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Seilage öes Vorwärts
Sosaabenö, 6. Gttober 102?
SLlchweröen
Das unzufriedene Derlin
Vorschläge
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Sie Gaspspchsfe. Offener Brief an den ZUagisiral BerNv. Der Gasskandcrl schreit zum Himmel! Eme neue Krankheit droht auszubrechen: die Gaspsychose. Veranlassung dazu gibt Ihre famose Mnziehlmgsmethode des Gasverbrauchs. Es klingt wie Hohn auf den gesunden Menschenverstand, wenn Sie den jeweiligen Gas- preis der Woche an den Anschlagsäulen zwar verkünden lassen, aber von den Verbrauchern den höheren Gaspreis der nächsten Woche auch für den Vvrverbrauch einziehen. Weh« dem, der nicht zahlt. Er muß dann zufolge derselben famosen Logik den inzwischen ein- gctrrierun noch höheren Gaspreis bezahlen und letzten Endes wird ihm der Gasmesser abgenommen, wenn er inzwischen nicht zahm geworden ist— und zahlt. Ich kann es mir nicht denken, daß diejenigen, die diese jetzt geltende Einziehungsmethode ausgeklügelt haben, nicht gleichfalls nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind, also nicht wissen, daß ihre Methode mit Recht nichts zu tun hat, und deshalb verliere ich keine Worte mit der Beweisführung. Ich rufe den maßgebenden Persönlichkeilen nur zu: Gebieten Ne Einhalt der sich rapid ver» breitenden Gaspsychose, indem Sie zu folgender, jedem Sextaner sofort einleuchtender Cm ziehungs Methode greifen: Bei zwei- wöchiger Ablesung des Gasmessers wird die verbrauchte Kubik- meteranzahl mit den seit der letzten Ablesung verflossenen Anzahl der Tage dividiert und das Ergebnis durch die Schlüsselzahl des jeweils gültig gewesenen Wochentarifes gesondert errechnet. Ihr Schaden bei dieser Methode ist nur ein scheinbarer, denn er besteht nur, wenn die Tage kürzer werden, er gleicht ssch aber wieder vollständig aus, wenn die Tage länger werden. Ich gebe zu, daß das Rechnen nach Ihrer Methode bequemer ist und vor allem dem Stadtfäckel mehr Milliarden einbringt, aber es steht Ihnen ja frei,(ich auf andere Weise schadlos zu halten, so z. B. durch Einführung einer ganz neuen Steuer. Die Anregung hierzu will ich Ihnen gerne geben: Führen Sie eine Steuer«in auf die G e- d u l d der Berliner Gas verbrauch er,— sie würde immense Summen einbringen. R— o. * lieber die Preisgestaltung des Gases brauchte kein Wort oer- loren zu werden, da bei steigendem Dollarstand auch der Preis der Zum größten Teil aus dem Auslande stammenden Gaskohle steigen muß. Wogegen sich die Verbraucher aber mit Recht wehren, sst die rücksichtslos« und bureaukratische Art, mit der die Gaswerke versuchen, unter Mißbrauch ihrer Stellung als öffentliche Betriebe die Gelder für verbrauchtes Gas einzuziehen. Es ist öffentlich bekanntgegeben worden, daß die Gasmesser statt wie bis- her in vier Wochen, all« 14 Tage abgelesen werden, um die Ver- brgucher vor dein Unglück der steigenden Zahl zu schützen. Voraus- bezahlungen werden infolge der kameralistischen Buchführung ein- fach nicht angenommen. Dafür läßt die Gasbetriebsgesell- sch aft am ersten Tage der fünften W o che die von ihr zu kon- trollierenden Zähler ablesen. Die Boten, auf die Bekanntmachungen bezüglich 14tägig«r Ablesung hingewiesen, erklären, daß sie.gehört hätten, daß in Zukunft" öfter abgelesen werden soll«. Einem Ab- nehmer, der sich am letzten Tage der vierten Woche zum Bureau der„Gasbetriebsgesellschaft", Gitschiner Straße, begibt und dort auf Grund des neuen, durch Selbstablesuna ermittelten Zählerstandes den Preis für verbrauchtes Gas bezahlen will, wird erklärt, d i e Rederc vom 14tägigen Ablesen fei Unsinn, man denke gar nicht daran; außerdem fei es nicht angängig, daß jeder seinen Zähler allein abliest. Mit Verlaub, hohe Gasbetriebsgesell- schaft, muß man, um das zu können, erst noch Prüfungen ablegen? Allwöchentlich durch Postscheck unter Mitteilung des jeweiligen Zählerstandes überwiesene Gelder in Höhe der öffentlichen De- kanntmachungen für verbrauchtes Gas, asso nicht Boraus- bezahlungen, nimmt man gnädigst als Akontozahlungen an und will sie nach vier Wochen in Höhe des ehemaligen Nennwertes verrech- nen. Es sei offen ausgesprochen, das Publikum sieht dies« Pvoktiken eines öffentlichen Zwecken dienenden Unternehmens als glatten Wucher an, der sich in der brutalsten We'se austobt. Dem Publikmn ist zu raten, den Richter anzurufen; es macht sich bezahlt. T.
Die fliegenöen pfänSnngsbefehle. Anfang Juni d. I. erhielt ich eine schriftliche Aufforderung des Finanzamtes„W eddin g", Friedrichstr. 107, nachzuweisen, daß ich meine Steuemarken für 1922 abgerechnet habe. Ich nahm meine Ouitümg über die Steuermarken, die ich schon Anfang Januar in demselben Finanzamt irnd im selben Gebäude verrechnet hatte, und fuhr mit der Straßenbahn in nicht allzu rosiger Stimmung nach der Friedrichstraße. Dort legte ich dem Beamten meine Ladung mitsamt der Quittung vor. Sehr höflich und korrekt sagte man mir, die Sache sei nun erledigt. Auf meine Frage, wer mir die ent- standenen Kosten(Fohrgeld und zwei Swnden Arbeits- Verdienstverlust) bezahlt, und weshalb ich den Nachweis der Abrech- nung führen mußte, wurde mir gesagt, daß mein« Abrechnung wohl im Zimmer 186 geschehen sei. es sind zwei Beamte entlassen worden und die Eintragebücher verschwunden, nun müsse noch- mals nachgeforscht werden. Ueber die Kostenerstattung zuckte man bedauernd die Schultern. Da es mir nicht allein so ergangen ist, kann man sich mein Staunen über dies« Wirtschaft in dem Finanz- amt denken. Nun passierte mir aber am Dienstag, den 18. September 1923, folgendes: An diesem Tage ging ich frühmorgens 6% Uhr durch die Ruheplatzstroße, um zum Bahnhof Wedding zu gelangen. Da sehe ich, daß aus den Fenstern der Steuerkasse 3 L, Ruheplatzstr. 4, eine ganze Anzahl von P a p ier z e tteln in der Luft herumfliegen. Drei derselben konnte ich erwischen und sie entpuppten sich als Pfändungsprotokoll! e.(Dieselben liegen bei.) Aus diesen Protokollen war zu ersehen, daß der Boll- ziehungsbeamte zu einer alten Frau von 71 Iahren gesandt war, um 199 Mk. für Wohnungsabgabe zu pfänden. Die Pfändung konnte nicht vorgenommen werden, da die okte Frau krank zu Bett lag und kein Einkommen hatte. Im nächsten Protokoll sollt« der Boll- ziehungsbeamte bei einer Terrain-Akü-Ges. auf deren Grundstück die Gesamtsumme von 312 Mk. pfänden. Der Beamte mußt« feststellen, daß auf dem Grundstück niemand wohnt, da es unbebaut ist. Im -letzten Protokoll sollten 449 Mk. gepfändet werden; der Beamte mußte hier feststellen, daß der Betreffende von der Wohmmgsabgabe befreit ist. Diese Vorkommnisse beweisen wohl, daß in dem Finanz- amt„Wedding " und der dazu gehörenden Steuerkasse 3 B, Ruheplatzstroße 4, ganz sonderbare Zustände herrschen müssen. In der Friedrichstraße verschwinden ganze Bücher von Steuereintragungen der Steuerpflichtigen und in der Ruheplatzstroße fliegen Pfändunqs- befehle auf der Straße herum. Die Gesamtpfändungssumme beträgt 1026 Mk. Für diese Summe müssen mindestens 6 Beamte auf die Beine gebracht werden, um festzustellen, daß eine alte Frau nicht zahllen kann, das Grundstück unbebaut ist und der Letzte von der Pfändung befreit ist, dann läßt man die Pfändungs- befehle luftig im Winde ffattern. Sagte nicht letzthin ein Minister, es müsse sehr produktiv« Arbeit geleistet werden und der Achtstundentag nicht zureiche, um Deutsch- land wieder hochzubringen? Mir scheint, ol» ob Dater Staat erst mal bei ssch selbst diese Schlamperei beseitigen sollt«. O. B. Alles muß erschwert werden! In Wilmersdorf , aber wcchrfchewllch doch in ganz Berlin , war bis vor kurzem bei den An- und Abmeldescheinen für Hausang« st ellt« gleich ein Abschnitt für die Krankenkasse dran, den die Polizei behielt und weiterbeförderte. Jetzt hat das aufgehört, man muß mit einer besonderen An- und Abmeldung zur Krankenkasse gehen und zu dem Anstellen auf der Polizei kommt Nim auch noch das Anstellen auf der Krankenkasse. Offenbar finden die hochmohlweisen Behörden und Anstalten, die diese„Reform ausgeheckt haben, daß die Hausfrauen und Hausangestellten jetzt noch zu wenig Zeit beim Anstellen nach Lebensmitteln verlieren. B. So steigen die kohlenpreise. „Mutter, komm mit nach Kohlenl Wir können uns einen Zentner leisten l" Mit einem kleinen Wagen, einem Sack und 7 Millionen Papiermark gehts zum Kohlenplatz Reinickendorf, Granatenstraß«, wo wir«ingetragen sind. Nach halbstündigem Schlangestehen ist der Platz vor dem Schalter erobert. Es klingelt das Telephon und die freundliche Kassiererin verkündet:„Der Platz
wird geschlossen, die anwesenden Kunden werden und der Zentner Kohlen kostet dann 47,620 Millionen."' Also 40 Millionen Mark mehr. Di« schönen hohen Kohlenberge sind nun für uns Armen nicht mehr vorhanden. Der Preis ist unerschwinglich geworden. Die draußenstekenden Männer und Frauen murren nicht mehr, sie ballen die Fäuste. Fällt dieses Geschäftsgebaren der Berliner Brennstoffgejellschaft unter den Vc- griff Wucher oder nicht?____ F. Sch. Löcknitztal-Rüüersüorf. Mtt den Zügen nach Fürstenwald « fahren wir mit der Stadt- bahn über Erkner (hier umsteigen) nach Fangschleuse. Ein« kurz« Wanderung vom Bahnhof gen Nord bringt uns zum Löcknitz- tal bei der Großen Wallbrücke. Wir überschreiten dos Fließ nicht, sondern bleiben auf seinem Südufer und wenden uns nach Ost. Die Löcknitz ist eins unserer schönsten märkischen Woldfliehe; ihr stimmungsvoller Zauber, ihr« malerischen Landschaftsbilder regten einen Meister wie Leistikow zum Schaffen seiner märtischen Gemälde an. Di« Quellen der Löcknitz liegen in dem Roten Luch westlich von Müncheberg und m sumpfigen Niederungen östlich und westtich des Luchs. Das Rote Luch ist«in« langgestreckt« Bruch- fläche, die sich in Nordost- südwestlicher Richtung hinzieht und die Grenz« zwischen dem Barnim und dem Land Lebus bildet. Don dem höchsten Punkt dieses Luches fließen die Wasser durch die Löck- nitz gen Süd zur Spree und durch die Stobberow gen Nord zur Oder. Die Grenzscheide zwischen den Stromgebieten der Elbe und Oder geht somtt durch das Rot« Luch. Die Löcknitz ist schon in ihrer Jugend«in ziemlich wasserreicher Bach Einer ihrer Ouellflüßchen treibt bereits 1600 Meter von seinem Ursprung entfernt eine Wasser- mühle; auch sonst liegen noch verschieden« Mühlen an ihrem Laus, die sie in Bewegung setzt. Mehrere Seen und Teiche durchfließt die Löcknitz , und mit einer weiteren Seen kette steht sie in Verbindung. Di« Richtung dieser Wosserrinnen ist die gleiche wie die de» Roten Luchs; sie gehören zu den Rinnen, die von den Schmelzwassern des Eises der Eiszeit ausgewaschen und zum Abfluß in das große Berliner Urstromtal benutzt wurden. Der Weg führt immer am Rande der Löcknitzmederung hin, die von prachtigem Kiefernhochwald«ingefaßt ist. Am Forsthans Schmalenberg vorüber kommen wir nach K l« i n. W a l l, einer Siedlung von einigen Gehöften und«wer Wassermühle, deren Betrieb jedoch ruht. Wir überschreiten hier die Löcknitz und wan- den, durch schönen Kiefernwold m nordwestlicher Richtung nach Alt-Buchhorst. Der Ort,«w beliebtes Ausflugsziel, zu dem auch Motorboot« von Erkner aus fahren, liegt zwischen dem Möllensee und dem Petzsee; Wir haben hier d« Seenrinne erreicht, die sich westlich der Löcknitz«rstreckt. In saß nördlicher Richtung führt die Straße durch den Kiefernwald weiter am Forschaus Rüderedorf vor- über zum alten Dorf Rüdersdorf . Durch den Ortsteil Rüdersdorf «? Grund und auf der neuen sich über den Kalkgraben spannenden Brücke kommen wir nach Kalkbevge-Rüdersdorf. Mit einem Spaziergang durch die aufgelassenen Kalkbrüch« und zu dem „Gebirgssee" beschließen wir die Wanderung. Rückfahrt vom Bahn- Hof Rüdersdorf über Fredersdvrf.(Weglange etwa 18 Kilometer.) Wöchentliche Ablesung öer Werktarife. Die städtische Werksdeputation hat w ihrer gestrigen Sitzung beschlossen, die Direktion der städtischen Werke mtt der Durchführung der wöchentlichen Einkassierung zu beauftragen. Diese Reform wird zweifellos vom Publikum außerordentlich begrüßt werden» weil bei der Höhe der Tarife nur eine wöchentlich« Be- zahlung für die Levölkerimg überhaupt erträglich ist. Man kann damit rechnen, daß mtt der wöchentlichen Einkassierung in etwa vierzehn Tagen, spätestens Ende dieses Monats, begonnen werden kann. Um der Bevölkerung entgegenzukommen, soll außer- dem in beschränktem Umfang und unter Anwendung besonderer Borsichtsmaßregeln beim Einkassieren durch di« Ableser eine Bor- auszahlnng für etwa drei oder vier Tage der nächsten Woche zum laufenden Preis« ermöglicht werden. Hoffentlich werden die Arbeiten für die Durchführung dieser Neuerung mit größter Beschleunigung m Angriff genommen. Außerordentlich bedauerllch ist es, daß die privaten Werke m Berlin noch nicht nach dem Beispiel der städtischen Werke zu kürzeren Ablestrngsftisten ubergehen. Sie erweisen sich dadurch in ihrem Geschäftsbetrieb als bedeutend schwerfälliger und un sozialer als die Werk« der Stadt Berlin . Es muß nachdrücklichst gefordert werden, daß auch die privaten Werke endlich den Be- dürfnissen des Publikums gerecht werden.
Das Verbrechen öer Elise Heikler. 10] Novelle von Hermann Keffer. Mefer llmstand und auch weil Behrens den Verwandten vttd den Zuschauern seiner Jugend als verlogen und an- mähend galt, hatte ihn um sein Ansehen gebracht, und da solche. Erinnerungen lange vorhalten, so reinigte es ihn nicht von der beharrlichen Mißachtung der Vettern, daß sein Name, künstlich verkürzt, seit einiger Zeit � meist nur an der unter- sden Stelle, wo die austretenden Diener, Gewappneten und Boten genannt waren— auf dem Theaterzettel auftauchte. Gerade um ihretwillen aber gönnte es sich der Schauspieler, daß ihn heute ein Theaterportier mit einer großen Ueber- raschung aus dem Bett geworfen hatte: er solle an Stelle eines Kollegen, der mit einem Schnupfen zu Hause sah. dessen große Liebhaberrolle in dem neuen Drama eines unbekannten Dichters übernehmen, das für den Abend des folgenden Tages angesagt war und um der Ordnung im Spielplan willen nicht mehr abgesetzt werden konnte. Wie ein Sturmwind mit schwellenden Fansarenstößen hatte ihn die Nachgeht umbraust, eine Verheißung von pras- selndem Heindeklatschen und mannshohen Lorbeerkränzen, für die er sich stolz und mit einem gütigen und doch strengen .Künstlerernst verneigen würde, ein Versprechen auf begeiste- rungstrunkens Loblieder der städtischen Zeitungen, die er wie die Selbstverständlichkeiten der tributpflichtigen Bewunderung hinnähme, und eine Ankündigung von Titeln und hohen Ge- bältern, die es ihm erlauben könnten, steche Gerichtsvollzieher, Schneider. Schuster und Gastwirte mit einem Fußtritt zur Türe hinauszuwerfen. Mehr als das. Die große Rolls war vielleicht das Sprungbrett, um mit einem Satz der Beengtheit der Stadt und den lästigen Schnüren der Geldnot und Schuldenbedräng- nis zu entkommen, und das ohne die Last und Langweile des geduldigen Wartens und Zusehens, bei dem er erfrieren und steif werden konnte vor lauter Rücksicht und Kriecherei. Ein Zweispänner mit gelben Rädern und einem Lakai und einem Kutscher mit gelben Ausschlägen auf dem Kutsch- bock fuhr in diesem Augenblick wie eine Bestätigung solcher Träume über die sonnenhelle Straße. Der Schauspieler er- kannte den Wagen, es war das Gefährt des vornehmsten Gasthofes der Stadt, in dem nur Fürsten und Millionäre ab- stiegen. In dem Wagen aber ersah er einen dicken Mann in einem alänzenden Zylinder, der seine feisten Hände im roten Handschuh an beiden Seiten auf dem Wogenschlag ruhen
hatte, einen Mann mit einem fetten und vollen Gesicht ohne Bart, einem oerfalteten Mund, und einem graugrünen Kinn, wie es nur alte Komödianten hoben. Wie ein Napoleon blickte dieser Mann aus der Mächtig- kett feines Umfanges über die Straße und über die Menschen weg und es hing etwas an ihm wie an der MieNe eines Fremden, der sich in kleinen Städten als großer Gast fühlt, als er, in die Wagenpolster gegossen, seine Augen nach links und rechts drehte, immer bereit, den Pomp seiner Persönlich- fett je nach Bedürfnis zu steigern oder zu mildern. Als Theo Vehrens, der blitzhaften Eingebung einer kühnen Minute ge- horchend, dem Kutscher mit aufgehobener Hand Halt gebot und dieser, von der vollendeten Sicherheit des jungen Men- scheu bezwungen, gehorsam die Zügel zurückriß, so daß es den Pferden wie ein Ruck ins Gebiß ging; als diese Ueber- rumpelung durch den Schauspieler, einem Angriff gleich, in die Spazierfahrt des amerikanischen Theaterimprefario siel, da zerfloß die Stattlichkeit dieses Mannes m eine ärgerliche Bewegtmg, und in der Ruhe seiner Gesichtswürde blähte sich eine Bereitschaft z» kurzen und groben Worten auf. Doch wie bei der Aussicht auf einen Vorteil die durch lange Uebung und Verbrühtbeit erworbene Geschästsmasbe der Entrüstung plötzlich schwammweich wird und schmilzt, so legte sich auch der Zont des amerikanischen Impresario, als Vehrens im schützen- den Mantel einer unterwürfigen Austegung und Dringlichkeit an den Schlag getreten war und dem gewaltigen Vermittler, der ihn noch oor kurzem nach unsäglichen Bemühungen uni eine Unterredung sehr eilig und hoffnungslos abgefertigt hatte, Meldung von seiner großen Noll« machte. „Da werde ich kommen, junger Freund, und wenn es gut geht, schwimmen Sie doch noch mit mir übers Waffer!". sprach er. tippte leicht nach dem Hutrand und rollte in seinem Wagen die Sstaße hinab. Der Schauspieler aber erstand an einer Straßenecke die neueste Ausgabe der größten stadtischen Zeitung und steckte das Blatt, nachdem er dort in der Theatcrrubrik seinen Namen in gesperrter Schrift gesehen halte, zufrieden ein. Dann wandte er, nicht obne zu handeln, ein Markstück an den Kauf von drei roten Treibhausnelken, ließ sich eine davon am Knopfloch sestnadeln und überreichte nach einer Weile im Gasthof„Zu den vier Mohren", indes Wogen von blinkender Hoffnung über ihm zusammenschlugen, die beiden anderen mit dem Zeitungsblatt der lächelnden Gertrud von Sohr, die mit dem Bruder seit einer Viertelstunde gewartet hatte und ihm in ihrer blonden Anmut an diesem Mittag wie die Göttin seiner Zukunft entgegenleuchtete.
Ob er darauf rechnen dürfe, die Geschwffter morgen in emer Loge als seine Gäste und Zeugen der ersten großen Rolle zu sehen? Die Frage kam ihm, noch ehe er fest aus dem Stuhl saß, und er mußte nun semen Erguß über sich und die Rolle be- enden und statt dessen ein lautes Bedauern aufpflanzen, als er von Ottos Abreise erfuhr und gar vernahm, daß der Bruder schon abends die Reise antreten werde, weil er sie dann in der Gesellschaft eines Kameraden zurücklegen könne. Denn so hatte es sich gefügt, nachdem er vor kaum einer Stunde einem Regimentsfreund begegnet war, der sich gleich ihm für die Fahrt rüsten mußte, aber ihm vorschlug, noch in der Nacht zu reisen und dafür andern Tags in einer freundlichen Stadt des Mittellcmdes zu halten. „Du aber gehst allein ins Theater und ein Wagen bringt dich nach Hause!", entschied Otto mit einem Blick auf Gertrud, und sie sah den Schauspieler an und sagte es zu. Dem kroch, als er das Mädchen bettachtete, ein Gedanke an, vor dem er beinahe in ein Zittern geriet, ein Gedanke, der ihn mit Wonne trnd Furcht ergriff, der entschlüpfte, noch ehe er fest geballt war, und wieder hervorschlich, wenn sein Blick über Gertrud hinging, zwischenhinein und im geheimen, wie er dabei ertappt werden könnt«. Wieder, wie am Abend vorher, brannte Gertrud unter seinem Wortgefunkel heiß und glühend auf, aber nicht mehr zag und beklommen, sondern in einer freiwilligen Eittzün- düng, dazu schon der Wille in ihr lebendig wurde und mit- sprach, so daß jene Schale von kühlen Gebärden mch ruhigen Slugen, die einen begehrlichen Mann in Vorsicht und Maß hält, bald von ihr abfiel und sie es mit einer freundlichen Ruh« geschehen ließ, daß sich sein Angesicht an dem ihren festsah und daß er das zarte und runde Spiel ihrer Hände und Arme genoß, während sie in eifriger Gefälligkeit an dem kleinen Tischchen die Wirtin spielte. Die Zeit verging schnell, der Bruder drängte zum Auf- bruch. Wenn es das Rollenlesen und die nachmittäglichen Proben erlaubten, so wolle er sich um sieben Uhr abends am Bahnhof einfinden, flocht der Schauspieler ein und schüttelte Otto von Sohr mit der Bitte um«inen Kartengruß aus dem Waffenfeld kräftig die Hand. Dann gingen sie nach verschie- denen Richtungen auseinander, unter einem leuchtenden Him- mel, an dem keine Wolke stand, der Schauspieler nach seiner Behausung in einem dunklen Gasienwirtshaus der Altstadt, die Geschwister nach Berligenfeld, das sie mit«wem Miet- wagen erreichten. (Fortsetzung folgt.)