Abendausgabe
Nr. 352+ 40. Jahrgang Ausgabe B Nr. 176
Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: 5. 68, Cindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-295 Tel.- Adresse: Sozialdemotrat Berlin
Vorwärts
Berliner Volksblatt
Preis 2000 Mark
Montag
30. Juli 1923
Verlag und Anzeigenabteilung Geschäftszeit 9-5 Uhr
Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei Deutfchlands
Die Gewerkschaften beim Kanzler.
Die einen und die andern.
Laffen wir sie selber reden.
Das Deutsche Tageblatt"( völkisch) vom Sonntag, den Vor dem großen Schlag!
Die Kommunisten wagen den Bürgerkrieg. Rätedittatur oder nationale Diftatur!
Die Kommunisten haben für heute an Stelle der verbotenen Demonstrationen und des nötigenfalls mit Waffengemalt verhin derten Antifaschistentages auf der Straße Massenversammlungen in verschiedenen Sälen angesetzt. Sie haben ferner ihre Haupttätigfeit von Botsdam zurückverlegt nach Groß- Berlin. Aller= dings dürfte ihnen auch hier jedes gewaltsame Auftreten übel zu stehen kommen, da Schupo und Kriminalpolizei in AlarmbereitSchaft sind und nach höherer Weisung angewiesen sind, einen Aufruhr mit allen verfügbaren Mitteln niederzuschlagen.
Heute nachmittag 4 Uhr findet, wie wir hören, in der] Der Finanzsekretär im Schazamt, Sir Joŋrson hids, 29. Juli: Reichstanzlei zwischen den Gewerkschaften und dem sagte in einer Rede in Twickenham, die Arbeitslosigkeit fönne nur Reichstanzler eine Besprechung statt, die sich mit der zu- durch Stabilisierung der Weltpolitit beseitigt werden. England gespizten wirtschaftlichen Notlage befassen wird. Der Be- wünsche, daß seine Alliierten und feine vormaligen Feinde in sprechung ging heute vormittag eine Aussprache der Gewerk- der Lage seien, sich am Welthandel zu beteiligen. Manche schaften im Reichstag voraus. Bei der Besprechung mit dem Leute wunderten sich darüber, daß England die Wiederherstellung Reichskanzler wird natürlich die Frage der Lebensmittel Deutschlands wünsche. Wenn man sich aber um diese versorgung im Vordergrund der Erörterung stehen. 70 Millionen Menschen nicht mehr fümmern wollte, dann brauche mar. sich ebenso wenig um Frankreich , Italien , Amerita zu füm mern, dann könne man auf die ganze Welt verzichten. Die Abfassung der britischen Mitteilung an die Alliierten sei die vorfichtigste und behutsamste Arbeit gewesen, die er je gesehen habe, seit er in das politische Leben eingetreten sei. Es herrsche große Besorgnis wegen der bevorstehenden Antwort. Er fönne nicht glauben, daß die Staatsmänner die Früchte des Sieges preisgeben. und zulassen werden, daß Mitteleuropa und die Welt dem Unter gang anheimfieler. Auch Sir Johnson Hids tritisierte in feiner Rede die Antwort Lloyd Georges an Poincaré ; sie sei maßlos und bilde im gegenwärtigen Zeitpunkt eine öffentliche Ge fahr.
Der Vorstand der Sozialdemokratischen Reichstagsfrattion ist heute vormittag zufammengetreten. Die Sigung dauerte bei Schluß des Blattes noch an.
Alle Kommentare bürgerlicher Montagmorgenblätter über die Haltung der Sozialdemokratischen Partei in der gegenwärtigen Situation beruhen lediglich auf Kombinationen.
Landwirte, liefert Kartoffeln!
Der Präsident des Deutschen Landwirtschaftsrates Dr. Bran des erläßt, wie BTB. meldet, folgenden Aufruf:" Der Reichsfanzler weist darauf hin, daß infolge der Berspätung der Kartoffelernte die Städte von Kartoffeln entblößt seien und daß auch sonst die Ernährungsschwierigkeiten der großen Berbrauchermassen wachsen. Der Reichstanzler richtet an die deutsche Landwirtschaft den dringenden Aufruf, alle Kräfte anzuspannen, um die Erträge, insbesondere der Frühkartoffeln, möglichst umgehend dem Verbrauch zuzuführen und die Lage in den Städten zu erleichtern. Unterstützung durch das Reichsverkehrsministerium sei zugesichert. Landwirte, liefert Kartoffeln! Ich unterstütze diese ernste Mahnung des Reichstanzlers aufs dringendste. Berspätete Ernte und Markentwertung verschlimmern die Lage. Es tommt jetzt darauf an, trotz diefer Schwierigkeiten den Anschluß an die neue Ernte zu erreichen, die, wenn sie gut geborgen werden kann, gut zu werden verspricht. Ich fordere deshalb die deutschen Landwirte auf, der Mahnung des Reichsfanzlers zu folgen und insbesondere, foweit es der Reisegrad der Kartoffeln irgand gestattet, die Städte möglichst ausgiebig mit Frühtartoffeln zu versehen."
Britischer Schritt in Brüssel .
Paris , 30. Juli. ( Tu.) Der Brüsseler Korrespondent des Semps" führt die besondere Einstellung Belgiens in der Reparationsfrage auf Schritte, die der englische Gesandte Sir George Graham in den letzten Tagen unternommen hat, zurück. Sir Graham gab zu verstehen, daß England in Berlin wegen Einstellung des passiven Widerstandes nur dann vorstellig werden könne, wenn es sich vergewissert habe, daß für eine Regelung des Reparations problems mit den Verbündeten hinreichend Aussicht bestehe. Es perlautet, daß Außenminister Jaspar auf Grund der englischen Schritte die Absicht hatte, sich nach London zu begeben, um mit den englischen Ministern zu sprechen. Ministerpräsident Theunis hielt dies jedoch für unzweckmäßig und erklärte, es müsse zunächst ein vollständiges Einvernehmen mit Baris zustande kommen. Der ministerrat nahm für Theunis Stellung und vertrat den Standpunkt, daß man zurzeit die von Jaspar vorgeschlagene Initiative nicht ergreifen fönne. Nichtsdestoweniger hielten es die Mi nifter für angebracht, einen Mittelweg zu beschreiten, und so sei der belgische Zusagentwurf entstanden, in dem die Auffassung Belgiens vom Reparationsproblem im allgemeinen deutlich umschrieben ist und England die gewünschte Auskunft erhält.
Der Temps" gibt zu, daß die belgische Antwort nach einem ganz anderen Plan wie das franzöfifche Dokument entworfen und es folglich zwedlos fei, beide Schriftstücke miteinander zu vergleichen.
Ein Mißgriff.
In Wirklichkeit ist der vermeintliche Rückzug der Kommunisten nichts weiter als ein Ablenfungsmanöver für den 29. Juli. So wiffen wir aus genauester Quelle:
In der Nacht vom Freitag zu Sonnabend haben die Befehlsempfänger der Roten Armee den Befehl an die Proletarischen Hundertschaften ausgetragen, dann mit Motorfahrern weitergeben Lassen,
daß am Sonntag unter allen Umständen losgeschlagen wird. Ueber den Angriffsplan der Kommunisten
Das gegen den französischen pazifistischen Universitätsprofessor Langevain vom Berliner Polizeipräsidenten erlassene te de- fird mir bis ins Kleinste unterrichtet. verbot zur gestrigen tie- wieder- Krieg"-Kundgebung, das wir an Wohlan denn, wenn die Sowjet- Deutschen den Bürgeranderer Stelle erwähnen, erscheint uns als ein faum verständlicher frieg haben wollen, so sollen sie ihn haben. Ihre Herrlichkeit wird und sehr bedauerlicher Mißgriff. Gewiß spricht aus dem nach allem von recht furzer Dauer sein! Das Blut, was fließen Schreiben, mit dem diese Maßnahme mitgeteilt und begründet wurde, wird, fommt weniger auf ihre Häupter, wie auf die ihrer gewiffenalles eher als eine unfreundliche Gesinnung gegenüber dem fran- lofen jüdischen Berführer. Das wird sich das deutsche Volk zu öfifchen Gast. Aber schon das Argument der anderweitigen Inan merfen haben!! Spruchnahme der Polizeikräfte am Demonstrationsfonntag wird niemanden recht überzeugen, denn höchstens zwanzig Mann hätten schon genügt, um jebe nationalistische Gegenfundgebung im Seime zu er flicken, und über die hätte das Polizeipräsidium jedenfalls verfügen
fönnen.
Bor allem aber geht das außenpolitische Argument völlig fehl. Im Ausland wird die Sache so aufgefaßt werden, daß hatenfreuzlerische Drohungen auch in Berlin genügen, um ein Redeverbot gegen einen französischen Pazififten zu erwirken. Und das ist für das Ansehen Deutschlands ebenso schädlich wie eine übrigens durchaus unwahrscheinliche Ausführung dieser Drohungen. Das hätte sich das Auswärtige Ami fagen müssen, das merkwürdigerweise die Initiative zu diesem Schritt ergriffen hat, nachdem es zunächst die Einreiseerlaubnis erteilt hatte.
"
Wenn nun in der ersten Erregung über das Verbot partei genössische Redner in den Versammlungen große Worte von Schandflec“ und„ Konsequenzen ziehen" gesprochen haben, so möchten wir demgegenüber bemerken, daß dies, zumal in der jezigen Zeit, in der wir ganz andere Sorgen haben als interne Auseinandersehungen, arge Hebertreibungen sind. Wir billigen es gewiß nicht, daß Genosse Richter dem Drud einer Reichsstelle so leicht nachgegeben hat, aber es gehören noch ganz andere Dinge dazu, die Konsequenzen zu ziehen".
Uebrigens wird uns versichert, daß das Redeverbot aus fchließlich für den geftrigen Demonstrations sonntag galt und daß an jedem anderen Tag Professor Langewain in Berlin das Wort öffentlich ergreifen, da für den nötigen Polizeischuß gesorgt werden könnte. Das wäre der Weg, um den gestrigen peinlichen Zwischenfall aus der Welt zu schaffen, und wir würden uns freuen, wenn er noch betreten werden könnte. Jaurès - Gedenkfeiern in Paris .
Paris , 30. Juli. ( WTB.) Die sozialistische Partei und die Ge
Bir Bölkischen müssen am Sonntag und an den fommenden Tagen bereit sein, unser Leben für die Rettung des deutschen Baterlandes aus den Klauen des Bolschewismus einzusetzen! Ein jeder fel auf dem Poften! Alle für einen! Einer für Alle!
Rote Fahne"( kommunistisch) vom Montag, den 30. Juli: Gegen Hunger, Regierung und Hafenkreuz! Bom Manöver zur Schlacht?
Sie haben's nicht gewagt!
Sie haben gedroht und haben provoziert eine Woche lang. Sie ließen ihre Truppen egerzieren für den Straßenkampf. Sie ratterten mit ihren Panzerautos auf den lebungsplätzen. Sie alarmierten ihre ganze Truppenmacht, Polizei und Militär. Sie verwandelten die Stadtviertel um die Bersammlungslokale in befestigte Pläge. Sie hatten in den Dachgeschossen Maschinengewehrnester. Karabiner, Mauser und Handgranaten zerrten am Roppelzeug ihrer Söldner. Ihre Spigel waren am Werke.
Sie wollten ein Blutbad. Sie brauchten das Blutbad, um Luft zu bekommen. Und sie haben es nicht gewagt.
Das ist das Eingeständnis der Ohnmacht. Das besiegelt Cunos Ende. Wer in solcher Situation Schwäche zeigt, der ist erledigt. Und die Faschisten? Sie hatten unsere Herausforderung angenommen. Sie hatten gedroht und sich gespreizt. Und sie waren nicht zu sehen. Das ist für sie eine Schlappe.
Und wir?
Gewiß, wir haben unsere Front zurückgenommen, als uns der Feind einen Kampf aufzwingen wollte, für den die Arbeiterschaft noch nicht genügend gerüstet war. Gefahrenzone aufgestellt und wir haben troß Cuno und Severing,
Aber wir haben unfere Front genau an der Grenze der
Wir haben im Angesicht des aufmarschierten Feindes eine
Doch fönne man versichern, daß Frankreich und Belgien betreffend gaurè s' gestern eine Gedenkfeier veranstaltet, bei der für die trok Drohung und Berbot unsere Demonstrationen durchgeführt, wo wären. Dem wiberspricht ein Teil der Linkspresse. Der deutschen Sozialdemokraten Abg. Tony Sender sprach. Trotz des „ Lemps" erklärt, daß die französisch- belgischen Besprechungen fort. Druces von außen, erklärte fie, gebe es in Deutschland eine starte große Gefechtsübung durchgeführt und sie ist gelungen. Das Partei, die gegen die Reaktion zu kämpfen entschloffen fei. Rednerin ist angesichts der elektrisch geladenen Atmosphäre ein gewaltiger perlangte von den franzöfifchen Sozialisten Unterstützung ihrer beut Erfolg. fchen Genossen. Abg. Paul Boncour erklärte, das wahre Frankreich wolle den Frieben.
bauern.
Paris , 29. Juli. ( WTB.) Der Brüsseler Berichterstatter des " Echo de Paris" fagt, es scheine übrigens nicht ausgeschlossen, daß jedes der beteiligten Länder nach vorheriger Berständigung der deutschen Regierung gesondert feine Auffaffung mitteilen werde. Diese Annahme, so sei ihm erflärt worden, dürfe wegen der etwaigen Haltung Staliens, die fehr wohl Neberraschungen bringen könne, nicht von der Hand gewiesen werden.
Der
Das„ Vorwärts"-Verbot abgelaufen. Das Berbot des Borwärts" in der französischen und Ccho de Paris" stellt fest, daß die französische und die bel„ Vorwärts" tann für den Monat August sofort wieder bei belgischen Zone des altbefehten Gebiets ist abgelaufen. gische Antwort ziemlich verschieben voneinander feien. Die den Poftanstalten bestellt werden. belgische Antwort genüge zmar im Prinzip der Politik Frantreichs, trage aber im höchsten Grade den englischen Borschlägen Rechnung, namentlich hinsichtlich des von Deutschland angebote nen Garantiesystems und der erneuten Abschäßung der deutschen Zahlungsfähigteit.
Englische Ministerreden.
Wegen der Ausweifung mehrerer Franzosen aus SowjetGeorgien hat die französische Regierung die Ausweisung des Vertreters der transfaufafischen Sowjet- Republiken in Paris und Mar seille , Kadich a r, angeordnet.
Neuer Marksturz. London , 30. Juli. ( WTB.) Der Unterfelretär im Auswärtigen Amt , Mac Neitt, richtete in einer Rede vor einer forservativen Dollar amtlich 1,1 Million. Zuhörerschaft einen äußerst heftigen Angriff gegen Lloyd Ge Obwohl am Sonnabend an den ausländischen Börsen eine orge wegen seiner Antwort auf Poincaré , die er dem„ Observer" leichte Erholung des Markturses zu verzeichnen war, setzte bei Bezufolge als heuchlerisch und unverschämt bezeichnete. ginn der Woche ein verschärfter Sturz ein. Heute vorEs sei richtig, daß zwischen England und Frankreich Meinungs- mittag liefen von den verschiedenen ausländischen Blägen sehr un verschiedenheiter: beständen; diese feien aber durchaus freund günstige Marfmeldungen ein. Es ergab sich im Durchschnitt eine schaftlicher Art und gingen weit weniger tief, als manche Barität für den Dollar von etwa 1,3 millionen Mart. Im amiBlätter vermuten ließen. Es sei eine unpatriotische Hand- lichen Devisenverkehr der Berliner Börse wurde zunächst das englungsweise, menn Leute wie Lloyd George diese Meinungsver- lische Pfund mit 5 millionen Mart notiert bei einer Buteilung von schiedenheiten zur Uneinigkeit und Entfremdung zu steigern ver- 10 Broz. An der Effektenbörse bestimmte ausschließlich die Lage suchten. des internationalen Devisenmarktes das Geschäft.
Der 29. Juli sollte eine Demonstration gegen den Faschismus werden, der das Leben des Proletariats bedroht. Er wurde zu einem Aufmarsch der Arbeiterflaffe gegen die Regierung, die Deutschlands Zusammenbruch vollendet hat. Er hat der Regierung den Stoß verfest, an dem sie verreden muß.
Der 29. Juli hat die Kraft der Kommunistischen Partei erwiesen,
hat den Beweis erbracht, daß die KPD . die Arbeiterklaſſe führt. Das aber legt eine ungeheure Berantwortung auf die Schultern der Partei. Sie muß jezt ihre ganze Kraft anspannen, um vom manöver zur Schlacht zu kommen.
Bormärts
Schlacht!
Dom Manöver zur siegreichen
Es ist eine herrliche Kriegsstimmung. Man fühlt sich in die Zeiten des großen Ludendorff und seines kleinen Nicolai versezt, wenn man diese Kriegsberichte lieft. Die Völkisch- Nationalen wetteifern mit den Bolschewistisch- Nationalen, um den Siegespreis sich zuzuschreiben. Foch konkurriert mit Hinden burg , Cadorna mit Högendorff: Es ist eine Lust zu leben!
Die Kommunisten haben seit Wochen ihre Demonstrationen angekündigt in einer Tonart, die sich in nichts unterschied von jener, die den mitteldeutschen Butsch von 1921 einleitete. Sie haben in umfangreicher schriftlicher Propaganda, besonders auf die völkischen Studenten abgestimmten Flugfchriften, in nachgeahmter antisemiischer Ausdrucksweise ihren Antifasistentag" vorbereitet. Wenn die Bölkischen zum Gegenschlag aufforderten, so war ihnen das angeblich nur angenehm. Sie rechneten damit, daß schließlich keine Staats