Nr. 553 ♦ 40. Jahrgang
Seilage öes vorwärts
dienstag, 27. November 1023
Ingemeurarbeit.
In der Frauenhoferstraße 11, unweit des„Knies", hat sich eine Ausstellung aufgetan, die einen tiefen Einblick in das technische Schaffen gewährt. Di« Arbeitsgemeinschaft deutscher Betriebs- ingemeur« zeigt hier der Ocffentlichkeit, wie vielseitig die Anforde- rungen sind, die an die Männer der Technik gestellt werden. Der Besucher wird zunächst mit der betriebstechnischen Arbeit der Reichsbahn bekanntzemacht Der orgeu satorische Aufbau der Reichsbahnwerk« wird durch Tafeln dargestellt. Man erkennt das lobenswerte Streben, die Wege der Werkstoffe zu oerkürzen. Sta- tistiken gestatten die Untersuchung aller Ausgaben und decken, richtig angewandt, binnen kurzen unnötige Ausgaben auf. Sehr unter- richtend ist die praktisch dargestellte Verwertung von Altmaterial und Abfallstoffen. Aus alten, vom Rost zerfressenen Schrauben und Bolzen, zerbrochenen Kuppelhaken und ähnlichem entstehen neue Veschlagteile, zu denen der Altstoff, der früher entwerteter Abfall war, restlos aufgebraucht wird. Altstoffe im Werte von nicht weniger als 20 bOO Eoldmark monatlich sind im Gebiete des Eisenbahnzentral- amtez Berlin im Jahre 1922 umgewandelt worden, die aus den Alt- stoffcn hergestellten neuen Teile aber hatten einen Wert von 130 099 Goldmark. Zur Erzielung dieses Ergebnisses muzten 20 000 Gold- mark an Löhnen aufgewandt werden. Die Reichspost hat einen im Betriebs befindlichen automatischen Fernsprechapparat ausgestellt. Eine vollständige Schnelltelegraphenanlage zeigt, mit welch un- erhörter Geschwindigkeit es möglich ist, Nachrichten zu senden. Er- gänzt wird die Ausstellung der Fernsprechgsräte durch das Tele- graphon, das seinerzeit im„Vorwärts" ausfuhrlich beschrieben wurde und das gestattet, alle Ferngespräche zu jeder Zeit automatisch auf- zunehmen. Von �4 bis 4 Uhr übermittelt die Radiostation Königs- Wusterhausen «in Konzert, das die Besucher der Ausstellung unent- geltlich mithören können. Die chörer sind auf dem Stand der Reichs- pcst zu finden. Die Ausstellung unterrichtet über die Entwicklung des Normenwesens und di« sich hieraus ergebenden wirtschafllichen Vorteil«. Zahlreiche Neukonstruktionen von Lagern, Riemenscheiben, Kupplungen beweisen, daß selbst auf den Gebieten, die viele für völlig abgeschlosien halten, immer noch neue Arbeit geleistet werden kann. Großes Interesse dürfte die Werkzeugausstellung und hier l'esonders die Feinmeßwerkzeuge hervorrufen, chier ist u. a. gezeigt, wie eine Mikrometerschraube entsteht, wie die Ebenheit der Meß- flächen durch Lichtinterferenzen, die durch die Wellenbewegung des Lichtes entstehen, festgestellt wird. Ein verhältnismäßig kleiner Teil der Ausstellung ist der Gewerbehygien« gewidmet. Auf der Galerie, die den Ausstellungsraum unrrahmt, ist an einem riesengroßen Modell die Bergwerkstechnik ausgestellt, ferner fallen hier vor allem die Jngenieurwerkzeug« auf: Zeichentische, Zeichenmaschinen, Rechen. Maschinen und anderes mehr. Es ist ganz unmöglich, die Aus- stellung bei einem einmaligen Besuch gründlich zu bettachten. Jeder, der sich für die Arbeit der Technik iitteresstert, wird hier manche Auf. klärung und Anregung empfangen. Di« Ausstellung ist bis zum 2. Dezember werktags von 9 bis 12 und 3 bis 7 Uhr. Sonntags von 10 bis 4 Uhr geöffnet. Die Hundesteuer. Die chundesteuer beträgt vom 1. Oktober d. I. ab v i e r t e l- jährlich fünf Goldmark für den ersten Hund, zehn Goldmark für den zweiton Hund, fünfzehn Goldmark für den dritten Hund, zwanzig Goldmark für den vierten und jeden wetteren Hund. Soweit auf Grund der bisherlgest Steuerordnung schon Beträge, für das laufende Vierteljähr im voraus bezählt worden sind,' werttkn sie mit dem Goldwert am Zahlungstage auf. die neue. Steuer ange» rechnet. Der fehlende Restbetrag ist nachzuzahlen.' Diä' Steuer ist bis zum 1. Dezember zu zahlen. Aus Billigkettsgründen wird jedoch die erhöhte Hundesteuer in den Fällen, in denen ein Hund bis zum 27. d. M. abgeschafft worden ist, nicht erhoben.— Außerdem wird mit Wirkung vom 1. Oktober ab Steuerfreiheit für Wachhunde auf einzeln liegenden Gehöften in den Fällen ge- währt, in denen die Gehöfte mindestens einhundert Meter— nicht wie bisher dreihundert Meter— von den anderen bewohnten Ge- bänden entfernt liegen. Ferner wird die Steuer auf die Hälft« herabgesetzt für einen Hund, welcher als Wachhund für Gewerbe- betriebe gehalten wird, die nicht mit einer Wohnung verbunden sind. Anträge äuf Bewilligung dieser Vergünstigungen sind bis zum 4. De- zembcr 1923 bei dem zuständigen Bezirkssteueramt zu stellen. Briefmarken für das Bierfache des Nennwertes. Wie mitgeteilt, mußte die Post, poch wenige Tage vor AuS- gäbe der werlbeständigen Marken, eine weitere Gebührenerhödung vornehmen. Da die Reichddruckerei mit der Herstellung der vom 1- Dezember ab gülligen Marken voll beschäftigt ist. konnte sie für
die Zeit vom 26. bis 30. November nicht noch besondere Marken herausbringen. Die Postvcrwallung bat deshalb zu dem HilfS» mittel gegriffen, bis Ende November die vorhandenen Marken zum Vierfachen ihres Nennwertes zu ver- laufen und bei der Freunachtmg vierfach anzurechnen. Vom 1. Dezember an werden die Marken der jetzigen Art der Papier- markwähruilg, wenn sie überhaupt noch vorkommen, wieder nur zum einfachen Nennwert angerechnet. Es wird daher empfohlen, in der lailienden Woche nur den sür diese wenigen Tage notwendigen Bc- darf einzukaufen. Ein �eauenmorü im Gsten Serlins. Mit einem Leinentuch erwürgt. Gestern nachmittag wurde die am 30 April 1872 zu Ipfe ge- borene Frau Emilie D c t h l o w, geb. Ganzer, von ihrem Schwiegersohn in der Wohnung ermordet aus gefunden. Der Frau, die in der Romintener Stt. 8 im Ouergebäud«, parterre links, wohnte und dort tagsüber allein in der Wohnung war, waren die Hände mit einer Zuckerschnur gefesselt. Die Frau war m i t einem Leinentuch erwürgt worden. Heber dem rechten Aug« befand sich eine etwa zwei Zentimeter lange Hieb- oder Stichwunde. In der Wohnung waren deutlich die Spuren eines vorausgegangenen Kampfes zwischen dem Täter; und seinem Opfer sichtbar. Unzweifelhaft hat sich dort jemand eingeschlichen, die Frau überrascht, niedergeschlagen und darauf die Leiche unter das Bett geschoben. Verschiedene Be- Hältnisse in der Wohnung waren ausgebrochen, der Inhalt heraus- gerissen und durchwühlt, so daß die iÄamten des von dem Schmie- gersohn benachrichtigten 85. Polizeireviers sofort die Mordkommission alarmierten. Die Kriminalkommissar« Werneburg und Albrecht be- gaben sich an den Tatort. Eerichtsarzt Professor Dr. Strauch stellte fest, daß der Tod in den Vormittagsstunden infolge der Er- würgung erfolgt war, da die Leichenstarre bei der Frau bereits eingetreten war. Nur dem Umstand, daß die Kinder, eine Tochter und d«r Schwiegersohn, zur Arbeit waren und erst spät nachmittags zurückkehrten, ist es zuzuschreiben, daß dos grausige Werbrechen nicht eher entdeckt wurde._ Ein Revolverheld im Gerichtssaal. Ein ausregender Vorfall spielte sich vor der 4. Sttafkammer d«s Landgerichts I ab. Hier wurde gegen ein« große Gruppe von An- geklagten wegen Diebstahls und Hehlerei verhandelt. In der Reichs- druckerei waren aus einem Lagerraum in der Alten Jacobstraße durch Einbruch große Mengen Bindfaden entwendet worden. Die Diebe hatten 14 Tage lang täglich die Lagerräume heimgesucht. Bei einer Revision war es aufgefallen, daß große Mengen von , den Borräten sohlten. Ein Beamter der Reichsdruckerei legte sich � auf die Lauer und beobachtete durch das Schlüsselloch, daß zwei Männer erschienen und wieder einen großen Posten Bindfaden ' herausholten, den sie auf einen Handwagen luden. Es gelang dann, die ganze Diebes- und Hehlerbande festzunehmen. Die Haupt- beteiligten waren der Arbeiter Oskar Albert und der Kaufmann Kurt N i t s ch k«. Das Gericht verurteilte Albert zu zwei- einhalb Iahren Gefängnis, Nitschke wegen gewerbs- mäßiger Hehlerei zu zwei Jahren Zuchthaus, ein weiterer Hehler Ludwig Kordylewski erhielt ein Jahr Zuchthaus, die übrigen Beteiligten Sttafen von 4 bis 6 Monaten Gefängnis. Bei Verkündung des Urteils zog Nitschke plötzlich einen scharf, geladenen Revolver aus der Tasche, vermutlich, um ein � Attentat auf den Gerichtshof oder den Staatsanwalt zu verüben,> er selbst behauptete allerdings hinterher, daß er sich selbst habe erschi«ßen wollen. Dem schnellen Zugreifen sein«? Berteidigers, Rechtsanwalt Arthur S ch.u l z. und d«s diensttuenden � Justizwachtmeisters gelang es nach schwerem Ringen, Nitschke die Schußwaffe zu entwinden und so Unheil zu verhüten. Nitschke; wurde dann unter scharfer Bewachung ins Gefängnis abgeführt. Probefahrten auf Nimmerwiedersehn. Als ein vielgesuchter Schwindler entlarvt und festge-j Nammen wurde ein„Gentleman", der in einem der ersten Hotels wohnte. Bei Berliner Händlern und Fabrikanten erschien ein gut > gekleideter Mann mit dicker Brieftasche, der sich für einen Kraft- jradhändler ausgab und hier Bruno L a n g n e r, dort Friedrich S a u t n e r, anderswo Reinhard usw. nannte. Er suchte sich jedesmal ein gutes Rad aus, kaufte es auch, wünscht« aber vor der Abnahme noch einig« Aenderungen. Die Verkäufer, die auf das Ge- schüft nicht gern verzichten wollten, fanden sich bereit, diese Aende- rungen sofort vorzunehmen. In der Dämmerstunde kam dann der Käufer wieder und erbat sich nunmehr die Erlaubnis zu einer kleinen Probefahrt. Pen dieser kehrt« er nie zurück. Zu gleicher Zeit machte ein Herr in der Damenwelt des Westens viel«
Bekanntschaften. Dabei kam es vor, daß ihm augenblicklich das Geld fehlte, um Oel und Brennstoff für sein Kraftrad anzuschaffen. Seine Liebhaberinnen halfen dann gern mit wertbeständigem Gelde aus und waren es los, weil der Herr sich jetzt nicht mehr bei ihnen sehen ließ. Die Kriminalpolizei kam dem„Gentleman" auf die Spur, er- mittelte ihn in dem Hotel am Zoo, nahm ihn fest und entlarvte ihn ols einen 23 Jahre alten Tierbändiger Johannes Klaus, der wegen ähnlicher Schwindeleien, auch wegen Goldschwindels bereits von Kassel , Dresden , Leipzig und Weimar her gesucht wurde. Ein Teil der erschwindelten Räder wurde wieder ermittelt. Das Geheimnis vom Wiesenhaus. Wiederaufnahme des Verfahrens? Das Dunkel, das über der Tragödie vom Wiesenhaus im Erz- gebirge lag, ist durch den Mordprozeß gegen den ehemaligen Husarenleutnant Lorenz K ö h n vor dem Zwickauer Schwurgericht, der- im Frühjahr dieses Jahres die Oeffentlichkeit einig« Tage in Spannung hielt und der mit der Verurteilung Köhns zu einer K'iijähngen Gefängnisstrafe wegen Totschlags an seiner Geliebten Grete Müller endete, bekanntlich nach keiner Seite hin gelichtet worden. Neuerdings sind an der Leichenfundstelle nahe dem Wiesen- Haus Funde gemacht worden, die unter Umständen geeignet wären, den Schleier ein wenig zu lüften. Köhn, der bekanntlich während des ganzen Verfahrens seine Unschuld beteuert hat, ist von der Landesstrafanstalt zu Zwickau aus, wo er feine Strafe verbüßt, an die Staatsanwaltschaft wiederholt mit der dringenden Bitte herangetteten, di« Leichenfundstelle noch einmal einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen, da die Lage der Revolverhülsen und das Fehlen einer Hülfe mit zu den belasten- den Indizien gezählt worden war. Als diesem Ersuchen nicht statt- gegeben wurde, trat Köhn am 3. Oktober in den H u n g e r st r« i k, er verweigerte die Aufnahme jeglicher Nahrung, so daß er künstlich ernährt werden mußte. Daraufhin erklärt« sich der Staatsanwalt nach einem Besuch bei Köhn bereit, seinem Wunsche zu entsprechen und entsandte den Kriminalkommissar W« g n e r- Zwickau noch ein- mal zur Fundstelle am Wicsenhaus. Bei einer genauen Unter- suchung der kleinen Lichtung in der Tannenschonung, in der Fräulein Müller als Leiche gefunden worden war, fand man nun zur all- gemeinen Ueberraschung unter Tannennadeln eine ver» rostet« Revolverhüls« und nicht weit davon ein Re- volvergeschoß. Es zeigte sich dann, daß die Hülse mit der Munition übereinstimmte, die schon seinerzeit bei der Leiche ge- funden worden war, daß aber das Geschoß offensichtlich von einer anderen Waffe herrühren mußt«. Die Staatsanwaltschaft oertrat gegenüber diesem neuen Fund den Standpunkt, daß diese Hülse und das Geschoß entweder von dritter Seite dorthin gebracht sein oder daß sie von dem Probeschießen gelegentlich des im Prozeß abgehal- tenen Lokaltermins stammen. Dies« letztere Annahme scheint aber durch die Tatsach« widerlegt zu sein, daß der Zwickauer Waffen- meister, der bei jenem Lokaltermin die Probeschüsse abgefeuert hatte, die leeren Hülsen wieder aufgesammelt hatte. Don dem Ergebnis der augenblicklichen Ermittlungen wird es abhängen, ob ein« Wieder- aufnahm« des Wiesenhaus-Prozesies beantragt wird. Eine geheimnisvolle Tragödie spielte sich im Hause Iagow- sttaße S ab. Hier wurden in einer Wohnung der 52 Jahre alte Arbeiter Ernst W e n d t. seine Ehefrau Marie und deren ver- heiratete Tochter aus erster Ehe Gertrud F r« u n d aus der Wilmsrsdorfer Str. 150 im Schlafzimmer in ihren Betten liegend t o t a u f g e f u n d e n. In der Küche lag ebenfalls tot der 32 Jahre alt« Polizeihauptwachtmeister H. Sowohl in der Küche wie auch in dem Schlafzimmer waren die Gashähne geöffnet, so daß man auf ein D e r b r e ch e n oder auf einen gemeinsamen Selbstmord schließen muß. Die Angelegenheit bedarf noch dringend der Aufklärung, und die Kriminalpolizei ist mit der An- geleoenheit beschäftigt. Die vier Leichen sind dem Schouhause zu- geführt worden. „Die höbcre Schule alS Volks- und Gemeinschaftsschule". Ucber dies Thema spricht Professor der Pädagogik tn Jena Petersen, der frühere Leiter der Lichlwarlschule, Hamburg , am Dienstag, 27. Nov., abends?>/, Uhr, im Werner- Siemens- Realgymnasium, Hohenstaufen- slrafze 47/48. TaS VolköbildungSamt Prenzlauer Berg ladet die Mit» glicder der Kunst gemein de und Interessenten zum DienSIag, den 27. November, abends 7 Uhr. im Plenarsaale des BczirlS- amis, Danziger Str. 6», zu einer Verfammlung ein. Richard Seidel spricht über:VolksbildungSsragen in der Gemeinde. ES wird zahlreicher Besuch erwartet. BezirksbildungSausschus? Groß-Berlin. Mittwoch, den 28. No< vember, nachmittags S Uhr: Sitzung des lleinen BildungSausfchusseS.
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Die Lofolfischer. Roman von Johan Vojer.
Die Langmoer waren drei Raufbolde aus der gleichen Gegend wie Lars und Kaneles. Sie fuhren auf ihrer eigenen Jacht, und hier im Norden nannte man sie die Großen Sta- väringer. Zweien von ihnen war schon ein Auge eingeschlagen worden, aber das stimmte sie ja nicht milder, wenn der Schnaps Gewalt über sie bekam. „Jetzt wird es Spatz geben," fügte Kaneles hinzu und ruderte weiter. „Und da ist die Pfarrergaleaffe!" Sie legten an einer dunklen Schute an, auf der ein Wächter mit Südwester pfeifend auf Deck auf und ab ging. „Was wollt ihr, Leute?" Der Mann beugte sich über die Reeling. „Wir wollten fragen, ob Sie etwas Sirup für uns haben?" sagte Kaneles unschuldig, indem er sich an Bord schwang. Nun wurde zwischen den beiden in gedämpftem Ton ver- handelt. Ich möchte wissen, ob das d r Pfarrer ist? dachte Lars. Aber sonst war dem Jungen recht seltsam zumute, weil er sich jetzt in eine große Zecherei stürzen sollte.„Denke an deine Mutter!" hatte der Vater gesagt. Aber noch eine kam ihm jetzt in Erinnerung, ein kleines, blondes, rosiges Mädel, mit dem er einmal im Spiel in einer Scheune getraut worden war. Warum stand ihr Bild gerade heute abend, während er hier in der Jolle saß, so klar vor ihm? Er hatte sich noch nie weiter um sie gekümmert, aber nun, da er gewissermaßen einer Gefahr entgegenging, war ihm, als brauche er etwas Schönes, an das er sich klammern konnte. Ellen Koya hieß sie. Geneckt hatte sie ihn ja sehr, aber am letzten Abend auf dem Berge, als sie auf dem Schlitten Blitz in seinem Schoß saß, da war sie wirklich wie ein kleiner Kamerad gewesen. War sie an dem Abend vielleicht nur gekommen, um sich mit ihm zu versöhnen, ehe er auf die lange Lofotfahrt ging? „Wieviel Geld hast du, Junge?" Kaneles beugte sich zwischen zwei Wanten zu ihm hinunter. „Fünfzehn Kronen." Der Junge sprang auf die Ruder- dank und erwachte zu einer anderen Welt. „Das sind zwanzig Liter, wenn es französischer sein soll," sagte der Schiffswächter.
Da ging die Tür zur Kajüte auf, und auf das Deck heraus trat ein alter Mann in Pelz und Pelzmütze. Im Mondlicht sah man deutlich seine Brille und den grauen Ziegenbart. „Was ist?" fragte er mit heiserer Stimme und tat, als sehe er außer dem Wächter niemand.„Nun gut, aber am liebsten gegen Fische. Vergeht das nicht, am liebsten wollen wir Fische haben. Guten Abend!" Und er ging nach der anderen Seite des Fahrzeuges hinüber und kletterte stöhnend in eine Jolle. Das war der Pfarrer, dachte Lars. Gewiß lohnte es sich, die Bezahlung in Fischen zu nehmen. Denn die meisten, die Branntwein kauften, waren im Zählen nicht so sehr sicher. Jakob zum Beispiel gab bisweilen eine ganze Bootsladung für ein Faß Französischen und überlegte nicht, daß er damit den fünffachen Preis bezahlte. Aber nun geschah das Unglück, gerade als das Fäßchett mit den zwanzig Litern in der Luft hing, um in die Jolle herabgelassen zu werden. Wahrscheinlich gab der eine der Eisenhaken nach. Knall! sagte es gegen den Bootsboden,— platsch sagte es, und die helle Flüssigkeit strömte heraus. „Großer Gott!" rief Lars entsetzt.„Teufel auch!" sagte Ka- neles und sprang wie der Blitz in die Jolle hinunter.„Tut nichts," meinte der Mann auf Deck,„ich leihe euch einen Trichter und ein leeres Faß." Während Lars nach dem Lande hinüber ruderte, lag! Kaneles auf den Knien im Boot, schöpfte das kostbare Getränk auf und goß es in das neue Fähchen hinein. Und dann und wann nahm er einen Schluck aus dem Schöpfgefäß, um zu probieren, ob der Französische etwa nach Bootsteer oder See» wasier schmecke. „Du bist so gut und hältst das Maul," sagte er,„es ist kein Schade geschehen. Er hat nur einen noch frischeren Ge- schmack. 17. Und nun kam das Schmeißen. Sie saßen alle in dem gelben Lampenlicht in der Hütte, jeder bei seiner Beschäftigung, und keiner sagte ein Sterbens- wort. Die Rücken hatten sie einander zugekehrt und die meisten besserten Netze aus. Elezeus Hylla aber lag auf einer der obersten Pritschen und klagte über Reißen im Rücken.„Au— au!" stöhnte er, und hob die Felldecke mit der Zehenspitze bis zur Decke empor.„Au. au!" Arnt Aasan bastelte an ein paar neuen Holzpantoffeln für seine Frau, und sie wurden immer schöner und schöner, so daß er sich ganz in sie verliebte. Henrik
Rabben saß am Tisch, strich sich unausgesetzt den Bart und las in einem Buch über kleine Hausgärten.„Hm, hm!" murmelte er und nickte und war in allen Punkten mit dem Buch einver- standen, obwohl sein Gesicht eine nachdenkliche Miene annahm. Der Fang war jetzt wieder geringer geworden, so daß sie abends einigermaßen frühzeitig fertig waren. Aber worüber hätten sie denn reden sollen? Sie kannten sich zu gut, sie wußten die Antwort schon vorher. Aber da auf einmal tut sich die Kllchentür auf und herein kommt Lars mit Flaschen und Gläsern, und dann kommt ein großer, dampfender Kaffeekessel, den Kaneles trägt. Und nun wird der Tisch gedeckt und Lars, der Jährling, geht umher und schenkt ein. Die Männer wurden wach. Sie nahmen den Priem aus dem Munde, neigten den Kopf und waren ganz verlegen.„Das ist ja aber eine schöne Sache," sagten sie. Den Schnaps tranken sie aus und schnitten die übliche Grimasse, aber Lars hatte eine Heidenangst, sie würden etwas über den Geschmack sagen. Nein, es ging gut.„Die Sorte ist gut," sagte einer.„Das ist wohl von dem französischen," sagte ein anderer. Und Lars fiel ein Stein vom Herzen. Zum erstenmal wurde Kristaver von seinem eigenen Sohn ein Schnaps angeboten, aber er ließ ihn eine ganze Weile mit dem Schnaps vor sich stehen, ehe er ihn beachtete. Arnt Aasan aber wollte überhaupt nichts haben. Er schüttelte den Kopf und bastelte an den Pantoffeln. Wie er so dasaß, sah er aus wie ein Schaf, fand Lars. Wenn er auch einen Bart am Kinn und goldene Ringe in den Ohren hatte, er sah doch wie ein Schaf aus. Und gerade in diesem Augenblick sprach Kaneles die Worte aus, vor denen Arnt schon seit mehreren Tagen Angst gehabt hatte: „Du bist selber auch ein Jährling, Arnt. Zum Teufel, du mußt auch was schmeißen, Mann!" Arnt sah sich nach Hilfe um.„Ich bin kein Jährling," sagte er, ich bin über dreißig!" „Dann erst recht bist du ein Jährling," ertönte es von der obersten Pritsche, und Elezeus richtete sich auf und blickte ver- drießlich in die Stube hinunter. Und als ihm in diesem Augen- blick ein Schnaps hinaufgereicht wurde, trank er ihn in einem Zuge aus, schnaufte, preßte di« Hand auf die Brust und sagte, das sei Medizin,— ja, jetzt ginge es ihm gleich besser! (Forts, folgt.)