den Frauen und Töchtern unserer Bourgeoisie in gewissenfatalen Lebenslagen zu dienen.Der Brief ist aber auch ein klassisches Aktenstück, daseinmal wieder zeigt, wie in unserer so tugendhaften Gesell-schaft für das Wohl der Familie gesorgt wird, indemdie unglückliche Frucht eines„illegitimen" Verhältnisseserbarmungslos in die fremde Welt gestoßen wird, weilBater und Mutter den armen Wurm, aus gesellschaftlichenRücksichten, nicht als ihr Kind anerkennen dürfen.Die Art, wie dabei den Hilfe suchenden Damenalle Vortheile, zwecks der gesellschaftlichen Todes-erklärung ihres Kindes, angepriesen werden, verräthdie gerissene Geschäftsfrau, die sich aller der Verbindungenerfreut, die eine für die Tugendhaftigkeit der bürgerlichenGesellschaft so nothwendige und nützlicheJnstitution benöthigt.Man höre:P. P.In ergebener Erwiderung Ihres geehrten Schreibens macheich Ihnen ,m Vertrauen auf gegenseitige Diskretion die höflicheMitlheilung, daß ich in meiner eigenen, etwa 10 Minuten außer-bald der Stadt....... auf einer prächtigen Anhöhe gelegenenVilla zur freundliche» Ausnahme der geehrten Damen, welche indiskretester Weise entbunden zu werden wünschen, jederzeit gernbereit bin.Was vor allem die Bewahrung des Geheimnisses betrifft, sokann ich Ihnen die bestimmte Versicherung geben, daß Baden indieser Hinsicht die alleinig« Begünstigung hat, daß in solchenFällen von der aufnehmenden Anstalt nur ein Heimalhsscheinoder Reisepaß der betr. Dame am hiesigen Standesamt nieder-gelegt werden muß, keinerlei Eintrag erfolgt und weder vonletzterer Behörde noch von mir ein Bericht an Ihre Heimaths-behörde oder sonst wohin zu erfolgen hat, selbst nicht bei einemeintretenden Sterbefall. Es ist dadurch die vollständige Geheim-Haltung der Namen der Damen garantirt.Um nun auch weniger bemittelten Damen eine anständigeUnterkunst zu bieten, so habe ich meine sehr geräumigeVilla in 3 Rlassen getheilt. wovon die 3. und billigste Klasseebenfalls nur Damen besserer Stände, wie esim ganzen mein Prinzip ist, aufnimmt.Die monatlichen vorauszuzahlenden Pensionspreise sind� für(folgt Preisverzeichniß nebst der Bemerkung, daß als„ExtraHonorar für die Entbindung und Pflege nach derselben amersten Tag des Niederkunftsmonats SOM. vorauszuzahlen sind").Für Unterbringung des Kindes wird auf Wunsch von meinerSeite aus Sorge getragen. Das Kind darf jedoch nichtlänger als 4 Tage in meinem Hause unter-gebracht fein. Bon da ab hat entweder die Mutter für dieVerpflegung zu sorgen oder ich übernehme, nachdem das Kindin anständiger Familie Aufnahme gefunden, nach Uebereinkoinmendie Oberaufsicht. Im letzteren Falle garantire ich strengste Ge-Heinihaltung. Die Unterbringung in einer auswärtigen Familieist 3—4 Jahre möglich, nach dieser Zeit nehme ich mich nichtmehr um das Kind an.So lange das Kind auf diese Weise untergebracht wird.ist für dasselbe außer seinem Taufschein keine andere Legitimationals diese feiner Mutter nöthig. Dabei wird das Heimathsrechtder Mutter, welches gesetzlich auch für das Kind giltig ist, dem-selben für spätere Zeiten reservirt, so daß also während derZeit, daß das Kind unter meiner Vermittlung hier untergebrachtwird, die heimathlichen Behörden der Mutter des Kindes nichtsvon demselben erfahren und ist daher aus diese Weise das Ge-heimniß ebenso bewahrt, wie bei dem Ausenthalt und Nieder-knnft der Mutter in meinem Hause.Von dem Tage an, an welchem ich mich meiner Ver-pflichtungen enthebe. kann die Mutterdes Kindes dasselbe von einer kinderlosenFamilie gesetzlich adoptiren, d. h. an Kindes-statt annehmen lassen oder aber es kann ein Pflege-vertrag abgeschlossen werden, welcher alle Vortheile einesAdoptionsvertrages für das Kind in sich schließt.Zum Schlüsse gestatte ich mir noch, Sie auf die prächtigegesunde Lag» meines Anwesens und aus die komfortable Ein-richtung desselben aufmerksam zu machen und gebe Ihnen dieVersicherung der sorgsamsten Ausnahme bezw. Verpflegung inmeinem Hause.Auf Wunsch gebe Ihnen noch Referenzen berühmter Aerztehier sowohl wie in der Residenz auf.Hochachtungsvoll(folgt Name.)In Deutschland werden durchschnittlich jährlich170 000 uneheliche Kinder geboren, ungefähr 9—10 pCt.aller Neugeborenen. Wie viel von diesen 170 000 auf„Damen besserer Stände" kommen, welche Anstalten wiedie jener badischen Hebamme srequentiren, entzieht sich derBeu rtheilung. Es dürften viele Tausende sein. Allein dieThatsache, daß solche Anstalten in großer Zahl in allenTheilen Deutschlands vorhanden sind und ausgezeichneteGeschäfte machen, spricht dafür, wie es mit den bürgerlichenfahren würden und bittet um die Ehre, morgen mit Ihnenkonferiren zu dürfen...".„Aber was sagen Sie, Pancho..„Gewiß, Exzellenz, wollen Sie sich jetzt in aller Ruhehersetzen und auf mich hören. Sie sehen selber ein,Exzellenz, daß die Rebellen uns besiegt haben... Ich wüßtesicher nirgendwo eine Hilfe gegen sie herzubekommen.Unsere Soldaten sind theils todt, theils verwundet und derRest zersprengt und niuthlos. Wir würden also ein-fach den kürzeren ziehen, wenn wir uns zur Wehr setzenwollten... ist es nicht so..„Gewiß, gewiß Pancho.., und was weiter... ichsehe noch immer nicht..."„Hören Sie nur woiter... Der General ist nicht ab-geneigt auf folgender Basis den Frieden zu schließenund sich selbst für die Folge zu Ihrer Verfügung zustellen. Bantista Gill wird nach Ihrem AbtrittPräsident und einer seiner Verwandten Vizepräsideut...Sie werden dafür in bester Weise dafür eintreten, wenn dieneuen Wahlen kommen... Sie zahlen in billigerWeise die Kosten, die die Unternehmung verursacht hat...ich glaube es dürfte sich das nöthige Geld unschwer auf-treiben lassen... Sie werden auch die schönen neuenKanonen kaufen... und um der Bezahlung und der Wahl-aklion keine Hindernisse zu bereiten, könnte jetzt gleichBantista das Finanz- und Caballero das Kriegsministeriumübernehmen... ist es Ihnen so recht... das sind dochbillige Vorschläge..."„Und die Uebrigen... Rivarola... Godoy...Escobar...?"„Wenn sie närrisch sein wollen, so jagt man sie zumTeufel... wenn sie vernünftig sind, wird sich etwas fürsie finden lassen... da fällt mir gleich ein, daß derGeneral Escobar gern die Theewälder am Parana habenmöchte.,, ich nehme es über mich, sie ihm an-zubieten..Der Präsident willigte in alles, und so hatte der er-findungsreiche Apotheker wieder einmal, den Staat gerettet.(Fortsetzung folgt.)Moral- und Sittenbegriffen in den Schichten aussieht, diesich als die Stützen von Staat und Gesellschaft betrachten.Und eine so durch und durch faul und wurmstichig gewordeneGesellschaft glaubt durch verschäfte Slrafgesetzparagraphen sichkünstlich am Leben erhalten und über ihren inneren Zerfall hin-wegtäuschen zu können.Hier und da erhebt sich auch ans den Kreisen der Herr-schenken Klasse eine Stimme gegen all diese Heuchelei, soder Freiherr Ernst von Wolzogen in seinem in diesen Tagenerschienenen Schriftchen„Links um kehrt schwenkt—Trab!"*'), in welchem er gegen die Umsturzvorlage sichausspricht. Herr Ernst von Wolzogen gehört zu denModernen,' die namentlich gegen die geschlechtliche.Anchelei unserer Gesellschaft zu Felde ziehen und so leisteter sich auf S. 35 seines Schrislchens folgende Ausführungenüber die Ehe, die ihn unrettbar mit§ 130 Absatz 2der Umsturzvorlage in Konflikt bringen würden, falls derneue Wortlaut jenes Paragraphen schon Gesetz märe. Wolzogenspricht von der neuen Aristokratie des Geistes, in welcherfür Konfessionelle und Klassengegensätze kein Platz mehr seiund die daher die Umwerthung vieler alter Worte vornehmenwerde; er fährt dann fort:„Unmöglich würde es z. B. werden, daß ganze großeGesellschaftsklassen den Muth zum Denken und zum über-zeugungsgemäßen Handeln für einen sittlichen Defektansähen. Der verdienten Lächerlichkeit anheimsallenwürde die heute fast bei unserer gesammten Damenweltund bei vielen frömmelnden Männern beliebte üble Ge-wohnheit, die Sittlichkeit eines Menschen einzig nach seinemVerhalten in geschlechtlichen Dingen zu bewerthen. U e b e r-Haupt würde gründlich aufgeräumt werdenmit allerhand dummer Prüderie und ge-sellschaftlicher Heuchelei, und damit würde demwahrhaft guten Ton im Verkehr der Menschen unter ein-ander, ganz besonders aber der„heiligen"Ehe gar sehr gedient sein, jenemst a a t l i ch und kirchlich k o n z c s s i o n i r t e nHazardspiel, in welchem gleichzeitig derunglückliche Verlierer zu lebensläug-l i ch e m Zuchthaus v e r u r t h e i l t wird, undwelches dennoch von den erleuchteten„Umsturzmännern"der Regierung, als über jeder Kritik erhaben, unter be-sonderen gesetzlichen Schutz genommen werden soll! DerVerachtung anheimfallen würden die elenden Komödianten,welche unter der Maske der Frömmigkeit und eines be-sonderen Patriotismus ihren geschäftlichen Interessen wirk-samer zu dienen suchten."Der Eingangs dieses Artikels erwähnte Brief derbadischen Hebanime und die Kritik der bürgerlichen Gesell-schaft durch eine ihrer Stützen sagt mehr als wir alsSozialdemokraten zu sage» gewagt hätten. Wir habendiesem kein Wort weiter hinzuzufügen. Die Thatsachenreden.Beglaubigte Abschrist. Im Namen deZ Königs! In derSlrassache gegen den Redakteur Hugo Pötzsch zu Berlin, Bcuth-straße 2, geboren am 18. November 1863 zu Colditz, KönigreichSachsen, evangelisch, wegen Beleidigung mittels der Presse, hatdie 7. Strafkammer des königlichen Landgerichts 1 z» Berlin inder Sitzung vom 1Z. Oktober 1894, an welcher theil genommenhaben: I.Voigt, Landgerichtsdirektor: 2. Kannenberg, 3. Reinicke,4. Koscky, Landgerichtsräthe; S. Busch, Landrichter, als Richter;Müller II, Staatsanwalt, als Beamter der Staatsanwaltschaft;Dr. Davidsohn, Referendar, als Gerichtsschreiber; für Recht er-kannt: Der Angeklagte Pötzsch wird wegen Beleidigung mittelsder Presse zu einer Geldstrafe von 500— fünfhundert— Mark,der im Nichtbeitreibungsfalle für je 10— zehn— Mark einTag Gefängniß zu substUuiren und zur Tagung der Kosten desVerfahrene verurtheilt. Zugleich wird dem königlich preußischenKriegsminister als Vertreter der Beleidigten die Befugniß zu-gesprochen, die Verurtheilung auf Kosten des Angeklagten durcheinmaliges Einrücken der Urtheilsformel in die periodische Druck-schrifl„Vorwärts" an hervorragender Stelle innerhalb vierWochen nach Zustellung des rechtskräftigen llrtheils öffentlich be-kannt zu machen. Endlich wird angeordnet, daß alle vorfindliche»Exemplare der Nr. 199 des 11. Jahrgangs des„Vorwärts" vom28'. August 1894, sowie die zu ihrer Herstellung bestimmtenPlatten und Formen bezüglich des Artikels beginnend mit denWorten,„die Beurlaubung von Soldaten" unbrauchbar zu machen.Für richtige Abschrist. Berlin, den 1. März 1895. Hübner.Aktuar.Abschrist. In der Strafsache gegen 1. pp. 2. den RedakteurHugo Pötzsch zu Berlin, am 13. November 1863 zu Colditz ge-boren, evangelisch, wegen Beleidigung durch die Presse hat die") Berlin W., Fontane u. Komp. 1895. Preis 50 Pf.Georg von GLzycki.Mit Georg von Gizycki. der gestern der tückischen Influenzaerlegen ist, verliert das deutsche Volk«inen wackeren Streiter fürGeiftesfreiheit, einen ehrlichen, vorurtheilslosen, aus seinerUmgebung herausragenden Mann. Wer ihn gekannt hat,wer gesehen hat. wie schwächlich sein Körper war, wieer fremder Hilfe zur Fortbewegung bedurfte, der wird überdie Fülle seiner literarischen Leistungen, aber noch mehr überseinen unermüdliche» Eifer anregend zu wirken, anderen zu helfen,neues ins Leben zu rufen, erstaunt sein müssen. In seinenphilosophischen Schriften, die sich zumeist auf dem Gebiete derEthik und der Geschichte derselben bewegten, verstand er es beialler Wissenschaftlichkeit gemeinverständlich darzustellen. SeinSystem beruht auf den s-ätze», daß ethisch das höchste Gutdie größtmögliche Glückseligkeit sei, und daß das Strebennach diesem nie Trieb sei, der den Menschen ebenso innewohne,als der nach Selbsterhaltung. Von seinen philosophi-schen Arbeiten haben die größte Verbreitung gesunden, die inmehreren Auslagen erschienenen„Grundzüge der Moral", die beiihrem ersten Erscheinen von dem Berliner FreidenkervereinLessing preisgekrönt wurden. Ju weiteren Kreisen wurde er durchdie Herausgabe der deutschen Ausgabe von Bellamyjs Rückblickbekannt und dann durch seinen Eiser für die Schaffung einerethischen Bewegung nach dem Muster der amerikanischen.In der deutschen Gesellschaft für ethische Kultur vertrat erebenso wie in dem von ihm redigirten Verbandsorgane der Ge-sellschaft die äußerste Linke. War seiner milden, der Ver-söhnung zugeneigten Natur der Klassenkampf etwas un-angenehmes, das in der heutigen Gesellschaft schon über-wunden werden sollte, so war er sonst doch mitLeib und Seele den Idealen der Sozialdemokratie ergeben.Aus zahlreickpen an uns gerichteten Briefen und gelegentlichenBeiträgen wissen wir, daß er mit vollster Sympathie unserenKämpsen folgte und daß, soweit er überhaupt ein Politiker war, erSozialdemokrat war. Wir waren oft anderer Meinung wie er. aberstets waren wir überzeugt, daß seine Motive die lautersten,seine Absichten die besten waren.Er hatte sich im Jahre 1878 als Privatdozent an derUniversität Berlin niedergelasie» nnd lehrte in den letzten12 Jahren als Professor vor einem großen Kreise von Sludiren-den au der hiesigen Universität Ethik.Er war politisch und philosophisch der radikalste Universiläts-lehrer Deutschlands.vierte Strafkammer des königlichen Landgerichts l Berlin am2. Oktober 1894 für Recht erkannt: daß die beiden AugeklagtenKöbner und Pötzsch schuldig der Beleidigung mittels der Presseund deshalb zu bestrafen ein jeder von ihnen mit einer Geld-strafe von— 600— sechshundert Mark, der rm Nichlbeitreibungs-falle für je— 10— zehn Mark ein Tag Gefängniß zu substituiren,daß ferner dem Beleidigten. Landgerichtsdireklor Brauseivetter zuBerlin, die Befugniß zuzusprechen, den verfügenden Theil desllrtheils binnen vier Wochen nach Zustellung einer Ausfertigungdes rechtskräftigen Urtheils einmal durch die„Natioual-Zeitung"und einmal durch den„Vorwärts" Berliner Volksblatt, auf Kostender Verurtheilten öffentlich bekannt machen zu lassen, daß sämmt-liche vorfindliche Exemplare der beiden inkriminirten Nnipmernund zwar Nr. 296 der„National-Zeitung" vom 11. Mai undNr. 103 des„Vorwärts" vom 12. Mai 1894, sowie die zu ihrerHerstellung bestimmten Platten und Formen unbrauchbar zumachen, endlich die Kosten des Verfahrens den beiden Angeklagtenzur Last zu legen. Von Rechts Wegen.Volitisthe Mebevftlfct.Berlin, 4. März.f m Reichstage wurde heute die an die Rede Lieb-t' s sich anknüpfende Diskussion fortgesetzt. DieGegner, denen Liebknecht noch in zwei kurzen Erwiderungendiente, konnten nichts Neues beibringen. Die Debatte erhobsich dann wieder auf das große Niveau der letzten Sitzung.als Bebel die Zustände im Heere einer scharfen Kritikunterzog. Weder die Ausführungen des Kriegsministers,noch die Redner der Regierungsparteien konnten den großenEindruck der Bebel'schen Rede und seiner Repliken auf diegegnerischen Reden Abbruch thun. Wir verweisen ansunseren ausführlichen Reichstags-Bericht.—Nachwahl in Eschwcge-Schmalkalden. Eine Privat-depcsche meldet uns aus Eschwege das amtliche Resultatder Nachwahl zum Reichstage. Es lautet:Huhn(Sozialdemokrat) erhielt 5605, Jskraut(Antisemit und Bund der Landwirthe) 3826, Stengel(Frei-sinnige Volkspartei) 3495, Peters(Nationalliberal)3106 Stimmen, als zersplittert wurden 5 Stimmen gezählt.Die Stichwahl, die für den 14. März angesetzt ist, findetdemnach zwischen unserem Kandidaten und dem sattsam be-kannten Jskraut statt.—„Nur nicht objektiv" ist das Leitmotiv der„BerlinerNeuesten Nachrichten", in denen wir folgenden Wuthausbruchfinden:Die wiederholt zum Ausdruck gebrachten Beschwerden überden Oldenberg'schen Parlamentsberuht erhalten einen neuenBeleg durch den Bericht über die heutigen(Sonnabend) Reichs-tags-Verhandlungen. Im Manuskript nimmt der Bericht üherdie heutige Sitzung zusammen 15 Seiten ein; von diesen15 Seiten sind allein 4'/- Seiten auf- die Rede des Herrn Lieb-knecht verwandt!Daß Liebknecht's Rede mn Sonnabend die längste undbedeutungsvollste war, daß an ihr die Debatten zweierParlamentssitzungen anknüpften, läßt es selbstverständlicherscheinen, daß das Oldcnberg'sche Bureau, das„Reichs-Anzeiger",„Nordd. Allgem. Zeitung" ebenso wie die„Voss.Zeitung" nnd den„Vorwärts" bedient, diese Rede nichtkürzt oder gar fälscht, wie es nach dem Geschmack der„Berliner Neuesten Nachrichten" wäre.—Im Abgeordnctcuhause wurde heute noch die zweiteBeralhung des K u l t n s e t a t s fortgesetzt. Einige Ab«geordnete brachten Beschwerden über die mangelhafteOrganisation des Medizinal- und S a n i t ä t s-wesens in Preußen vor. Auch wurde über dieungünstige Stellung der Kreisphysici gesprochen,die viel zu gering dotirt werden, als daß sie sich umdie hygienischen und sanitären Verhältnisse in ihrem Gebietviel kümmern könnten. Der Minister versprach Abhilfe.Auch die Verhältnisse der Berliner Charitee wurdenberührt und mitgetheilt, daß zwar ein großartiger Umbaubeabsichtigt sei, daß darüber aber noch viele Jahrevergehen können. Sollte vielleicht wieder ein kleinerBoykott beliebt werden, um die Sache etwas zu be-schleunigen? Nächste Sitzung Dienstag.—Ter Verein der deutschen Zeitungsverleger trat heuteini hiesigen Westminster-Hotel zur Generalversammlung zusammen.Es wurde beschlossen, in geeigneten Fällen(z. B. grober Unfug.Gerichtestand der Presse u. s. w.), Preßprozesse auf Vereinskostenbis zur Entscheidung des Reichsgerichts durchzuführen, gleichgiltig,ob der Verklagte Mitglied des Vereins ist oder nicht. Ein weitererBeschluß betraf Eingabe wegen einheitlicher Regelung derSonntagsruhe im Zeitungsgewerbe(von 6 bis6 Uhr) nnd wegen Freigabe des Verkaufs von Zeitungen aufSein Einfluß auf weite Kreist als Schriftsteller, Lehrer undOrganisator war groß, und zwar gerade in den Kreisen, die dersozialdemokratischen Agitation nicht zugänglich waren.Alle, die ihn kannten, die sein Wirken verfolgten, werdenihm über das Grab hinaus ein ehrendes Andenken bewahren.Ttzenkev.Neues Theater. Bernhard Baumeister, ein Mannvon schauspielerischer Urkraft, seit Jahrzehnten Mitglied desWiener Burgtheaters, weilt gegenwärtig als Gast deS NeuenTheaters in Berlin. Baumeister ist einer der wenigen Künstler,die noch von der Glanzzeit, da das Burgtheater sür das gesammtedeutsche Bühnenleben als vorbildlich galt,«ine lebendige An-schauung geben. Aus Norddeutschland kam Baumeister in jungenJahren nach Wien. Seine straffe, norddeutsche Art, die das Lebe»in seinen herberen, kantigen, festumschrieben charakterischenAeußerungen lieber aussuchte, als in seinen weichen, schmeich-lerischen Formen, hatte viele Jahre lang um ihr künstlerischesRecht zu kämpfen. Wo man das Herz gern aufder Zunge trägt, wie in Wien, da befremdete zunächst der künst-lerische Realismus Baumeister's, der iür die Sprache derEmpfindungen«inen gedänipsteren, zurückhallenden, innerlich be-ivegle» Ausdruck fand. Lange brauchte es so, bis man erkannte.daß Baumeister am Burgtheater der Künstler von ursprünglichsterBedeutung war, daß seine Darstellung des Menschen echt warund bescheiden, wie alle Natürlichkeit; aber schließlichwuchs Baumeister zum hervorragendsten Darsteller alljener Gestalten heran, die sicher auftreten in� breiter,gedrungener Kraft und in schlichtem Gemüthsleben.Goethe's„Götz von Berlichingen". der.Erbförster" vonOtto Ludwig und vor allem auch Calderon's herrlicheBanernfigur im Richter von Zalamea, das sind die Namen, dieden Höhepunkt von Baumeister's Können bedeuten.— Heute istBaumeister 67 Jahre all. und nothwendig wird da die geistigeSpannkraft spröder. Man merkte es, als Baumeister im NeuenTheater als Falstaff in Shakespeare's Heinrich austrat. Einefeine Charaklerstudie, aber doch nicht gleichmäßig von vollgilligemHumor durchdrungen. Freier und sieghafter entfaltetesich gestern im Erbsörster Baumeister's Kunst. Das warder alte Baumeister aus seiner besten Schaffensperiode:das Kind im weißen Haar, das weltfremd und wie eingläubiger Held das höhere, ungeschriebene Recht gegen die ge-schriebenen Satzungen durchsehen will und mit seiner Naivität