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Regierung, die als N a'ii) fdlge?,n der gegert« w ä r t i g c n in Betracht käme? Die Auflösung der gegenwärtigen Regierung, in diesem Augenblick würde einen Zustand der Verwirrung schaffen, in dem weder eine diplv- matische Beendigung des Ruhrkonflikts, noch eine Währungs- reform möglich wäre. Der Bestand des Reiches selbst wäre in Frage gestellt. Und in dem Chaos, das dann ausbräche, würde die Arbeiterschaft nichts zu erben haben, als neue entsetzliche Opfer und vermehrtes Elend. Von einem Zustand der An- archie hat niemand etwas Gutes zu erwarten, als die am besten bewaffneten Fäuste und die stärksten, die skrupellosesten kapitalistischen Haifische. Wenn wir also sagen, daß der Bestand der gegenwärtigen Regierung bis auf weiteres eine Norwendigkeit ist, so sagen wir das nicht nur den Parteigenossen, die anderer Meinung sind, sondern auch den bürgerlichen Parteien. Es geht nicht an, daß die Dinge auf den Kopf gestellt werden, indem man von erreichten und überschrittenen F r i e d e n s l ö h n e n der Arbeiter spricht, während jede mühsam errungene Aufbesse- rung durch den Marksturz des nächsten Tages wieder mehr als wettgemacht wird. Es geht nicht an, daß der Slcht- st u n d e Vi t a g angetastet und einer uaüercrnährten Arbeiter- schcrft die Gefahr der Ueberarbeit nahegerückt wird. Es geht nicht an, daß Unternehmer ohne alleräußerste Not der Parole der Produktionssteigerung Hohn antun, indem sie Kurzarbeit einführen oder ihre Betriebe schließen. Wenn die Arbeiter- schaft durch ihre Vertreter im Reichstag und der Regierung ihr Verantwortungsgefühl gegenüber der Volks- gcsamtheU betätigt, so kann von der anderen Seite mit Fug und Recht dasselbe gefordert werden. Und wenn die Ve- sitzenden nicht erkennen, daß nur durch schwere Opfer der Ausbruch des Chaos verhütet werden kann, so tragen sie für seinen Ausbruch die Verantwortung! Der Sozialdemokratischen Partei fällt es also durch- aus nicht ein, auf das, was sie für notwendig hält, zu verzichten. Sie wird es im Gegenteil auf jede Konsequenz hin vertreten. Sie wird sich nicht zu einem Anhängsel der bürgerlichen Parteien degradieren aus Angst vor dem, was kommen könnte, wann die gegenwärtige Regierung auf- hören mühte, die Geschäfts des Reiches weiterzuführen. Aber in einen Konflikt von unabsehbaren Folgen kann sie sich auch nicht einlassen, ohne daß die KampfposiUonen scharf ab- gegrenzt und die Verantwortungen klar verteilt sind. Ohne äußerste Rot einen solchen Konflikt zu eröffnen, wäre ein Verbrechen am deutschen Volk, nicht zuletzt an der deutschen Arbeiterklasse, lind da gebietet die Gerechtigkeit zu sagen, daß ein derartiger Konflikt in der gegenwärtigen Regierung nicht auch nicht einmal in seinen Anfängen zu erkennen ist. Man nenne eine Forderung, die notwendig, zweck- mäßig und erfüllbar ist, deren Anerkennung aber von den bürgerlichen Teilhabern an der Regierung grundsätzlich verweigert wird, eine Forderung von solcher Bedeutung, von solcher Volkstümlichkeit, daß die Sozialdemokratie mit ihrer Nichterfüllung ihren Austritt aus der Regierung rechtfertigen könntel Erst wenn über eine solche Forderung Einigkeit in der Partei erzielt und es klar geworden ist. daß sich die bür- gerlichen Parteien ihrer Erfüllung widersetzen, erst dann wird sich die Sozialdemokratie der Mitverantwortung entziehen körnien, ohne sich mit noch schwererer Verantwortung zu be- lasten. Aus der Zeit des Obrigkeitsstaates haben wir den Ruf: Fortmitdiesem oder jenem I" übernommen. Fort mit diesem Mann! Fort mit dieser Regierung! Fortmitdiesem System! Aber in der Zeit der Demokratie sind wir auch mit- verantwortlich für das, was danach kommt. Stattfort mit...!" wäre es besser, heutzutageher mit.. zu rufen. Aber freilich muß dieser Ruf dann auch Sinn und Per- stand haben, er darf nicht lauten:Her mit der Arbeiter- und Baucrnregierung!"Her mit der R e g i e r u n g d e s M o n- des!" wie bei den Kommunisten.

Angesichts der gegebenen.Machtverhältnisse ist dke gegen- wärtige deutsche Reichsregierung in diesem Augenblick und für die nächste absehbare Zukunft die einzige politische Möglichkeit. Es ist die Aufgabe der Sozialdemokratie, in ihr die Interessen der breiten schaffenden und unendlich schwer leidenden Volks- maffen tatkräftig zu vertreten, den Knäuel der auswärtigen Politik zu entwirren, die Republik und ihre Einheit zu erhalten, die Staatswirtschaft zur Gesundung führen und damit die Vorbedingungen zu schaffen, auf deren Grundlage wieder ein besseres Dasein und der Aufstieg zu höheren Fonnen mensch- lichcr Gemeinschaft möglich sein wird. Aus dem Trümmer- Haufen des Weltkrieges kann der Tempel des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus nicht an einem Tage gebaut werden. Das ist nur in zäher Pionierarbeit zu erreichen. Kraft und Entschlossenheit ist dazu notwendig, aber auch klare Ein- ficht in gegebene Möglichkeiten und was am schwersten auszubringen ist trotzalledem: auch Geduld! eine Antwort. Nicht Krieg gegen Frankreich , sondern Bürgerkrieg. Wir haben in den letzten Togen des öfteren daraus hm- gewiesen, in welche Verlegenheit die Deutschnationalen über die Frage gerieten, wie sie stch ein aktives Vorgehen gegen Frankreich vorstellen. Dieselben Herrschaften, die soeben noch die Einberufung des Reichstags verlangt und ein furchtbares Geschrei über die Geh e i m d i p l o m a t i e er- hoben hatten, verschanzten sich, ernstlich zur Rede gestellt, plötz- lich hinter das Gebot der Verschwiegenheit aus vater- ländischem und staatsmännischem Interesse. Es ist deshalb be- griißenswert. wenn der Balte Schilling in derDeutschen Zeitung" nunmehr einen Zipfel des Geheimnisses lüftet. Er schreibt in einerTatbereit und kühl entschlossen" titulierten Wochenbetrachtung über das Problem eines Freiheit s- krieges und gelangt bei dieser Gelegenheit zu folgender be- merkenswerten These: Geschähe aber auch das Unmögliche, und die international« Solidarität bzw. eine andere gütige Fee schenkt« uns die äußere! Freiheit und Lsbcnsmöglichkeit, wir müßten uns dann erst auch noch di« innere seelische Freiheit wiedergewinnen, um wirklich zu gesunden. Das marxistische Joch der Gewerkschaften muß von uns g«- n o m m e n werden, es ist unerträglich und macht aus aufrechten Männern feige, faule Sklaven. Wie wollen dieKalt- blütigen" das friedlich' zuwege bring en?" Da man keinem Dcutschnationalen und Deutschvölkisch-n zumuten kann, daß er im Ernst an die Möglichkeit einer be- waffncten Auseinandersetzung mit Frankreich in diesem Augen- blick glaubt, bleibt also von dem Kampfprogramm der Völ- kischcn, wie es Schilling so überaus offen auseinandersetzt, nur! der zweite Teil übrig, der bewaffnete Kampf gegen die Gewerkschaften, also gegen die organisierte Arbeiterschaft Danach sind allerdings die etwas mysteriösen Andeutungen der deutschnationalen und deutsch - völkischen Presse, in denen es hieß, man solle den bewaffneten Aufstand nur erst einmal wagen, dann werde sich alles finden, verständlich, und es ist nun auch erklärlich, weshalb man sich im völkischen Lager über die Frage nach den Mitteln zum Freiheits "-Kampf kein Kopfzerbrechen macht. Erklärlich wird es damit ferner, daß die Herren Reventlow und Genossen seit einiger Zeit ihr warmes Herz für die Kommunisten ent- deckt haben. Der Spaltpilz in der Arbeiterschaft soll den ,.Freiheits"-Kampf erleichtern. Man hat demnach allen Grund, Schilling für die kühleEntschlossenheit, mit der er die schöne Seele der angeblich deutsch und national Gesinnten offenbort, dankbar zu sein. Er wird später einmal Gelegenheit haben. Betrachtungen über den Kampf mit der verpaßten Gelegnheit anzustellen. * Im Zusammenhang mit der offenen Erklärung derDeutschen Zeitung" ist eins Rede des Vorsitzenden der Deutschnationalen Partei H e r g t bemerkenswert, die er auf dem S. Derbandstag des Landes-

Verbandes MeckkenLurg-Schwerin hiev. Ms Antwort auf die vi« Fragen derNationalliberalen Korrespondenz" erklärte ex, die Deutschnationalc Partei halt: zwar eine machtpolitische Lösung des Ruhrkonflikts für möglich, das heiße aber nicht, daß sie einen Krieg mit Frankreich wünsche; man solle hingegen Frankreich vor das Risiko stellen, weiter in Deutschland vorzudringen und es werde sich zeigen, daß es� dieses Risiko nicht eingehe. Das sagt derselbe.sterr Hergt, der im Kriege prophezeite, die Amerikaner könnten weder fliegen noch schwimmen, das sagt der Führer jener Partei, die vor dem Einbruch in das Ruhrgebiet immer wieder behauptete, vor die Wahl gestellt, werde Frankreich das Risiko eines Einmarsches nicht wagen Wenn man bedenkt, daß dieselben Deutschnatioialen noch vor einigen Tagen zum Krieg mit Frankreich hetzten, so wirkt diese Antwort auf die Fragen kläglich. Sie ist geradezu eine Ohrfeige für die deutschoölkische und deutschnationale Presse. Um so anmaßender wirkt es, wenn H-:rgt im weiteren Verfolg seiner Rede für den Fall eines Scheiterns der Verhandlungen mit Frankreich die Uebernahme der Regierung durch die Deutschnationale Partei ankündigt. Vergleicht man diese Ankündigung mit den Auseinandersetzungen derDeutschen Zeitung", so gewinnt man den Eindruck, daß man in gewissen Kreisen der Völkischen die außenpolitischen Verwicklungen aus inncrpolitischen Gründen begrüßt._ �110 öer üeutschvoikischen Werkstatt. Bereinigung ,jTatbsreitschaft". Zum Verbot der Königsberger VereinigungTatbereit- schaft" und dem mit ihr in Verbindung stehenden Wander-und Schützenvcrein für Ostpreußen wird bekannt: Nach den von der Königsberger Polizeibehörde getroffenen Er» Mittelungen war die von dem Landwirt Erich E r d m a n n in Königsberg gegründete und geleitet«Tatbereitschaft" eine Ver- einigung junger Leute, deren Dasein vor der StaatsrcgierunZ geheim gehalten werden sollte. Bei der Aufnahm« nducr Mitglieder wurde der Versammlungsraum durch ausgestellte Posten vor dem Zutritt Unberufener gesichert. Bei der Vereidigung mußte das neu aus- zunehmend« Mitglied sich verpflichten, den Anordnungen derTat- bcretsschaft" durch Einsatz seines Lebens und seiner Person, ohne Rückficht ans seine Familie, Vermögen, Hab und Gut Folg« zu leisten und gehorsame Verschwiegenheit geloben, auch muht« er erklären, sich der Folgen bewußt zu sein, die ihn bei einem Verrat zu t offen hätten. Aus den beschlagnahmten Papieren ergibt sich ferner, daß die Vereinigung die Bestrebung ver- folgte, die verfassungsmäßig festgestellte republikanische Staatsform des Reiches und Preußens zu untergroben und an deren Stelle die deutsch -völkisch- nationale Militärdlklatur zu setzen. DieTatbercitschast" verfügte auch über Waffen. Unter. richt cnn Gewehr und Maschinengewehr fand in den Privat- Wohnungen der Mitglieder, Uebungen in Griffen, Lagen, Anschlagen und Zielen mit Gewehren auf den Schießständen der Fridner Forst statt. Auch wurden Waffen, darunter ein schweres Ma f ch! n e n- g« w e h r, bei den Mitgliedern vorgefunden und beschlagnahmt. Der'mit dieser Vereinigung in Verbindung stehendeWandcr- und Schützenverein" verfolgt« nach dem Ergebnis der Ermittlung die gleichen Ziele, insbesondere die wasfentechnische Ausbildung feiner Midgüeder.'_ die Devisen üem Staat! Nach Mitteilung des Landeisinanzamtes Leipzig ging man in den letzten Wochen in Leipzig dem wilden Handel mit De­visen und Noten tatkräftig zu Leibe:'dabei konnten an'- ländische Zahlungsmittel im Werte von mehr als einundoi»- halb Billionen Mark beschlagnahmt werden. In Leipziger großen Hotels wurden bei Angestellten Devisen und Noten in Höhe von 150 Milliarden Mark beschlagnabmt. In einem Bankgeschäft sührten die Ermittelungen ztirAujdeckung groß- angelegter Steuerhinterziehungen und unerlanütcr Devisengeschäfte.

Veredelung. Bon Karl Fischer. Weißt du, was Herrenabende sind, lieber Leser? Nein, davon hast du keine Ahnung, weil du niemals zur Elite und Oberschicht gehört host, allwo es der gute Ton, der bekanntlich immer nur ein Monopol der Menschen der oberen Zehntausend war, verlangte, daß man sich in jedem Winter an mindestens einem Herrenabond beteiligte. Zu diesen Herrenabenden, bei denen Frauen unter keinen Um- ständen zugelassen waren, zogen die bevorzugten Vertreter der edlen Männlichkeit den Smoking an, die strahlend steife Oberhemdbrust mit Brillantknöpfen geziert, und überhaupt ging es dabei sehr zwang. los zu. Man rauchte dicke Zigarren, verzapft« Witze, über die ein Standbild aus Stein rot werden konnte, soff Wein und Liköre und betrug sich auch sonst wie ein Schwein, wie es eben die Kultur der bevorzugtni Klasse mit sich brachte. So, lieber Leser, nun weißt du was Herrenabende waren, und du denkst gewiß erleichtert: Gott sei dank, solche Saufereien(der Setzer kann sich hier übrigens seelenruhig vertippen und Sauereien sagen!) sind wir jetzt los, und du glaubst, heute sausen Männer und Frauen der bevorzugten Klasse zusammen. Ach, lieber Leser, wenn du so denkst, bist du in einem bedauer- lichen Irrtum befangen. Nein, nein, diese Kreise halten durchaus auf Distanz! Herrenabende gibt es heute noch, aber, und das muß uns in unserer Trauer trösten, sie sind veredelt. Diese wertvolle Wissenschaft verdanken wir dem illustrierten Modcnspiegcl, der allwöchentlich einem großen Berliner dcmokra- tischen Blatt beiliegt und dort auch gewiß am Platze ist, wo man stch täglich ringend bemüht, die soziale Frage zu lösen. Mode ist halt eben alles, und modern sein heißt die Parole. In diesem Modenspiegel, der in jeder Nummer wunderbar be- lebende und belehrende Bilder bringt von den modernsten Mänteln, Kleidern und Kostümen, die alle in so bescheidener Aufmachung und Ausstattung sind, daß sie nur von den Maitressen der Schieber und Devifenhamster umgehängt werden können, in diesem so sozial empfindenden Modcnspicgel besingt ein Dichter die Herrenabende von heute. Und es ist wirklich ein großer und gottbegnadeter Dichter, der liebliche Sohn von Schmock und der leibliche Bruder von Karlchen Mießnick. Also spricht dieser Dichter:Es ist schon möglich, daß«ine Frau und sogar bisweilen ein Mann nicht begreifen kann, daß ein Herren- abend, Männer unter sich, eine beispiellose Ausspannung und ein gesellschaftliches Vergnügen ohnegleichen ist. Trotz aller Gespräche, trotz Börse und Devisen, trotz des Qualms von Zigaretten und Zi- garren ist die Atmc�phifte im Raum angefüllt mit Rul)«, Behagen

und Freundlichkeit. Es ist ein fester, gerader, unneroöser, un- gereizter Ton an solchen Abenden. Uninaskicrt und gelöst laufen die Witze, und wenn sie bisweisen fürchterlich sind, was macht es aus! Zigarettenqualm und Liköre, braun«, blaue, grüne, gelbe dabei werden sie alle gute Menschen. Daß sie nachher zusammen an einem Bartisch sitzen, daß plötzlich da nur Damen willkommen sind, das ist kein Widerspruch." ... Dabei werden sie alle gut« Menschen I Beredelung durch die Herrenabende I Wenn man wissen will, was sich ziemt, so soll man hei edlen Frauen anfragen, sagt Goethe, und darum geht man nach dem Herrenabend in eine Bar, wo nur Damen willkommen sind, wie der Dichter des Modenspiegels so anmutig und anschaulich schreibt, und plaudert zwanglos, natürlich ganz zwanglos, mit den Bardamen. Das ist die Veredelung in der Vollendung. Und wenn diese prächtigen Herren der Schöpfung, ganz ver- edelt, die Bar verlassen um die Polizeistunde kümmern sich na- türlich solche Edelgewächs« nicht, dann stehen wohl schon die ersten Frauen auf der Straße und warten, daß die Nolljalousten des Mar- garineladens in die Höhe rattern. Wer aber wollte unter solchen Umständen an der Veredelung zweifeln!(Wenn sich hier nur nicht, mein Gott, mein Gott, der Setzer abermals vergreift und Verelendung tippt!)

Hinkematm'. Tragödie in drei Akten von Ernst Toller . l Im Alten Theater i» Leipzig fand auf Wunsch des Ar- beiterbildungsinstituts die Uraufführung der neuesten Tragödie des immer noch in der bayerischen Festung Niederschönen- selb gefangen sitzenden Ernst Toller statt. Sie wurde zu einem außerordentlichen Erfolg um es gleich vorweg zu sagen. Zu einem Erfolg und zu einer Ueberraschung sowohl für die, welche dem gefangenen Revolutionär feindlich, wie für di«, welche ihm freundlich gegenüberstehen. Eine Ueberraschung aber auch für jene, die Tollers literarische Art aus seinen früheren Werken kennen, durch die entschieden realistische Gestaltung eines Einzelschicksals. .Ei» ganz absonderliches Problem wird zum Thema des Stückes. Dem Arbeiter Hinkemann hat im Krieg ein feindlicher Schuß dos Geschlecht entrissen. Nun bangt er um die Anhänglichkeit nicht Liebe seiner Frau. Um sie zu erhalten, ist er zu jeder Demut!- gung bereit. Er läßt sogar seinen riesigen, aufgeschwemmten Kör- per von einem �chaubudenbesitzar dazu mißbrauchen, als Sinnbild deutscher Kraft ausgestellt zu werden, wobei Hinkemann noch Ratten und Mäusen die Kehl « zu durchbeißen hat.(DasBolk" will Blut sehcn.) Doch er wird von der Frau betrogen, er glaubt sich sogar von ihr verlacht, sieht sich von allen Genossen wegen seines Go- brechen« verspottet. Im bricht darüber alles Vertrauen in die Menschen zusammen, die Augen geizen ihm auf. Er erkennt, daß er mir seinem Leiden nicht in die harte Welr der Gesunde» paßt, daß ihm nichts und niemand helfen kann. So scheidet er freiwillig aus dem Leben. Dieses Thema des Kastraten wird in einer Weise behandelt, daß

irgendwie schlüpfrige Gedanken auch nicht im entferntesten aufkam- men. Es gibt die Möglichkeit, einen Menschen darzustellen, der unheilbar leidet und dabei nach außen de» Anschein d:s Gesunden erweckt, so daß cr'in seinem Leid, das er keinem sagen darf, ohne seelisch mißhandelt zu werden, ganz allein, ganz verlassen dasteht. Toller ist ein Autor, der ganz in den Gedankengängen und Problemen der Arbeiterbewegung steht. Ein Dramatiker des Pro- letariats. Auch die TragödieHinkemann" spielt in den Kreisen de? Arbeiterschaft. Aber Toller ist kein Dickster irgendeiner Partei. Ohne Brille, ohne Boreingenomnienheit zeichnet er lebens- wahr« Figuren und Typen der Arbeiterbewegung, wie die Er- fahrung des wirklichen Lebens sie kennt. Bittere Wahrheiten wer- den dabei den Arbeiter» gesagt. Doch sie werden als Wahrheiten hingenommen, so stark ist die«indringliche, verlebendigende straft des Dichters. Der leidende, enttäuschte Vroleiarier Hinkemann wächst weit hinaus über die Grenzen von Partei und Klasse. Der Dichter steigert ihn zu dem leidenden Mensche» schlechthin. Und das Schicksal des in Qualen sich windenden Menschen erschüttert den Arbeiter und Bürger in gleichem Maße. Hinkcmann" ist die Frucht grübelnder Einsamkeit und bitterer Erkenntnis von 4 Iahren Gefangenschaft. Im Hinkemann wird die Grenze aller Glückmögiichkeiten durch äußere Einrichtungen auf- gezeigt. Und wieder klingt den Arbeitenden in die Ohren: Ihr müßt anders werden, wenn Ihr eine andere Gesellschaft schaffen wollt! Im Innern seid Ihr noch verkappte Bomgeois. Ein Stück voll von tiefem Pessimismus ist diese TragödieHinkemann", aber doch kein Stück endgültiger Resignation. In allen seinen Dramen hält Toller der Gesellschaft einen Spiegel vor, in allen klagt er an. Von der«infamen Zelle aus schaut er der modernen Zeit ins Herz, überblickt er ihr Treiben. So zieht er in der Straßenszene einen Ouerschniit der Zeitkuitur. Er ist ver- nichtend. In dieser Szene ringt sich der Expressionismus durch, dessen Stimmführer Toller gewesen, von dem er sich in den Maschinenstürmern" aber schon abgewendet hat. Hier liegt die Schwierigkeit für den Regisseur des Stückes, in dem Nebeneinander von Realismus und Expressionismus, das diesmal ein anderes ist als das regelmäßige Wechseln einer realistischen mit einer visionären Szene inMasse Mensch ". In der Leipziger Uraufführung kamen diese Szenen nicht sehr stark heraus. �Erschütternd wirkten dagegen alle jene Szenen, die sich auf das isehicksal des leidenden Individuums konzentrieren, in denen man in Hinkcmann nichts sieht als die arme gequälte Kreatur jenseits aller Programme und Klassen. Die Uraufführung wurde geleitet vom Direktor des Leipziger Alten Theaters Dr. Alwin K r o n a che r. Ihm gebührt ein Teil des großen Erfolges. Ausschlaggebend für den Erfolg der Aufführung ist die Darstellung Hinkemanns. Diese Rolle stellt on de» Schauspiele? die größten Anforderungen. Zu einer bcfriedi- genden Leistung dürfen sich an sie nur die allerersten Kräfte wagen. In W. Eng st vom Alten Theater fand sie einen guten, einen packenden Interpreten. Die anderen Rollen verschwinden neben Hinkcmann. Am Schlüsse dankte Dr. Alwin Kronacher für den nicht enden wollenden Beifall an Stelle des Dichters, für den vergeblich ein Urlaubsgesuch gemacht worden war. und dem es bis jetzt noch nicht vergönnt war, auch nur eines seiner Stücke auf der Bühne zu sehen Valtin Hartig.