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Nr. 545 40. Jahrgang
Seilage öes vorwärts
Mittwoch, 21. November 192?
Was hält öerSaitch von Ssrlm". Schätze, die im Berborgeuen liegen. Berlin   kann nicht verhungern.
�XSSfZEttXaBEBESe
Der.Bauch von Berlin" ist unersättlich, und der Magen einer Millionenstadt braucht ganz beträchtliche Mengen von Lebens- Mitteln, bevor er voll und befriedigt ist. In den letzten Wochen und Monaten hat aber, wie allgemein bekannt ist, die Versorgung der großstädtischen Bevölkerung mit den notwendigsten Lebens- mittel» sehr viel zu wünschen übrig gelassen, und nicht nur nach Margarine und Brot standen vor vielen Geschäften in den ver- sdjicbenffen Stadtteilen Berlins lange.Schlangen" an, sondern auch eine große Anzahl anderer Lebensmittel waren außerordentlich j knapp oder gor nicht zu haben. Die Außenbeamten der Landes»' Polizei haben vor einiger Zeit durch Kontrollen festgestellt, wie- viele Lebensmittel auf den großen Speichern der Stadt lagern. Das Ergebnis überrascht. Folgendes war öer Inhalt von nenn öerliner Speichern: 33 VIS Sack Weizenmehl, 3323 Sack Roggenmehl. 214 Sack, 333 Beutel und 337 Kisten Nudeln, 8763 Sack. 267 Kisten, 31 Waggons und 843 Tonnen Salz, 351 Sack Linsen, 2436 Sack Weizengrieß  , 221 Sack Reis, 334 Sack Haferflocken, 7334 Sack und 533 Tüten Weizenkleie, 2536 Sack Roggenkleie, 133 Sack Gerste, 234 Tonnen Mais. 135 Tonnen und 881 Sack Weizen. 633 Sack Weizennachmehl, 900 Pack Kunsthonig, 133 Tonnen. 1134 Sack und 800 Zentner Roggen, 610 Sack Nachmehl, 1991 Sack Kleie, 915 Sack und 44 Tonnen Hafer, 1275 Sack Kartoffelmehl, 1110 Sack Kartoffelflocken, 308 Sack Bohnen. 300 Kisten kondensierte Milch, 295 Zentner Haferkleie, 233 Sack Hartgrieß, 203 Sack Malzkaffe«. 58 Sack Kartvffeljchnitzel, 113 Sack Trabenschnitzel, 253 Sack Soda, 752 Sack Backpflaumen, 98 Sack Kaffee, 225 Sack Erbsen, 123 Ztr. Mischklei«. 224 Sack Haferschalen, 6056 Tonnen Herioge, 13 Sack Zichorie. 303 Sock Hirse, 45 Sack Kornkaffee  , 1 Waggon und 600 Zentrer Rapskuchen, 2 Sack Graupen, 75 Sack Palmfutterfchrot, 389 Sack Reisfuttermehl, 1 Waggon Palmkuchen, 633 Sack Raps- futter, 103 Zentner Ackerbohnen, 53 Sack Moispuder, 81 Sack Dörr- birnen, 24 Faß Stärkesyrup. Wenn man die stattliche Reil?« der Lebensmittel, die von den Beamten des Landespolizeiamts festgestellt wurden, so langsam an sich Revue passieren läßt, so muß man zu dem erfreulichen Resultat kommen, das nach der Melodie geht:.Lieb' Vaterland, magst ruhig sein!", Berlin   kann nicht verhungern. Wurden Waren zurückgehalten l Die Sache hat noch«in anderes Gesicht, wenn man erfährt, daß, wie die Kontrolle ergeben hat, nicht unbeträchtlich« Lebensmittel Icit verhältnismäßig langer Zeit bereits aus «n Speichern lagern. So wurde z. B. ermittelt, daß auf einem Speicher 7251 Sack und 267 Sislen Salz seit dem 6. November 1922 lagern. Auf demselben Speicher fand man 1639 Faß Heringe fett Juli 1923 und 1942 Faß, die seit Slugust'September dort stehen. An einer anderen Süll« wurden 75 Sack Zucker, die dort seit April 1323 stehen, festgestellt, und noch an«wer anderen Stelle entdeckte man 700 Sack Kartoffelmehl, das feit No- vember 1322 und Januar 1323 dort untergebracht war. Di« nicht unberechtigt« Annahme drängt sich auf, daß w vielen Fällen Daren zurückgehalten worden sind, und gegen die Firmen, die hier Lebensmittel gelagert haben. Ist dann auch An zeig« wegen Warenzurückhaltung erstattet worden. Ob tat- sächlich Warenzurückhaltung vorliegt, oder ob die Behauptungen der Firmeninhaber richtig sind, die darauf hinweisen, daß sie unter den heute ganz anders gearteten Handelsverhältnisien gezwungen sind, auf den Speichern, die sa natürlich zunächst au» dem Grunde angelegt worden sind, damit sie Waren aufnehmen, Waren«in- zulagern. wird die gerichtliche Untersuchung zu ergeben haben. von Hanü zu HavÜ. Die Prüfung und Kvnttxlle der Speicher durch die Außen- beamten des Landespolizeiamts hat sich ab» außerdem auch nach der Richtung erstreckt, ob nicht Kettenhandel vorliegt. An der Hand der Lagerscheine, die die einzelnen Firmen vorweisen mußten, konnte festgestellt werden, daß w vielen Fällen Mehl durch 7 bis 8 Hände gegangen ist. ohne daß es an den Bäcker gelangle. Nach den Bsob- achtungen, die die Kriminalbeamten des Landespolizeiamts machten, findet nicht nur Kettenhandel mit ganzen Waggons statt, sondern
auch mit einzelnen Posten. Findet sich ein Händler, der den Waggon verteilt, d. h. die War« m einzelnen Posten weitergibt, so setzt«ine neu« Kette ein, in der die einzelnen Posten wieder durch verschiedene Hände gehen. Ein Teil der Ware, die bei de» Speicherkonlrolle gefunden wurde, ist beschlagnahmt worden. Die Staatsanwaltschaft wird zu befinden haben, was mit den Waren geschehen scll und auf welche Weise sie ein« schnell« Verwendung zu finden haben. » Verhungern kann also Berlin   gewiß nicht, wenn die Bevölke- rung die oben aufgeführten Lebensmittel zugeleitet erhält. Ob da- bei durch den Großhandel Hemmungen und Hindernisse bestehen, das zu entscheiden ist Sache des Staatsanwalts und des Gerichts. Unter keinen Umständen aber darf es soweit kommen, daß«in be- kanntes und viel zitiertes freches Wort in der Variation auf Berlin  paßt:»Berlin   hungert bei vollen Speichern".
tvieüer fteigenöe preise. Brot, Milch, Kohlen, Werk- und Verkehrstarife. Als ein« Folge des steigenden Dollorkurses und der Erhöhung des Goldmarknweaus auf«ine Billion stellen sich prompt ein« ganz« Anzahl von Preiserhöhungen ein. Besonders einschneidend ist die Bemessung des Brotpreises nach Goldmark in einem Augenblick, wo die große Masse der Lohn- und Gehalts- «mpfänger noch nicht einen Pfennig des wertbeständigen Geldes zu sehen bekommen hat. Das dunkle Brak kostet 77 Goldpfennige, also 7 Goldpfennig« mehr, und das helle Brot 84. also 4 Gold- pfennl?e mehr als bisher. Der Grundpreis der Schrippe b'eib' unverändert auf3Goldpfennlge stehen. Die Erhöhung der Lrotpreise ist nach amtlicher Mitteilung darin zu suchen, daß die Reichsgctreidcstelle für das Mehl statt bisher 30,35 Goldmark für den Doppelzentner 36,30 Goldmark fordern mußte. Das Ernährungsamt teilt mit. daß der Preis für Vollmilch 283 TRil- Horben und für Magermilch 95 Milliarden Mark am 21. und 22. je Liter beträgt. Nach dem amtlichen Dollarkurs vom 20. No- vember stellen stck die Verkaufspreise für Briketts und Koks ab 22. d. M. wie folgt: Küchen- und Ofenbrondbrikells ob Lager 1911, frei Kell-r 1981 MMorde«. Gaskoks 4228 und 4308 Mil- larden. Bei fuhrcvweiser Lieferung: Briketts 1911 und 1971, Gas- koks 4228 und 4298 Milliarden. D« Direktionen der städtischen Gas- Wasser und Elektrizitätswerke teilen mit, daß der Gaspreis für den 21. und 22. 210 ZNIllwrden, die Enlwässerungsgebühr 163 M lliardcn und der Strompreis 423 INiMarden für ein« Kilo- Wattstunde beträgt. Ferner erfahren die Derkehrstarise ab Donnersiag eine bedeutende Erhöhung. Die Berliner  Straßenbahn wird ab Donnerstag folgende Fahrpreis« nehmen: für den Umsteigefahrschein 153 Milliarden, für den K i nd e r fa h r- schein 75 Milliarden und den Uebergangsfahrschein zur Hochbahn 230 Milliarden. Die Hoch- und Untergrund- bahn nimmt folgende Fahrpreise: In der dritten Klasse 133 und 153 MiMarden und in der zweiten Klasse 153 und 233 Milliarden. Block» zu zehn Karten kosten 900 und 1330 bzw. 1300 und 1700 Milliarden. Der Breis für die W o ch e n k a r t« zu sechs Fahrten beträgt 750 und 1003 Milliarden. Di« Omnibusgesellschaft erhebt für die Teilstrecke 153 und für die ganze Strecke 233 Ml- Horden. Ein Preisrätsel. Uns wird geschrieben: Wenn sich der amilich« Kur« der Papiermark verschlechtert, er- höht sich am nächstfolgenden Tage der Preis für den Haus- orand. Dieses Zlufsteigen ist so gewiß wie die Sonne im Osten. Bei Koks ist die Preisnachprüfung für jemand, der außerhalb des Berllner Kohlenamtes steht, unmöglich, weil er nickt wissen kann, aus welchem Bergwerksbezirk die Lieferungen noch Berlin   kommen. Bei Hausbrandbriketts ist aber eine Prüfungsmöglichkeit
gegeben, da diese aus dem Bereich des Scnftenberger Braunkohlcü- bergbaues bezogen werden und auf einer cinheillichen Preis- und Frachtgrundlage beruhen. Eine solche Nachprüfung führte zu dem Ergebnis, daß eine öffentliche Anfrage än das Berliner  Kohlenomt gestellt werden muß, welche Richtlinien für feine Preisbemessung bei Hausbrandbriketts maßgebend sind. Die Bevölkerung Berlins  , als Träger des Kohlenamtes, hat ein Recht, diese Frage klipp und klar' beani- wortet zu bekommen. Daß diese Fragestellung berechtigt ist, soll bewiesen werden. Seit 15. Oktober d. I. kostet eine Tonne Briketts frei Wagg o n ab Grub« bei Senftenberg   14,13 Goldmark. Mit einer Abrundung nach oben sind das für den Zentner 3,71 Gold- mark. Zugeschlagen werden muß die Fracht bis Verlin im Betrage von 6,68 Goldmark für ein« Tonn«. Frei Verlin Ostbahnhof kostet sonach ein Zentner Briketts einschließlich Handelsnutzen für den Platzhändler der im Preis von 14,12 Goldmark enthalten ist 1,34 Goldmark. Dieser Goldmarkprcis ist, das sei nochmals hervor» gehoben, unverändert geblieben. Die Preis« de's Berliner   Kohlen- amles sind abr andauernd schwankend auch in Goldmark. Es kostete ein Zenwer Briketts:
Datum 8. Rod. 8.. 14.» 15.» 16..
Frei Berlin  Oilbabnhos in Goldmark . 1.34 . 1,34 . 1,04 . 1,04 . 1,04
Kleinverkaus in Milliarden Papiermark 190.6 809.9 352. 665, 1330,
.KlewverkausSpr. nach dem amtlichen Kurs in Goldmark 1,30 2.06 1.76 2.21 2.21
Fragen: Welche Erklärung hat das Berliner Kohlenamt für die Schwankungen des Kleinverkaufspreises in Goldmark zu geben? Wie ist es zu erklären, daß der Kleinverkaufspreis in den beiden letzten Tagen um 111,53 Proz. über den Gestehungs- und Frachtkosten bis Berlin   liegt? Sieht«in Aufschlag von 111F3 Proz. in Goldmark für Abfuhrgebührnisse vom Bahnhof und Kleinhandelsnutzen nicht verteufelt ähnlich dem privaten Preis- wucher? Welches sind die Richtlinien für die Bestimmung der Kleinverkaufspreise?_ Die neue petzower Schießaffäre. Die Beteiligten noch nicht vernehmungsfähig. Zu dem blutigen Zusammenstoß, der sich, wie mitgeteilt, am Montagabend im Petzower Forst unweit des Forsthauses Kamme- rode zwischen dem jungen v. Kähne und den Glindower Einwohnern Körner und K i e ß l e r ereignet hat, erfahren wir noch folgendes: Die nächtlich« Schießerei auf Petzow   konnte gestern noch nicht durch die Potsdamer Staatsanwaltschaft geklärt werden, da alle Beteiligten schwer verletzt sind und zu einem Lokal- termin nicht transportiert werden konnten. Die Staatsanwaltschaft fährt daher erst heute zu der Waldstelle nach Tanneroda. Der i Zusammenstoß erfolgte zwischen Tanneroda und Neue Scheune. j Trotzdem der jung« Kähne von seinem Vater enterbt und des Majo- > rats für verlustig erklärt worden ist, soll ihm sein Vater den Forst- ! schütz über die gesamten Petzower Revier« übertragen haben: der jung« Kähne war daher immer Im Besitz melzrerer Schußwaffen. Der Kamvf zwischen den Männern muß sehr schwer gewesen sein. Kähne sowie Kießler sind so übel zugerichtet, daß sie nicht transportfähig sind. Kähne liegt zurzeit auf Schloß Löckniiz . bei Petzow  . Verhaftungen sind bisher nicht erfolgt. ' In der nächsten Zeit wird übrigens mt der Durchführung der zahlreichen Leleidigungsprozesse begonnen werden, die ' Käbne senior gegen«ine Reih« von Zeitungen angestrengt hat. Am j 4. Dezember ist die Berufungsverhandlung gegen den Redakteur Seeling von derBrandenburger Zeitung" anberaumt.
Die Mehlschiebunge» beim Schöneberger Magistrat. I» dem umfangreichen Strafverfahren wegen der u n g e- beuerlichen Meblschiebungen beim Scköneberger M a g i st r a t ist die Boruntersuchung nunmehr abgeschlosien und die Änklage zugestellt worden. Angeklagt sind 43 Personen, und zwar der MagrstratSobersekretär Lange, mehrere frühere Hilfsarbeiier beim Magistrat Schöneberg   und eine Reihe von Bäckermeistern, Konditoren und Koufleuten. Sie sind der aktiven und passiven BeHechuna. des Preiswuchers, des Schleichbandels und de» unerlaubten Großhandels mit Lebensmitteln beicknldigt. Die Verleidiger haben mit Rücksicht auf das riesige Aktenmalerial, I das eine ganze Holzkiste in der Gcrichtssckreiberei der Staats» ; anwalti'chaft ausfüllt,»m die Verlängerung der ErkläriingSfrist auf i einen Monat nachgesucht. Die B�rhandlunp'vor der Strafkammer dcS ! Landgerichts II dürfte daher erst Anfang iinchsten J.tbres stattfinden
Copyright Georg Malier, Manchen.
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Die Cofoffifcher. Roman von Zohan Bojer.
Jakob mufite in den Kramladen gehen und sich das kaufen, "»mit er seinen Körper bedecken wollte, und jetzt saß er hier in isländischer Wolljoppe und Pelzweste und blauer Ueberjacke. Für wen sischts er? Für niemand. Er war auf dem Lofot zu Haufe, auf der Nordfahrt und auf der Südfabrt auch dort weiter unten im Süden, aber fein eigentliches Heim war die Kambüse derMeerblume". Wenn er bisher in keiner Schlägerei totgefckffagen war. sich noch nicht zu Tod« getrunken hatte oder bei tollkühnem Segeln umgekommen war. so gab es dafür nur ein« Erklärung: Er war eben de? Jakob. Und jetzt saß er hier butterweich und bekam Mölje und Schnaps. und er war der un'terblicke Jakob Schwerenot mit dem Kurz» fuß, der Sturmvogel an Land. Im übrigen erzählte er, demnächst werde ein großer Redner herkommen. Der Pfarrer fei wütend auf ihn, aber in der 2lusdeutung von Gottes Wort �olle er etwas loshaben. Und Jakob neigte den Kopf, blickte in die Lampe   und schmeckte fast etwas Süßes, als er Gottes Wort sagte. Aber als die Schüssel leer war, erhob er sich und stürmte binaus. Er ha'te die Ahnung, daß es noch in einem anderen Haufe Möfie gäbe, und draußen in der Dunkelheit steuerte er durch den Schnee geradewegs auf ein Licht in einer Klippen- wand zu. Er schlingert« wohl etwas nach rechts h'nüber mit dem Südwester und dem breiten Rücken, aber sonst sang er sein altes Lied:O du Maria oho!" In de" Hütte aber, zu der es ihn zog, hauste Andreas Ekra, der Führer desSturmvogels", und hier gab es Mölje und Schnaps. Aber die Manne? gähnten, sie wollten wieder ins Bett, sie mußten früh aufstehen und eine arbeitsame Woche beginnen. Da torkelte Jakob wieder in die Finsternis hmaus. Jetzt sangen viele verschiedene Schnäpse in ihm, er hatte eine gute Ladung Mölse eingenommen, aber er steuerte auf das Halen- licht zu und erinnerte sich unaelähr, wo d'e Jolle lag. Und als er an den dunklen kleinen Hütten v"rnber'chlingsrte. mußte er natürlich fein L'ed singen:O du Maria aho!" Hallo da fiel er in einen Schneehaufen, aber es tut ganz wobl, einen Augenbsick stillzuliegen, zu den Sternen emporzublicken und
sich dann wieder aufzurappeln. Schuppen und Häuser waren schon dunkel, keiner sah, daß Jakob auf der einen Seite weiß und auf der anderen schwarz war, aber sieh da, da schleicht ein Bursch mit einem Mädel davon. He, he! Dachte der Kerl. Jakob wäre niemals jung gewesen? Dann kam er endlich an die Jolle, löste sie, kletterte an Bord, legte die Ruder aus. Und unter ihm lag der Sund, blank von Sternen, und über ihm funkelte der Himmel mit noch viel mehr Sternen, und jetzt beginnen die Brücken zurück- zuweichen. Nun, mögen sie laufen! Schiffe und Boot» im Hafen, das Rauschen der Brandung vom Meere her, Dunkel und Frieden über Land und See, o du Maria aho! 15. Es war fern im Süden an einem'grauen Strande, und auch dort war es Winter mit Schnee und Sturm, und Frauen und Kinder taten ihre Arbeit, aber ihre Gedanken waren nicht hier, sie waren bei denen, die auf dem Meere fuhren, viele, viele Meilen nordwärts. Ganz oben auf den Höhen auf einem kleinen Derghof ging ein wsißbärtiger Greis umher. Kaneles Gomons Dater, und er tastete sich aus und ein und wurde nur älter mit jedem Tage, der verging. Ist das nicht seltsam? Früher einmal hatte er so gut sehen können, er konnte die Schafe meilenweit in den Bergen erkennen, er hatte Boote und Schiffe tief unten auf dem Fjord sehen können, und«r konnte sie voneinander untersche'den und ihnen die rechten Namen geben. Ja selbst in den Dörfern am Fu�e der Westberge jenseits des Fjords konnte er ein Boot am Strande und Rauch aus den roten und grauen Häusern sehen. Jetzt sah er kaum noch seine eigenen Finger. So kann ez gehen. Er hatte manchen Schilling damit verdient, daß er Kehrbesen und Holzpantoffel machte. Aber jetzt schnitt er sich dabei nur in die Finger, weil die Hände so zitterten und außerdem konnte er in dem tiefen Schne« kein Material fin- den. Den Schafen, den paar Kühen und dem kleinen Fjord- pferd gqb das Mädchen zu fressen, ober er konnte auch noch manchmal in den Stall gehen und nachsehen, ob die Tiere gut gut gepflegt wurden. Sonst aber saß er auf einem Schemel am Ofen und rauchte eine kleine eiserne Pfeife, legte Holz auf und brachte die Zeit so h'N. Es war immer windig hier oben in den Bergen, und mit der Zeit war der Wind ein Mensch geworden, mit dem er sprechen konnte. An das
Mädel konnte er sich nicht wenden, sie tat wohl ihre Arbeit, aber mindestens einen Abend in der Woche flog sie auf Schneeschuhen die halbe Meile zum nächsten Nachbarn hin- unter, um mit der Jugend zu schwatzen und zu lachen. Nein, da war der Wind viel beständiger, der war dem Hause treu. Und nun saß der Alte hier allein und schwatzte mit dem Winde von Kaneles. Die beiden waren sich darin einig, daß er ein ganz tadelloser Bursche sei, der einem Schnaps und einer Schlägerei nicht aus dem Wege gi ge, aber tüchtig für zwei fei, wenn es darauf ankäme, und gutherzig, wenn man ihn nur richtig anfaßte. Darin waren sie beide einig. Und wenn der Winter vergangen war, dann würde er mit' seinem Verdienst heimkommen und dann würde Rat werden mit dem Krämer und auch mit der Bank. Und was den Lens- mann betraf, so würde Kaneles ihn schon zum Schweigen bringen. Der Alte saß hier mit dem langen weißen Haar und Bart, rot im Gesicht vom Ofenfeuer, und der Wind und er wurden bald noch in einem anderen Punkte einig: Der Kaneles mußte bald heiraten, denn hier war eine erwachsene Frau im Hause nötig, und er selber würde schon noch kleine Kinder wiegen können. Wiegen, ja, sagte der Wind, hui, hui! Wiegen, ja, sagte auch der Alte zu den Feuerflammen im Ofen, und dann trocknete er die roten, feuchten Augen und wiegte den weißen Kopf. Büsch, büschl Wurde es ein Junge, so würde er wohl nach ihm selber Ola heißen. Ein Junge, ja, sagte der Wind. Ola, ja, sagte der Wind. Büsch, büschl Es war der Nordwestwind, mit dem der Alte sprach. Er kam vom Meere her, setzte über Blaaheia weg und begann dann zwischen den Bergen zu donnern und zu dröhnen, daß Fjord und Dorf Tag für Tag in wirbelnde Flocken gehüllt waren. Weiße Schneegespenster erhoben sich himmelhoch von der Erde und sausten kopfüber durch die Finsternis davon. Und unten am Strande iah man Licht aus den kleinen Häu- fem. Sie duckten sich gleichsam nieder und versuchten, sich im Schnee zu verstecken aus Angst vor diesem Himmelsunwetter. Heute abend kam der vierzehnjährige Oluf Myran auf Schneeschuhen gegen den Wind gelaufen. Er hatte ein Ranzel auf dem Rücken und die Mütze über die Ohren ge- zogen, er war bei dem Krämer gewesen, der auch die Post verwaltete. Und jetzt hatte er einen Haufen Briefe, die noch heute abend in der ganzen Gegend ausgetragen werden mußten.(Fortsetzung folgt.)
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