Gipfel erklomm der Redakteur Kl«h«ibst-Themnkß. der verlangte, daß die Regierung Zeigner/ mit dem Landtag in Sachsen von Ort zu Ort ziehen und das Volk aufrufen solle, sich um seine Regierung zu scharen. Als Genosse Wels darüber lachte, machte ihm der Redakteur Scyllewitz-Zwickau deswegen schwere Borwürfe.' Politische Kinder maßen sich an, politische Führer zu sein und lassen sich von der Welle der Erregung, die durch die Wirt- schaftsnot hervorgerufen ist, hochtragen.in Partei- und Staats- ämter. Im Zwickauer Bezirk richii* sich der Bezirksvorsitzende Sei�ewitz in einem Zirkular, daß Beiträge nach Berlin „Wieso" nicht abgeführt werden, dtvnit„beruhigt" er die Genossen. Der im gleichen Beziik gewühlte Landtags- abgeordnete Langhorst wird wegen seines Votums für die Re- gierung Fcllisch gezwungen, sein Amt als Angestellter des Bergarbciterverbandes niederzulegen; die Mitglieder drohen, die Beiträge zu sperren, wenn er nscht geht. Der Textil- arbeiteroerbano muß wegen Beitragssperre im Zwickauer Bezirk eine ganze Zahlstelle ausschließen. Das find die Früchte der Pressehetze der Seydcwitz, Victor et tutti quanti. Inzwischen hat Seydewitz sich bereits zum Reickistagskandi- baten und Victor, der erst vier Monate in Sachsen ist, sich zum Üandtagskandidaten aufstellen lassen. Molkenbuhr, Jockel, Puchta, Richard Meier, Stücklen, Minna Schilling, kurzum alle Reichstagsabgeordnete der Partei im gapzen Wahlbezirk, sollen durch diese„Parteierneuerer" beseitigt werden. Demselben Zweck dient anscheinend jetzt bezüglich der Landtagsfraktion das Eintreten des Landesarbcitsausschusies für die Landtagsauflösung. Geht die proletarische Mehrheit verloren, so macht inan eben„grundsätzliche Oppo- sition" in Idealkonkurrenz mit den Kam- m u n i st e n. Aber vielleicht würde eine Wahlniederlage denen die Augen öffnen, die sich von dem pseudo-radikalen Geschrei betören lassen und endlich eine Gesundung der trost- losen Parteiverhältnisse in Sachsen einleiten., Alles in allem ist es e i n proletarisches Trauer- spiel, was sich seit Jahr und Tag in der sächsischen Arbeiter- bewegung ereignet und das sozialistische Musterland Sachsen zu einem Tummelplatz parteizerstörender Treibereien politisch unreifer Elemente macht.
Briefen Ludwig Zranks. Im September kommenden Jahres vollendet sich ein Jahrzehnt, seit Ludwig Frank als Kriegsireiwilliger bei Baccarat fiel. Er rrar nur einer von Millionen, die der Weltkrieg hinraffte, einer von chunderttausenden von deutschen Sozialdemokraten, die aus dew Schlachtfeld ihr Leben Hingaben,, um dem deutschen Volk die Nieder läge zu erspar«»» die ihm durch die Blindheit der Mächtigen schließ- lich doch bereitet worden ist. Zwei deutsche Reichstagsabgeordnet« sind im Krieg gefallen,«in Welse und ein—„Marxist", kein Kon- scroatioer, kein Deutschnationaler. Vielleicht ist es deshalb, das i.och keine Gedenktafel im Reichstag von ihrem Blutopser zeugt. In der„Glocke" läßt jetzt Genossin Hedwig Wachen Hein einig« Briese von Ludwig Frank erscheinen, die a» die Schrift- stellerin Leoni« Meyerhof Hilbeck gerichtet sind, und denen sie ein l>erständnisvolles Geleitwort vorausschickt. Wir lassen dieses uns einige Briefe folgen. Der Wille zur Macht. „Im Grunde ist«s auch dasselbe, für was ge- starben wird, und so ein warmer, treuer Tod ist besser als«in kaltes, treuloses Leben." Ein kleines vom 21. bis 28. Lebensjahr unter dem Titel„Eigene imd angeeignete Gedanken" geführtes Notizbuch Ludwig Franks bricht mit diesen Worten Heines ab. Sein Ted ist von vielen nicht verstanden worden und war doch ein warmer, treuer Tod sitr die Sache, der er sein Leben gewidmet l>at, die Sache de s d e uts che n Proletariats. Sein Wort
ziehen, ehe man nach ßchelsca kommt. E» tat einem weh, den armen Alten zu sehen, wie er sich mühsam gegen den heftigen Westwind vorwädtskäinpfte. Nur ein paar Wagen wäre» hier zu sehen und wenig L:ute— eine trostlose Wildnis, von hohen Laternen erhellt, die keine Schatten warfen, so l>ell schien der Mond. Bald nahm er wieder seineü Beobachtungsposten«in wie in der vergangenen Nacht und wartete auf die Rückkehr eines Löwen in feine Höhle. Und bald darauf sah ich einen daherkommen, von drei Löwinnen begleitet, die alle größer waren als er. Dieser da war bärtig und trug eine Brille— ein richtiger Gelehrtenkopf. Er hatte de» Gang eines Mannes, dem man nichts vormachen kann.„Irgendein Professor", sagte ich zu mir,„mit seinem Hnn m." Etwa fünfzig Schritt von meinem Alten entfernt erreichten sie ihr Haus, und wählend der Gelehrte die Tür öffnete, hoben die drei Damen ihre Nasen in die Luft, um nach dem Mond zu schauen. Ein bißchen ästhctilch ange- haucht, ein bißchen zur Wissenschast gerochen— ww s bei diesem Typus immer ist. Sofort sah ich, wie mein Alter herüberkam, vom Wind getrieben wie ein Distelstengel, und auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck so tiefen Kummers, als ob«r die Leiden der ganzen Menschheit trüge. Im selben Augenblick, als sie isgr bemerken, lassen die drei Damen ihre Nasen hängen und flüchten in das Haus, als ab er die Pest wäre. Auf ihr Kreischen:„Henry!" kommt Monsieur wieder heraus mit seinem Bart und seiner Brille. Ich hätte schon gern gehorcht, ober ich sali, wie der gute Henry mich sixierte, und Ich rührte mich nicht, aus Furcht, mit im Komplott zu scheinen. Ich hörte chn nur sagen:„Unmöglich! Unmöglich! Wenden Sie sich an die hierfür geeignete Stelle!" Und er schloß die Tür. Mein Alter blieb stehen, und der lange Stab drückte schwer, als wäre er aus Blei, auf die gebeugte Schulter. Und dann ging er wieder in derselben Richtung davon, aus der er gekommen war; gebeugt und zitternd- schlich er wie ein Schatten an mir vorüber, als wenn ick Luft gewesen wäre. Auch diesmal gelang es mir, vor ihm im Bett zu fein, und. in tiefes Nackdenken versunken, begriff ich noch weniger, was dies alles bedeuten tollte. Ich beschloß, ihm noä) einmal zu folgen und nabm mir vor:„Diesmal muß ich'- hören: es koste, was es wolle! Es gibt zwei Arten van Menschen in dieser Welt, Monsieur, die einen, die keine Ruhe gebe», bis sie all die Spielsachen in ihren Besitz gebracht haben, die zu dem Leben eines Reichen gehören— wobei es ihnen ganz gleich ist, woraus die Spiel- fachen gemacht sind, und die anderen, für die das Lebe» in Tobak und einer Kruste Brot besteht und in der Freiheit, allem aus den Grund zu gehen, so daß sich die Seele wohl fühlt im Leibe. Gerade herausgesagt: ich gelyjr' zu dieser Sorte. Ich finde keine Ruhe, bis ich h'rausgesunden Hab', warum etwas fo ist. Für mich ist das Geheimnisvolle das Salz des Lebens, und ohne Salz ist mir das Leben zu fad. Ich beschloß also, ihm in der nächsten Nachi wieder zu folgen. Diesmal ging er duech die kleinen schniutzigne Straßen von eurem berühmten Wcstminsteroieri l. wo die Lords uyd die armen Teuiel lustig durcheinander gemischt zn hoben sind, zu zwei Sons das Dutzend. Dazwischen Katzen und Polizisten, die offenen Leuchtslamme» der Berkaussstände, Abteien, und der Duft von Fisch, in ranzig m Fett gebacken. Ach, es ist grauenhaft, des Londoner Armenstraßen zu sehen. Da lreschleicht mich immer eine so er- drückende Trostlosigkeit, wie ich sie niroends sonst gespürt habe, und es ist charakicristifch, sie io nabe bei jenem großen Parlament zu finden, das der ganzen Welt ein Beispiel gibt, wie man gut regiert. Aus jener Gegend spricht ein« so teuflische Ironie, Man- sieur, daß mon glaubt, den guten Gott eurer Bourgeoisie lachen zu hören in jedem rollenden Rad einer Equipage und m jedem Ruf
im letzten Brief an Südekum„Einer muß die Fundament« gesehen haben" ist nach seinem Tod durch alle Zeitungen ge- gangen. Er dachte an die Fundamente des neuen Staats. Das vornehmste politisck)« Ziel seiner letzte» Lebensjahre ivar, die Sozialdemokratie zur p o l i t i i ch« n M a ch t zu führen. Um es zu erreichen, mußte er zwiefach kämpfen! einmal mußte der Feu- dalismus und damit alles, was in der deutschen Reichsverfassuna der staatspalitischen Tätigkeit der Parteien und besonders der Ar- beiterpartei entgegenstand, hinweggeräumt werden. Und dann muhte die Sozialdemokratie selbst aus der reine» Opposition?- und Agita- tivnspolitik herausgelockt und dazu getrieben werden, ihre zahlen- mäßige, wirtschaf-liche und kulturelle Bedeutung des organisierten Proletariats zu nutzen. Diesem Ziel galten die badiiche Budgetbe- willigung, die daranschließenden Peneitämpfe. die zmrlamentari- jehen Arbeiten bei der Verfassung der Reichslande, der Wchrbeitrag und dos Petroleummonopol. Zaber» wurde für ihn zum Kampf um die Verfafsungsreform. Er hatte«in glückliches Temperament und war schwer zu entmutigen. Er lebte oft schon im nächsten Er- folg. Bei der Zabern -Debatte meint« er:„Noch«in solcher Vorgang im Reichstag und wir bekommen das parlamentarisch« System." Und weil er ganz in diesen politischen Kämpfen lebte und über das Nächste hinweg zum Uebcrnächsten sah, zog er freudig In diese» Krieg, um iin Kampfe für die Heimat den Volksstaat zu erobern. Kreditbewilligung und Teilnahme am Feldzug waren ihm symbolisch für dw völlig veränderten Beziehungen zwischen Sozialdemkkratie und Staat. Er war heiter als er ging, weil er sich freute auf die staatsinännische Arbeit nach dm Krieg und weil er wußte, auch wenn er sterben mußte, war er ein Stück Fundament des Volks- staats. Er hat ül der Partei nur vorbereiten können, was nachher unter bedrückenden außenpolitischen und wirtschaftlichen Bedingungen vollzogen wurde. In einer Berliner Funitianärkcnferenz hat un- längst nach einem Referat des Genossen Erispie» der Genosse Hil- denbrand darauf hingewiesen, daß es letzten Endes die veränderten Beziehungen zwischen Staat und Sozialdemokratie sind. die von einer Minderheit von Parteimitgliedern nicht verstanden werden, die darum jetzt so kurz nach der Einigung einen heftigen Kamps in die Reihen der Partei tragen. In dieser Stunde soll an den wärmsten Kämpfer um diese veränderten Beziehungen von Staat und Sozialdemokratie erinnert werden. Frank hat keine Memoiren und nur wenig Zeitungsartikel hinterlasse» trotz uner- müdlicher Arbeit. Aber ivas von ihm da ist, hat die Wärme und Treue, den seinen Geist, die Güte und Anmut seines Wesens. Aus den Briefen. Mannheim , 21. Juli 1310. Liebe Freundin! Ich habe gut« Wünsche für die nächsten Kampfmanatc nötig; es ist eine schwere Zeit für mich; aber ich bin nicht niedergeschlagen, weil ich eilt blankes politisches Gewissen habe und weil man dem Gott in'sich mehr folgen muß als den Beschlüsseli eines Parteitags. Ich will Ihnen nur gestehen, daß ich in der Nacht vor der Entscheidung(über die Budgetbewilligungsfrage. Red. d.„B.".) lange mit mir gekämpft habe, nach welcher Seit« ich das Schifflein lenken sollte; ich hätte mir viele Sorgen und häßliche Beschimpfungen erspart und meine äußer« Stellung in der Partei — ich stand in der Reichstagssraktion nahe an der Führung— wäre nicht erschüttert worden, wenn ich im Gleise geblieben wäre. Aber ich hätte die Selbstachtung verloren; ich wußte, was in diesem Augenblick das Rechte war und hatte die Macht, es durch- zusetzen— ich durste nicht meiner Bequemlichkeit und Karriere zu- liebe den Augenblick verpassen. Die Partei im ganzen wird ja von dieser Episode Nutzen haben— sie wird, wenn auch nicht sofort, durch meine Propaganda der Tat zur Anwendung ihrer untätigen Riesenkräfte gedrängt werden. Aber für mich selbst wird vielleicht ein« peinliche Zeit dazwischen liegen, in der ich zur Disposition gestellt bin. Die Politik, die ich treibe, ist ein langfristiger Wechsel. Ihr herzlich grüßender L. F.
der Straßenhöndler, die ihren Kohl verkcnnen; mack kann ihn lächeln sehen in dem rauchigen Dunst der Leuchtilammcn, im Kerzcnschein eurer Kathedrale, wie er zu sich selber sagt:„Wunderbar ist mir diese Welt gelungen. Habt Ihr nicht die schönste Abwechselung hier? Nun löffelt sie aus, die Suppe, die ich euch eingebrockt!" Diesmal aber folgte ich meinem Alten wie fein Schatten und konnte höre», wie er im Gehen seufzte, als wäre auch für ihn die Atmosphäre jener Gassen unerträglich. Aber plötzlich bog er um eine Ecke, und wir waren in der ruhigsten, schönsten, �kleinen Gasse, die ich in London je gesehen hahe. Ans beiden Seiten standen kleine alte Häuser, eines wie das andere, die sich in zwei Reihen vor einer großen Kirche zu neigen schienen, die am Ende der Gasse grau und mütterlich iin Mondlicht stand. Die Gasse war ganz öde und aus- gestorben und so kahl wie der Schädel eines Mönchs. Aber ich vertraute jetzt schon darauf, daß mein Alter mich nicht so dicht hinter ssch bemerken würde, da er bei den früheren Wanderungen nichts gesehen zu haben Häiien. Wie er so aus seinem Stab gebeugt stand, kam er mir vor wie ein heiliger Vogel in der Wüste, der ans einem Bein ausruht am Rand eines ausgetrockneten Teiches, während seine Seele nach Wasser lechzt. Es Überkam mich jenes Gefühl, das einen manchmal vor de» seltsamen Geschehnissen im Leben ergreift und das, glaube ich, auch die Künstler zu ihrem Wert begeistert. Nicht allzu lange hatten wir so gestanden, als ich ein Paar die Straße herunterkommen sah und dachte:„Hier muß ihr Nest sein." Frisch und lebhaft warm sie, jung verheiratet, in Eile nach Hause zu kam- men; man konnte den weißen Hals der jungen Frau sehen, die weiße Hemdbrust des jungen Mannes, die unter den Mänteln hervor- leuchteten. Ich kenne sie gut, dies« jungen Paar« i» den großen Städten, die keine Sorgen haben, alles genießen, alles noch vor sich haben, verliebt sind, und noch keine Kinder Kaben; lustige und rührend« Menschen siyd das, die das Leben erst kennenlernen müssen, und das, glauben Sie mir, Monsieur, ist für nepn Kaninchen von zehn eine traurige Affäre. Ein Hans weit weg von mir blieben sie stehen, und da mein Alter schnell um nichts zu versäumen, binüberging, tat ich so, als ob ich die Glocke an dem Haus vor mir'geläutet hätte. Diesmal konnte ich gut hören. Ich konnte auch die Gesichter von allen dreien sehen, denn ich habe auch hinten Augen im Kopf. Die Täubchen waren so in Eile, in ihr Nest zu flattern, daß mein Alter nur gerade noch sagen konnte, als sie im Begriffe zu verschwinden waren:„Laßt mich ans eurer Schwelle schlafen!" Monsieur, ich habe noch nie ein Gesicht so voll müder tzosfnungs- losigkdit gesehen und doch so von sanfter Würde durchleuchtet wie das meines Alten, wöbrend er diese Worte sagte. Auf seinem Gesicht lag etwas Ueberirdisches, was uns zynischen Sterblichen nicht ge- geben ist, die wir durch das Leben in diesem Erdenparadiesc so ge- worden sind. Cr trug seinen langen Stab über der Schuller, und ich hatte die düstere Vorstellung, als ob fein armseliger Körper auf das Pflaster niedergedrückt würde. Ich weiß nicht, wie es kam, aber es schien mir, daß dieser verteufelte Stock wie ein schweres Kreuz aus seiner Schulter lag: ich hatte Mühe, mich nicht unlzudrehen, um mich zu überzeugen, ob alles nicht ei» Spuk war. Dann rief der junge Mann:„Da ist ein Schilling für Sie mein Freund!" Mein Aiter aber rührte sich nicht und sagte immer nur:„Laßt mich aus eurer Schwelle schlafen!" Sie können sich wohl vorstellen, Monsieur. wir waren ulle stumm vor Derwunderung; ich läutete immerfort an meiner Türklingel, die keinen Laut gab, da ich gut auspaßte nicht zu läuten, lind die beiden jungen Leute betrachteten meinen Alton mit weit aufgerissenen Augen, aus ihrem Taubenschlag heraus, der
Mannheim , 15. Dezember 1911. Liebe Freundin! Herzlichen Dank für Ihren großen, schonen Brief! Es tut doch wohl, zwischen Fluob.'ättern, Broschüren und Leitartikeln wieder daran erinnert zu werden, daß es doneben nock) ein paar andere Dinge gibt, die man nicht entbehren mächt«, so vor allem mild- denkende Frauen, die uns er einem Schreibnachlässigkett immer wieder verzeihen. Ich kann nicht eimnal, um einen Teil meiner Sünden gutzumachen, nachträglich meine letzten Reden schicken. Ich finde kein Exemplar mehr. Aber im neuen Reichstag! I6) werde Sie aus italienischen Sonnenträunicn schon durch deutsche Politik ausschrecken. Einstweilen werde ich täglich durch die Dörfer geschleppt, und an den Sonntagen muß ich gar viermal predigen. Die Redner und Hörer können Unmögliches aushallen. Ich freu« mich auf die Zwei W e i hn a ch t s je i e r t ag e, die ich daheim in Stonnenweier bei der Mutter feiern werde. Es gibt keinen schöneren Platz in der Welt aks daheim hinterm Ofen. Nach diesem Idyll anrd aber dann der heftige Endkampf bc- ginnen, auf den ich mich freue. Das Ergebnis im Reich wird sicher- lich eine Stärkuno. unserer Partei' sein. Ich rechne aus 90 bis 100 Mann. Politische Bedeutung wird die Wahl aber nur dann haben, wenn gleichzeitig die liberalen Fraktionen so stark bleiben, daß sie mit uns zusammen eine neu« Mehr- heit bilden können. Wird dieses Ziel nicht erreicht, so sind die Verschiebungen praktisch ohne Wirkung, und in der Politik gibt es keinen andern Gott als den Erfolg. Kommt aber die notwendige Majorität, dann ist das schwierige, aber reizvolle Problem zu lösen, wie dieser Block arbeitsfähig und-willig gemacht werden kann. Aus diese große Aufgabe freue ich mich, hoffentlich nicht zu früh. Sie werden begreifen, daß ich unter diesen Umstanden für den Ausgang des Kampfes in jenen Wahlkreisen, in denen wir mit Linksliberolen fechten, nicht viel Leidenschaft übrig habe. Ihr herzlich grüßender L. F. In einem anderen, an«ine andere Adresse genchteten Brief heißt es: Mannheim , 4. Juni 1914. L. H.! Bafel war sehr schön und erfolgreich. Ich kam, nach Verabredung mit Conrad Haußman», schon am Freitag mittag an. und wir holten um 3 Uhr die Franzosen ob.(Zur deulsch-sran- zösischeli Verstöndigungskonferenz. Red.) Ich kannte schon samt. liche Teilnehmer von Bern her. Außer den Abgeordneten war«in Rudel von Zeitungsleuten gekommen, darunter der arme Rouanet, der durchgefallen« Abgeordnete von Montmartre . Wir wohnten wunid erfchon im Dreikönig-Hotol, mit fließendem Wasser, zwar nicht in den Zimmern, aber vor den Fenstern, unmittelbar am Rhein . Mein Vorschlag'München ) wurde glatt angenommen, aber von den Franzosen ergänzt durch die Idee, gleichzeitig auch eine Konferenz in einer französischen Stadt einzuberusen.. Ich glaube. es wird November io erden, bis die beiden Demon» stralionen stattfinden. Basel ist«ine der schönsten Städte, die ich kenn«.... In den nächsten Tagen soll also der amertkanischo Sendling nach Mannheim kommen. Ich werde wahrscheinlich zugreifen. Allerdings muß ich dann auf Tirol und auf den Wiener Kongreß verzichten, aber ich habe das Gefühl, daß ich nicht ablehnen sollte. Was denkst Du devon?,,, » „Ich glaube, es wird November werden....' Aber es war erst August, da war der schön« Traum der deutsch . französischen Ver. ständigung ausgeträumt, und einen Monat später war Ludwig Frank nicht mehr unter den Lebenden. Keiner hatte mit heißerem Herzen dem Bölkerfrieden gedient als er. Aber als die Würfel gefallen waren, ging er mit den ersten mit. Sein« Politik ist innerhalb der Partei angefochten worden. Sein« außergewöhnlich« staatsmännisch« Begabung und die Rein- heit seines Wollens niemals. Don ihnen legen die hier wieder- gegebenen Briefe neues Zeugnis ob.
gut mit Federn ausgepolstert war. wie ich sehen konnte. Ich sah auch, wie ihre Herzen schmolzen, denn in dem Alter ist man noch leicht gerührt. Dann flüsterte die junge Frau etwas, und ihr Gatte sagte die Entschuldigung, die die jungen Herren hier immer sagen: „Tut mir schrecklich leid!" Dabei streckte er die Hand aus, die jetzt eine Münze enthielt groß wie ein Teller. Doch wieder sagte mein Alter nur:„Laßt mich aus eurer Schwelle schlas-m!" Da zog der junge Mann seine Hand rasch zurück als schämte er sich, und noch«in kurzes �Schrecklich leid" hervorstoßend, schloß er die Tür. Ich habe viele Seuszer in meinem Leben gehört— sie sind die Begleitung zu dem Lied, da? wir singen, wir andern, die wir in Armut leben. Aber der Seufzer, den mein Alter ausstieß— wie soll ich es nur beschreiben?— war so, als käme er von dem Leid selber, der treuen Gefährtin des Menschen, die ihn an der Hand führt, damit er niemals in den grandiosen Irrtum'verfällt zu glauben, er sei auch nur für einen Augenblick der Herrgott selber. Jawohl. Monsieur, e- war wie ein Allfscnszen des Leids, jenes Nachtvogels, der niemals müde wird, durch diese Welt zu fliegen, wo man so viel davon redet, ihm die Flügel zu beschneiden. Da faßte ich mir ein Herz und behutsam auf ihn zutretend, fragte ich:„Mein Alter— was ist es denn? Kann ich irgend etwas für Sie tun?" Ohne mich anzusehen, sprach er wie zu sich selbst:„Niemals wird mich jemand auf seiner Schwelle schlafen lassen. Für meine Sünde muß ick ewig wandern!" In diesem Augenblick, Monsieur, wurde mir alles so klar, daß ich mich wunderte, nicht schon früher daraus gekommen zu sein. Er dielt sich für den Ewigen Juden! Ja. so war es. Das war die fixe Idee eines närrischen alten Mannes! Und ich sogt?: „Mein Jude, du sollst wissen, daß du ein Christus geworden bist durch dos, was du tust in einer Welt von Ewigen Juden!" Er aber schien mich nicht zu hören und erst, als wir unfern„Palast" er- reichten, wurde er wieder der alte sanfte Mensch, der niemals an sich selber dachte." Hinter dem Rauch seiner Zigarette kräuselte ein Lächeln Ferrands rote Lippen unier der Langen Nase, die ein wenig schief war. „Und es wird wohl so sein, Monsieur, wenn Sie darüber nachdenken. Angenommen, daß immer irgendein guter alter Mann als Ewiger Jude herumgeht, so wird er gewiß ein Christus geworden sein in all diesen Jahrhunderten, wo er von Tür zn Türe irrt. Ja, er muß die tiefste Gü!e sein eigen nennen, die diese Weit jemals erlebt hat, dadurch daß er die überwültigende Tunsnd der Menschen sieht. Alle dies« guten Bürger, die er Nacht für Nacht bittet, ihn aus ihrer Schwelle schlaien zu lassen, sie sagen ihm, wo er hingeben soll, wie er richtig leben soll, bieten ihm sogar Geld an. wie ich es gesehen hatte; aber ihn aufnehmen, ihm so viel Ver- trauen schenken, daß sie ihn in ihrem thause als einen Kameraden auf der ZDaltderschasi schlafen lassen, diesen seltsamen Alten, dos tun sie nicht. Das lieg! nicht im Weis» eines guten Bürgers in einem christlichen Lande. Und dieser Alte, der im Kopf' nicht ganz richtig war, da er sich für den Ewigen Juden hielt, der Christus 'von seiner Schwelle gewiesen, war dadurch, daß er selber imntee» zurückgewiesen wurde, Christus so ähnlich aeworden wie kein Mansch, der mir je auf Erden begegnet ist. auf dieser Erde, die meiner Meinuno nach fast ganz von jenen bewohnt wird, die wie der Ewige Jude handeln, der Christus verstieß." Ferrand seufzte, blies den Rauch vor sich hin und sagte:„Ich weiß nicht, ob er weiterhin an seiner fixen Idee festhielt, denn am nächsten Tag ging ich wieder auf die Wanderschaft, und seither Hab' ich ihn nicht wiedergesehn."