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Nr. 447 4S.�ahrgaag

Seilage öes vorwärts

Dienstag, 25. September 1425

Unsere Mbeiter-Silöungssthule.

In viel größerem Umfange als früher sind in den letzten Jahren, etwa feit 1919, die Fragen der Volksbildung und besonders die der Bildung Erwachsener in den Vordergrund gerückt. Ein« Volks- bildungsbewsgung von umfangreicher Ausdehnung entstand, und Be- rufene wie Unberufene, die letzteren leider in her Mehrzahl, brauten ihre Zaubertränklein, um unser Volk innerlich glücklich zu machen und' sittlich zu heben. Man klagt über Versall von Moral und Sitte und sucht diesen durch allerhand Sprüchlein zu bannen. Dabei wird übersehen, daß wahre Sittlichkeit nur auf dem Boden einer Gesellschaftsordnung er- wqchsen kann, die sich von der heutigen grundlegend unterscheidet. Schaffen wir gesellschaftliche Zustände, worin kein Boden für die Entwicklung von Unmoral ist, sättigen wir die Menschen, kleiden wir sie warm und geben wir ihnen Wohnungen voll Sonne, Licht und Wärme, und der größte Teil der Menschheit wird sittlich sein. Es ist eine oberflächliche Betrachtungsweise der bürgerlichen Volks- erzieher, wenn sie den Menschen bessern und erziehen wollen, ohne gleichzeitig all« Kraft daran zu setzen, ihn auch materiell auf den Boden einer gesunden Gesellschaftsordnung zu führen. Im schärfsten Gegensatz zu dieser steht unsere Auffassung. Für uns ist das Wichtigste, die ganze Verworfenheit und Unmoral der kapita- listischen Gesellschaftsordnung aufzuzeigen. Solange die Menschen in ihrem Erdreich wurzeln, werden sich in großer Zahl kranke Blüten und taub« Früchte entwickeln. Deshalb steht unsere geistige Arbeit in engstem Zusammenhang mit den wirtschaftlichen und poli- Aschen Kämpfen. Dies« Erkenntnis brachte uns dazu, die Bildungs- arbeit für das Proletariat selbst zu organisieren und die Kraft des Klassenkampfes zu steigern durch theoretisch« Schulung und plan- mäßig: Einführung in den wissenschaftlichen Sozialismus. Für uns ist die Bildungsarbeit«in Problem derMassen- b i l d u n g. Alle Menschen sollen in«in geistiges Verhältnis zu den Gesamtergebnissen der Kultur kommen. Nicht einzelne Ueber- menschen gilt es zu züchten, die steile Höhen erklimmen und, weit über der Masse stehend, sich selbstgefällig bespiegeln, um schließlich verächtlich auf das Gehudel unter sich herabzusehen. Wir müssen eifrig nach Methoden suchen, womit wir die vielen tausend Menschen, die noch dumpf und stumpf dahinleben, erfassen und erlösen aus der geistigen Starr«. Nie trat dies« Forderung zwingender vor uns als in dieser Zeit. Die Festigung und Ausdehnung republikanisch- demokratischer Staats- und Wirtschaftsformen hängt wefenttich ab von der Hebung des geistigen Niveaus der Gesamtheit. Wir müssen alle ins Licht bewußter Erkenntnis führen, nur dann werden sie die Verantwortung tragen können und sich der Pflichten bewußt sein, wozu Demokratie und Sozialismus zwingen. Zwischen Volk und Führer muß tiefstes Vertrauen herrschen. Volk und Führer müssen ein« sich gegenseitig befruchtend« Gemeinschaft der Arbeit sein, in der alle, von der höchsten Spitze bis zum lebten Glied, je nach Können und Vermögen, mit ganzer Kraft voll Freude und Hingab« am Werke schaffen. Eine Volksbildung und Erziehung,.die dieses Ziel erstrebt, darf sich nicht in den Dienst der heute herrschenden Klasse stellen, sondern . muß scbarf und bewußt einen Trennungsstrich zwischen sich und den bürgerlichen Volksbildunqseinrichtungen ziehen, welche unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Obsektivität bisher immer eine Beein- flussung der Massen für ihr« Zwecke versucht haben. Zum Teufel mit der verfluchten Objektivität! Wenn die Verpflichtung dazu über­haupt ehrlich gehalten wird, so führt sie im günstigsten Falle zur Oberflächlichkeit und formalen Wissensvermittlung. Denn wer ffr.gsi'ich Objektivität hütet, ver birgt das Beste, was er zu geben hat, sein Inneres, seine selbsterarbeitete, schöpferische Kraft, und nur dies: Kraft kann andere zu Taten wecken und zur Persönlichkeit er- ziehen. So verfolgen wir unter bewußter Ablehnung der Neu- tralitätssaselei den ganz bestimmten Zweck, unsere Anhänger zu klaren Kämpfern für die Ziel« der modernen Arbeiterbewegung zu erziehen. Zu dem Gefühl solidarischer Verbundenheit mit seinen Klasien- genossen wollen wir jedem die wisienschaftlich begründete Ueber- zeugung bringen, daß der Klassenkampf zum Sieg des Sozialismus führt. Daneben wollen wir eigene und fremde Einrichtungen, die den Arbeiter zu einer umfassenden Allgemeinbildung führen, tat- kräftig fördern und unterstützen. Viel ist zur organisierten und ein- heitlichcn Durchführung der proletarischen Bildungsarbeit bisher schon geschehen, aber viel mehr bleibt noch zu tun. Di« unsinnige Zersplitterung und Vielgestaltigkeit im organisatorischen Aufbau unserer gesamten Bildungseinrichtungen in den Bezirken und Län- dern muß beseitigt werden. Alles, was die einzelnen Gruppen des Weltproletariats bisl>er in der Volksbildung geleistet haben, ist«in- heitlich zusammenzufasien und fest zu verbinden zu einer Jnter-

nationale des geistigen Klassenkampfes, die sich vollwertig neben der Internationale der Partei und Gewerkschaft aufbaut, sie ergänzt und gemeinsam mit ihnen für den Aufstieg der Proletarier aller Länder kämpft. In diesem Sinne, wenn auch in bescheidenem Umfange, beginnt dieArbeiterbildungsschule Groß- Berlin" der VSPD. im Oktober d. I. ihre 10. Arbeitsperiode nach dem Kriege. Der Lehrplan Oktober/Dezember 1923 enthält vier Arbeitsgemeinschaften und zehn Vortragsreihen. Folgende Stoff- gebiete werden behandelt: I. Arbeiksgemeinschafien: a)Aus Theorie und Praxis der modernen Arbeiterbewegung" (Redakteur Genosse Stein). b)Grundfragen der Moral"(Genosse Dr. Falkenfeld). c)Weltwirtschaftliche Fragen"(Schriftsteller Genosse Grunwald). d)Theorie und Praxis in der Bildungsarbeit(die Genosien Professor Kestenberg und Sekretär Albert Horlitz). 2. Vortragsreihen: a)Entstehung der modernen Voltswirtschaft"(Genosse Dr.Löwe). b)Die philosophischen Grundlagen des modernen Sozialismus" (Genosse Albert Horlitz). c)«Marxsche Geschichtstheorie"(Genosse Theodor Raschle). d)Entwicklungsgeschichte des Sozialismus"(Genosse Erwin Marquardt). e)Moderne Probleme des Sozialismus"(die Genossen Dr. Engelhardt und Dr. Wagner). t)Einführung in den Sozialismus"(Genosse Stadtrat Mermuth). b)Geschichte und Theorie der deutschen Arbeiterbewegung" (Redakteur Genosse Klühs). b)Wirtschaftsgeschichfe"(Genosse Bern-Meyer). i)Wirtschastsfragen der Gegenwart"'(Redakteur Genosse Saternus). Ic)Grundlagen der Verfassung in Reich, Staat und Kommune" (Genosse Stadtrat Dr. Friedländer). Die Grundgebühr beträgt für jeden Hörer 500 0<X) M. Der zu erhebende Zuschlag wird im Laufe des Quartals bekanntgegeben. Unser« Schul« hat sich im Laufe der Jahre allgemein Aner- kennung und größte Beachtung erworben. An ihrem Ausbau müssen wir rüstig schaffen und kein Opfer darf uns zu groß fein, wenn es gilt, geistige Waffen zu schmieden. Für uns ist auch die Kulturarbeit nie rastende Bewegung, immer fortwährender Kampf, und je heftiger die Funken sprühen, um so heller erleuchtet ist der Weg. _ Albert Horlitz. Klein-Ernte. Es ist immer wieder erfreulich zu sehen, was dem Sandboden durch nie oersagenden Fleiß abgerungen wird. Ließ das Frühjahr sich auch noch so schlecht an, im Herbst ist doch allerlei herausgeholt worden, das sieht man deutlich auf einer Ausstellung des Reichs- Verbandes der Kleingartenvereine Deutschlands (Bezirk Süden I), die in Kliems Festsälen in der Hasenheide stattfindet. So gewahrt man beispielsweise die prächtigsten grünen Bohnen, Kürbisse bis 55 Pfund schwer. Die schwersten Jungen tragen die Namen ihrer Besitzer eingeritzt, sowie Kohlköpfe und Kartoffeln, die man in Mustergärten nicht besser ziehen kann. Ein einziger Kohlrabi ist 7 Pfund schwer, und er hat meherere Konkurrenten, die ihm nahekommen, denn der Riesengoliath macht mehr als einmal seinem Narnen Ehre. Namen findet man überhaupt die mannig- sachsten, so gelben recht krausblättrigen Salat, derTrotzkopf" heißt. Als Seltenheiten zu dieser Jahreszeit kann man wohl Erd- beeren und Rosen ansprechen. Der Wein ist kümmerlich ge- raten und die Tomaten verschmerzen die sonnenlosen Tage nicht, sie machen ein sehr grünes Gesicht. Angesetzt aber haben sie gut; so trägt ein« Staude 163 Früchte und die andere sogar 192. Na- türlich sind auch ausgereifte Tomaten vorhanden, und die Sorte Alice Rosevelt" präsentiert sich groß und schön. Das Obst ist durch- weg verlockend und verführerisch appetitanregend, und derKaiser Alexander"(es ist ein Apfel) hat genau solch blankes Gesicht wie die sorgfältig polierten Holzedamerkäse, die in ganz Berlin in den leeren Schaufenstern der Fettwarengeschäfte stehen. Da der Lauben- kolonist seine Ernte sehr wirtschaftlich verwaltet, konserviert er viel Gemüse. Daher wurden auch Prämien für Konserven ausgesetzt. Die Preistafel ist überhaupt reich gedeckt, u. a. waren zwei Apfel-

bäumchen zu vergeben. Dabei soll gleich dem Fernerstehenden er- läutert werden, daß man gegenwärtig solch kleines Apfelbäumchen auf 340 Millionen Papiermark schätzt. Blumen sind desgleichen reichlich vertreten. Das Gartenmnt Neukölln stellt außer Wettbewerb aus. Doch, auch unter den Laubenkolonisten bildeten sich Dahlien- züchter heraus, die mit höchst beachtenswerten Ergebnissen auf- warten. Jede Da'jliensorte hat ihren Namen und sie heißen u. a. Lotti, Semiramis, Mein Schatz, eine lilafarbige Friede und eine weiße Weltfriede. Zugleich findet ein« Kleintierausstellung statt. Für diese ist augenblicklich der Zeitpunkt gerade nicht günstig, da die Tiere sich langsam ihr Winterkleid anziehen. Aber zu sehen gibt's auf jeden Fall allerhand: denn unter den ausgestellten Puten, Gänsen, Hühnern, Tauben und Kaninchen befinden sich wahre Pracht- exemplare. Ebenso machen die Jungtiere einen günstigen Eindruck. Jeder Besucher der Ausstellung aber wird den Wunsch der Klein- gärtner nach Dauerkolonien verstehen lernen, und das ist auch ein Erfolg, der nicht unterschätzt werden soll. Naturbutter aus öer Nargarinefabrik. In F ü rstenwalde, das unter der Milchtnappheit kaum weniger als die Großstädte leidet, erregte es Aufsehen, daß dieSpeisefettfabrik Rotella" große Mengen Vollmilch bezog. Das Gut Neuendorf im Sande lieferte die Milch nicht mehr an ein« Fürftenwalder Molkerei, sondern an die Fabrik Rotella, so daß für die Bevölkerung der Stadt die Milchnot noch verschärft wurde. Weil Vollmilch nicht zur Margarinefabrika- tion genommen werden darf, haben Margarinefabriken nur für Magermilch Verwendung. Die Ortspress« fragte nach dem Verbleib der Vollmilch, und die Polizei hielt es für nötig, die Fabrik näher zu besehen. Es ergab sich, daß die Fabrik Rotella die Vollmilch ent- rahmte und dann die Magermilch zur Margarinefabrikation und die Sahne zur Butterbereitung verwendete. Die Untersuchung durch die Polizei hatte zur Folge, daß fortan die Neuendorfer Milch wenigftens zur Hälfte an einen Fürftenwalder Milchhändler geliefert wird. Die ander« Hälfte aber wandert nach wie vor in die Margarinefabrik und wird dort verbuttert. Es bleibt also bei der Schädigung der nach Milch verlangenden Bevölkerung durch die Butter bereitende Margarinefabrik. Die Ab- nehmer der Butter wohnen zum Teil außerhalb Für- st e n w a l d e s, so daß für die Bewohner des Ortes nicht viel Butter drüber sein wird. Unter den Butterkunden der Margarinefabrik ist auch der Landrat Pautsch vom Kreis« Lebus , der eigentlich in seinem Wohnort, dem in nicht butterarmer Gegend gelegenen Städtchen Seelow , kaum wegen eines anderen Butterlieferanten in Verlegenheit kommen könnte. Di« Margarinefabrik ließ ihm die Butter sogar durch einen besonderen Boten überbringen, für den die Hin- und Rückfahrt zwischen Fürstenwalde und Seelow eine klein« Tagereise mit nicht geringen Kosten bedeutete. Man spricht davon, daß der Landrat auf diese Weis« all« vierzehn Tag« zwei Pfund Butter, fünf Pfund Margarine und eine Flasche Speiseöl er- halten habe. Die Bevölkerung von Fürstenwalde, das zum Macht- bereich des Landrats von Lebus gehört, wäre besser daran, wenn die Vollmilch ihren immer elender werdenden Kindern«v- halten bliebe. Durch behördliche Einwirkung muß doch zu erreichen! sein, daß die Margarinefabrik ihre Butterbereitung einstellt. Iwangsverkauf von Margarine. In der Z e n t r a l m a r t t h a l l e wurden große Margarine­vorräte der FirnuZvA ßman n von Beamten der Wucherpolizei des Berliner Polizeipräsidiums beschlagnahmt. Die Firma wei- gert« sich, den für den Verkaufstag maßgebenden Großhandelspreis der Notierungskonzmission des Lebensmittelqroßhandels für ihr« Ver- käufe zugrunde zu legen. Bei ihrer Beschwerde wies die Firma daraufi hin, daß sie infolg« Devisenmangels noch so teuer Hab« einkaufen müssen, daß sie nicht imstande sei, bei ihren Verkäufen den Dollar- stürz zu berücksichtigen. Sie sei angeblich durch die Maßnahmen der Wucherabteilung, die das Schmalz durch Zwanqsverkäus« an das Publikum gebracht hat, um fünfzig Milliarden geschädigt worden. In ähnlicher Meise wurde auf Veranlassung des Leiters der Wucher- abteilung gegen die Marqarinefirma Rei'chelt vorgegangen. Die Beamten schritten bei f a st allen Filialen dieser Bersiner Firma«in. Da von der Geschäftsleitung dem Personal verboten wurde, zu den von der Wucherabteilunq festgesetzten Preisen zu ver- kaufen, mußt« der Verkauf eigenhändig durch die Polizeibeamten vorgenommen werden. Auch iii diesem Fall handelt es sich um eine Preissenkung, durch die den Konsumenten Milliarden erspart sind. Reklamationen der Firma, die auf Schadenersatz lauteten, dürften keinen Erfolg haben, da die Wucherpolizei auf Grund einer ganz einwandfreien Rechtslage zum Schutze der Bevölkerung gehandelt hat. Reue Eisenbahntarife für Personen- und Güterverkehr setzen mit dem heutigen Tage abermals ein.

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Kilian. Roman von Jakob Vührer. (Schluß.)

Aber," so fuhr Frau Esther fort,meine und andere Schick'alsschläge machten mich schließlich des Hassens müde, und als es geschah, daß mein junger Freund, an dem ich jahrelang Mutterstelle vertreten hatte, dich niederschoß, war ich schon so mürbe geworden, daß ich mir endlich gestand: es ist auch mit der Gewalt der Revolutionäre nichts zu er- reichen. Denn ich kann es dir ja heute wohl sagen, Kilian, ich hatte dich irgendwie lieb vom ersten Augenblick an, da ich dich sah. Die Art, wie du aufhorchtest und sofort mit dem Herzen beteiligt warst, als Semjanotscheff und die andern im Boot von der Zukunft sprachen, offenbarte mir, wes Geistes Kind du feiest. Und ich zog aus, dich zu fangen. Ich wußte und fühlte wohl, wie sehr du damals wider den Stachel löcktcst und wie hart du gegen angeborene Moral anzu- kämpfen hattest. Indessen gab ich dich auch an jenem Morgen nicht auf, an dem ich dich so kalt vor die Türe des zhotel Mon Repos stellte. Freilich als ich später zufällig vernahm, du seiest ein Krämer in irgendeiner Hintergasse in ich weiß nicht mehr welcher Stadt, da strich ich deinen Namen aus der Liste der wenigen Menschen, auf die ich meinen Glauben und meine Hoffnung gründete. Aber ich konnte nicht verhüten, daß ich oft und oft an dich dachte. Ich erschrak ich sage dir das� nicht, um dir zu gefallen, sondern weil es die Wahr - bsit ist, ich erschrak zu Tode, ich empfand das bitterste Leid, das mir wohl je zugefügt wurde, als ich in demjenigen, den mein Pflegesohn niedergeschossen hatte, dich erkannte. Ich kannte die ganze Harmlosigkeit und gütige Veranlagung von euch beiden, vomMörder" und vomOpfer", und schau- dernd ging mir die Sinnlosigkeit eines solchen Kampfes und jedes Eewaltstreites aufs neue auf. Wieder wurde ich in den Tiefen meiner Weltanschauung erschüttert, und darum war mir die bevorstehende Gefängniseinsamkeit Wohltat. Und als du mich besuchtest, als ich dir schreiben durfte, als ich immer wieder mit mir zu Rate ging, ward mir klarer bewußt, daß das Hell nur in der Ordnung liege, daß diese Vielstaaterei aber keine Ordnung sei, daß wir niemals durch

Gewalt, sondern einzig nur durch Unterordnung zur Welt- ordnung kommen können." Und du glaubst auch heute," frug Kilian und sah sie glücklich und erwartungsvoll an,daß die von mir angestrebte Organisation der Industrie notwendig zu dieser notwendigen Weltordnung führen muß?" Ich glaube an dich, Kilian,"'sagte sie einfach und herz- lich und gab ihm die Hand. Da zog er sie an sich und küßte sie auf den Mund. Neuntes Kapitel. Ueber der kleinen Hügelstadt Seftri-Levante ragt ein kleines Vorgebirge ins Meer hinaus. Es trägt auf seiner obersten Schwellung eine gelblich bsinkende romanische Kirche tind über den steilen Felsabstürzen meerwärts uralte schwer- ästige Zypressen. Als die zehnte Morgenstunde verkündet ward, stand auf dem Vorgebirge eine Frau und sah sehnsüchtig übers Meer. Wartet und wartet und schreitet schsießlich von innerer Un- ruhe bergabwärts. Der Weg ist mit roten Ziegelsteinen besetzt. Auf der Seite wächst spärliches Gras. Hohe Mauern fassen den Weg ein. Ehe diese zur Rechten beginnen, streift der Blick über kleine Rasenflächen und Olivenbäume und bleibt auf einer großen Zypresse ruhen, die ganz vom weißgischtigen Blau des Meeres umgeben ist. Es gibt einige alte Marienlegenden von seltsamer Süße. So ist dieser Weg. Hinter der dritten Wegbiegung steht die Kapelle San Martina. Am Eingang zur Linken ist ein altes Muttergottes- bild. Abgeschliffen und verwaschen, ragt es fast unkenntlich aus dem Baustein. Eine kleine Nilche ist dabei, daräus blüht in einer alten Scherbe gelber Ginster. Die Frau siebt die steinerne Madonna und nickt ihr zu, langt auch an die Stirne, als wolle sie ein Kreuz machen, aber da... ein Surren in der Luft!Ah," jubelt die Frau, rafft ihr Kleid auf und stürmt den Weg hinunter, die Bucht ent- lang und den Molo hinaus, zieht ihr Tüchlein und winkt hin- auf in die Sonne, aus der ein gelber Riesenvogel herabsteigt und nach langer Schleife aufs Wasser sitzt. UndKilian! Kilian!" ruft sie! UndEsther! Esther!" kommt es zurück,

Und bald schreiten die Beiden dem Städtchen zu. Wie froh ich bin, daß du da bist, ich hatte so Angst um dich!" Angst? Vor was? Hast du irgendeinen Grund?" Ich weiß nicht," weicht Esther aus,aber wie viele sind, die dich fürchten! Alle, die von der Feindschaft der Menschen leben. Die Militaristen und Politiker und..." Etwas Bestimmtes weißt du nicht?" Thomy hat telegraphiert, aber komm nur erst nach Hause!" Was ist mit dem Telegramm?" Er fei einem Plan auf die Spur gekommen, wonach man dich auf die Seite schaffen wolle. Die Sache sei ernst zu nehmen, und dein Sohn sei mit der Durchführung des Planes, dem es nicht an reichen Geldmitteln fehle, betraut." Kilian beißt die Zähne zusammen. Nach einer Weile sagt er:Vor meiner Abfahrt in Havre erhielt ich einen Brief eines gewissen Anarchisten Sacharowitsch. Es ist wohl der- selbe, von dem ich dir erzählte, dem ich als Jüngling be- gegnete, und der mir zum erstenmal die Augen auftat. Er fordert mich dringend auf, von meinem Werk abzulassen, die Weltorganisation sei wohl auch das Ziel aller Revolutionäre, sie könne aber niemals von Kapitalisten durchgeführt wer- den. Als ob es nach Durchführung der Weltorganisation noch Kapitalisten im heutigen Sinne geben könnte!«Micha, rowitsch unterläßt es nicht, mit Gewalt zu drohen." Esther seufzte tief auf. Aber Kilian drückt ihren Arm an sich und spricht mutig und voll herzlicher Tapferkeit:So stehen wir denn mitten inne und werden nicht fallen, bevor wir am Ziel sind. Und fallen wir, so wird es doch erreicht werden. Die nächste Geheimkonferenz auf Sachalin wird die letzte sein. Nachher wird die große Tat folgen. Ich habe es auch diesmal wieder gespürt, die neue Weltordnung steckt allen schon im Blut. Jeder weiß, daß sie eigentlich dias einzig Vernünftige ist. Und daß wir beide gemeinsam an dieser Zu- kunft arbeiten konnten und uns in diesen letzten Dingen so ganz verstanden, das war doch ein großes, großes Glück!" Ja, du. ja!" Sie betraten die Gartenpforte ihres kleinen Landhauses. In diesem Augenblick platzte eine Bombe, die die beiden zerriß. (Capgright ISA bx OrctUeia& Co., Q. m. b. H. Leipxic)'