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Nr. 401 40. Jahrgang

Beilage des Vorwärts___

Finanzkatastrophe und städtisches Gesundheitswesen.

Da durch die Finanzkatastrophe immer mehr städtische Infti­tutionen zum Erliegen kommen, war es für uns von großer Wich­tigkeit, einmal Näheres über die Lage des städtischen Gesundheits­wesens von berufener Stelle zu hören. Unserem medizinischen Mit Berliner Gesundheitsamtes, Stadtmedizinalrat Rab now, bar­arbeiter Gen. Dr. Norbert Marg wurden von dem Leiter des über die folgende Auskunft erteilt: Das Gesundheitswesen befindet sich bei der verzweifelten Fi­nanzlage der Gemeinden in einer außerordentlich schweren Krise. Es ist nicht zu verkennen, daß im Gesamtgebiet der Kultur das Gesundheitswesen eine Sonderstellung einnimmt, insofern, als die Sorge für die Gesundheit des Boltes un­mittelbar große wirtschaftliche Bedeutung hat und von ihr die Frage des Volksbestandes abhängt. Wenn beispielsweise jährlich etwa 130 000 Menschen die städtischen allgemeinen Kranten­häuser Berlins aufsuchen, so heißt das doch nichts anderes, als daß Duzende von Tausenden in den Krantenanstalten ihre Erwerbs­fähigkeit erhalten oder wiedererlangen und somit sich wieder im Wirtschaftsprozeß des Volkes beteiligen fönnen. Wenn es ferner gelingt, durch Einrichtungen auf dem Gebiet des Gesundheitswesens die Sterblichkeit herabzusehen, wie es ja in ten letzten Jahren vor dem Kriege wirklich der Fall war, so bedeutet das eine positive Volksvermehrung, und wenn wir die Sterblichkeit nur um ein Tausend herabsehen würden, so ist das nichts weniger als die Er­haltung der edelsten Substanz, über die das Bolt ver­fügt, nämlich des Menschenmaterials. Es ist also sehr erklärlich, wenn wir alle Anfeindungen nicht scheuen, um das Krantenhaus wesen in Berlin mindestens auf dem Stand zu erhalten, auf dem es sich jetzt befindet. Dabei heißt es außerordentliche Schwierigkeiten finanzieller Natur zu überwinden.

Millionen- Verpflegungsfähe.

Mittwoch, 29. August 1923

gleich hohen Pflegefaz die gemeinnützigen Anstalten weiter bestehen fönnen. Er beträgt jezt 2200 000 m. pro Pflegetag. Langstein hält aber für nötig, daß den gemeinnüßigen Anstalten auch die aus dem Finanzausgleichgeset bisher nicht gewährte Hilfe noch zuteil wird. Das müsse, sagte er, selbst dann Bürger aus ihren Wohnungen holen würden. Die Kosten für die geschehen, wenn die Hilfe den kommunalen und staatlichen An­Krankenhäuser werden getragen zu etwa 40 Proz. von der Armen- stalten jetzt entzogen wird. Mindestens müsse man den gemein. verwaltung, zu 50 Proz. von den Kassen. Der Rest der Kranten ist nützigen Anstalten diese Unterstüßung für die nächste Zeit hoch anzurechnen, daß sie sich nicht gescheut hat, um einem Bedürfnis Selbstzahler. In dieser Zeit des Elends ist es der Stadt Berlin gewähren, damit sie über die schlimmste Not hinwegkommen. zu entsprecher, an Neubauten heranzutreten. So hat sie be­kanntlich in den letzten zwei Jahren das gänzlich veraltete und zum Teil unbenutzte Krankenhaus Moabit wenigstens zur Hälfte neu aufgebaut.

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Diese turzen Mitteilungen des Leiters des städtischen Gesund heitsdienstes lassen uns die immensen Schwierigkeiten erkennen, mit denen die gerade für die breite Masse des Boltes wichtigste Institution zu kämpfen hat. Mögen die besorgten Stadtväter, wenn fie der Not steuern woller, nicht gerade hier ein Objekt sehen, das noch mit Sparmaßnahmen beglückt werden kann. Hier wären Ein­griffe gleichzusehen Arthieben an die Wurzeln unseres Volkstums. Wenn unsere schon so sehr geschwächte Boltsgesundheit noch plan­mäßig durch Sparmaßnahmen untergraben würde, so wäre das ein nie wieder gutzumachender Fehler.

Die Not der anderen Krankenhäuser.

Eine Folge der Geldentwertung.

In der anschließenden Besprechung äußerten sich Vertreter mehrerer Anstalten und Vereine im Sinne dieser Forderungen. Auch das Verhältnis zu den Krantentassen wurde berührt, und es tam dabei zur Sprache, daß manche Kaffen selber Not leiden. So habe eine große Kaffe in einem Monat 34 Milli­arden ausgeben müssen, aber nur 18 Milliarden eingenommen. Gefordert wurde, daß die Kaffen ihre Beiträge entsprechend dem träge bei jeder Lohnzahlung unverzüglich an die Kassen abgeführt tatsächlichen Verdienst ihrer Mitglieder festsetzen und daß die Bei werden, damit sie ihren Verpflichtungen nachkommen können.

Was wird aus der Straßenbahn?

Wieder Zunahme der Fahrgäste.

nimmt kein Ende. Langsam fängt die Stimmung nach der ersten Das Drakeln in der Presse über das Schicksal der Straßenbahn Erregung an, wieder etwas freundlicher zu werden. Bezeichnender­weise kommen jetzt auch andere Zeitungen zu denselben Schlüssen wie der Vorwärts". So bringt das Tageblatt" eine lange Dar­stellung über die Ursachen der augenblicklichen Schwierigkeit, in der Die fortschreitende Geldentwertung droht alle nicht werbenden genau dieselben Gründe angeführt werden, die wir eingehend aus­Unternehmungen zum Erliegen zu bringen. Schwer leiden unter einandergesetzt hatten. Tatsächlich hat sich die Lage der Straßenbahn ihr auch die nichtstaatlichen und nichtkommunalen schon in wenigen Tagen wieder bedeutend gebessert. Heil- und Pflegeanstalten, die einen Teil ihrer Aus- Gestern waren es bereits wieder 450 000 Fahrgäste, die die Bahn gaben aus Steuereinnahmen nicht deden können. Viele dieser ge- benutten. Das beweist, daß die Anpassung des Publikums an die meinnützigen Anstalten sind bereits eingegangen und andere stehen Geldentwertung sich verhältnismäßig schnell vollzieht. Am 1. Sep­vor der Notwendigkeit, gleichfalls ihre Pforten zu schließen, bember werden außerdem auf der Stadt- und Ringbahn die wert­wenn ihnen nicht Hilfe gebracht wird. Versuche, sich selber zu helfen, beständigen Eisenbahntarife eingeführt, wodurch der Einige Zahlen dürften genügen, um die finanziellen Anforde sind mehrere von ihnen geschaffene Einrichtungen: der Verband ge- Fahrpreis für die geringste Strede in der 3. Klaffe auf rungen, die die Krantenanstalten an die Stadt sbellen, zu beleuchten. meinnüßiger Kranten- und Pflegeanstalten Groß- Berlins und Bran- 160000 m. erhöht wird. Dadurch entfällt für die Straßenbahn Die Summe der Ausgaben für alle Arten der Anstalten zusammen, denburgs, der Wirtschaftsbund gemeinnütziger Wohlfahrtseinrich- die schwerste Belastung. also Krankenhäuser, Hospitäler, Irrenanstalten und sonstige, beträgt tungen zum billigen Bezug ihres notwendigen Bedarfs, die Hilfs­jetzt etwa 2 Billionen jährlich. Eine genaue Berechnung läßt fasse gemeinnütziger Wohlfahrtseinrichtungen zur Gewährung von Straßenbahn- Gesellschaft zu bilden, fest und wird heute Der Magistrat hält an seiner Absicht, eine städtische fich mit Rücksicht auf die Dollarschwankungen nicht auf Kredit an schwache Anstalten. stellen. Die Selbstfosten eines Verpflegungstages in den Kranken­Am Montag wurde in einer Bersammlung des oben in seiner Sigung die Sagungen der Gesellschaft verabschieden. Er anstalten betragen jetzt Ende August rund 3 Millionen Mark. Wenn genannten Verbandes die Notlage dieser Anstalten erörtert und wird sich dabei an den der Stadtverordnetenversammlung bereits man nun bedenkt, daß wir in allen Anstalter: zusammen über auf die Gefahr hingewiesen, die der Volksgesungheit droht, wenn vorliegenden Entwurf halten und nur die Zahl der Aufsichtsratsmit­8000000 Verpflegungstage, davon in den allgemeinen noch mehr Anstalten geschlossen werden müssen. Der Vorsitzende glieder einschränken. Dieser Beschluß des Magistrats wird dann Krankenhäusern allein Millionen Verpflegungstage, haben, so Prof. Langstein forderte in seinem Referat mehr Hilfe vom am Donnerstag im Haushaltsausschuß behandelt werden. Die Aus­kann sich auch der Laie ein ungefähres Bild von der Größe dieses Reich, nicht nur größere Zuschüsse, sondern vor allem auch einen fichten über die Bildung einer wirklichen Verkehrsgemein­Verwaltungsobjekts machen. An Betten hat die Stadt Berlin in wirksamen Kredit zur Beschaffung von Kohle. Bisher haft sind vorläufig noch recht unbestimmt. Maßgebende Kreise ihren eigenen Anstalten 24000 und außerdem noch in war ein Kohlenkredit von 1% Billionen Mart für die Gesamtheit der Hochbahngesellschaft ſträuben sich gegen eine solche Lösung, und den Anstalten der Provinz Brandenburg über 2000 der Anstalten zugesagt; nach Maßgabe des jetzigen Kohlenpreises im Verkehrsministerium wollen die Herren Geheimräte an diesen Betten für Geistestrante und Hospitaliten, so daß der Stadt etwa wäre aber die ungeheure Summe von 46 Billionen Mart neuen Gedanken nicht heran, trotzdem die Zusammenlegung der 26 000 Betten zur Verfügung stehen. Diese Bettenzahl dürfte jedoch erforderlich um die nötige Kohle zu beschaffen. Berschärft wird Berliner Berkehrsunternehmungen im Interesse der Berliner In­für einzelne Gruppen vor. Anstalten bald nicht mehr ausreichen, die Not der gemeinnützigen Heil und Pflegeanstalten dadurch, daß duſtrie und der Steigerung unserer Produktionsleistungsfähigkeit denn die Belegung der Krankenhäuser ist trotz der hohen Ber - die eine unbedingte Notwendigkeit ist. aus dem Finanzausgleichgejeg erwartete pflegungsfäge, die die Stadt in ihrer Not erheben muß und Hilfe ihnen versagt bleiben foll. Nach§ 60 erhalten Wohl- greifen, daß solche Fragen nicht vom engen Reffortgesichtspunkt, die sich jetzt auf Millionen pro Tag beziffern, baldigst aber fahrtsanstalten der Länder und der Gemeinden beträchtliche Zu- fordern vom Gesamtbedürfnis unserer volkswirtschaftlichen Ent­ Millionen betragen werden, hart an der Grenze des Möglichen schüsse in Höhe von 75 Proz. der seit Januar 1921 durch Erhöhung wicklung heraus gelöst werden müssen? Es kommt auch gar nicht angelangt. Das ist ja auch ganz natürlich, denn die jammervollen der Beamten- und Angestelltenbezüge entstandenen Mehrausgaben. darauf an, daß man etwa nur eine Gemeinschaft der Tarife ab­dende Ernährung, die überaus teuren Medikamente machen währt werden, aber bisher war das( von der Zahlung einiger Berliner Verkehrswege. Wohnungsverhältnisse, die jetzt immer mangelhafter wer Nach§ 61 sollte diese Hilfe auch den gemeinnüßigen Anstalten ge- schließt, so wertvoll fie fein könnte, viel wichtiger noch ist die ge= meiniame planmäßige Arbeit am Ausbau der es ja den meisten unmöglich, sich während einer ernsten Erkrankung Borschüsse abgesehen) noch nicht durchgeführt. Jetzt aber wird die die vorhandenen Unternehmungen ein Bielfaches dessen leiften, was Mit vereinten Kräften könnten in ihrer Häuslichkeit behandeln zu lassen. Finanznot des Reiches zwingen, die Vergünstigungen aus beiden Baragraphen zu beseitigen. Langstein klagte, daß die Stadt Berlin iezt angesichts der Zersplitterung möglich ist. Die Verhandlungen infolge der ihr für ihre Anstalten gewährten Hilfe höhere Gehälter wieder zur Aufrollung dieses Problems zwingen, das eines der mit der AEG.- Schnellbahn werden sowieso über kurz oder lang Es dürfte wohl auch interessieren, zu erfahren, wie sich die Kosten und Löhne als die gemeinnügigen Anstalten zahlen und dennoch brennendsten und wichtigsten für die Groß- Berliner Zukunftsent­auf die einzelnen Ausgabenposten verteilen. Neuere Zahlen stehen geringere Pflegefäze als sie nehmen fonnte, so daß die gemein­wicklung ist. für diesen Zweck noch nicht zur Verfügung. Im Jahre 1921 entfielen nüßigen Anstalten unter dem Druck dieses Wettbewerbes in Gefahr allein auf die personellen Ausgaben etwa 43 Proz. der Gesamtaus- tamen ihren Betrieb einstellen zu müssen. Ueber das Arzt, gaben. Auf ein Krankenbett tamen 1913 0,21 Pflegepersonal und Pflege und Wirtschaftspersonal der gemeinnüßigen Anstalten er­0,2 Wirtschaftsperforal. Im Jahre 1921 0,3 Pflege- und 0,31 Wirt- fuhr man, daß es sich mit geringeren Gehältern und Löhnen at Die Hochbahngesellschaft wird am Donnerstag, den schaftspersonal. Hier werden die bürgerlichen Politifer wieder mit finden laffen muß; beispielsweise hätten in den Anstalten der Stadt 30. August, ihre Fahrpreise um je 10 000 M. für die Einzelfahr­größtem Vergnügen die Erfolge der sozialistischen Mißwirtschaft her- die Assistenzärzte für die zweite Hälfte des Monats August neben tarte erhöhen. Die Fahrpreise sind dann folgende: Bis zum auszulesen. Hier und in den anderen städtischen und freier Station noch rund 66 Millionen Mart Gehalt in bar, 5. Bahnhof 3. laffe 60 000 m., 2. Klaffe 80 000 m., für die ganze staatlichen Betrieben, die mit einem Ueberschuß an Ber - während Assistenzärzte gemeinnütziger Anstalten nur ein Drittel Strecke 3. Klasse 80 000 m., 2. Klaffe 100 000 m. Blods zu fonal arbeiten, sind die Opfer der bürgerlichen Außenpolitik unter- davon hätten. Inzwischen ist eine Vereinbarung zustande gefom- 10 Starten foften: bis zum 5. Bahnhof 3. Klaffe 500 000 m., gebracht, die Entwurzelten ,, die durch den schweren Krieg eristenzlos men, wonach die Stadt bei der Bemessung des 2. laffe 700 000 m., für die ganze Strede 3. Klasse 700 000 m., wurden, und wenn sie durch die bürgerliche Sparpolitik um diesen Pflegefages auf die gemeinnügigen Anstalten 2. Klaffe 900 000 M. Wochenkarten zu 12 Fahrten für die ganze legten Rest einer Eristenz fämen, in ihrer Not auch die gesättigten Rücksicht nimmt und ihn so hoch bemißt, daß mit einem Streden fosten: 3. Klasse 700 000 m., 2. Klaffe 900 000 m.

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Wie verteilen sich die Kosten?

Kilian.

Roman von Jakob Bührer .

Nachdem Kilian diesen Gedanken in zahlreichen noch lebendigern Bildern geschildert hatte, schloß er, jedermann mit Josef anredend, also:" Nun hab' ich aber zu deinem und meinem Glück, Josef, des Rätsels Lösung bei mir. Seht, seht!" Und er riz plötzlich den Deckel von der Schachtel, die ihm am Leibe hing, und nahm daraus einen fleinen blechernen Dreied­förper. Das ist das Ding! Das ist das Instrument! Das ist das Heil! Das ist die Lösung!" Und er erklärte lang und breit, wie man mit dem Ding um die Ecke gucken fönne. Und nun der Preis? Unter Brüdern zwanzig Franken. Ihr aber sollt es haben um zehn, sieben Franken. Gehe her, drei, zwei, ein Franken, ach was, um fünfundsiebzig Rappen. Wer will's? Wer nimmt's?"

Und er schlug dreizehn Stücke der vollständig zwecklosen Dinger los an Leute, die begierig waren, um die Ece guden zu können. Darauf begann Kilian seinen Spruch von vorne: " Hoho- ho!"

3ur festgesetzten Zeit aber fehrte er ins Hotel Wild­schwein" und sang rasch seinen Bazi, worauf er wieder auf den Waisenhausplatz ging und die Umdieedeguderl anpries. Einträglich und schnell verlief ihm so der Markttag. Er fam zu feiner Besinnung. Nur, ob er den Bazzi sang oder den Marktschreier machte, lag ein ungeheurer Druck auf ihm, etwas unfäglich Gemeines, ja Ekelhaftes, das in dem Augen­blick auf ihn gefallen war, als die Marutschka erklärt hatte: Ich habe angenommen."

Daran aber lag es nicht, daß sie angenommen hatte! Was ging das schließlich ihn an! Was hatte er mit der Marutschta zu tun? Nichts! Gar nichts.

Jüngst war einmal ein besoffener Fabrikant, so ein ver­fluchter Proz, zu ihnen ins Tingeltangel gekommen. Der hatte dem Bazi drei Glas Bier auf die Bühne geschickt und hatte verlangt, daß er sie in einem Zuge austrinke. Alle drei. Da­von war Kilian trunken geworden, hatte dann das weinende Elend bekommen und in dieser Stimmung die Marutschka ge­beten, sie möchte ihn mit nach Hause nehmen. Das hatte sie netan. Er hatte ihr nachher für den Tee und so weiter einen Regenschirm gekauft. Das waren ihre Beziehungen. Weiter gingen sie sich nichts an. Sie konnte doch tun und lassen, was fie wollte.

Wann wird man endlich be=

Nene Erhöhung bei der Hochbahn.

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Aber er konnte sich das zehn- und zwanzigmal vorsagen:| und riß es auf. Als ob eine Lawine niedergehe, so stürzte der Druck, die Not seines Herzens wich nicht von ihm. Und das Getöse der Aare herein. Seit zwei Tagen führte sie Hoch­als die Nacht hereinbrach, und fein Mensch mehr um die Ecken wasser und wälzte gewaltige Mogen über die nahen Schwellen. gucken wollte, stürzte er sich in den Strudel des Straßenlebens. Kilian lauschte am Fenster, den Blick aber ließ er zurück­Er wollte untertauchen in der Freude des Tages. Aber er gehen zu seinem Reichtum. Erreicht! Drei Monate war empfand das Lachen, das Leuchten der Augen, all die Luft, er auf dem Pflaster gelegen, als er von Zürich nach Bern ge­die um die Menschen war, als ein Unrecht, als eine Beleidi- tommen. Er hatte einfach nichts gefunden. Dann hatte er gung, ohne daß er sich klar wurde, warum und wieso. Er ein halbes Jahr Kohlen geschaufelt wie ein Neger! Darauf lief hinaus auf die Schüßenmatte, wo die Budenstadt einen ein halbes Jahr Steine verladen. Nie war er so taput ge­gewaltigen Lichtbogen in die Nacht baute und mit unzähligen wesen nach Feierabend, wie in diesem Jahr. Nie hatte er Geräuschen, Gegliger und Bewegung die Langweile verjagte. weniger gebraucht. Und was war ihm am Ende vom Jahr Doch hier fam Kilian vom Regen in die Traufe. Raum geblieben? Sechsunddreißig Franken! Zum Lachen. Und im hörte er ein paar Orgeltöne, so sah er sich selber am Rade zweiten Jahr, was hatte er nicht alles versucht? Zuschläger stehen und den Russen Sacharovitch in närrischer Verkleidung war er gewesen, Druckereiarbeiter, Lumpenverleser, Bauhand­auf dem Wundertheater unter dem bronzenen Riesen Volk. langer alles nichts. Nie mehr hatte er einen Menschen fennengelernt wie Mit Arbeit war nichts zu verdienen! Sacharovitch.

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Mathilde?- Freilich! O, sie war gut gewesen, nur zu ungeduldig. Was wußte er denn damals vom Leben!- Gar von der Politik!- Erst als er von ihr weg war, hatte er gemerkt, wie lieb er sie hatte. Auf feinen Brief gab sie ihm Antwort. Auf feinen. Schließlich sandte sie ihm die Ver­lobungskarte. Verlobt mit einem Warenhausangestellten! Rayonchef!- Mathilde und Sacharovitch- das wäre ein Paar geworden! So zwei Köpfe! Sacharovitch! Den Tod muß man bezwingen, zu den Sternen gehen... Das waren Ziele gewesen! Aber wie lebte er jegt?-

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Da wandelte ihn die Sehnsucht an, allein zu sein, vor den Menschen zu fliehen, und er lief nach Hause, in die" Matte" hinunter. Aber als er vor seinem Dachtämmerlein stand und nach dem Schlüssel suchte, mußte sich die Hand in der Tasche durch einen Haufen von Münzen wühlen. Darüber vergaß er feine traurige Stimmung. Haftig legte er den Riegel vor, drehte ein Licht an, das ein armseliges Wohnloch erleuchtete, fegte sich an den Tisch, leerte seine Taschen und begann das Geld in abgezählten Beiglein vor sich aufzustellen.

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Dann hatte er angefangen, sich auf den Handel zu wer fen. Hatte das Inseratenblatt der Stadt durchschnüffelt, wer etwas zu verkaufen hätte, wer etwas zu kaufen wünsche, hatte vermittelt, hatte sein Profitlein genommen, hatte zu hausieren angefangen, hatte den Viehhändlern geholfen, als Schein­käufer die Preise hinaufgetrieben und vom Mehrerlös seine Prozente eingefact, hatte dem Butter, jenem Stroh zugehalten, war des Nachts im Tingeltangel beschäftigt, und wenn sich eine Gelegenheit bot, mit einem Jurartikel etwas zu ver= dienen, war Kilian zur Stelle gewesen. Auf die Art, mit dem Handel, war etwas zu verdienen!

Die ersten Tausend waren beieinander. Das Schwerste lag hinter ihm. Die andern neunundneunzig Tausend waren im Handumdrehen da. Warum nicht?... Ein Steinhaus zu Solothurn

Wie die Aare toste, brüllte im Uebermaß ihrer Kraft! Welch' ein Verlangen, zu unternehmen, was es sei!- 3u vollbringen, was feiner vollbracht!- 3u erschaffen, was nie mehr zerstört werden kann!

Sacharovitch!

Jählings entstürzte Kilian aller Mut. Vor des Russen Auge fonnte feine Eroberung keinen Bestand haben. Auch Mathilde hätte ihn verachtet. Du bist kein wahrer Revo lutionär. Dir fehlt die Menschenliebe!"

Mit einem jähen Glanz in den Augen trat er an den Ofen und holte unter dem Tragstein hervor ein Kassabüchlein. Achthundertsiebzig Fronten." flüsterte er, Das hier dazu, und was ich noch im Wildschwein" zugut habe, macht tau- Menschenliebe? Bo war sie denn, diese Menschen­send! Erreicht! Erreicht!" liebe? Mit Arbeit war nichts zu verdienen! Mit Handel Er stemmte beide Arme auf den Tisch und starrte auf wohl! Das war der Gewinn seiner Bernerjahre. Büchlein und Münzen. Schließlich ging er nach dem Fenster! ( Fortfegung folgt.)