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Hr. 419> 40. Iahrgasg
Beilage öes vorwärts
Sonnabend, s. September 1923
Nach 35 fahren exmittiert!
Dank für lange und treue Dienste". Ms Tage liest man's in der bürgerlichen Presse, daß wir in einerschlechten Zeit" leben.Es gibt keine Treue mehr!" klagen die.Herrschaften", die sich Hausangestellte halten. Wie es manch- mal Hausangestellten ergehen kann, die in ihrer Stellung treu aus­geharrt haben, lehrt«indringlich ein uns aus Südende bekannt ge- wordenes Vorkommnis.
Venn öu mehr Lohn haben willst. Die in Südende wohnende Bankierswitwe Elisabeth Burchardt hatte für ihr großes Billengrundstück Seestr. 4 als Gärtner und zugleich Pförtner einen Angestellten, der mit seiner Frau bereits seit 1888 im Dienst der Familie Burchardt stand. Als der Krieg uns den Zusammenbruch und die Teuerung gebracht hatte, regte sich auch bei dem Gärtner der begreifliche Wunsch, mit dem Fortschreiten der Geldentwertung sein Einkommen aufgebessert zu sehen. Noch im Herbst 1922 belief sich der bare Lohn, den er neben freier Wohnung und Heizung erhielt, auf nicht mehr als 1200 Zllark pro Monat, wofür er zusammen mit seiner Frau den 5 bis 6 Morgen großen Garten in Ordnung zu halten und alle dem Pförtner obliegenden Arbeiten(z. B. Bedienung der Heizanlage, Reinigung der Treppenaufgänge, Reinigung der beträchtlichen Bürgersteigflächen vor den drei Straßenfronten des ausgedehnten Grundstücks) zu leisten hatte. Frau Burchardts Sohn, ein Bankier Dr. Kurt Burchardt, der Generalbevollmächtigter seiner Mutter war, lehnte ein« Aufbesterung des baren Lohnes ab. Als dann der Gärt- ner im Februar 1923 sein Verlangen wiederholte und eine die Ar­beitsleistung wie den Barlohn regelnde Aenderung des Vertrages vorschlug, machte Dr. Burchardt Schluß und kündigte ihm die Stelle samt Wohnung zum 1. Mai. In dem Kündigungsschreiben sagte Dr. Burchardt:Ich spreche Ihnen noch einmal mein lebhaftes Be- dauern aus, daß wir bei den bedrängten finanziellen Verhältnissen meiner Mutter auf Ihre Bedingungen nicht eingehen konnten� Zu gleicher Zeit danke ich Ihnen herzlichst für die langen und treuen Dienste, welche Sie meinem verstorbenen Vater und meiner Mutter geleistet haben." Räumungsarteil trotz wohnungsmangel. Schon im Februar hatte Dr. Burchardt sich mit dem Wohnungs- amt in Verbindung gesetzt, um zu erreichen, daß der Gärtner die Wohnung räumen könnte. Da es aber nickt sofort möglich war, anderswo eine geeignete Wohnung zu beschaffen, so antwortete der Gärtner auf die Kündigung, er werde bis auf weiteres in der alten Wohnung bleiben. Nunmehr wurde gegen das Gärtnsrehepaar, das der Familie Burchardt fast 35 Zahre hindurch treu gedient hatte und den jetzigen Dr. Burchardt von seinem 4. Lebensjahr an hatte aufwachsen sehen, zur Räumungsklage geschritten. Eine Uebcrraschung bereitete den alten Leuten der Grund, der jetzt für die Kündigung anasgeben wurde. Di« Klageschrift nahm Bezug auf den Vertrag voin September 1888 und sagt«:Der Beklagte weigert sich seit einigen Monaten, seinen Dienst- bzw. Arbeitsverpflichtungcn aus diesem Vertrag nachzukommen." Ihm sei. fügte sie hinzu,in- folgedeflen gekündigt" morden. Der Gärtner hatte, weil er in der teuren Zeit von dem geringen Barlohn nicht leben und von der Treue allein nicht satt werden konnte, bereits im Herbst 1922 mit Einwilligung der Witwe Burchardt sich anderweitig nach Arbeit um- gsta», um sein Einkommen zu steigern. Auf dem Villengrundstück arbeitete er dann nur noch«inen Tag in jeder Woche, seine Frau aber besorgte weiter die ihr obliegende Arbeit in Haus. Stall und Garten, so daß für Wohnung. Heizung und 1200 M. Monatslobn fnoch im März 1923!) sicherlich nicht zu wenig geleistet wurde. In dem Kündigungsschreiben vom 21. März sagte Dr. B. kein Wort von einer Dien st- und Arbeitsverweige- rung, sonderndankke herzlichst" für dielangen und treuen Dienste" undbedauerte lebhaft", daß er bei denbedrängten finan- zieven Verhältnissen" seiner Mutter aus die Bedingungen des Gärt- ners nicht eingehen konnte. Aber die Klageschrist vom 11. April be- hauptete, die angebliche Dienst- und Arbeitsverweigerung bestehe schonseit einigen Monaten" undinfolgedessen" Hobe er gekündigt! Ruf Sie Straße gesetzt! Das Verfahren nahm dann seinen Gang und das Gärwerehe- paar wurde zur Räumung oerurteilt. Da der Gärtner unter d-n vom Wohnunosamt ihm nachgewiesenen Wohnungen keine geeignete
fand für«ine sollte er einen Baukostenzuschuß zahlen, bei einer anderen verweigerte der Hauseigentümer den Vertragsabschluß so blieb er weiter in der alten Wohnung. Jetzt wurde sogar zur Zwangsräumung geschritten. Dem Gerichtsvollzieher schrieb noch am 1. August das Wohnungsamt Steglitz  , er möge die Leute noch etwa 14 Tage in der Wohnung belassen, da gegen jenen sich wei- gernden tmuseigentümer ein Zwangsoertrag beantragt sei. Di« Antwort des Gerichtsvollziehers lautete, daßdie Auftraggeberin keine Frist bis zur Entscheidung gibt", und er kündigt« für 7. August die Zwangsräumung an. Am 7. August wurde tatsächlich die Zwangsräumung ausgeführt. Als die Möbelauf die Straße gestellt wurden, wollt« ein herbeigerufener Schutzpolizeibeamter bei Frau Burchardt vermitteln. Er kam zurück mit der Auskunft, sie wolle höchstens die Unterbringung der Möbel im Garten zulassen. Sie blieben dann den ganzen Tag auf der Straße. In der Be- scheinigung des Gerichtsvollziehers über die Zwangsräumung wird ausdrücklich gesagt, daß die alten Leuteohne Obdach sind" und die hinausgeschafften Sachen auf der Seestraße vor dem Hause Nummer 4 stehen". Erst am Abend wurden die Möbel bei hilf- reichen Familien in der Nachbarschaft untergebracht, und die alten Leute suchten emstweilen Unterkunft bei Verwandten. * So endete der fünfunddreißigjährig« Dienst im Hause Burchardt! Reichtümer hat der noch im Frühjahr 1923 mit monatlich 1200 M. Barlohn abgespeiste Gärtner nicht sammeln können. Aber min-
bestens um eine Erfahrung reicher war er, als er das Haus Burchardt verließ.Die Treue, sie ist doch kein seerer Wahn!" singt der Dichter. Auch den Dank für lange und treue Dienste soll man nicht für leeren Wahn halten. Der alt gewordene Gärtner hat ihn schwarz auf weiß. Er kann das Dokument eingerahmt über seinem Sofa aufhängen, wenn er wieder zu einer eigenen Woh- nung kommt.
Luchwanüerung.
W/sttspsiissictitsn für Sonntag.
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Arn Anfang der Woche breitete sich ein auf dem Biscaischen Meer g-elcgcnes Hochdruckgebiet über den größten Teil Südwest- und Mitteleuropa  ? aus, während ein außerordentlich starkes atlanti­sches Tief in der Nähe von Island   auftrat. In den meisten Gegenden Deutschlands   nahmen daher zunächst die westlichen Winde und die Bewölkung allmählich ab und stiegen die Tagestomp eraturen wieder etwas höher empor, wogegen es in den Nächten sehr kühl war. Im Laufe des Dienstag bildete sich an der Südostseite des atlantischen Tiefdruckgebietes ein Teiltief aus, das mit mäßiger Geschwindigkeit nach Südskandinavien vordrang. Bei seinem Vorübergange traten längs der ganzen deutschen   Küste und an vielen Stellen des nördlichen Binnenlandes Rogenfälle ein, die sich daselbst bis Freitag vormittag öfter wiederholten und sich zugleich etwas weiter nach Süden ausdehnten. Jetzt hat sich das Tiefdruckgebiet noüdostwärts entfernt. Vom Atlantischen Ozean  ist aber bereits ein neues, sehr umfangreiches Tief nach dem Europäischen Nordmeer   gelangt, von wo es ziemlich rasch weiter ostwärts vordringen dürfte, während beinahe ganz Südwest- und Mitteleuropa   noch immer von dem Hochdruckgebiet eingenommen werden.'Ur täonnabend and Sonntag; Itaben wir daher celtwcisc keltere». in den Tagcsstnaden»> litt Ig warmes, aber sehr vcrttndcrllchcs Wetter an er­warten. Itci zieiullch frischen westlichen Winden dürfte sich der Himmel Öfter wieder stilrUer be­wölken und auch mehrmals etwa» Hegen fallen.
Vom Lehrter Hauptbahnhof   fahren wir über Finkenkrug nach Nauen  . Wir wandern nicht in die Stadt hinein, sondern in nörd- licher Richtung auf der Chaussee durch das Nauener Luch. Das Luch ist ein Teil des großen havelländischen Luchs, das sich im Zuge des Berliner   Urstromtals erstreckt. In ihm flössen die Schmelzwasser des Eises der Eiszeit zum Weltmeer ab. Auf dem südlichen User- rand dieses Tals liegt Nauen  . Der Boden des Luchs erhebt sich nur wenig über den Grundwasserspiegel, so daß im Frühjahr und nach Zeiten reichlichen Niederschlags das Luch weithin überschwemmt ist und einem See gleicht: nur die höher gelegenen Talsandstellen, wohl ehemalige Sandbänke des Urstroms, die häufig noch von Dünen bedeckt sind, bleiben trocken. Im 18. Jahrhundert wurde die Ent- Wässerung des Luchs vorgenommen. Zahlreiche kleine Cntwässe- rungsgräben wurden gezogen, die ihr Wasser zum havelländischen Hauptkanal schicken. Dieser Kanal, den wir bald überschreiten, führt von Nieder-Neuendorf an der Havel   bis Hohen-Nauen, nördlich von Rathenow  . Außerdem wurden viele Dämme angelegt, die in das Luch hineinführen. Sie sollen bei Ueberschwemmung'en die Gewalt des Wassers eindämmen und den Anwohnern ermöglichen, mit Fuhr- wert zu den Luchwiesen zu gelangen. Die weitausgedehnten Wiesen- flächen, durchzogen von Gräben und Dämmen, erinnern sehr stark an die Marschen Hollands   und Frieslands: auch die zahlreichen Vieh- Herden, die auf den grünen Auen weiden,«rinnern an die eng« Verwandtschaft dieser Landstriche mit unserem Luch. Links vom Wege ragen die hohen Masten und die Gebäude der T e l e f u n k e n- st a t i o n Nauen auf. Von hier aus werden die Zeichen und Mit- teilungen über den ganzen Erdball gesandt, nur von den Aether- wellen getragen. Der Weg führt zu einem Ausläufer des Waldes, mit dem ausgedehnte Teil« des Luchs bedeckt sind. Hier erreichen wir den Nordrand des Tales, das Ländchen Gl in. Der aus dem Slawischen stammende Name deutet darauf hin, daß hier Lehm und Ton vorhanden sind. Der Rand der Hochfläch«, der oft halbinselartig in die Talebene vorspringt, ist von einem Kranz von Ortschaften umgeben. Auch schon in vorgeschichtlicher Zeit sind derartige Stellen besiedelt worden: denn sie boten den Siedlern durch ihre auf drei Seiten von Sumvf umgebene Lag« einen natürlichen Schutz, und dann war, als äußerst wichtig, das Wasser in gut erreichbarer Nähe. Wir kommen nach Börnicke und wandern weiter, meist durch Wald, nach Staffelde. Vor der Kirche dieses Dorfes wenden wir uns links ab: bald überschreiten wir die Bahn von Nauen   nach Kremmen   und kommen schließlich an eine Weggabelung am Beginn des Waldes. Hier können wir uns linke oder rechts wenden. Als Hohlwege führen die Wegs an die Chaussee bei dem Vorwerk Dorotheenhof. An den Böschungen läßt sich sehr gut beob- achten, wie die Dünen auf den Geschiebemergel der Hochfläche auf- geweht wurden. Hier haben wir den Nordrand des Glin erreicht: vor uns dehnt sich die an dieser Stelle 6 bis 8 Kilometer breite Eben« des Rhinluchs aus. Dieses Luch liegt im Zug« des Eberswaldsr Urstromtals, das jüngeren Ursprungs ist als das Berliner  . Vom Ends des 18. bis weit in das 19. Jahrhundert hinein wurde aus dieser Ceaend Berlin   mit Brennstoff versorgt. Das etwas westlich gelegene Linum   war der Hauptsttz der Torfgräbercien. Auf großen schwarzen Kähnen, den berühmten Torfkähnen, wurde derLinumer Torf" nach Berlin   gebracht. In der Gegend des heutigen Zirkus Busch war der Anlegeplatz dieser Kähne. Von Dorotheenhof folgen wir dem am Rande des Luchs hinführenden Weg« nach Kremmen  . Just in der jetzigen Zeit, wo der Herbst schon an die Tür klopft, ist es schön, hier zu wandern. Mit mildem Schein leuchtet die Spät- sommersonne über die weiten Luchwiesen, und die Sommerfäden spinnen über den Weg. Wir erreichen Kremmen  ,«in freundliches Städtchen, das schon auf eine alte Geschichte zurückblicken kann. Es liegt am Rand« der Ho.chfläche, ebenso wie Nauen  . Von altersher führte hier ein wichtiger Uebergang über das Luch, derKremmener Damm". 1384 und 1412 kämpften hier die Märker gegen die Pommern  , mit denen sie in Fehde lagen. Durch die Stadt wandern wir zum Bahnhof und fahren nach Berlin  (Stettiner Bahnhof) zurück.(Weglänge etwa 2S Kilometer.)
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Kilian. Roman von Jakob Bührer  .
Passen Sie auf!" schrie Kilian. Eine große Welle warf sich auf das Boot. Es bäumte auf.Krach" schrie der Motor und setzte aus. Teufel!" fluchte Kilian. Was gibt's?" frug die Fremde ängstlich. Die Kuppelung kaput! Sie sind schuld!" schinipfte er. Unvermerkt war der See erregter geworden. Ein Sturm- wind schleuderte die Wasser auf und fegte nun plötzlich Regen und Riesel daher. Heftig wurde das seiner Triebkraft be- raubte Boot auf und ab geworfen. Kilian holte mit der einen Hand sich festhaltend ein Paar Ruder aus einem Verschlag. Die andern auch!" befahl sie. Können Sie denn rudern?" Vorwärts!" Gleich darauf stemmten die beiden Menschen ihre Kraft gegen die Wellen, und wie wüst das Wasser tat, wie heftig die" Rieselkörner in die Haut bissen und über den gelben Lack des Bootes tanzten, wie dumps und drohend ferne Donner grollten, das Boot schnitt durch die Wellen, und langsam schwamm das Land heran. Und einmal, als die beiden Ruderer wieder ihre Kraft ausgegeben und sich weit zurückgebogen hatten, wandte sich die Fremde zu dem hinter ihr sitzenden Kilian und glänzte ihn aus frohen Augen an:Nicht wahr, es geht!" Er lachte und nickte._. Sie fügte bei:Zu zweien geht es! Geht es leichter!" Er wiederholte in seinem Herzen:Zu zweien geht es!" Nach einer Weile bog sie sich aufs neue zurück und frug: Hätten Sie Lust monatlich tausend Franken zu verdienen?" Ihm entfuhr:Für tausend Franken im Monat laste ich mir jeden Tag einen Schnitt ins Sitzfleisch machen. Aber sie verstand ihn nicht und auf ihre Frage wieder- holte er:Sie scherzen bloß" Im Ernst, ich habe Ihnen das Amt eines Türhüters anzubieten. Eines Türhüters in einem geheimen Spielklub, einer Spielhölle, wenn Sie so wollen. Schließlich muß heute auch der Anarchismus Geld haben, wenn er etwas er- reichen will. Verstehen Sie? Sie haben dreimal in der Woche von elf Uhr nachts bis zwei Uhr morgens hinter einer
Türe zu stehen und den Einlaßbegehrenden ein Paßwort ab- zunehmen. Weiter nichts. Sollten Sie bei einer allfälligen Aufhebung der Spielhölle verhaftet werden, so kann Ihnen nichts geschehen, da Sie vom ganzen Betriebe nichts wissen. Solange Sie mir Türhüter sind, sowieso nicht! Wenn Sie sich jedoch bewähren, können Sie auch Croupier oder gar Falschspieler werden mit fünf bis zehntausend Franken pro Monat." Fünf bis zehntau..." Kilian brachte das Maul nicht mehr zu. Das einzige, was von Ihnen verlangt wird," sagte die Dame, da sie auf Favres Floß zulenkten,ist schweigen. Haben Sie dies einmal gelobt, so würden Sie bei dem ge- ringsten Verrat unbarmherzig vergiftet. Doch können Sie den Posten jederzeit verlassen. Rur   müssen Sie auch nachher noch schweigen. Doch da sind wir." Die Landung verursachte bei dem bewegten Master einige Mühe. Frau Favre saß mürrisch in dem Boots- Häuschen. Wütend nahm sie der Fremden das Geld für die Fahrt ab und schimpfte Kilian heftig aus. Der aber hörte nichts. Selbst als ein Donnerschlag siel, so laut, als sei die Erde mitten entzwei gegangen, schaute er kaum auf. Ehe eine Woche verstrich, war Kilian Türhüter im Hotel Mon Repos, in einem der schönsten Villenquartiere in Genf  . Durch eine Karte war er angewiesen worden, in einem vor- nehmen Kaufhaus eine Livree zu probieren, und nun stand er elegant und vornehm dreimal wöchentlich unter einem gelb- verhängten Licht hinter einer schweren Eichentüre und war- tete, bis jemand läutete. Dann öffnete er ein handgroßes Fensterchen und frug:-Sie wünschen?" Worauf etwa die Antwort kam:Ist hier heute abend der Marquis d'Estour- nelle zu Gast?" Kilian hatte dann zu antworten:Gewiß, mein Herr!", zu öffnen, einen kleinen Bückling zu machen und die Herrschasten an sich vorbeigehen zu lassen. Dafür be- kam er tausend Franken im Monat! Und dabei hatte er Aus- ficht, fünftau....* i t Aber nach sechs Monaten war er noch Türhüter im Hotel Monrepos und auch noch Schiffsknecht bei der Firma Bern- hard Favre. Vom Gelximnis des Hotels wußte er kaum mehr als am ersten Tag. Er war bisher nie über das Treppenhaus hinausgekommen und hatte nur mit dem Diener, der im Empfangsraum wartete, und der ihn jeweils über das Paßwort instruierte, hin und wieder einen Gruß gewechselt; sonst hatte er noch mit niemand in dem Haus ge-
sprachen. Die schöne Frau sah er fast jeden Abend, an dem er zu stehen hatte. Sie ging an ihm vorbei und grüßte ihn jedesmal mit einem warmen Lächeln, aber nie mit einem Wort. Er aber dachte Tag und Nacht an sie. Und das Ver- langen, ihr sich zu nähern, wuchs und wuchs und wurde zur Qual. Deshalb freuten ihn die großen Summen, die er regel- mäßig an jedem Monatsends erhielt, nur so nebenbei. Aber er legte sie doch geizig auf die Bank und dazu viel von den Trinkgeldern, die ihm zugesteckt wurden. Der Weg zu der schönen Frau aber führte offenbar durch ganz andere Gefilde, als die des Reichstums. Regelmäßig gingen ihm in verschlostenen Sendungen allerhand Schriften zu, die sich alle mit dem Umsturz der Gesellschaft befaßten. Es war keine Frage, daß diese Sendungen mit seinem Tür- Hüteramt in Beziehung standen, und daß sie ihm durch Ver- mittlung der Fremden zukamen. Mit Leidenschaft warf er sich auf diese Schriften, aber jedesmal kam beim Lesen«ine unerklärliche Unruhe über ihn, als tue er etwas Unrechtes, ein Gefühl befchlich ihn, als verkehre er mit einem Menschen. von dem man fürchtet, er werde einen eines Tages miß- brauchen, und er mache einem deshalb heimlicherweis« ein 3E für ein U vor. In seinen Zweifeln lenkte er oft bei Märe Iuliett« das Gespräch auf die eine oder andere in den Schriften beban- delte Frage. Aber sie gerieten jedesmal in die schärfste Mei- nungsoerschiedenheit. Kilian vertrat, so gut er es verstand, den Standpunkt der Umsturzschriften, und der war, überall, wo es sich um die Durchführung der neuen Gedanken han- delte, immer der Standpunkt der Gewalt. Diese Gewalt je- doch lehnte Märe Iuliette unter allen Umständen ab, so sehr sie in den Endzielen mit Kilian, das heißt mit den von ihm zitierten Schriften, im Einklang war. Da Kilians Weisheit ziemlich rasch zu Ende ging und ihm zudem Märe Iuliettes Gründe durchaus einleuchteten, ja. seinem eigenen Empfinden entsprachen, so wurde er jedesmal und sehr bald heftig: denn es war ihm nicht damit gedient, den Standpunkt der Schriften widerlegt zu sehen. Denn damit entfernte er sich nur von ihnen und damit ostenbar auch von der Denkart der Frem- den. So blieb Kilian jeweils nichts anderes übrig, als Märe Iuliette anzuschreien, wütend davonzulaufen, sich mit er- neutem Eifer auf die Schriften zu werfen und nach neuen Gründen zu suchen, die seine eigenen heimlichen und imklaren und Märe Iuliettes offene und gerade Gedanken endgültig