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«rräuberien Schätzen fitzen  , wer die rücksichtslos« Kc- pitalswirtschaft, die immer dreister auftretende po!i- tische Reaktion bekämpfen will, der wird weder bei den Deutschnationaken noch bei den Splitterparteien der Mit:e seinen Anschluß suchen, sondern bei der großen Partei der Arbeit, der Sozialdemokratie! Auch die Register der nationalistischen Verhetzung werden nicht den geringsten Eindruck machen auf diejenigen, die den leicht N» erbringenden Beweis zu würdigen wissen. daß die Sozialdemokratie, als die Partei der Reichseinheit, stets mit Verstand und Sachlichkeit die wahren Jnter» essen der Ration vertreten hat, während die anderen mit ihrem Phrasengedröhn nichts anderes zu tun wußten, als das deutsche   Volk noch tiefer ins Unglück zu stürzen. Außen- volitisch gesehen, heißt sozialdemokratisch wählen, sich gegen Poincarch für die französischen   Sozialisten und die eng- lische Arbeiterpartei entscheiden. Deutschnational wählen aber heißt, für Poincars wählen! Die Aussichten der Sozialdemokratie im Wahlkampf sind ausgezeichnet: sie braucht sie nur richtig zu erkennen. Es gilt, den Kopf zu erheben aus dem taktischen Krimskram, wie ihn wech'-slnde Situationen des Augenblicks mit sich brin- gen, aufs Ganze zu sehen und aufs Ganze zu gehen! Lassen wir uns varwärtstragen von dem Bewußtsein, daß nur eine große einige Partei der Arbeit nach langem und schwerem Kampf den werktätigen Massen ein besseres Dasein erringen kann, dann werden auch diesmal wieder alle Hoffnungen unserer Feinde zuschanden werden. .Die Sozialdemokratie hat ihren Höhepunkt überschrit- ten!' Wir kennen den Text und die Melodie. Unsere Gegner haben sie immer vor allen Wahlen gesungen, und immer wie- der hörten sie an einem Tag auf, sie zu singen, well ihnen vor Staunen und Schreck der Mund offen geblieben war. Das aber war der W a h l t a g!
Angriff auf Sie Laienjuftiz. Emminger will die Schöffen und Geschworenen ausschalten. Der bayerische   Reichsjustizmimster fängt seine Arbeit gut an. Man hat noch nichts davon gehört, daß er den Oberreichs- anmalt angewiesen hätte, dem beleidigten Gesetz in Bayern   zur Gellung zu helfen, indem die hochverräterischen Teilnehmer am Ludendorff-Hitler-Kahr-Lossow-Putsch vom 8. No» vembe? dem Staatsgerichtshof in Leipzig   vorgeführt werden, ja daß auch nur die Relchsgesetz« in seinem engeren Vaterlande wieder in Kraft gesetzt werden, die Kohraus eigenem Recht", das heißt rechtswidrig suspendiert hat. Dafür aber geht Cmmmger um so forscher ins Zeug gegen die Laiengerichtsbarkeit, und zwar aus Ersparnis­gründen! Dem Berliner   Vertreter der.Augsburger Postzeitung" hat der frühere bayerische   Staatsanwalt, der als einziger im Reichs» tage das Fechenbach-Urteil zu verteidigen wagte, davon gesprochen, daß die Rechtspfleg« infolge leerer Kassen ge- fährdet sei. Besonders bestehe die Gefahr, daß in nächster Zeit die Landesjustizverwaltungcn erklären, sie müßten aus Mangel an Mitteln für die sächlichen Ausgaben der Gerichte, nament- lich die Gebühren für Zeugen, Sachverständige, Schöffen und Geschworene, die Gerichte schließen, dafür aber die Gefängnisse öffnen, weil die Verköstigung und Heizung unerschwinglich geworden sind. Zwar wolle man durch schleunigste Einhebung.tiefeinschnei- dender Steuern" Geld schassen, aber das würden die Steuerzahler nicht verstehen, wenn nicht raschestens das Rechtsverfahren oer» einfacht wird. Folglich: Eine Verordnung zur Vereinfachung der Straf- rechtspflege auf Grund des Ermächtigungsgesetzes wird einen organischen Abbau ohne grundstürzende Aende- rungen herbeiführen und vielen Leerlauf und viele kostspieligen Umständlichkeiten beseitiqen. Aber diese Verordnung wird zum Teil erst am l. April 1924 in Kraft treten können. Daneben aber sind Notmaßnahmen radikalster Art als Uebergangsmaß. nahmen bis zum 1. April 1924 notwendig. Ich bin feit vielen Iahren, sagte der Minister, für stärkere Beteiligung des Laien­
elements an der Rechtspsseg« eingetreten und empfinde«s als bitteres Schicksal, mit Rücksicht auf die Unmöglichkeit, die Kosten für Schössen und Geschworene aufzu- treiben, auf deren Miwirkung vorübergehend ganz zu vn- lichten. Aber wenn ich vor die Wahl gestellt bin, entweder die ganze Strafrechtspfleg« in wenigen Wochen überhaupt stillgelegt zu sehen oder sie einstweilen nur mit Berufsrichtern durch dies« Ueberganaszeit hindurchzuführen, so bringe ich den Mut auf. auf eine allerdings nur kurz bemessene Zeit auf die Mitwirkung von Laien bei der Strafrechispflege zu verzichten. Di« Reichsregierung ist einstimmig dieser Auffassung beigetreten. Also um die paar Tagegelder für Schössen und Geschworenen zu sparen, scheut Emminger und nach seinen Angaben das ganze Reichskabinett nicht davor zurück, auf Grund des Ermächtigungs- gefetzes da» ganze Gerichtswesen umzustülpen. Dos ist Kahrer« in Reinkultur. Augenscheinlich fehlt nur noch ein Weniges an der Einrichtung bayerischer Dolksgerichte im ganzen Reich! Wie denkt sich die Reichsregierung oder ihr Staatsanwalt die Dinge m Zu- kunft bei Kapitalverbrechen, die der Aburteilung durch Schwur- gerichte unterstehen? Niemand darf doch seinem zuständigen Richter entzogen werden. Will man jemand, der auf Grund von Indizien eines Verbrechens beschuldigt ist, einem Dreimänner- kollegimn von Berufsrichtern überlassen? Die angekündigte Verordnung enthält so schwere Eingriffe in das. Rechtsleben, daß sie uns in keiner Form dringlich und not­wendig erscheint. Wir sind gerade bei Emminger eher geneigt, an- zunehmen, daß die Ersparnisgründe nur ein Feigenblatt für viel weitergehende, aber verwerflich« Pläne darstellen sollen.
Kohr und poincars. Was sagt der Generalstaatskommissar dazu? Der Generalsekretär der bayerischen Mittelpartei, Dr. Bär- w o l f, sprach dieser Tage vor der Ortsgruppe Koufbeuren des Bundes.Bayern und Reich", der bekanntlich scst dem Verbot der nationalsozialistischen Kampsverbände die Staffage für die Hitler  - Leute abgibt, über die Vorgänge in München   am 8. und 9. November. Im Verlaufe der Rede stellt« Dr. Bärwolf fol- gende Behauptungen auf: Der Vormarsch nach Berlin   wäre nicht an Truppen der Reichswehr   oder gar der Kommunisten gescheitert, sondern an feldmarschmäßigen Truppen in blaugrauer Uniform und flachem Stahlhelm sfranzöslsch« Truppen. D. Red�). Rur   dem persönlichen Eintreten des Hern: o. Ä a h r gegenüber der fron  - zösischen Botschaft ist es zu verdanken, daß diese Frank­ reich   so erwünschte Waffe ihm aus der Hand gewunden wurde und die Vormarschbefehle an der Mawlinie nicht in Geltung traten." Danach hat Kahr m der Putschnacht mit der französischen   Bot- schaft in München   verhandelt, derselbe Kahr, der von der Reichs- regierung den Abbruch der Beziehungen zu Frankreich   und einiges mehr forderte. Das Verhalten Kohrs wäre also so gewesen, daß er die Reichsregierung stürzen wollte, weil sie Frankreich   gegenüber zu.schlapp" war, daß er selbst aber bei der ersten besten Gelegen- heit vor Frankreich   in die Knie sank und um des Neben Friedens willen auf fein« Freunde schießen ließ. Man darf neugierig ftin, wo» der Generalstoatskommissar auf diese Beschuldigung«, zu ant- warten haben wird. Seamteuabbau kn Sapern. München  . IS. Dezember. iWTB.) Zum Personalabbau in Bayern   beschloß der Ministerrat, die Versetzung per ööjährigen Beamten in den Ruhestand und die Lösung dcZ Diensioerhölt- nisieS der unter Borbebalt angestellten derheiroietev weiblichen Beamten bereit« zum Monatsende durchzuführen. Ferner wurde mit sofortiger Wirkung die Beförderungssperre für die Beamte» angeordnet. Um die Rheinische Goldnokeubant. Die deutschen   Interessenten an der Gründung einer rheinischen Goldnotenbank, an ihrer Spitze der Durchha'te-Bankier Loni« Hagen, der zuerst den paisivcn Widerstand nicht aufgeben wollte, sich aber dann sofort mit Franzosen und Belgiern an den VerbaudlunaStiich gesetzt Hai, lassen ertlären. daß sie nur nach Zustimmung der ReickSregierung die Bant gründen und da« Ergebnis ihrer Verhandlungen der Oeffentlichleit mitteilen wollen.
Verfassung, nachdem die Deutschnationalen sich, wiederum bei icnen Verhandlungen, durchaus willig und bercst gezeigt hatten, auf den Boden der Verfassung von Weimar zu treten! Den RufAuf zu den Neuwahlen!" nimmt die So- zialdemokratis kräftig auf. Sie verbindet ihn mit dem Ruf nach Beseitigung des Belagerungszustandes, nach Eiche- rung der Wahlfreiheit im unbesetzten wie im be- setzten Gebiet. Hat diese Forderung Erfüllung gefunden, dann mag das Volk entscheiden, ob es entsprechend den deutschnatio- nalen Vorschlägen eine Verbayerung ganz Deutsch- l a n d s will oder nicht. Die Sozialdemokratie wird ihren Wahlkampf nicht nur gegen die deutschnationale Reaktion führen, sondern auch gegen den vorwiegend bürgerlichen Geist, der den gegenwärtigen Reichstag beherrscht. Sie wird in diesem Kampf ein-e desto stärkere Stellung haben, als man ihr wirk- lich nicht den Vorwurf machen kann, sie hätte sich in den letzten dreieinhalb Jahren auf eine Politik der grundsätzlichen Nega- tion zurückgezogen. Sie hat im Gegenteil, mit Rücksicht auf die verzweifelle äußere Lage des Reiches, alles getan, um in Gemeinschaft mit den etwa dazu berestwilligen Teilen her bürgerlichen Parteien an einer praktischen Besserung der trost- losen Lage zu arbeiten. Durch ihr Einspringen im März 1921 wurde die Ruhrbesetzuna verhindert. Kaum hatte sie aber die Regierung verlassen, so erfolgte die Besetzung mit den bekannten Ergebnissen. Sie hat dann den passiven Wider- stand nickt nur gestützt, sondern in erster Reihe geführt, ober sie hat die notwendig« Finanzierung der Ruhrkriegss durch Opfer der Opferfähigen nicht durchsetzen können. Nach dem Zusammenbruch der rein bürgerlichen, von Helsferich stark beeinflußten Cuno-Politik stellte sie sich abermals zur Verfügung. Der Wiedereintritt in die Regierung durch Bildung der großen Koalition wurde gerade von bürgerlicher Seite mit stürmischen Hoffnungen begrüßt. Aber zunächst ge- lang es kapitalistischen Einflüssen, den sozialdemokratischen Reichsfinanzminister H i l f e r d i n g aus dem Amts zu drän- gen, dann besorgte die Reichsexekutive gegen Sachsen   das Uebrige, um die große Koalition in einen großen Scherben- Haufen zu verwandeln. Dem Kabinett Marx hat schließlich die Sozialdemo- kratie das Regieren möglich gemacht, indem sie für das Er- mächtigungsgejetz stimmte. Indem sie die bürgerlichen Par- teien gewähren ließ, zog sie die letzte Schlußfolgerung aus der Tatsache, daß dieser Reichstag in seiner Mehrheit eben durch- aus bürgerlich ist. Sie hat durch ihr« umstrittene taktische Hal- tnng zu dem Ermächtigungsgesetz die tatsächlich bestehenden Machtverhältnisse nicht geschaffen, sondern nur sichtbar gemacht. Eine rein bürgerliche Regierung regiert. Sie hat nicht die Ausrede für sich, daß die Sozialdemokratie sie gehin- dert habe, sich zum Segen zu entfalten, sie hat all« Voll- machten, die sie braucht. Sie hat diese Vollmachten vom Reichstag in Form des Ermächtigungsgesetzes erhalten, nach­dem klargeworden war, daß sie sich diese Vyllmachten sonst durch den Art. 43, auf dem Wege des Ausnahmezustandes, verschafft haben würde, und auch das ist wiederum ein Aus- druck der gegebenen Machtverhältnisse. Es wird den Deutschnationalen verdammt schwer fallen, den Massen der Wähler einzureden,marxistischer" Einfluß auf die Reichspolitik fei die Ursache ihrer begreis- lichen Unzufriedenheit. Mindestens feit Zentrum und Demo- traten ihr Herz für die große Koalition entdeckten, also min- bestens seit Herbst 1922 ist dermarxistische" Einfluß recht gering gewesen, und der kurzfristig« Versuch, ihn in der Stresemann-Regierung zur Geltung zu bringen, endete rein Negativ. Die bürgerliche Politik, die von der gegenwärtigen bür- gerlichen Regierung getrieben wird, ist wahrhaftig nicht ge- eignet, für das marxistenreine Marx-Kabinett und die Par« teien, die in ihm vertreten sind. Stürme der Begeisterung zu wecken. Wer nicht will, daß Arbester. Angestellte und Beamte hungern, während die Nutznießer all dieses Elends auf ihren
Der erwürgte Despot. Von Erna Büsing. Wie ein Würger stand er über Stadt und Land, der Kapitasist. Arbeitskraft, Lebenssaft, Gedanken und alle wirtschaftlichen Werte gehörten ihm. Die Masse war, was er wollte. Der Einzelmensch war«in« durch sein Wollen geprägte bellebig« Schachfigur. Der Kapitalist sah die Masse blinzelaugig an und sagt« zu ihr:Du ver- stehst zu leiden, aber nicht zu herrschen." Und über allem thronte sein unbezwingbarer Wille und sein Geld. Der Bauer bestellte seinen Acker, den schon seine Väter gepflügt hatten. Da kam der Kapitalist und sagte:Mir gehört der Acker, denn ich habe Geld." Der Bauer sträubt« sich, doch der Kapitalist ließ aus den umliegenden Aeckern Maschinen arbeiten und steigerte die Ertragsfühigkcit des Bodens nach Belieben. Da wurde der Bauer erdrückt und irgendwo und irgendwann nahm er dag Geld und vergab seinen Acker. So nahm der Kapitalist dem Bauern die Bodenbestündigkeit, ein Stück seines Lebens. Der Handwerker arbeitete fleißig, Tag für Tag. und seine Arbeit nährte ihn. Das sah der Kapitalist. Cr klimperte mit seinem harten Gelde und sagte:Ich bin großzügig, welche Ausbeutungsmöglich- kellen stecken in deiner Arbeit." Er baute«ine Fabrik und über« trug ihr die Arbeit des Handwerkers. Da schrie der Handwerker: Aber ich leiste doch Oualitätearbell!" Da höhnte der Kapitalist: Aber man kauft doch mein« Fabrikate!" Und der Handwerker ward bitterann und war schließlich froh, als er das harte Geld nehmen konnte und sich auch in die Fabrik stellen durfte. Die Frau freute sich dankbaren Herzens ihrer Söhne. Alles Gute sollte in ihnen zur Reif« kommen, olle Hoffnungen und Wünsche sclllen sie erfüllen. Die Frau gab willig ihre Kraft, ihr Leben, ihr Herz für sie hin. Da kam der Kapitalist und sagte?Deine Söhn« gebrauch« ich als sich verblutenden Schutz meines Eigentums." Der Richter hall« Zeit seines Lebens fllr's Recht geeifert. Er wollte der Wahrheit dienen und der Gerechtlgkell zum Siege ver- helfen. Da kam der Kapitalist und sagt«:Ich habe die Macht und nehm« mir das Recht. Du bist mein Willensvollstrecker. Du liebtest die Wahrheit, aber du sollst jetzt nicht einmal mehr die Aufrichtigkell wagen." Das Mädchen freute sich seiner Jugend und des Lebens. Ein singender Rhythmus lag in seiner Körpersichkeit und es wollte sich sinnend in Weibesreife hineinträumen. Da sagt« der Kapitalist: Mich lüftet nach deinem lebenswarmen Leib" und er gab Ihr hartes Geld dafür. Der junge Denker wollte neue Wege suchen. Sein Gehirn war sein konstruiert. Das verspürte der Kapitalist und er sagte:Deine Ideen gehören mir, hier hast du Geld." Doch Gedanken sind«ine schwer bezahlbar« Ware. Der junge Denker arbeitete wohl für den Kapitef sten, aber die Gedanken schweiften ab und das Schicksal der Mass« fiel ihm als Last auf Hirn, Gemüt und Herz. Er hatte Mit-
leid mit ihr. aber er sagte sich. Mitleid ist Selbstüberhebimg. Da erwürgte er eines Tages den Kapitalisten. In den Herzen der Masie sang die Freud  « im Sturmglocken- klang. Die Freiheit war nun ureigenstes Gut eines jeden. Aber die Masse war getrübten Blickes, wie die Tiere in den Zoologischen Gärten es durch jahrelang« Gitterhaft werden. Sie erwartete ge» duldig das Kommen des neuen Despoten und umstand traurig da» Schafott, als der junge Denker hingerichtet wurde.
Mar� Wigman. Die Kunst der M a r y Wigman und ihrer T a n'z g'r'u'p p«, die im Theater am Nollendorfplok drei Gastspiel« gaben, ist in ihren Wirkungen so berauschend, so betäubend, so jede Be. sinnung lähmend, daß sie zunächst Widerstands- und willenlose Hin- gebung erzwingt. Wir werden in Sphären entrückt, die nicht von dieser Well sind, unsere Seelen unterliegen dem Bann eines über- mächtigen unerklärlichen Zaubers. Der Verstand schallet sich aus, reines Gefühl schwingt in den Wogen, die von det Bühne aus- strahlen, den Raum überfluten, durchgessten, beseelen. Einfachst« Faroformen, schichte still« Mädchengestalten erscheinen, wandeln zu den leisen Tönen eines Gongs über die Szene, halten feierlich, wie der Priester die Monstranz, Hände vor sich, deren seltsame Finger- spräche Geheimnisse zu künden! scheint. Die Reihen teilen sich, be, gegnen sich, durlhkrcuzen sich, dicken Kreise, btcken Gruppen, die Bewegung wächst, schwillt an. lauter, wilder werden die Töne de« Gongs, neue Klänge mischen sich drein. Beine wirbein, Arme schwin. gen durch die Luft, Fäuste ballen sich, Finger krallen, Verzweislung. Grauen, Entsetzen, Wahnsinn. Aufbäumen, Niedersinken... Mary Wigman   erscheint,«in Orkan fegt über die Szene. Wie ein Blitz fährt sie durch die Reihen, durchdringt sie, teilt sie, reißt sie an sich wie der kreiselnde Kern einer Wettersäul«, gliedert sie zu xeord- neten Gebilden und zerstäubt sie in chaotische Atome. Bald auf- peitschend« Menade, bald grauensäende Furie, back Schöpferin, Trö- sterin, Glückbringerin. Wortlos, lautlos, nur von spärlichen Klan. gen begleitet, spielen sich Dramen vor uns ab, deren eindrucks- mächrigs, seolendurchleuchtends, tiefste Tiefen packende Wucht mensch- sicher Sprache unerreichbar wäre. Alles Technische von einer Vollendung, die nicht mehr zu über- gipfeln ist. Di« Kunst der Meisterin selber von letzter höchster Reife zeugend. Von einer Reife allerdings, die hie und. da, wenn auch nur ganz selten, schon etwas als Ueberreife erscheint, in dem Sinne, daß einzelne Momente die frische Ursprünglichkeit, den Eindruck des im Augenblick Geschaffenen, Improvisierten, entbehren. Ans Wun- derbare grenzend die Beherrschung, die künstlerische Disziplin der Massen, dieses feinste Reagieren auf jede rhythmische Nuance. Am schönsten die Kunst des Gehens. Was hat diese Schule aus dem am schlimmsten vernachlässigten Teil unseres verkrampften und ge- lähmten Kulturleibcs, rem Fuß, für ein Wundersebicke geschaffen! Jede Zehe scheint ein selbständiges Leben zu führen, die Soy.'e küßt und liebkost den Boden, sie spielt, scherzt mit ihm, sie stößl ihn grollend vcn sich, mißhandelt ihn mit strafendem Tritt. Stun- denlang könnte man diesem ernst andächiigen Schreiten, diesem heiter festlichen Laufen, diesem ausjauchgenden Hüpfen, diesem
schwingenden Stampfen zusehen. Ee ist«in Gottesdienst: vollen- dekste Gebilde der. Schöpfung, beseelt und bewegt vom wunder- tätigen Urphänomen Rhychmus. Aber. Es ist nicht leicht, gegenüber solchen Gipfelleistun- gm ein kritisches Aber zu sagen. Trotzdem darf eine« nicht ver- schwiegen werden. Was Mary Wigman   mit ihrer Tanzgruppe leistet, ist eine in sich schtechterdings vollendete Kunst. Aber diese Kunst bedeutet noch nicht die letzte Stufe im modernen Cntw'.ck- lungsgcmge des Tanzes. Die dekorativen, rein sinnlichen El«- mente sind in ihr noch nicht ganz ausgeschaltet. Die Linie ihres Stils iührt ganz nahe an das enMche Pröraffaeiitentum heran, und wenn auch das Schönfärberische, das konventionell Gefällige dieser Epigonenkunst streng oenniedm ist, wenn auch alles ernster. veredelter, vertiefter erscheint, so erinnern doch manche Gesten und Attitüden peinlich an die Formsprach« der Rossett! und Burne Jones  . Und nicht nur das Dekorative, sondern auch das Panw- mimisch« ist Nicht völlig oermieden. Zwar erwächst die künstlerische Konzeption und Intuition ganz au» dem Gefühl, aber die Aus- drucksmlttel find oft zu vcrstandesmSßig, naturalistisch, pantomi­misch. Derabsolute Tanz" der Marn Wigman Hot die Reinigung der Kunstmittel nicht bis zur letzten Konsequenz durchgeführt. Erst wenn de? absolute zumungegenstäicklichm" Tanz geworden ist» wird die höchste Stufe der modernen Stilentwicklung erreicht sein. Ueber dieses wichtige Problem, das zugleich für die Umgestaltung der gesamten szenischm Kunst der Zukunft von grundlegender De- deutung ist, wird sich vielleicht in kurzem Gelegenheit bieten, nähe- res zu sagen._ John S ch i k o w s k i, An unsereRem Leader'-Leser! DiejenigenVorwärts"- Leser, die die englische Wochenschrist JThe New L e a d e r" durch unsere Vermittlung von englischen Genossen erhalten und die ihrer- seits bereit wären, einmal wöchentlich ihre gelesenenVorwärts"- Exemplare unter Kreuzband an Leser desThe New Leader" z»' senden, werden ersucht, ihre Namen und Adressen der Feuilletonredaktivn desVorwärts" beckigst mit- zuteilen. Volksoper:Hauulbal". Hans Str ohbach hat diesen D e r d i neu und eigenartig und dennoch so deloratio ausgestattet, daß ein starker Eindruck bleibt. Seine Phantast«, zwischen Wirk- lichkeit und Schein die Mitte haltend, raste nicht in moderne Zeich­nung hinein und verflachte auch»ficht in alter Schablone. Es war besonders im Akt der Zauberin Ulrika und im dritten Bild«ine gespenstisch düstere Atmosphäre geschaffen, die durch Auf- und Ab- blenden Heller und du n Her Lichter noch wirksamer wurde. Der Spuk wurde mit Geschmack so abgetönt, daß man immer noch füb'en konnte, welch handfestes Theater dahinter gespielt wurde. Die Men» schen wuchsen dunkel wie Silhouetten aus diesem Radmen heraus, selbst der Lichtrcflex wurde noch ausgenutzt zur Unterstreichuno des Tragisch-Spielhaften. Scenkar dirigierte«in m!tt-l°ltal!en!sches Tempo in mittlerer Temperatur, Cr wäre wohl leidenschattlicher gewesen nach oller soliden tüchtigen Lorarbeit, wenn ihm die Sänger nichr in den Arm gefallen wären. Ren« Peermanvs Hanni- bal ist in der Maske kein inniger Busenfreund, sondern«in sehr ernster, ftrenger Richter vom Typ de» Großen Kurfürsten. Sein