Nr. 54.
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Vorwärts
12. Jahrg.
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Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
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Der agrarische Staatsrath. Der Staatsrath, der über Mittel und Wege be rathen soll, um der gegenwärtig unter ungünstigen wirthschaftlichen Verhältnissen produzirenden Landwirthschaft auf die Beine zu helfen, ist zum 12. d. M. zusammenberufen. Seinen Berathungen soll dabei das unten abgedruckte Programm zu grunde gelegt werden.. Daß diese Berathungen nicht zu dem Ziele führen werden, das die reinen, unverfälschten Agrarier vom Schlage der Kanig, Mirbach, Kardorff 2c. erreicht zu sehen wünschen, nämlich zur Empfehlung des Antrages Kanit( staatliches Getreidemonpol) und der Aufhebung der Gold= währung, darüber ist sich heute schon alle Welt flar. Auch die eingefleischten Agrarier selber. Die verschiedenen Aeußerungen der gegenwärtig leitenden Männer der deutschen Politik, inklusive des Kaisers, haben über die ablehnende Haltung der Regierung den erwähnten weitgehenden agrarischen Plänen gegenüber kaum noch einen Zweifel gelassen. Und daß der Staatsrath nicht anders wollen wird, wie die Regierung will, daran zweifelt auch niemand; dafür wird schon durch die zu sammensetzung des Staatsraths" gesorgt sein.
Dienstag, den 5. März 1895.
Expedition: SW. 19, Benth- Straße 3.
mit dieser Nothstandsfrage beschäftigen, Vorschläge gemacht| IV. Maßnahmen zur Seßhaftmachung der länd worden, die wesentlich auf dem Gedanken der Monopolisirung lichen Arbeiter bevölkerung, insbesondere in des Handels mit Getreide bezw. mit Brot beruhen. Folgende den östlichen Provinzen der Monarchie durch wirksame Unterstützung der Rentengutsbildung durch ErVorschläge stehen jetzt im Vordergrunde der Erörterung: a) die Monopolifirung des Handels mit ausländischem möglichung der Rentengutsbildung für kleine Stellen( ArbeiterGetreide in Verbindung mit einer Bestimmung der Preise stellen). für das eingeführte ausländische Getreide nach Maßgabe des Preisstandes im Inlande innerhalb der letzten 40 Jahre;
b) die Monopolisirung des Handels mit ausländischem und inländischem Getreide;
c) die Kontingentirung der Einfuhr von ausländischem Getreide;
d) die Besteuerung des zum Verbrauche ins Inland eingeführten ausländischen Getreides in Staffelform:
e) die Einführung eines staatlichen Brotmonopols; f) der Ankauf von Getreide, seitens des Staates und die Verarbeitung desselben zu Mehl in fiskalischen Mühlen. Es fragt sich: Sind diese Vorschriften geeignet, den erstrebten Endzweck zu erreichen? Sind sie praktisch durchführbar? Referenten: 1. Landrath v. Kardorff zu Dels, 2. Kammerherr v. Selldorff auf Bedra.
2. Zur Hebung des Zucker und Spiritus. preises. Welche Maßregeln sind zur Bekämpfung der gegen wärtigen Krisis in der Zuckerindustrie und zur Verbesserung der Lage des Branntwein- Brennerei- Gewerbes zu ergreifen?
politit.
Referenten: 1. Staatsminister Graf v. 8edlig= Trü ßschler auf Nieder- Großen- Borau, 2. Präsident Dr. v. Wittenburg in Posen.
V. Maßnahmen auf dem Gebiete der Kreditorganisation.
Leistet der bisherige Zustand des Immobiliar- und Personalkreditwesens den berechtigten Anforderungen der Landwirthschaft Genüge, oder welche Aenderungen find anzustreben?
Insbesondere:
1. Ist as, bestehende Berhältniß der beiden Kreditformen ein angemessenes, oder empfiehlt es sich, den Immobiliar Fredit zu gunsten des Personaltredits einzuschränken, um auf diesem Wege zugleich auf eine spätere Verminderung der Gesammtverschuldung des Grundbesitzes hinzuwirken? 2. Jst durch Maßnahmen auf dem Gebiete des Kreditwesens eine Beseitigung der jetzt theilweise vorhandenen Ueberschuldung zu erreichen?
3. Wird durch die bestehenden Grundkredit- Institute dem Grundbesize ein genügend weit ausgedehnter, unkündbarer, möglichst wohlfeiler und leicht zugänglicher Kredit mit allmäliger Tilgungsverpflichtung gewährleistet?
Wird von den fommunalen Sparkassen nach ihrer gegenwärtigen Verfassung ein solcher Kredit in ausreichendem Maße gewährt oder welche Aenderungen sind in dieser Beziehung anzustreben?
4. Ist für eine etwa als nöthig erachtete Reform die Neubildung großer Kreditorganisationen oder die Fortbildung der überkommenen landschaftlichen und kommunalen Kreditinstitute ins Auge zu fassen?
5. Jst speziell den Bedürfnissen des Meliorationskredits bes reits ausreichend Rechnung getragen, oder sind auf diesem Gebiete Aenderungen anzustreben, eventuell unter Ge währung eines gefeßlichen Vorrechts für Meliorations tredite gegenüber den bereits eingetragenen Schulden? Referenten: 1. Freiherr v. Hoiningen, gen. Huene auf Groß Mahlendorf, 2. Landes direktor Dr. Klein zu Düsseldorf .
Das unten abgedruckte Programm der Berathungen Referenten bezüglich der Zuckerindustie: 1. Amtsist in fünf große Gruppen eingetheilt, und zwar will die rath v. 3immermann auf Benfendorf, 2. Landes DefonomieRegierung die Meinung des Staatsraths hören über: 1. die rath, v. Kaufmann zu Steuerwald; bezüglich des Brannt Hebung der Preise landwirthschaftlicher Produkte, wozu in wein- Brennerei Gewerbes: 1. Gutsbesitzer Seydel erster Linie eben der Antrag Kaniz gehören würde; 2. die auf Chelchen, 2. Graf v. Bieten- Schwerin auf Wustrau . Währungspolitik; 3. die Verbilligung der landwirth II. Maßnahmen auf dem Gebiete der Währungsschaftlichen Produktion und Erleichterung des Abjages; 4. die Seßhaftmachung der Landarbeiter und Welche Folgerungen sind aus dem Ergebniß der Berathungen endlich 5. Kreditfragen. Wie man sieht, sind um den der„ Silberkommission" zu ziehen? Insbesondere: Sind zur guten Willen zu zeigen die den Bauern" am innigsten Sebung und Befestigung des Silberwerthes im gegenwärtigen ans Herz gewachsenen Wünsche in dem Programm voran Beitpunkte Maßregeln zu ergreifen? gestellt, den Kreisen dieser Bauern" auch die Referenten entnommen; immerhin aber soll auch über eine lange Reihe solcher landwirthschaftlichen Reformen berathen werden, die III. Maßnahmen zur Verbilligung nicht dem Arsenal der Grafen Kanit 2c. entstammen und der landwirthschaftlichen Produktion und zur die von diesen Bauern" daher längst als kleine Mittel" Erleichterung des Absatzes der Erzeugnisse. zum alten Eisen geworfen sind. Uebrigens soll, wie man nachIst zur Verbilligung der landwirthschaftlichen Produktion träglich hört, Graf Kanit selbst über seinen Antrag referiren, und zur Beförderung des Absages landwirthschaftlicher Erzeugnisse an stelle des im Programm genannten Herrn v. Kardorff, eine wirksame Herabsehung der Eisenbahntarife auf weitere Entder abgelehnt haben soll. Auch wäre zu erwähnen, daß fernungen zu empfehlen? Fürst Bismarck , der zur Theilnahme an den StaatsSind von einer derartigen Regelung der Eisenbahntarise beraths Sigungen eingeladen war, aus Gesundheitsrücksichten stimmte Artikel der landwirthschaftlichen Roh- und Hilfsstoffe und am Erscheinen verhindert ist. Das in der„ Schlesischen der landwirthschaftlichen Erzeugnisse auszuschließen? Beitung" veröffentlichte Programm hat folgenden Wortlaut: 1. Maßnahmen zur Sebung der Preise landlagefoften) auf eine angemessene Festsetzung der Frachten auf 1. 3ur Hebung des Getreidepreises. Die Noth- den Wasserstraßen, welche vorzugsweise für die Einfuhr land lage der Landwirthschaft wird zumeist als eine Folge der immer wirthschaftlicher Erzeugnisse des Auslandes dienen, hinzuwirken? steigenden Unrentabilität des Körnerbaues angesehen. Bur Referenten: 1. Tr. Freiherr v. Schorlemer- Alst vielen Anstalten leitet, die im Deutschen Reiche allerHebung dieses Mißstandes sind aus den Kreisen derer, die sich auf Alft, 2. Graf v. Kanit auf Podangen.
wirthschaftlicher Produkte.
Feuilleton.
Skizzen aus dem
[ Nachdruck verboten.] 28
gemäße Regelung der staatlichen Schifffahrtsgebühren( Ersatz der Liegt es im Interesse der Landwirthschaft, durch eine fach. Unterhaltungskosten, Berzinsung und allmälige Tilgung der An
Tag vergeblich auf dem Regierungsgebäude erwartet. warum sind Sie nicht gekommen
2"
" Hatte absolut keine Zeit, Erzellenz; habe heute 5000 Wurmkuchen in Papier schlagen müssen eine lang weilige Arbeit... fonnte wirklich nicht abkommen." Sie scherzen, Pancho," erwiderte die Exzellenz, wie
südamerikanischen Hinterlande. tönnen Sie in einer solchen Lage überhaupt noch Scherze
Ein Blatt
südamerikanischer Geschichte.
fleine Thüre in die Apotheke hinein.
machen... hören Sie, wie die Schüsse fallen..
Ja," entgeguete mit aller Gelassenheit der Apotheker, ich bin der Meinung, daß die Rebellen dieses Mal gewonnen haben..."
Und diese verzweifelten Brasilianer... ich erwartete bestimmt, daß sie uns wieder helfen würden."
"
Er hatte sogar seinen Lehrling, der sich in großer Aufregung befand und aus dem Zittern garnicht herauskam, in seine Hängematte geschickt und blieb so ganz allein in seinem Laden, sich nicht im geringsten ereifernd, als in der" Daran habe ich nicht im geringsten gedacht; Sie Nähe ab und zu Schüsse fielen, und als dann und wann wissen, daß sie von Rio de Janeiro eine furchtbare Nase ein Reiter in tollſtem Galopp an seinem Hanse vorsprengte. bekommen haben. Sie sehen jetzt einfach zu, was Ew. Retten Sie mich, Don Francisco", mit diesen Worten Exzellenz beschließen werden... fiel ihm auf einmal eine vermummte Gestalt durch die" Ich und beschließen," schrie die Exzellenz, ich weiß gar nicht mehr, wo eigentlich mein Kopf steht... wer Ah, Sie sind es, Herr Präsident.. Wollen Sie die weiß, ob ich ihn morgen überhaupt noch tragen werde. Güte haben, hier hinten in diese Stube hinein zu spaziren... diefe Rebellen sind beimtückische Hallunken... rathen Sie Hier hat es teine Gefahr... ich werde, wenn Sie Furcht mir endlich, Verehrtester..." haben sollten, hinter Ihnen zuschließen, obwohl hier niemand Guter Rath ist theuer Sie müssen wissen, daß herein kommen dürfte; denn ich bin ein einfacher ehrlicher man" das nicht immer so im Augenblick weiß... Wenn Apotheker... Will Ihnen aber doch Gesellschaft leisten, Sie aber wollen, so werde ich mich über Nacht reiflich besowie ich mit meiner Arbeit zu Ende bin..." denken; vielleicht fällt mir etwas Passendes ein... Wer Damit stieß er den flüchtigen Präsident in das weiß aber, ob Sie in das einwilligen werden, was ich ausHinterzimmer, schloß hinter ihm zu und beendete vor hecke.. erst mit großem Pflegma seine Einwickelungen, dann Ich willige in alles... und werde bei Ihnen bleiben, wusch er sich die Hände, trocknete sie langsam ab, bis ich weiß, was Sie gefunden haben..." versicherte dann sorgfältig seinen Laden mit Schloß Man legte sich zur Ruhe, und seine Erzellenz wälzte und Riegel und trat dann selber in die Hinterstube. sich, ohne rechten Schlaf zu finden, auf seiner Bettstatt. Der verschüchterte Präsident, der still in einer Ecke saß Gegen Mitternacht weckte ihn Herr Guanes und und jedesmal zusammenzuckte, wenn er noch einen ver- sagte them: einzelten Schuß vernahm, empfing ihn voller Angst. Wollen Sie ein wenig Acht haben auf die Apotheke, Ach da kommen Sie, Don Francisco.. fagen Sie mir, Exzellenz ich habe Eile, um zu dem General Caballero was wir thun sollen... Ich habe Sie heute den ganzen zu kommen..."
Zum Sittenkoder
der bürgerlichen Gesellschaft.
In dem Augenblick, in dem die Ordnungsmänner der Umsturzkommission sich abmühen, Religion, Sitte und grabende Sozialdemokratie zu schützen, ist es angebracht, Ordnung gegen die, alle diese bürgerlichen Tugenden unter ein Aftenstück auszugraben, das vor kurzem unserem Parteiorgan, dem Offenburger Boltsfreund" auf den Redaktionstisch flog. Es ist ein Brief einer Hebamme, die eine jener wärts bestehen, um als Retter des Tugendscheines
Sie wollen zu dem General..." Gewiß, hier ist ein Soldat, der mir sagt, daß der General verwundet sei, und ich will deshalb hingehen, um ihm einige Arzneimittel zu bringen... außerdem glaube ich, daß mir auf dem Wege etwas über unser beiderseitiges Geschäft einfallen wird..."
Der leicht verwundete General befand sich unterdessen mit seinem Generalstabe in dem eingenommenen Regierungsgebäude. Er war an einem Beine durch einen Streifschuß leicht verletzt, saß auf einem Stuhle und hatte sein Bein auf einen anderen Stuhl gelegt. Seine Umgebung saß zechend und schwahend um ihn herum. Ein Theil der siegreichen Revolutionäre bivouatirte auf dem freien Plaze vor dem Gebäude und briet an großen Feuern Spießbraten.
" Seht an, unser großer Freund, der Giftmischer, kommt mit einem Berg von Binden und Flaschen an," rief heiter der General, es ist nicht so schlimm, Freund " Der katholische Balsam ist gut für solche Sachen," meinte der Apotheker würdig, es tommt bei seiner Anwendung keine Entzündung und kein Brand zu den Wunden... ich glaube, es wäre am besten, wenn Sie sich hier in dieses kleine Sekretärzimmer begeben wollten, ich sehe dort ein vorzügliches Bett, und Bantista, mein ge schäßter Freund, wird die Güte haben und mir helfen, den General zu verbinden... ich habe auch noch einige Anweisungen zu geben, wie man die Binden erneuert dort können wir ihn entkleiden mit aller Bequemlichkeit..."
Die drei blieben recht lange in dem kleinen Zimmer. Endlich kam Guanes heraus, verabschiedete sich allerseits und schritt, von zwei Soldaten, die man ihm zum Schutze beigegeben, wieder seiner Apotheke zu.
Und Bancho, haben Sie etwas gefunden; was macht der General...?" mit diesen Worten empfing ihn der Präsident.
, Er meint, daß die freundschaftlichen Bande, die ihn immer an Eure Exzellenz geknüpft, nie eine Lockerung er