt. Um �11 Uhr begann man mit den noch ausstehenden Abstim- mungen. Sofort beim ersten Antrag zum W ohlfahrt scmtt mutzte auf Anttag Koch namentlich abgestimmt werden. Die Deutschnatio- nalen schienen nicht übel Lust zu haben, die Versammlung b e» schlußunfähig zu machen. Jedenfalls waren nur 97 Stimm- zettel abgegeben worden und damit die Mindestziffer 113 nicht erreicht. Die Sitzung wurde abgebrochen, um mn Freitag 4% Uhr fortgesetzt zu werden._ Die bevorstehende Haftentlasiung der �rau Morvilins. Frau Morvilius, die, wie erinnerlich wegen Bandendiebstahls zu einem Jahr sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden war, wovon fünf Monate auf die Untersuchungshaft angerechnet waren, wird auf Anttag von Rechtsanwalt Dr. Stemmler auf Be> schluß der 9. Strafkammer des Landgerichts I am 4. Juli aus. der Haft enttassen werden. Die Entlassung ist aber mit einigen Ein- schränkungen verbunden worden. Frau Morvilius hat drei Milli- onen Mark zu zahlen und erhält eine dreijährige Bewährungsfrist, in der sie sich tadellos führen muß. Freiwillig muß sie sich aber der Schutzaufsicht des Jugendamtes unterstellen und Anweisungen der Aufsichtspersonen Folge leisten mit der Androhung des Widerrufs der Vergünstigung. Für die Straskammer, die den Anttag der Berteidigung beim Eingehen geprüft hat, waren maß- gebend die von der Verteidigung in der Hauptverhandlung vor- gebrachten Milderungsgründ« ihres körperlichen und geistigen infan- tilen Wesens, ihrer offensichtlichen Reue, die sie während der Sttaf- vollstteckung gezeigt hat, so daß die Annahme gerechtfertigt erscheint, daß sie nicht wieder rücksällig werden wird. Das Gericht hat auch erwogen, daß sie ihre bisheriaen Taten hauptsächlich unter dem ver- hängnisvollen Einfluß ihrer Mutter, der Frau Räber, begangen hat.
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Als die Wasser fielen.
von Okko Rung.
Waldemar und Didrich Hansen kamen mit den schweren Eoldbarren, mit einem in jeder Hand, als wären es Würste. Sie kippten sie auf ein Brett unter einer gewaltigen Maschine, und ein ungeheures Hackmesser fiel herab und schlug dem Darren den Kopf ab; der war blasig und taugte nicht zum Prägen. Die Maschine war schwarz von Ruß, sie wurde genau wie eine Brotschneidemaschine mit Handkraft bettieben und war sehr alt, aus der Zeit Christians des Fünften, sagte Vorarbeiter Jensen. Doch Gerda konnte in den Tagen am Fenster stehen und von Metallstaub glänzenden Ruß in die dicken Spinngewebe vor der Scheibe pusten, daß es in der Sonne funkelte wie Reis auf einer Weihnachtskarte!— Gerda lehnte sich zurück: Das war Aladdins Wunder- höhle! Doch jetzt war es bald zwanzig Jahre her. Eines Tages kam Waldemar in die Zählstube, wo sie saß und ihre Spitzen häkelte. Aus der Fensterbank stand das große, ganz mit Gold gefüllte Kupfergefäß. Waldemar hielt die Hände unter der Schürze, aber seine Nase war weiß und seine Augen wurden ganz klein. Er hatte nicht erwartet, das Kind hier zu finden, und fragte, ob sie nicht hinaus wollte, um Haschen oder Verstecken zu spielen. Aber Gerda wollte nicht spielen, sie schrie und rief, daß Waldemar gehen sollte, und daß niemand in die Zählstube dürste, wenn der Schrank offenstände! Sie nahm Tantes Blumenzwiebeln vom Bord und warf mit ihnen nach Wal- demar. Er sollte nur versuchen, das Geld anzurühren, das gehörte nicht ihm, das wären die Zehnkronenstücke des Königs! Dann nahm sie eine große Glaskugel mit einem langen Rohr aus dem Schranke und schleuderte sie aus den Steinboden. Es gab einen mächtigen Knall, und augenblicklich kam der Bureauvorsteher in Schutzärmeln und die Feder hinter dem Ohre angelaufen, während der freundliche kleine alte Abteilungschef, der ihr immer übers Haar strich, mit rotem Kopf und atemlos aus der Probierstube hereinstürzte. Am selben Abend wurde Waldemar hinausgeworfen. Aber Tante Mariane war böse wegen ihrer Zwiebeln. Sie sammelte sie auf dem Boden zusammen, streichelte jede, Ute wäre sie ein kleines Kind; es wären kleine, lebendige
Blumenscelcn, sagte sie und hielt sie in die Sonne. Aber Gerda fand, daß es schlimmer für das Geld des Landes als für die Zwiebeln gewesen wäre, wenn Waldemar gegrapst hätte. Die Tante hörte das Kind nicht an. Sie hatte wieder zu zählen begonnen, die kalten harten Geldstücke flössen durch ihre Finger und machten ihre Haut hart; ewig, ewig fielen sie wie Tropfen vom Tropfstein.„Milliarden", sagte Gerda, „muß sie Jahr sür Jahr gezählt haben! Aber für mich", fuhr sie fort,„war die Zeit ein Märchen: die Blumen, die daheim auf der Fensterbank wuchsen, der Strom, der in der Münze aus einem Gefäß in das andere sprang wie kleine blitzende Goldfische! Späte? saß ich jähre- lang jeden Tag nach der Schule da und sah den Goldsttom springen. Ich wußte jetzt, daß er von dieser Quelle weit über die Welt floß und alle Dinge in Bewegung setzte. In der großen, weißgetünchten Kammer saß ich und träumte davon, wie es mir' selbst ergehen würde. Ich lief in dem alten Münz - hause von der Kupferstube in die Silberstube und zuletzt in die Goldstube. Das war, als stiege man alle Stufen von der Armut empor zum Lande des Reichtums. Damals wußte ich noch nicht, daß wir selbst arm waren, ich wurde immer satt, aber Geld sah ich nie außerhalb der Münze, und nie habe ich später im Leben ein Goldstück in der Hand gehalten. Ich wußte nicht, daß meine Tante verrückt war, und daß sie ihr Leben für mich opferte, daß sie, um für mich zu sparen, sich selbst nicht eine einzige freie Stunde, nicht eine Freude gönnte. Doch mit den Jahren wurde sie stumm, murmelte nur ihre Zahlen, ihre Hände standen nie still. Und ihre Augen bewachten mich, wo ich ging und stand. Ich habe Ihnen ja erzählt, auf was für sonderbare Einfälle sie kam. Aber nicht eine einzige Stunde nahm sie Urlaub, selbst nicht in dem Jahre, als sie Kehlkopfkrebs hatte und wußte, daß sie bald sterben sollte, selbst da stand sie Tag für Tag an ihrem Platz- und ließ die Goldstücke springen. Bis zum letzten Tage ungefähr fand ich nur, daß es hübsch anzusehen war!" Gude konnte sie, während Gerda erzählte, vor sich sehen, diese alte, knochige und unbeugsame Frau mit der grauen Haarkrone hoch über dem krebsgelben Gesicht, die welken bloßen Arme in ein mit Gold gefülltes Becken getaucht. Das Sehnennetz lag verzweigt wie Adern von Erz unter der Haut. Mit blutlosen Lippen lallend summte sie ihre Zahlen, aus den Gefäßen Kupfer, Silber und Gold schöpfend, jeden Tag mehr
gebrochen, jede Stunde tiefer gebeugt, wie eine müde, ver- stummte Norne, die blind das Schicksal durch ihre Hand rinnen läßt, geduldig und sicher ihren Faden aus Metall spinnend. Und zu ihren Füßen das Kind: aus seinem Schemel trau- mend, mundgerecht wie aus dem Einmaleins die ewigen Zahlen vor sich hinsummend.— Gerda saß jetzt stumm auf ihrem Platze in der Ecke. Ihr Blick war noch fern, ihre Schultern zogen sich fröstelnd zu- fammen. Die L««p« verebbte, vke drehte an der Schraube, aber nun drohte das Licht ganz zu verlöschen. Die Nacht lag tief- blau vor dem Kajütenfenster. Irgendwo � hoch oben in der Finsternis ging ein Sausen, ein Qualen und Kosen durch die Luft, ein schnatternder Rundgesang, der Zug Tausender von Vögeln, die über Kongedyb und Hafen nach Norden zogen. Der Frühling war unterwegs.� � Auf seinem Tische lagen die dicht beschriebenen Bogen der Abhandlung über den finanziellen Bankerott unserer Zeit, an der er jetzt arbeitete. Auf einmal erschien ihm jeder Ausweg hoffnungslos, jede Rettung unmöglich. Alle Regeln waren nur graue Theorie. Was halfen wohl Gesetze, was nützten Systeme, selbst die Statistik war nur eine Fiktion, ihre Zahlen rannen meist aus fehlerhasten Quellen. Nur eines galt: menschliches Seelenleben, männlich oder weiblich, fest oder formlos, starr oder wogend, oder alles zusammen, aber ewig unberechenbar, ein Spiel von Launen. � Er beschäftigte sich gerade jetzt mit dem Golde, seiner Wanderung über die Welt, seiner Flucht aus Europa , seiner Stagnation und seiner Sturmflut, seiner ganzen tiefen Mystik, die sich allen Gesetzen, aller Kontrolle entzog. Es hatte feine eigene Lebensform, seine eigens unbegreifliche Seele. Als Ein- hsit in dem gewaltigen Weltprozeß war es für ihn fast heilig, es war aufgespeicherte Arbeit, die durch Zins und Zinseszins zeugte und schuf, der verdichtete Segen von Jahren: das Dukatengold, der gewichtigste aller Werte der Welt! Im Elend wurde es geboren, eine arme Frau legte es in eine Krippe, es ging über die Erde als ein Sklave für Piraten oder Toren, verspottet oder angebetet, von Königen gekrönt, von Kommunisten gekreuzigt, von wenigen verstau- den als die große Idee, die es in sich trug; das heilige Erbe der Menschheit. —(Fortsetzung 1olgt.)