Rußlanö und die deutsche Krise. Von Prof. Dr. S. T s ch a ch o t i n. Der Verfasser des nachstehenden Artikel», ein Mit- (stieb der Redaktion des sowjetfreundlichen Berliner Organs„Nakanune", sendet uns den Artikel als Beitrag Zur Frage, welches Interesse Nußland an der weiteren Entwicklung der Verhältnisse in Deutschland hat. Ohne uns das Urteil des Verfassers über Rußland in allen Punkten zu eigen zu machen, geben wir seinen Aus- fllhrungen gerne Raum, um einer der mehr realistisch eingestellten Auffassungen in russischen politischen Kreisen Geltung zu verschaffen. Red. d..Vorwärts". Die Auswirkungen der deutschen Krise sind nicht nur für Deutschland , sondern für ganz Europa und insbesondere für Rußland , als den Träger einer neuen sozialen Eni- Wicklung, von Bedeutung. Man mag über die russischen Ver- Hältnisse denken, wie man will, zweierlei bleibt jedoch als Tat- fache bestehen: Rußland erholt sich und erstarkt, und zweitens ist in Rußland eine Gesellschaftsform entstanden, die die großen Volksmassen auf die Bahn der Entwicklung einer wirk- lichen sozialen Demokratie, eines Arbeitsstaates drängt. Alle, die in letzter Zeit Rußland bereist haben, geben ohne weiteres zu, daß sich in den breitesten Schichten des Volkes eine eigen- artige psychische Wandlung vollzogen hat, für die als befon- deres Kennzeichen der Wille zur Tat ist. Das Rußland vss heute ist, trotz a?er seiner noch offensichtlichen Schwierig- leiten und Mängel, doch der einzige und seinen effektiven Ausmaßen nach höchst bedeutsame Hort für die Idee der Menschheitsentwicklung in sozialistischem Sinne. Europa kann auf die Dauer keine Wirtschaft ohne Ruß- land treiben. Europa ist wirlfchaftsgeographifch auf Rußland angewiesen, und je eher Rußland aufblüht, desto rascher wird auch Europa gesunden. Die wirtschaftliche Gesundung und die damit eng verbiindens politische Konsolidierung Reu-Rußlands ist aber in agitatorischer Hinsicht ein ungemein wirksamer Faktor. Nichts kann die Volksmassen im Westen so sehr faszi- n leren, so sehr überzeugen und alle Verleumdungen politischer Feinde zunichte machen als eine solche innere Festigung des heutigen Rußlands . Rußland braucht keine kostspielige Progaganda, die Tatsache seiner Gesundung ist an sich schon ein Propaganda» faktor ersten Ranges. Allerdings ist die hier zum Ausdruck gebrachte Meinung keineswegs so zu verstehen, als ob hier die russische Nevolutionsform als alleinseligmachend erklärt und die agitatorische Auswirkung der russischen Renaissance in d i es e r Hinsicht verlangt wird. Wir sind vielmehr der Meinung, daß gerade die russische Revolution Europa von der Notwendigkeit ebensolcher katastrophalen Umwälzungen bewahrt hat. Die Tatsache allein, daß in einem Koloß wie Rußland sich die Verhältnisse ganz anders wie in Europa gestaltet haben, genügt vollkommen, um Europa dauernd zu z w i n g en. seine Wirtschaft und Politik dem entscheidenden Faktor in, Osten anzupassen. Wenn der Zarenstaat als eine militärische Dampfwalze angesehen wurde, so ist der neurussische Sowjetstaat eine wirtschaftliche Dampf- walze, die Europa unausbleiblich zwingen wird, den Weg zur Schaffung eines Bundes von Arbeitsstaaten zu beschreiten. Ohne Katastrophen, ohne gewaltsame Erschütterrm- gen, wird Europa , kraft der Tatsache der stegreichen rufst- scheu Revolution, allmählich zu derselben Einstellung gelangen in ü s se n. Gerade der Sieg der russischen Revolution ist ein Vollwerk, das geeignet ist, die europäischen Staaten vor kata- strophalen Revolutionen, vor Bürgerkriegen, zu schützen. Ja noch mehr, nichts könnte in diesem Augenblick die ruhige Ent- wicklung Ruhlands und somit auch den endgültigen Triumph des Arbeitsstaatsgedankens in ganz Europa so sehr gefährden, als ein Bürgerkrieg in Deutschland . Man hört oft, daß gerade Rußland bestrebt sei, sich in dieser Hinsicht zu betätigen und eine planmäßige Propaganda in dieser Richtung zu betreiben. Gewiß gibt es auch in Ruß- land Hitzköpfe, die dafür eintreten möchten, aber kühl er-
wägende Politiker— und als solche haben sich diejenigen er- wiesen, denen an leitenden Stellen die Führung russischer Po- litik heute obliegt— sehen ohne weiteres ein, daß ein Ueber- stürzen in dieser Hinsicht mit großem Risiko verknüpft wäre. T r o tz k i hat kürzlich in einem Interview mit dem amerikanischen Senator King klipp und klar ausgesprochen, warum für Rußland eine Einmischung in die deutschen Ver- Hältnisse unerwünscht und unausführbar wäre. Man sieht keine Gründe, um an der Aufrichtigkeit seiner Worte zu zweifeln. Ein Bürgerkrieg in Deutschland würde im Falle eines ungünstigen Ausganges die europäische Re- aktion, den europäischen Faschismus, gerade gegenüber dem russischen Arbeiterstaate— seinem gefährlichsten und ver- haßtesten Gegner— ganz gewaltig stärken und die ruhige Entwicklung Rußlands außerordentlich hemmen und gefähr- den. Im Falle eines— übrigens recht problematischen— günstigen Ausfalles des deutschen Bürgerkrieges, würde Ruß- land einen wirtschaftlich recht geschwächten Verbündeten be- kommen, für dessen Unterhalt und Unterstützung a zu viel hergeben müßte. Dadurch würde seine eigene Lage gesckjwächt und das Tempo seiner Erstarkung verlang- samt werden, was wiederum eine Herabsetzung von Er- füllungschancen der Arbeiterbewegung in der ganzen Welt und eine ernste Gefährdung der sozialistischen Idee selbst be- deuten würde. Das muß einmal offen und klar ausgesprochen werden. In diesem Augenblick darf man sich nicht scheuen, der letzten Wahrheit mutig ins Auge zu schauen. Daher das große Interesse, das für Rußland in den gegenwärtigen politischen Auseinandersetzungen in Deutsch - land siegt. Die Lage ist klar: Kann die Existenz und die Ein- heit der deutschen Republik und ihrer zusammenhaltenden Ele- mente gewahrt werden, die zur Niederhaltung der ihr Haupt erhebenden Reaktion nötig ist: können die Forderungen der deutschen Arbeiterklasse und ihrer stärksten organisierten Trä- ger, der Sozialdemokratie und der G e w e r k- s ch a f t e n, durchgesetzt werden, so sind die Aussichten auch für Rußlands ruhiges Gedeihen und damit auch für den end- gültigen Sieg des sozialistischen Staatsgedankens gestiegen. Fällt die Koalition, wird der Reichstag aufgelöst, kommt die von Stresemann als Notbehelf in Aussicht genommene Dil- tatur, die früher oder später in eine Rechtsdiktatur ausarten würde, dann wird der Erstarkungsprozeß Sowjetrußlands und mit ihm die Hoffnung auf eine baldige Herrschaft des Soziasismus in Europa in Frage gestellt. Dann wird aber auch für Rußland , als den einzigen Arbeiterstaat der Welt, eine schwierige Lage geschaffen. Das sollten jetzt ganz besonders diejenigen beherzigen, die so gerne von der russischen Revolution sprechen und ihr hul- digen, die aber zugleich durch unbesonnene Schritte den Triumph der Revolution unb des Soziasismus beein- trächtigen könnten._ Gefahren für Sie örotversorgung. Eine Eingabe der GEG. Die Großeinkaufs-Gesellschaft Deutscher Konsumvereine m. b. H., Hamburg , hat in einer dringenden Eingabe an das Reichsernährungsministerium auf den besorgniserregenden Zustand in der Mehlversorgung der Konsumvereinsbäckereien hingewiesen. Die Mühlen können nach Aufhebung der Zwangsbewirffchafwng in Getreide nicht mehr das erforderliche Korn von der Landwirtschast beziehen, um das notwendige Mehl zu siefern, weil das Getreide zurück- gehalten wird, jedenfalls gegen Paptermark nicht zur Ablieferung kommt. Dieser Zustand hat sich ins- besondere in den letzten 6 Tagen infolge des Währungsver- falls gezeigt. Das Reichsernährungsministerium und in einer zweiten Eingabe an die Reichsgetreide stelle auch diese, werden ersucht, aus den Beständen der letzteren die not- wendigen Mengen Korn zur Verfügung zu stellen, damit die Brotvers-orgung nicht ins Stocken gerät, und weiter dafür zu sorgen, daß den Mühlen von der Land- mirffchast das erforderliche Getreide geliefert wird.
Schuh öen Veebrauchergenosiensthasten! Ein sozialdemokratischer Änrrag. Die sozialdemokratische Fraktion hat im Reichstag folgenden Antrag eingebracht: „Die furchtbare Entwerwng der Mark und die Notlage große,- Schichte� der Verbraucher haben die Konsumgenossen- s ch a f t e n aller Art in schwere Bedrängnis gebracht. Weniger als andere privatwirtschastliche Unternehmungen gleicher Art sind sie imstande, die Preist ihrer Waren der Geldentwertung anzupassen. Eine zunehmende Verringerung ihrer Vermögens- und Warenbestände ist deshalb die Folge dieser Entwicklung gewesen. Aber auch die Allgemeinheit wird durch diese Erschwerung der Lag« der Konsui�vereine stark bedroht. Fast ein Drittel der deutschen Bevölkerung' ist auf den Warenbezug durch die Konsum- vereine angewiesen. Sind die Konsumverein« nicht mehr imstande, diese Aufgabe zu erfüllen, dann bleiben Störungen des Wirt, schaftslebens und der öffentlichen Ordnung und Ruhe unoer- meidlich. tEs erscheint deshalb als die Pflicht des Reiches, bei seinen finanzpolitischen Maßnahmen Rücksicht auf dies« Verhält- nisse zu nehmen. Selbst bei nominell gleicher Belastung der Konsum- vereine durch die Steuergesetzgebung ist die tatsächliche Belastung stets ein Vielfaches höher als die anderer wirtschaftlicher Unter- nehmungen, weil die Konsumgenossenschaften ihren steuerlichen Ver- pflichtungen stets restlos und auf das pünktlichste nachgekommen sind. Angesichts dieser Umstände beantragen wir: Der Reichstag wolle be- schließen: 1. Im 8 2 des Umsatzsteuergesetzes eine Ziffer 13 mit folgen- dem Wortlaut anzufügen: 13. Von der Umsatzsteuer sind befreit bei den Ge- nossenschastcn, die einem Revisionsoerband angehören und die der gemeinschaftlichen Verwertung von Erzeugnissen der Genossen oder dem gemeinschaftlichen Absatz der Genossen oder dem gemeinschaft- lichen Einkauf von Waren für die Genossen oder der Herstellung von Häusern für die Genossen dienen, derjenige Teil des Umsatzes, der den für die Erzeugnisse und Waren der Genossen oder den eingekauften Waren oder den für die Hefftellung der Häuser gezahlten Entgelten entspricht. Das gleiche gilt bei den in ihrer Hauptbestimmung als Zentralen der Genossen- schaften, Gesellschaften mit beschränkter Hastung und Aktien- gesellschaften, deren Gesellschafter ausschließlich oder doch überwiegend die im Abs. 1 bezeichneten Genossenschaften sind. 2. Entsprechend der Befreiung der Kleinbetriebe von der B e- triebssteuer sind auch die Konsumvereine und deren Zentralen von der Entrichtung der Betriebssteuer auszunehmen. �uckerreserve. Sicherung der Uebergangszeit zur freien Wirtschaft. Die im letzten Herbst wieder eingeführte Zwangsbewirt- schaftung für Zucker gilt bekanntlich nur für Zucker der letzt- jährigen Erzeugung, von dem zurzeit der Rest zur Verteilung gc- langt. Durch eine in diesen Tagen erscheinende Verordnung des Reichsmimsterimns für Ernährung und Landwirtschaft werden zur Vermeidung von Störungen de? Zuckerversorgung des kommenden Jahres eine Reihe besonderer Maßnahmen getrosten. Zunächst wird den Zuckerfabriken die Verpflichtung auf- erlegt,«ine gewisse Menge Zucker aus der neuen Erzeugung bis zu einem vom Reichsminister für Ernährung und Landwirtschast be- stimmten Zeitpunkte auf Lager zu halten. Diese Rücklag« ist so bemessen, daß sie den Bedarf der Bevölkerung für etwa 4 Mo- nate sichert. Sie darf erst in den Verkehr gebrocht werden, wenn der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft sie freigibt. Auf diese Weise, wird erreicht, daß nicht der gesamte Zucker neuer Erzeugung am Anfang des Wirtschaftsjahres auf den Markt und in den Konsum kommt, wodurch unter Umständen für den Rest de» Wirtschaftsjahres Störungen in der Versorgung eintreten könnten. Zur Verhinderung eurer etwa zu befürchtenden Spekulation mit Zucker wird sodann eine besonder« Großhandelserlaubnis für Zucker eingeführt für diejenigen Betriebe, die den Handel mit Zucker neu aufnehmen wollen. Endlich sieht die Verordnung eine Einschränkung der gewerblichen Zuckerverarbei» t u n g vor. Die Verwendung von Zucker zur Herstellung von Mar« melade und Obstkonserven, Kunsthonig, Schokolade und Süßigkeiten sowie Branntwein und branntweinhaltigen Getränken oller Art wird von einer besonderen Erlaubnis abhängig gemacht. Zucker, der im letzten Wirtschaftsjahr durch die zuständigen Stellen geliZert oder zugewiesen worden ist, darf bis auf weiteres noch oerarbeitet werden.
Grögebunöene Sittlichkeit. Von Kurt Heilbut. Der Weltkrieg hat vielen die Augen dafür geöffnet, daß die beiden einflußreichsten Weltanschauungen der europäischen Völker, Christentum und Philosophie, nicht imstande sind, die Menschheit aus dem Chaos zu retten. Den jungen Menschen unserer Tage, die sich freimachen wollen von den überkonunenen Anschauungen und Ueber- lieferungen, den Ringenden und Suchenden nach neuen Erkenntnissen und neuen Wegen, uns aus dem kriegerischen und profitgierigen W-jp/ifinn unserer Tage hinauszuführen, sei Dr. Walter A. B e re n d- s o h n s kleme Schrift„Erdgebundene Sittlichkeit" empfohlen. In einer klaren, übersichtlichen Gliederung, m einer bilderreichen und gedankentiefen Sprache, die durchglüht ist von der Liebe zu den höchsten Menschheitsideen, zeigt Berendsohn, daß und warum Christentum und Philosophie als Führer und Retter oersagt haben. Weder konnte das Christentum den inneren Widerspruch lösen zwischen der gotwerbundenen reinen Seele und dem sündigen erd- gebundenen Körper, noch vermocht« die Philosophie, die Wissenschaft von der Lebensweisheit, den Gegensatz auszugleichen zwischen der Niedrigkeit der menschlichen Natur und der von ihr losgelösten reinen Vernunft Kants . Das Leben ist durch reines Denken allein nicht zu meistern, und die Erkenntnis alkin zwingt noch nicht mit innerer Notwendigkeit zum sittlichen Handeln. Nur sinnvolle Gebundenheit der ganzen Innenwelt kann die Menschenwelt umgestalten und beseelen. Ist äußere Crdgebundenheit des Menschen und der Menschheit unentrinnbares Schicksal, so ist innere Crdgebundenheit die überall keimende künftige Religion. Gebundenheit an die Natur, als Quell unserer besten Kräfte, Gebunden- heit an die Kultur in erster Linie durch Familie und Beruf. Innere Erdgebundenheit schafft das Ideal eines Menschen, dem sich Natur- und Kulturgebundenheit unmerklich ineinanderfügen. Die Scheide- «and im Menschen zwischen Körper und Seele, zwischen Natur und Kultur ist durchbrochen, und so wird innere Erdgebundenheit zur tragfähigen Grundlage für den Aufbau einer neuen Sittlichkeit. Und die Sehnsucht nach einer neuen Sittlichkeit ist überoll groß. Jede Lebensanschauung ist irgendwie gebunden, das Christentum an den jenseitigen Gott, die Philosophie an die Sittenlehre, Auch die an die Erde gebunden« Sittlichkeit. schaltet die Freiheit aus. Nicht „Frei wovon?" heißt die Frage, sondern mit Zarathustra wird ge- fragt:„Frei wozu?". Voraussetzung ist allerdings die Freiheit von alten erstarrten Ucberlieferungen. An ihre Stelle tritt die willige, sinnvoll«, innere Gebundenheit an die Kultur. Das gilt für den Einzelmenschen wie für die Gemeinschaft, für Volk und Staat: Wer sein Vaterland lieb hat, und ihm dauernden Bestand sichern will, muß dem Vvlkerfrieden zustreben. Sittlich ist alles, was die Weg« dorthin ebnet. Unsittlich und verderblich dagegen ist die ungeheure
Gewalt, die sich der Kapitalismus in der Freihest des wirtschaftlichen Lebens erworben hat. Die Umgestaltung der polittschen und wirtschaftlichen Welt ist also ein unerläßlicher Bestandteil erdgebundener Sittlichkeit. Nicht minder die Umgestaltung der kulturellen Verhältnisse. Auch in Kunst und Wissenschast sind die innigen Beziehungen zur menschlichen Ge- meinschaft verloren gegangen. In der Kunst wird das losgelöste Ich überschätzt, in der Wissenschaft an sich. Es gilt die Schaffung einer Lebensanschauung als Grundlage einer einheitlichen Sittlichkeit, die nicht nur an Feiertagen hervorgeholt werden, sondern bei den nahe- liegenden Alltagsdingen beginnen soll.„Crdgebundene Sittlichkeit ist Bindung des Willens durch Liebe. Ihr Wesenskern ist nichts anderes als«cht« Menschlichkeit." Und die Erziehung zu dieser Menschlichkeit ist«ine miserer wichtigsten Aufgaben.
vie Grestie öes fieschplos in neuer Fassung. Di« Freisprechung des Muttermörders steht an der ersten Stufe der zivilisierten Geschichte: sie beginnt mit einem epigonenhaften Kompromiß. Wir, die wir Engels' Buch über den Ursprung des Staates kennen, wissen die Figur dieses von den Erinnnen ver- folgten Orest richtig zu losen. Aber unerschöpflich groß ist dieses griechische Drama, weit über zwei Jahrtausende alt. auch für ms noch. Nicht nur die Urstage nach dem Staat, auch die größere nach dem Wesen der Freiheit. Notwendigkeit und Schicksal ist in ihm. Und auch die nach dem Werden der schöngeistigen Kultur aus Blut- opfern und Menschenstaß.—— Viel, sehr viel können wir bier lernen, und es ist kein Zufall, daß die Uebertragungen der antiken Tragödie ins Deutsche sich wiederholen. Johannes T r a l o w(der früher« Leiter des Theaters des werktätigen Volkes in Köln , jetzt Oberregisseur am Frankfurter Schauspielhaus) hat ein« feste und trotz der Verwendung von Reimen geschichtlich echt« Uebersetzung geschaffen. Rur das erwähnte Kompromiß hat auch er nicht, indem er stch an den rettenden Goethe der„Iphigenie " klammerte, durch einen Höberen Standpunkt überwunden. Die Inszenierung dieses Dramas, des Chors und der Furien im Frankfurter Schauspielhaus war in mannigfacher Hinsicht bemerkenswert. Das unendlich schwierige Problem des Männer- und des Frauenchors wurhe durch Schaffung von Reihen, in die sich die Strophen teilten, durch Wechsel und Vereinigung de? Klänge und Postierungen gelöst. Die Unterwelt der Furien wurde, ähnlich wie im Staatstheaters Ießners die der Macbeth- schen Hexen, ins Dunkel oerlegt statt ins Grau— ich weiß nicht ob mit Erfolg. Der Wächter, der die Signale des Unterganges des helligen Troja schaut, ragte aus ganzem Dunkel in einfachem Licht, hoch über dem Bühnenschauplatz harrend. Die Verkörperung der Göttin Athene erfolgte in Statuen-Form— eine äußerst glückliche Idee! Auch das Auftreten von Kriegern und Gefolg« vollzog sich mit einfachen, stark wirkenden Mitteln. In der Darstellung gebührt der Klytämnestra , die die bekannte, setzt endlich auf sich selbst zurück- gekommene Heroine Melitta L e i t h n e r schuf, ein hohes Lob. H. v. Z._
Die Akademie der Künste eröffnete heute mittag in ihrem Haus am Pariser Platz eine große Schwarzweiß-Ausstellung, aus der— wie immer in den letzten Iahren— alle künstlerischen Richtungen versteten sind, zum Teil mit hervorragenden Werken. Von den Altmeistern des Impresstonismus Li« der mann, Slevogt , Corinth führt die Linie über Ludwig v. Hof- mann, Wilhelm Oesterle, Engel, Barlach zu Kokoschka , Pechstein, Schmidt-Rottluff , Carl Hofer und Kirchner. Plasttten von Haller, Rene« Sintenis, Georg Kolbe , Milly Steger , Lederer u. a. sind über die einzelnen Räum« verteilt. Eine Kollektiv- ausstellung neuer Arbeiten von Käthe Kollwitz (darunter die grandios« Serie„Krieg") bildet den Mittel- und Glanzpunkt der interessanten Veranstaltung, auf deren Einzelheiten wir noch aus- führlich eingehen werden. J. S. Eine seltsame Widmung. Der russisch « Graf Fedor R o st o p- schin, der als der Urheber des Brandes von Moskau und damit als der eigentliche Besieger Napoleons berühmt ist, widmet« feine nachgelassenen Lebenserinnerungen der Lesewelt mit folgenden seit- samen Worten:„Hund von Publikum! Mißtönendes Organ aller Leidenschaften I Bald himmelan stolzierend, bald in Kot dich wälzend. immer blindlings preisend und verleumdend, hohe Sturmgocke, leeres Echo deiner selbst, Extrakt der feinsten Gifte und dar süßesten Wohl- gerüche, Repräsentant des Satans rm Menschen, Furie unter der Maske christlicher Liebe, edles Publikum, das ich in ineiner Jugend gefürchtet, in reifern Jahren geehrt, im greisen Alter geachtet habe, dir widme ich meine Memoiren. Liebenswürdiges Publikum, endlich bin ich deinem Bereiche entzogen, denn ich bin tot, folglich taub, blind und stumm. Möchtest auch du zu. deiner und der Menschen Ruhe bald eines gleichen Glückes gen'eßen!" Der japanische Erdbebensilm. Drei verschieden« Filmaufnahmen des japanischen Erdbebens sind jetzt gleichzeitig in den Londoner Kinos zu sehen. Sie kamen alle auf dem„Leviathon" in Southampton von New Dort an, wohin sie im Flugzeug aus Seattle gebracht worden waren, nachdem sie vorher die Seefahrt von Poko- hämo aus zurückgelegt hatten. Da die Film« der einen Gesellschost sofort vorführbar waren, so hatten sie in London vor den andern einen kleinen Vorsprung. Di« Bilder zeigen die Ruinen von Tokio und Yokohama , und diese Szenen der Verwüstung werden dadurch noch eindrucksvoller, daß Bilder dieser Städte vor der Zerstörung gegenübergestellt werden. Lange, lang« Reihen von Ruinen und Trümmerhaufen ziehen vorüber, zerstört« Brücken und Eisenbahn- linien, vernichtete Weg« und Telegraphenleitungen: dazwischen wandert der endlos« Stronr der Flüchtlinge. Die Häuser, die noch stehen, sind so geborsten, daß sie in jedem Augenblick dem Zu- sammenbruch geweiht zu sein scheinen.
Erstaufführungen der Woche. Dien »t. SteatZaper:.Falftaff'. Mittw. Zentraltbcater:.Kammermusik». Urett. Kammerspielc: .Chaitclard»— Schiller-Theater: ,Ik i n B o l t» s e i» d». Saunab. Les- sing-Theater:.Raus ch".— Berimer Theater:.Doli tz». Volksbühne. Der Vortrag von Dros. Seltenberg, Sormtag, den 14. Ottober, Bechsteinsaal, beginnt nicht rrnt 8, siattbetar-tt«>�S-llchr.