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Abendausgabe

Nr. 464 40. Jahrgang Ausgabe B Nr. 233

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2500000 Mark

Donnerstag

Vorwärts

Berliner Volksblatt

4. Oktober 1923

Berlag und Anzeigenabteilung Geschäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin   SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 2506-2502

Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratifchen Partei Deutfchlands

Nach dem Sturz des Kabinetts.

Ratlosigkeit der bürgerlichen Parteien. Neubildung der großen Koalition?

begnügen. Es meldet jeine Ansprüche jetzt erst recht an. So heißt es in einer Entschließung der Landtagsfraktion der Bayerischen Volkspartei:

Ueber die gegenwärtige Lage, wie sie sich in den Mittags- doch nicht mehr möglich sei, und sie meinte, daß nach den Bor­stunden darstellt, erfährt der Sozialdemokratische Parlaments- gängen der beiden letzten Tage ein Versuch zur Beilegung der Dienſt": Krise aussichtslos jei und feinen anderen Erfolg haben fönne Reichstanzler Dr. Stresemann, der mit der Neu- als den, das Ansehen der Partei zu schädigen. ,, Die drückende Sklaventetté des Schandvertrages von bildung des Kabinetts beauftragt ist, hat dem Reichspräsi- Aufzuklären bleibt, wieso es plötzlich dem rechten Flügel Bersailles muß zerbrochen werden und eine neue darf denten bisher nähere Vorschläge über die neu zu der Volkspartei gelang, die Führung zu gewinnen, und die durch keinerlei Unterschrift geschmiedet werden. Wir for­bildende Regierung nicht gemacht. Es ist jedoch zu er Koalition, die vom linken Flügel der Partei unter Führung dern ein einiges, startes Reich. Die Wurzel feiner Stärke liegt in warten, daß er noch im Laufe der ersten Nachmittagsstunden Stresemanns, von Zentrum und Demotraten schon seit der freien Pflege des geistigen Heimatgutes. Wir verlangen eine den endgültigen Versuch unternimmt, eine Regierung auf Jahren angestrebt worden war, nach sieben Wochen des Be- schnelle gefehliche Wiederkehr und den wirksamen Ausbau des durch breiter Basis zustande zu bringen. Sowohl der Reichs- standes wieder zu sprengen. die Weimarer   Berfaffung eingeengten ftaatlichen Eigenlebens der fanzler wie auch die bürgerlichen Parteien sind bisher Die Gründe liegen bei der auswärtigen Politit Cänder. Mit aller Schärfe wenden wir uns gegen jeden 3en. noch(??) der Auffassung, daß eine Rechtsregierung und der bayerischen Frage. Die Tatsache, daß es auch tralismus, mag er sozialistischen oder nationalistischen Ur verhindert werden muß nach Aufgabe des passiven Widerstandes nicht gelungen war, sprungs fein. Alle innenpolitischen Maßnahmen werden sich wenig zu Berhandlungen mit Frankreich   zu kommen, hatte eine un- fruchtbar erweisen, wenn wir nicht durch die Pflege des Behr. geheure Enttäuschung hervorgerufen und die Position jener ge: gedankens wieder ein startes Instrument äußerer Machtstellung stärkt, die sich von einer Verständigungspolitit überhaupt uns schaffen. Den vaterländischen Verbänden, die frei von jeder nichts versprechen. So gehört die Politit Poincarés Parteipolitik diesen nationalen Ideen dienen, schenken wir unsere in hervorragender Weise mit zu den Ursachen, die zum Berfall wärmste Sympathie. Entschieden aber lehnen wir die politischen der Koalition geführt haben. Hätte sich nach der Aufgabe des Methoden aller derjenigen ab, die in Verkennung staatlicher Not­passiven Widerstandes die auswärtige Lage Deutschlands   ge- wendigkeit und politischer Möglichkeit den Kampf gegen unsere bessert, hätte sich die Aussicht gezeigt, auf dem Wege der Ber  - nationalgerichtete Staatsregierung mit vergifteten Waffen führen. handlungen zu einer erträglichen Lösung zu gelangen, so wäre mir wenden uns gegen jeden Versuch, das aus dem bayerischen die Position der Reichsregierung so fest gewesen, daß sich die Boffe hervorgegangene und in ihm wurzelnde bayerische   Königs­Scharfmacher gehütet hätten, sie ernstlich anzugreifen. Zum haus in den Streit der parteipolitischen Parteimeinungen hinein­mindesten hätten sie damit feinen Erfolg erzielt. Nach dem zuziehen. Wir bitten unsere Anhänger in Stadt und Land, nur Wortbruch der französischen   Regierung aber denjenigen Berbänden als Mitglieder anzugehören, die nicht im hielt wieder die Stimmung der Verzweiflung bei vielen bür Rampfe, sondern in treuer Zusammenarbeit mit unserer national. gerlichen Politikern ihren Einzug, und die Regierung der gerichteten Regierung die Wege zur Rettung des Vaterlandes ebnen großen Koalition erschien ihnen nicht mehr so wertvoll, daß sie wollen." fich voll für sie eingesetzt hätten.

Bon Regierungsstellen wird erklärt, daß es zur Neubildung der Reichsregierung feiner Verhandlungen mit den Fraktionen des Reichstages bedürfe, da fein Partei- sondern ein Personen kabinett gebildet werde. Bei Dr. Stresemann besteht die Absicht, so rasch wie möglich die neue Regierung zu bilden. Er hat auch be­reits Besprechungen mit Persönlichkeiten, die in Frage kommen ge­habt. Doch läßt sich zur Stunde noch nicht übersehen, wann die Neubildung des Kabinetts zustande gekommen sein wird. Daher steht auch noch nicht fest, wann die nächste Reichstagssigung statt findet. Unabhängig vom Rücktritt des Gesamtkabinetts ist der am Dienstag erfolgte Rücktritt des Reichswirtschaftsministers v. Raumer, dessen Rücktrittsgesuch bereits am Mittwoch vormittag vom Reichss präsidenten genehmigt wurde.

Also: es lebe der König, es lebe der Partitularismus, fort mit Weimar  , fort mit Bersailles! Wie man auf diefer Grund­lage eine Innen- und Außenpolitik führen will, ohne das unterste zu oberst zu fehren, das mögen die banerischen Volks­parteiler mit ihren Freunden im Reich ausmachen. Im übrigen zeigt der Aufruf, daß zwischen den Bater­landsfreunden" um Kahr und den Vaterlandsrettern" um Ludendorff   erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen, die am Tage des endgültigen Siegs" zu den schlagendsten Aus­einandersetzungen führen fönnen.

Im Reichstag   war heute in der Mittagsstunde vielfach davon die Rede, daß im 3entrum ernste Auseinander fegungen über die durch die Deutsche Volkspartei   geschaffene Im Ausland war der Eintritt der Sozialdemokratie in die Regierungskrisis stattgefunden hätten. Man jei in der Reichsregierung fast allgemein lebhaft begrüßt worden. Man Zentrumsfraktion zu dem Beschluß gekommen, mit der Sozial- jah eine neue Regierung in Deutschland  , der der gute Wille, demokratie noch einmal über die Neubildung der großen au Koalition, das heißt über den Wiedereintritt der Sozialdemo u friedlichen Vereinbarungen zu gelangen, nicht abzusprechen Pratie in eine Regierung Stresemann  , zu verhandeln. Eine war; auf fie feßte man im Intereffe des gepeinigten Europa  große Hoffnungen. Diese Hoffnungen find enttäuscht worden, Bestätigung dieser Mitteilung lag bis Redaktionsschluß noch weil für den Versuch, durch Bildung der neuen Regierung eine Entlastung der auswärtigen Politik zu schaffen, jede Unter stügung von außen ausgeblieben war. Wenn die Regierungsumbildung zu einer Aenderung des Kurses der deutschen   Außenpolitik führen sollte was noch nicht zu über­sehen ist so tragen die Schuld daran diejenigen Staats­männer des Auslands, die durch ihre starr unverföhnliche Hal­tung oder durch ihre Lethargie Deutschland   in eine Stimmung Aufruf: der Verzweiflung hineingetrieben haben.

nicht vor.

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Die Ursachen der Regierungsfrise werden in verschiede­nen Blättern verschieden dargestellt. Es beginnen schon die Versuche, der Sozialdemokratie Schuld oder Mitschuld an dem Scheitern der großen Koalition zuzuschieben. Dabei gehen verschiedene Zeitungen von der falschen Annahme aus, die Sozialdemokratie habe den demokratischen Ber mittlungsvorschlag gleichzeitig mit dem Ermächti­gungsgesetz, das Arbeitszeitgesetz auf parlamentarischem Wege zu erledigen, abgelehnt. Das gerade Gegenteil ist die Wahr heit, und die Deutsche Allgemeine Zeitung" schildert die Dinge durchaus zutreffend, wenn sie schreibt:

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Das Steuer nach rechts!" Die Helfferiche fühlen sich!

Die Deutschnationale Volkspartei   veröffentlicht folgenden Wie lange noch?

Die Losung des Tages heißt: das Steuer muß nach rechts gea worfen werden! Die Koalitionsparteien des Reichstages aber antworten: es Der Margismus hat Deutschland   ruiniert. Er hat abge wirtschaftet. Leben. Sie wagen nicht, den Trennungsstrich zu ziehen. So finft Die bürgerlichen Regierungsparteien halten ihn fünftlich am Deutschland   in Not und Verderben!

Eine andere tiefere Ursache der Krise lag in der baneri. schen Frage. Hier forderten die Sozialdemokraten ein entschiedenes Borgehen zur Wiederherstellung der verfassungs. mäßigen Zustände; sie fanden dafür aber bei den bürgerlichen foll weiter gewurstelt werden. Barteien teine ausreichende Unterstüßung. Das Bürgertum, Die Demokraten schlugen vor, man folle die Frage des Acht zumal das nationalliberale, bekam es mit der Angst; es wollte stundentages bei der Beratung des im Reichswirtschaftsrat ruhenden mit Kahr, mit dem manche im stillen sogar sympathisierten, Arbeitszeitgesetzes auf dem üblichen gesetzgeberischen Wege regein, feinen Frieden machen; es fuchte die Hilfe der Deutschnatio und zwar gleichzeitig mit dem Ermächtigungsgefeß. Die Sonalen vor den Rechtsputschisten. Es war zu Konzeffionen be­zialdemokraten ertlärten sich bereit, diesen Ber- reit, wo die Sozialdemokratie zu entschiedenem Kampf drängte. mittlungsvorschlag zu unterstügen. Die Bolfspartei Hätte es die Volkspartei nicht in der Frage der Arbeitszeit dagegen hielt ihre Beschlüsse aufrecht. Damit war die Krife auf zum Bruch getrieben, so stand das Kabinett auch in der äuße den Stand zurückgeworfen, auf dem sie sich am frühen Morgen be- ren Politik und in der bayerischen Frage vor Entscheidungen, funden hatte. die seinen Bestand auf das allerschwerste gefährdeten.

Sie habens geschafft!

Dollar 550 Millionen.

Wir fordern Klarheit! Schluß mit der Kompromis. politik! Fort mit den Sozialisten aus der Regierung! Wir verlangen endlich eine Regierung, die sich bewußt auf die natio. nalen Kräfte in allen Boltsschichten stützt.

Die Becker- Marezky- Scholz arbeiten den Hergt und Helfferich treffsicher in die Hände. Der neueste Aufruf ist ein Beispiel für die übermütige Stimmung, in der sich die Kriegs­helden von ehedem befinden. Daß sie, die durch ihre Kriegs= politik und deren Folgen das deutsche Bolt in den Ab­grund geführt haben, jetzt dem Marrismus" daran die Schuld geben, ist eines der üblichen Taschenspielerstücke. Sie wissen, daß die deutschnationalen Leser so wenig vom Marris­mus fennen wie die Aufruffabrikanten selbst, und daß man ihnen daher alles und noch etwas vorreden fann.

Scholz und Degoutte.

Damit ist durch das Blatt der Schwerindustrie selbst fest­gestellt, daß der Bruch von der Volkspartei unter Führung ihres rechten Flügels planmäßig herbeigeführt worden ist. Die Aftion begann am Dienstag mit der Herausforderung Die Separatiften melden ihre Rechte an. durch Herrn Dr. Scholz, sie wurde vollendet durch die Ab­Die Frondeure bei den Bolts parteilern und den lehnung jedes Vermittlungsvorschlages am Mittwoch abend. anderen bürgerlichen Parteien glaubten besonders schlau zu Da und dort wurde auch der Bersuch gemacht, Mehrheit handeln, wenn sie in dieser Stunde der höchsten Bedrängnis und Minderheit in der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion den Kampfruf Kahrs gegen den Marrismus aufnahmen. gegeneinander auszuspielen. Dieser Versuch beruht auf einer Aber wenn sie damit gerechnet haben, auf diese Weise den vollständigen Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse. Einig bayerischen Separatisten das Maul zu stopfen war sich die Fraktion darüber, daß es sich um einen plan- und die Reichseinheit zu retten, dann haben sie dem Reich mäßigen Borstoß der Boltspartei gegen die Koalition handelte, einen Bärendienst geleistet. Das offizielle Bayern   von einig war fie fich auch darüber, daß sich die Partei zu einer heute denkt gar nicht daran, sich mit diesem einen Opfer zu grundsäglichen Antastung des Achtstundentags nicht hergeben können. Die Minderheit, die bereit war, die Er­mächtigung auch auf das sozialpolitische Gebiet auszudehnen, ging dabei von der Boraussetzung aus, daß die Bollmacht auf Der heutige offizielle Devisenverkehr stand völlig unter dem Ein­bas gegenwärtige Kabinett beschränkt werden müsse. drude der heutigen Kabinettskrise. Obwohl anscheinend ein ziemlich Sie glaubte, daß dann die sozialdemokratischen Minister durch bedeutender Bedarf an ausländischen Zahlungsmitteln auch weiter die Androhung ihres Rücktritts auf die Gestaltung des Arbeits- besteht, zeigten die Banten doch eine bemerkenswerte 3 urüd­zeitgeſehes vielleicht noch einen entscheidenden Einfluß aus- haltung. Man wartet den Ausgang der heutigen Beratungen der üben fönnten, fie täuschten sich aber nicht darüber, daß es sich Fraktionen ab. Im freien Berkehr wurden folgende Kurse genannt: um einen legten, schwierigen Versuch handelte, die Krise zu London   2700 Millionen, New Yort 600 Millionen, amtlich notierten vermeiden und daß angesichts der intransigenten Haltung der London   2500 Millionen, New Yort 550 millionen. Zugeteilt Das nennt General Degoutte einfach ,, Bedingung". Boltspartei ein Bruch wahrscheinlich doch unvermeidlich sein wurden Auszahlung New York   mit 6 Proz., London   mit 8 Proz Die Fraktion Scholz aber heißt das gleiche schamhaft um würde. Die Tendenz für Effetten ist nicht ganz einheitlich. Immerhin schreibend: Wehrpflicht der Arbeit!" Im Grunde Die Mehrheit stellt sich aus den alten Gegnern der läßt sich auf den meisten Märkten in Zusammenhang mit der läuft es auf dasselbe hinaus. Nur das Degoutte zugunsten großen Koalition zusammen und solchen Genossen, die bisher Devisenbewegung eine ziemlich feste Stimmung beobachten. Die heute der französischen, die Frattion Scholz aber zugunsten mit Entschiedenheit für die Koalition eingetreten waren. Sie genannten Kurse lassen allerdings im Berhältnis zur Aufwärts- der deutschen   Kapitalisten diesen Zwang zum zehnstündi­stand unter dem Eindruck, daß nach dem provozierenden Bor- bewegung der Devisen teine allzu große Steigerung ertennen. Die gen Arbeitstag herbeiführen will. Eine Internationale des gehen der Boltspartei eine Aufrechterhaltung der Koalition| Geldflüffigkeit hält an. Befizes, wie sie schöner nicht gedacht werden kann.

Im Morgenblatt veröffentlichten wir die Bedingungen, die General Degoutte den deutschen   Gewerkschaften gestellt hatte, die wegen Wiederaufnahme der Arbeit mit ihnen ver­handeln wollten. Der Fraktionsführer der Deutschen Volks. partei, Stadtverordneter Scholz, wird neidisch geworden sein, als er feine Forderungen auch von Degoutte erhoben sah: 1. Abschaffung des Betriebsrätegesetzes;

2. Einführung der zehnstündigen Arbeitszeit und der Attordarbeit; 3. Aufnahme jeder zugewiesenen Arbeit.