Hr. 561 ❖ 40. Jahrgang
Seilage öes vorwärts
Sonnaöenö, 1. Dezember 1925
In öen Häusern öes Elends.
Wohnstätten, die diese Bezeichnung vom Keller bis zum Boden mit Recht verdienen, besitzt die Weltstadt mehr als genug. In den Arbeitervierteln finden wir sie in solcher Häufigkeit, daß dem, Passanten das gor nicht mehr auffällt. Die glatt« Fassade der Met- kaserne verbirgt eben alles Der Krieg und die darauf folgend« Arbeitslosigkeit hat in die Arbeiterfamilien so viel Not und Elend gebracht, daß, wenn nicht hier in Kürze gründlich Abhilfe geschaffen wird, das Hungersterben in verstärktem Maße fortschreitet. Städtische und privat« Fürsorgestellen sind bemüht, lindernd einzugreifen, und doch bedeutet diese Hilfe nichts weiter als einen Tropfen auf den heißen Stein. Die Leute, die heut« den Mut haben, von einer wohl- lebenden und prassenden. Jugend zu reden, sollten sich auch einmal die darbende, ja buchstäblich hungernde Jugend, sollten die schwer- kranken Mütter sehen, die der Hunger ans Bett fesselt. Sie sollten die arbeitslosen Männer sehen, die feiern müssen, weil keine Be- sch'sstigung für sie da ist. Ueberall in diesen Quartieren des Elends ruft man uns entgegen:.�Helfen Sie uns bitte, wir hungern, wir gehen zugrunde." Zwölf Köpfe und keine flrbeit. Schulsttaße S. Di« Außenfront des Hauses läßt die Not dahinter noch nicht ahnen. Im Vorderhause geht es zwei Treppen hinauf. Nach mehrmaligem Anklopfen öffnet«in blasses Kind. Wir treten durch einen dunklen Flur in die Küche hinein. Die uns führende Fürsorgeschwester des Bezirksamts Wedding ist hier ein« gern ge- sehen« Person und wird freundlich begrüßt. Man hat gerade.groß« Wäsche". Große Wäsche? Sie ist es schon längst nicht mehr. Nur wenige zerrissene Hemden liegen im geborgten iwaschkessel. Di« Kinder, soweit sie anwesend sind, machen eine arttge Verbeugung und zeigen trotz ihres fürchterlichen Elends«ine lächelnd« Miene. Ein Rundblick in die Küche zeigt nur wenige Kllchenmöbel. Der Hunger hat zum Verkauf der entbehrlichen Sachen gezwungen. Es wird nicht mehr lange dauern, dann ist auch das letzte Stück zum Händler rpwandert. Nun die Stuben. In der einen stehen zwei große Bettstellen und ein Kinderbett. Ein altes Wäsche- und Kleider. spind sowie ein Tisch und einige wacklige Stühle bilden den Rest der Einrichtung. Di« zweite, etwas'kleinere Stube weist als Mobiliar zwei Bettstellen und einen Tisch auf. Zu meinem Er- staunen gewahr« ich eine Geige und blicke den erwerbslosen Familien- vater an. der auch meine stumme Frage g'eich beantwortet.„Einer meiner Söhn« spielt dieses Instrument, und wir haben trotz der täglichen Sorgen so ab und zu eine kleine Freude." Vor dem Ofen liegt ein großer Stubben Holz. Während ihrer Arbeitslosigkeit fuhren des öfteren Familienmitglieder in den Wold hinaus, um etwas Brennmaterial zu holen. � Die Goldtarif« der Eisenbahn haben aber jetzt diese Art Selbsthilfe unmöglich gemacht. Kein« Gardine schmückt die Fenster, kahl und nackt starren sie den Besucher an. Die Familie, die aus zwölf Versauen, Ellern , sieben Zungen und drei Mädeln besteht, hat als Schlafmöglichkeit vier große Bettstellen und ein Kinderbett. Di« lZjähri�e Frau und der 4l>jährige Mann sowie die Zungen und Mädel im Alter von 7 bis 19 Zahren müssen sich gemttnsam die Schlafstellen teilen, die bei weitem, von moralischen und sittlichen Erfordernissen abgesehen, nicht ausreichen. Zwei Sinder. S- und lOjährige Mädel, müssen daher den Fußboden mit e!n?r Strohsackunlerlaqe als Lagerstatt benutzen. Als VelKecke dient Vaters einziger MilikärMankel. Im übrigen befinden sich die Betten in einem jammervollen Zustand«. Bezüge und Laken kennt man schon lange nicht mchr. Auch Unterbetten fehlen-gänzlich. Die Matratzen sind alt. Der daraufliegende„Strohsack", dem das Stroh fehlt, verdeckt milde die darin befindlichen Löcher. Früher war noch ein Sofa vorhanden, das aber ebenso wie Daters Anzug verkauft werden mußte. Ich öffne das Wäschespind— leere Fächer gähnen mir entgegen. Beim Kleiderspiird zeigt sich dasselbe Bild. Nicht- ist mehr vorhanden. Was die Leute im Augenblick auf dem Leib« tragen,' ist ihr« einzige Bekleidung. Wenn auch diese fadenscheinige E.?wrbe zerfollen. dann sind die einzelnen Familienmitglieder soweit, daß sie die Wohnung nicht mehr verlassen können. Die Erwerbs- losenuntersiützung sowie die Verdienste der beiden 15- und 17jShrigen Jungen, wovon der eine noch Kurzarbeiter ist, reichen nur zum äußerst knappen Lebensunterhalt. Ja, die Not ist groß, daß die schulpllichligen Kinder wegen Brotmangcl viele Tage die Schule nicht besuchen. Wir verabschieden uns von diesen Leuten, die immer
wieder mit Worten und Blicken inständigst bitten, helfend einzu- greisen. Lange schaut man uns nach und hofft auf kommend« Hilfe. Mls Gast Sie Tuberkulose. Soldiner Straße 40. Es geht über einen unfreundlichen Hof, im Seitenflügel 1 Treppe hoch. Auch diese Familie ist kinderreich. Acht Kinder, die zum Teil schwer tuberkulös sind, müssen mit den Eltern zusammen in einer Stube schlafen. Die Frau, 41 Jahre alt, ist ebenfalls tuberkulosekrank und reicht uns mit müder Bewegung die Hand zum Gruß. Der Vater, ein kräftiger und ge- � funder Mann, ist von Beruf Autogenschweißer und jetzt erwerbslos. Drei Jungen, IS, 17 und 19 Jahre alt, haben«bens ills keine Be-' fchäftigung und beziehen nur zum- Teil die Erwerbslösknunterftützung. l Ein ZOjähriges Mädel arbeitet verkürzt und kann so nur sehr wenig> zur Unterstützung der notleidenden Eltern beitragen. Von den drei- schulpflichtigen Kindern besucht nur eins die Schule, da die anderen kopffchwach sind. Hunger ist hier ständ'ger Gast. Würde man kein Armenessen zugewiesen bekommen, so käme nur äußerst selten ein warmes Mittagessen auf den Tisch. An Schlafgelegenheiten sind drei groß« Betsstellen, ein Kinderbett und ein Sofa vorhanden. Als Unterbetten dienen Strahsäcke. Zm übrigen deckt man sich nachts mit Kleidungsstücken zu. Nur das Bett, worin die schwerkranke Mutter schläft, hat«in Deckbett, das einen fadenscheinigen Bezug auf- weist. Die Bekieidungsmäglichkeiten sind dieselben wie im vorher geschilderten Falle. Irgendwelche Reservekleider gibt es längst nicht mehr. Die Frau ist schon so weit abgerissen, daß sie nicht mal ein paar gleiche Strümp '« als ihr Eigentum betrachten kann. Der 19jährig« Junge, ein kräftiger Bursche, der in ftüheren Jahren ebenfalls die Tuberkulose hatte, ist jetzt dank der Landarbeit gesund geworden. Als die Eisenbahn noch keine Gvldtaif««ingeführt hatte, war es möglich, ab und zu auf Kartoffelstoppelfahrt zu gehen. Doch jetzt ist auch diese Möglichkeit genommen. Mu banger Miene sieht die schwer- kranke Familie dem Winter entgegen. <- Soweit der nüchterne Bericht, der nur zwei Fälle schildert. Sie lassen sich sedoch beliebig vermehren. Wie schon eingangs er- wähnt, sind städtische und private Fürsorgestellen bemüht, wo es irgend geht, zu helfen. Große Mittel sind dazu nötig. Wie viele ver- mögen etwas für die Aermsten der Armen zu tun. Wieviel Not könnt« gelindert werden, wieviel Sonnenschein könnte in ein Kinder- herz gebracht werden, wenn besser dastehende Leute es ab und zu zum Mttagessen einladen würden. Auch mit Möbelstücken, Matratzen und alten Betsstellen, die oft unnütz auf dem Boden liegen, kann solchen Armen geHolsen werden. Wer ist bereit, hier mitzuhelfen?_ Die Macht der ttluflk. Das tägliche Bild der Untergrundbahn ist fast immer das gleiche: Hastende, jagende Menschen Die oft rücksichtslos in die Wagen drängen und dabei das Aus- und Einsteigen verzögern, dazu Fluchen, Schimpfen, das sich manchmal(glücklicherweise recht selten) bis zur Schlägerei steigert. Die Zugbegleiter stehen an der Spitz« des ersten Wagens und können das Akssahrtszeichen käzsstt- erchärtey. Immer wieder jagen nette Fahrgäste hercln und wollen noch in den Zug hinein, der oft schon„hreckzend voll" ist.„Zurückbleiben!"-rufen die Beamten so schneidig und laut und mit so eigentümlicher Betonung, daß man fast glauben möchte, daß sie außer„Abfahrt" und„Zurück- bleiben" nichts weiter zu sagen vermöchten. Mit gewandtem, fast unnachahmlichem Schwung schwingt sich der Zttgbegleiter in den Wagen, wenn der schon im Anfahren ist, und mit immer demselben Griff hält er den letzten tollkühnen Fahrgast zurück, der es ihm gleich tun will. Langsam nur schließt er die Tür hinter sich, dann aber ist der Zug schon längst aus dem Bahnhof heraus. So geht das nun tagsaus, tagem. Nichts ist von Ruhe oder gar Beschaulichkeit zu spüren, und dennoch läßt sich das ganze Getriebe auf die einfach- sten Formeln zurückführen. Aber auch die einfachste Formel oermag das Bild des sinnverwirrenden Treibens nicht auszulöschen. Um so verwunderlicher ist es, wenn sich in dieser hastigen Welt«in kleines
Idyll austut und das gewohnte alltägliche Bild umwandelt. Um Mitternacht tönt aus dem unterirdischen Schacht eines Nord- südbahnhofes seltsames Singen wie Orgelton und Geigenklang. Alles horcht auf einen Augenblick, und die Leute mit den Fahrkarten gehen mit vorgestreckten Hälsen durch die Sperre, um nach den seit- samen Klängen zu forschen Der Bahnsteig ist scheinbar leer, aber in der Mitte drängen sich Menschen. Neugierig tritt jeder neu« An- kömmling näher, vergrößert die Meng« und reckt die Nase: Dort sitzen auf einer Bank drei Musikanten. Der eine spielt eine Gitarre, der anders ein« Geige und der dritte meistert eine Ziehharmonika. Es klingt zuweilen ganz gut zusammen, mitunter will es nicht recht harmonieren, aber die drei finden sich immer wieder, sie bringen jedes Stück zum glücklichen Ende. Einigemale wird ihr Spiel durch das Gedonner der rollenden Züge fast übertönt, aber immer wieder setzt es sich siegreich durch. Der U-Bahnhof hat eine prächtige Akustik. Man könnte in heißer Sommerszeit dort nächtliche Konzerte ver- anstalten. Die Zuhörer sind gefesselt. Niemand drängt in die Züge. viele lassen einen Zug nach dem anderen kommen und abfahren, und wenn die Musikanten nicht selbst den letzten Zug bestiegen hätten, hätte manch einer zu Fuß den Heimweg in entfernte Gegen- den zur nächtlichen Stunde antreten müssen. Das Eilen und Jagen der Großstadtmenschen war für kurze Zeit der Macht der Musik unterlegen. die Sonöergerichte in Tätigkeit. Erhebliche Gesängnissirafe, jedoch Lewährungsfrisl. Mit dem gestrigen Tage haben die Sondergericht« bei den Landgerichten I und III ihre volle Tätigkeit aufgenommen. Beim Landgericht I hatte das Sondergericht unter Vorsitz von Land- gerichtsdirektor Vogt 5 Fälle abzuurteilen, von denen zwei zur Ber- tagung kamen. Es sind vorwiegend unreife Burschen und teilweise Erwerbslose, die sich an den Um- zügen und Plünderungen beteiligt haben und auch bei Beraubung von Geschäften mitwirkten. Ein Angeklagter ge- stand, daß er nicht in Not gewesen sei. Beraubt wurden Bäckereien und Schlächrerläden. Fünf Angeklagte wurden zu Gefängnisstrafen von 4 bis 7 Monaten verurteilt. Das Sondergericht III unter Vor- sitz von Landgerichtsdirektor Dransfeld hatte zwei größere Gruppen abzuurteilen. In der ersten Anklage waren 5 Personen im An- schluß an Ansammlungen bei der Erwerbsiosenauszahlung in Bäckerläden gestürmt. Die Angeklagten erhielten Strafen von 1 bis(5 Monaten und Bewährungsfrist. Die zweite Gruppe, unter der auch ein Jugendlicher war, hatte Äonfettions- und Schuh- laden geplündert. Das Gericht oerhängte Strafen von 6 bis 9 Mo- naten. Der Jugendlich«, der nach der Plünderung dazugekommen war und einen Gummimantel erholten hatte, bekam zwei Wochen Gefängnis. Bis auf einen Angeklagten erhielten die anderen eben- falls Bewährungsfrist. Das Gericht nahm an, daß die Angeklagten nicht aus verbrecherischer Neigung, sondern aus Not g-handelt haben. Maßnahme« üer krantenraßen zum Duztm«:... Der Aerztestveit gegen die Krankenkassen soll heut« beginnen. Die in dem Berliner Krankenkassenverband zusammengeschlossenen Krankenkassen wenden sich an die Versicherten und an deren Arbeit» geber mit einer öffentlichen Erklärung, die den von den Aerzten angegebenen Streikgrund als unbe- rechtigt zurückweist. Durch die Regierungsverordnung, von deren. D vchführung die AeMe- eine. Beschränkung der Kassenärzte- zahl und bei Verstößen gegen Vertragsbestimmungen die Entlassung zv. erwarten haben, sei die berufliche Unabhängigkeit der Aerzte nicht gefährdet und ihre Siondesehrc nicht oerletzt. Di« Erklärung weist darauf hin, daß nach der Verordnung ein je zur Hälfte aus Ärzten und aus Kossenverttetern zusammengesetzter Ueberwachungsausschuß unter dem Vorsitz eines unparteiischen Obmannes über den Ausschluß von Kassenärzten entscheiden soll. Der Zweck des Streikes fei in Wirklichkeit, die Krankenversicherung zu zerschlagen. Zur Abwehr de? Vorgehens der Aerzte und im Interesse der Kassenmitglieder treffen die Krankenkassen «in« Reihe Maßnahmen. Arbeitsunfähig« Kassenmitglieder erhalten bei ihrer Kasse bis auf weiteres das Krankengeld ohne jede ärzt- liche Bescheinigung ausgezahlt. Bewilligungen von Bril- len, Bruchbändern, Bandagen, Plattfußeinlagen, kleinen Heilmitteln usw. erfolgen im Kassenlokal, ohne daß es der Slufsuchung eines Arztes zum Zwecke der Verordnung bedarf. Dringende Kran- kenhausaufnahmen werden ohne ärztlich« Bescher-
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Die Lofotfischer. Roman von Zohan D csser.
Aber Henrik brauchte immer mehr Platz für sich. Er schab die Paare beiseite, seine Stiefel waren so groß, er selber so mächtig und gewaltig, dieser und jener blieb wütend stehen und schimpfte. Aber er brauchte immer mehr Platz, er schwenkte das schwarzhaarige Mädel in die Lust, machte eine Runde mit ihr und schob die Leute beiseite. Alle taumelten durcheinander, die Männer fluchten und drohten mit den Fäusten. „Werst den Dreckskerl vor die Tür!" riefen mehrere auf einmal. Henrik brauchte immer mehr Platz, und jetzt hielt er das halb betäubte Mädel unter den Armen und benutzte sie als Lesen, er fegte den Boden rein, er drückte alle an die Wände— hei, war das ein Tanz, das Mädel flog nur so, jetzt begann Henrik sich wohl zu fühlen, bis ein Nordländer vor- sprang und ihm ein Bein stellte. Er stolperte und ritz das Mädel mit, und als er auf der Nase lag, warfen die Männer sich über ihn. Aber er stand auf, schüttelte sie ab, und das Mädel war frei, während seine großen Fäuste mit den blauen An?ertätowismngen durch die Luft zu schlagen begannen. Die Mädchen kreischten und flüchteten yach der Tür. Die beiden Brüder hatten sich bisher ruhig verhalten, aber jetzt konnten sie sich nicht länger bezähmen; sie spuckten in die Faust und fragten, was es zu bedeuten habe, daß man einen Menschen nicht in Ruhe lassen könne. Und im nächsten Augenblick waren sie mitten im Tumult. Kanelcs gehörte nicht zu denen, die eine gute Schlägerei an ibrer Nase vorbeigehen lassen, aber diesmal mußte er auf den Sohn des Kapitäns aufpassen. Der Knabe war von der Wildheit angesteckt, er ballte die Fäuste, fluchte und schrie und stand immer auf dem Sprung, sich in den Tanz der Fäuste hinemzttstürzen, aber Kaneles mutzte diesmal Bater spielen. Er bugsierte Lars auf eine leere Tonne, kletterte selber auch hinauf und hielt den Jungen am Jackenkragen fest.„Nimm dich zusammen," sagte er.„Du Dummkopf! Aber sieh da, jetzt gehtt es gut! Jetzt hat Gerhardt Langmo einen Bodöer zu Boden geworfen! Da— hast du Henrik gesehen?— Hol's der Teufel, da hat er einem Tromsöer den Kiefer eingeschlagen. So mußt du s'e bei der Kehle nehmen, wie Peter Langmo es jetzt macht— hei, da strömt dem' Burschen das Blut aus der
Nase— ja. jetzt geht es fein. Immer los. Jungens!" Und Kaneles hüpfte auf und ab und war Feuer und Flamme. Wäre er allein gewesen, so hätte er auch an der Hochzeit teil- genommen. Aber jetzt kämpften nicht mehr die drei gegen alle. Es kam ein Nordländer, der schrie und fragte, was in Dreiteufels» namen dte aus dem Süden hier oben auf dem Lofot wollten. Ob es nicht an der Zeit sei, die ganze Bande heimzüjagen? Das war wie ein Funke ins Pulversatz. Jetzt beteiligten sich auch andere. Südländer. Jetzt gab es Spatz. Es war ein alter Groll zwischen den Südländern und den Nordländern. Jetzt kam er zum Ausbruch. Lars und Kaneles sprangen im selben Atemzug hinunter, sie oerschwanden in einem Getümmel von Armen und Fäusten und verzerrten Ge- sichtern und sahen sich erst am nächsten Tage wieder. Draußen war noch die'elb« Mondnacht, aber in der Nach- barschaft erwachten die Leute von dem Spektakel an der Brücke, Licht wurde angezündet, halbangekleidet« Männer steckten den Kopf aus dem Fenster. Da erscholl der Ruf einer Frau, die mit wild gelöstem Haar dahergelaufen kam—„Hilfe!— Die Südländer werden totgeWagen!" Das war wieder Oel ins Feuer! Die Männer, die das hörten, waren Südländer. Sie zogen in aller Eile Kleider und Stiesel an und machten sich barhäuptig auf. Im nächsten Augenbl'ck rief ein erschrockener Schneider, der dahergelaufen kam:„Hille, Hille! Die Nordländer werden totgeschlagen!" Die Nordländer hörten das— es wurde in mehreren Hütten Liäft angezündet, in aller Eile fuhren sie in die Klei- der— barhäuptig kamen sie gelaufen und stießen auf eine Schar Südländer. Was zum Teufel ist das?— Das sind die verdammten Nordländer!— Wir sind Nordländer, aber sind wir darum mehr verdammt als ihr?— Auf beiden Seiten fielen Schimpf- warte. Sie hörten den Lärm an der Brücke, sie sahen die Kämp'enden paarweise heraustaumeln, einer die Fault an der KeMe des anderen, der eine sprang herzu, um zu helfen, aber hol's der Teufel, wenn das nur gut ging, der andere Teil ftürztz hinterher, und ehe einer sich's versah, war die Prügelei überall im vollen Gange. Immer mehr gesellten sich da.zu. Jollen suhren über die Sunde nach den anderen Klippen- inseln hinüber, wo die Hütten im Mondliebt mit dunkeln Fenstern lagen und schliefen. Aber Rufe weckten sie, lo daß erschrockene Lichter in den Fenstern erschienen. Was ist denn los?»Hilfe— die Nordländern werden totgeschlagen!" Dann
eine neue Stimme:„Hilfe— die Südländer werden totge- schlagen!" Immer neues Oel ins Feuer. Alter Groll schwelte in den Gemütern. Der hatte sich von einer Generation auf die andere vererbt. Jetzt wurde es überall auf allen Klippen leben- big. Die Sunde wimmelten von Jollen, alle voller Männer, die noch die Röcke zuknöpften. Und sie begaben sich dahin, wo der ärgste Tumult war. Jetzt waren Namdöler und Stavärin- ger Freunde und Genossen, denn sie waren Südländer— und die Nordländer mit dem singenden Tonfall begannen erst aus Helgeland. In allen Häusern wurden Fenster geöffnet, friedliche Leute kamen dahergestürzt wie von einem Erdbebßß geweckt. In der Hütte bei Kristaver Myran standen mehrere Männer schon angekleidet und wollten hinaus, aber die eine Tür war von Kristaver, die andere von Per Suzansa oersperrt, die bei- den Bootsführer wollten nicht, daß ihre Leute sich in solchen Wirrwarr mischten. Zu Henrik Rabben aber sagte Kristaver: „Geh und suche Kaneles und Lars, und wollen sie nicht frei- willig mit dir kommen, so schlage sie, bis sie bewußtlos sind und nimm sie auf den Rücken— du bist der Mann dazu!" Natürlich war Henrik der Mann dazu. Gewitz war er dazu und zu noch vielem anderen der Mann. Er kam in die helle, kalte Mondnacht hinaus und schöpft« siebenmal tief Atem durch die Nase— ah, das tat der Lunge so gut! Dann g'ng er ruhig die schmale Straße entlang. In den Schneehaufen tanzten Männer und prügelten sich, großer Gott, wie gern hätte Henrik sich«ingemischt und so einen tüchtigen Tanz der Fäuste mitgemacht. Wie gern hätte er nicht all das getan, was Tolltöpfe tun— Trinken, Mädels, Diebereien, Prügeleien. alles möglich«. Es war, als sauge seine große Ras« alles ein. was die Menschen betreiben, er fühlte sich allem verwandt, er war aus dem gleichen Holz, eher noch schlimmer. Aber wenn einmal Gelegenheit dazu war, so traf es sich immer so Unglück« lich, daß nichts daraus wurde. Uno jetzt kommt ein Trupp in vollen Sätzen daher- gelaufen, so daß er ausweichen muß, und das sind Nordländer, das ist ein ganzes Volk, ein Heer auf der Flucht, und hinter- drein kommt ein anderer Trupp, von einem Hinkenden ange- führt— ja, wahrhaftig, das ist ja Jakob, Jakob Schwerenot mit dem Kurzfuß! Er schwingt eine leere Flasche und brüllt fortwährend seinem Heer zu:„Immer vorwärts, Jungens! Faßt sie, Iungens! Der Teufel soll sie frikassieren, diese Nord- länder! Faßt siel Vorwärts, Jungens!" (Fortsetzung folgt.)