Nr. 73+ 41. Jahrgang
Beilage des Vorwärts
Die kriminelle Bedeutung der Hypnose
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Das Problem:„ Hypnose und Verbrechen" ist aus Anlaß des vor einigen Tagen durch die Presse gegangenen Sensationsberichtes über einen Fall angeblich schweren Verbrechens" des Dr. Achelis wieder einmal auf der Tagesordnung. Es ist nicht allzu lange her, als in der Mordaffäre Grupen, der beschuldigt war, zwei jungen Mädchen das Leben genommen zu haben, das Problem Hypnose und sexuelle Hörigkeit" zur Debatte stand. In Berlin war es der Fall einer„ hypnotischen Verschiebung von Möbeln“ einer Ehefrau in Abwesenheit ihres Mannes, der viel Aufsehen erregt hat. Auch hier tamen die Sachverständigen zu dem Schluß, daß sich Hypnose nicht nachweisen ließe, sondern daß es sich nur um einen Zustand ferueller Hörigkeit handele. Der Fall des Dr. Achelis weist nun in manchen Beziehungen Eigentümlichkeiten auf. Der Herr, der die ganze Angelegenheit in einer gewissen Bresse so sensationell als mög lich aufgezogen hat, behaupiete nämlich, Dr. Achelis habe den jungen lich aufgezogen hat, behauptete nämlich, Dr. Achelis habe den jungen F. hyprotisch zwei Monate hindurch in geblendetem Zustande gehalten, aus Gründen sexueller, erpresserischer, vielleicht auch politischer Natur. Seinen Enthypnotisiertalenten sei es dann gelungen, ten Unglücklichen zu retten, ihn zu feinen Etern zurückzubringen und den Verbrecher" der fühnenden Hand der Behörden zuzuführen. Zwei Tage befand sich der Verdächtige sogar in Haft.
wo das Objekt wirklich dem Angeschuldigten alles zu Gefallen zu tun bereit ist, ganz in seinem Bann steht, ihm blind ergeben ist. Der Fall der beiden Freundinnen im Giftmordprozeß Klein ebbe ist noch allen in frischer Erinnerung. Hier ist der Uebergang zu Verbrechen an Hypnotisierten
gegeben; gleichzeitig sind aber auch die Grenzen gesteckt, wie weit eine solche Beeinflussung gehen kann. Eins steht fest: Es ist unmögich, fogar für kurze Zeit nur, einer Person Liebe zu einer anderen Person oder einem anderen Geschlecht zu fuggerieren, die der Betreffende nicht kraft feiner eigenen Konstitution fühlt. Deshalb haben u. a. auch die Hoffnungen getäuscht, durch Hypnose Heilungen vers schiedener ferueller Triebabweichungen zu erzielen. Aus gleichem Grunde sind diese sexuellen Verbrechen an hypnotisierten Bersonen äußerst felten. Sie können nur begangen werden beim Vorhandensein hysterischen Bersonen. Daß unter diesen beiden Borauslegungen weitgehender innerer Bereitschaft und nur an schwer einzelnen Falle wäre trotzdem eine gewisse Stepsis und eine einVerbrechen vorkommen fönnen, ist nicht zu leuanen, aber in jedem gehende Nachprüfung am Blaze. Theoretisch ist also zuzugeben, daß Verbrechen an Hypnotifierten begangen werden können, und die Braxis weist auch einige feltene Fälle auf. Die im Institute für Serualwissenschaften angestellten hypnotischen Experis mente haben auch erwiesen, daß von Hypnotisierten nur Befehle ausgeführt werden, die nicht seiner innersten Ueberzeugung oder Der Berichterstatter schrieb u. a.: Die Deffentlichkeit sei schon fonftitutionellen Beranlagung widersprechen. So war es z. B. unlängst beunruhigt durch immer öfteres Auftreten der Berbrechen auf möglich, einen deutschnationalen Jüngling, der in einen tiefen, bis zur vollständigen Katalepsie( Gliederstarre) gehenden hypnotischen hypnotischer Basis, die verantwortungsvollen Stellen follien fich Schlaf versenkt war und auf alle neutralen Befehle prompt reagierte, deffen bewußt sein. Daß die Oeffentlichkeit durch die hypnotischen Berbrechen schwer beunruhigt ist, erfährt man bei dieser Gelegenheit zu veranlassen,„ Es lebe die Republik" zu sagen; als der Hypnotiseur trotzdem wiederholt auf ihn mit dem gleichen Befehle ein wohl zum erstenma; daß die Deffentlichkeit aber allen Grund hat, drang, riet er schließlich:„ Es lebe Hindenburg !" Ebenso unmögdurch die Art und Weise beunruhigt zu fein, in der eine geroiffe Tages- lich war es, einen jungen Homosexuellen, der sonst ohne weiteres alle und Nachtpresse, um der ungefunden Sensationsfüsternheit des bürgerlichen Bublifums gerecht zu werden, die Kriminalfälle aufbauscht, ihm vorgestellten Bersonen als diejenigen hinnahm, für die man sie der polizeilichen und gerichtlichen Untersuchung vorgreift und so ausgab, eine ihm gegenüber placierte Dame als eine ihm sonst sehr fich einer fuggeftiven Stimmungsmache befleißigt, liegt auf der Hand fnmpathische männliche Perfon anzuerkennen. In einem dritten Unerhört ist es auch, wenn ein Berichterstatter in einer Person Falle fonnte man einen ebenso Hypnotisierten nicht dazu bringen, einer Person einen Auß zu geben. Kriminalbeamter, Staatsanwalt, Richter und psychiatrischer Gut
achter spielt. Das geschah auch im Falle des Ingenieurs Franz, der schließlich freigesprochen wurde. Man fann noch darüber streiten, ob Berichte der Pressestelle des Polizeipräsidiums unter Umständen nicht auch Parteinahme gegen den Angeklagten bedeuten: die Ges richtsverhandlung fördert nicht selten ein ganz anderes Bild zutage, als es die erste Bernehmung des Kriminalbeamten getan hat. Aber mehr als ungehörig ist es, wenn die befaqte Breffe, die fein anderes Ziel a's das der Senfation verfolgt, fich die Befugnisse der offiziellen Breffeftelle aneignet. Der richterlichen Untersuchung des Falles Achelis soll nicht vorgegriffen werden, aber von diesem Fall abge. fehen, ist das Problem Berbrechen und Hypnofe" interessant genug, um näher beleuchtet 31 werden.
muß bei dem Problem zwei Arten von Fällen unterscheiden: Berbrechen an Hynotifierten und
Verbrechen von Hypnotisierten.
Schaustellungen- Massenfuggeftion
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Autohypnose.
Mittwoch, 13. Februar 1924
der damals als Sachverständiger fungierte, hatte feine leichte Arbeit, das durch Massen- und Autosuggestion verursachte Lügengewebe von Zeugenaussagen zu zerreißen, das die unzähligen Presseberichte zum großen Teil verschuldet hatten.
Der zerbrochene Prügelstock.
Womit man einen Lehrer beleidigen kann.
Menn Lehrer von ihrem Züchtigungsrecht zu reichlichen Ge brauch machen, gibt es mar chmel ein Nachspiel vor Gericht. Selten tommt da ein Lehrer auf die Anflagebant, sondern in der Regel blüht dieses Schicksal den Eltern, die einem prügelnden Lehrer zu deutlich ihre Meinung gesagt heten. Vor dem Landgericht I in Berlin mußte fich gestern eine Frau Krause verantworter, die im Dezember 1922 in der Berliner 223. Gemeindeschule ( damals Putbuser Straße) den Lehrer Förster als Mutter eines von ihm geprügelten Kirdes zur Rede gestellt und ihm schließlich feinen Prügelstock zerbrochen hatte. Geschimpft hotte sie nicht, doch auch den Stod des Lehrers schüßt das Geseß, und so stellte auf Ar zeige des Lehrers die Schuldeputation einen Strafaber nicht etwa wegen Sachbeschädigung, sondern wegen Beleidi antrag gegen die Mutter. Die Elartsanwaltschaft erhob Anklage, gung des Lehrers. Der Prügelstod eines Lehrers ist eben alter Zeit als ein Zeichen seiner Würde und gilt manchen Leuten feine fimple Sache, wie etura fein Spazierftod, sondern er gelt in auch heute noch dafür.
Das Schöffengericht in deffen Dreimännerfollegium viel. leicht zufällig ein fortgeschrittener Pädagoge saß, hatte für die Gedanfengänge des Staatsanwalts tein Verständnis und sprach im August 1923 die Mutter frei. Da die Staatsanwaltschaft gegen Siefes Urteil Berufung einlegte, mußte das Landgericht die Angelegenheit nachprüfen. Schlechter als die Angeklagte schnitt dabei der Hauptbelastungszeuge ab, der jetzt 65jährige und im Ruhestand lebende Lehrer Förster, deffen Erziehungsmethode der Verteidiger Rechtsar walt Dr. Kurt Rosenfeld durch die Bekundungen des Elternbeiratsvorsitzenden Fled beleuchtete. Als diesem Zeugen einmal ein vom Lehrer Förster geprügeltes Kind acht Tage nach der Bestrafung zugeführt wurde, fand er jo fagte er unter feinem an hem unterernährten, förperlich sehr zurückgebliebenen Kind das Handgefent oufgeschlagen und angeschwolter und das Gesäß und den Schenkel der einen Körperhälfte start blau verfärbt. Ich hate, sagte der Zeuge, eine Dorfschule in Bom mern besucht, wo sehr geprügelt wurde, ober
Eid aus
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nicht gesehen. Durch die Mutter dieses Kindes war Frau Krause schon durch seine Bedrücktheit aufgefallen war, urd da fond sie auch erst veranlaßt worden, ihren eigenen Jungen zu besichtigen, der ihr bei ihm, zehn Tage nach der an ihm vollzogenen Bestrafung, noch reichliche Spuren des Stodes, über die sie erschraf. Beide Frouen gingen zum Schulhaus, trugen in der Pause auf dem Flur dem Lehrer Förster ihre Beschwerde vor, und als dann Herr Förster lebhaft gestikulierend ihnen das„ Stöckchen" zeigte( ein harmloses Stöckchen" nannte er es auch vor Gericht immer wieder), griff Frau Krause in ihrer Erregung zu und zerbroch es. Der Staatsdas Ansehen des Lehrers Förster gefährdet worden ar walt sah darin eine tätliche Beleidigung, durch die fei, und er beantragte 30 M. Geldi'rafe. Rechtsonwalt Dr. Kurt Rosenfeld bezeichnete es als auffällig, daß ungeachtet aller einschränkenden Bestimmungen, die in letzter Zeit für die Rechtspflege teil noch Berufung eingelegt habe. Der Staatsanwalt wolle gegen ergangen feien, die Stoatsanwaltschaft gegen das freisprechende Ur eine Mutter, die sich ihres Kindes angenommen, und sicher. lich nicht die Absicht und das Bewußtsein der Beleidigung gehabt hobe, die Bestrafung durchlezen, obwohl ihre Erregung über den Lehrer begreiflich mar Mindestens aus§ 193( Wahrung berech
Gegen die öffentlichen hypnotischen Schauffellungen fann man fich nicht scharf genug wenden. Sie bringen oft unrichtige Ansichten unter die Massen und reizen zu unerlaubten, oft für die Objekte äußerst schädlichen hypnotischen Versuchen. Bei den in diesen Schaufhellungen markierten Verbrechen wie dos Stehlen von Brick taschen, Uhren und dergleichen mehr ist im Auge zu behalten, daß es doch ein Unterschied ist, ob jemand veranlaßt wird, ein Ber brechen zu begehen, oder der Hypnotisierte vor dem Ein schlafen weiß, daß es sich nur um einen Versuch handeln wird. Bon größter Bedeutung für die Deffentlichkeit dagegen sind die Fälle von Massensuggestion und Autohypnose. Opfer der Massen: anlassung zu den angeregten Fragen folgendermaßen geäußert: Man fuggeftion werden während Kriegen und Revolutionen, bei Butschen und Blünderungen jung und alt, Frauen und Männer. Sie sind gewissermaßen ihres eigenen Willens beraubt. So find bei den letzten Novemberplünderungen einige junge Leute zur Be gutachtung dem Institut für Gerualwissenschaften zugeführt worden. Das Gutachten mukte auf Ausschluß der strafrechtlichen Berantwortlichkeit lauten. Die Autohypnose ist feine feitene Erscheinung und wurde öfter im Kriege beobachtet. Es handelt sich hier um eine psychologische Krankheit, durch Nervenfchod, psychisches Trauma und dergleichen mehr verursacht. Die Bitterer" und Schüttler" sind ein typisches Beispiel dafür. In der gleichen Richtigter Interessen) müsse Freisprechung erfolgen. Das Ge. richt aber nahm an, die Ar geklagte habe zweifellos" des Betung liegen die verschiedenen Lähmungen, das Taub- und Blindwußtsein gehabt, daß ihr Verfahren, in Gegenwart zu= werden, der Verlust der Sprache. Was den Fall Achelis be= scheuender Kinder den Stod des Lehrers zu zertrifft, so erscheint es nicht ausgefchioffen, daß es sich hier um eine Autohypnose eines byfterifchen, erblich schwer belasteten jungen ster und überhaupt des Lehrerstandes herabzu brechen, geeignet war, das Ansehen des Lehrers För Menschen handelt, der sich in eine seelische Blindheit geflüchtet hat, mürbigen. Zugegeben wurde, daß sie annehmen konnte, ihr als seine geschäftlichen Spekulationen schlecht ausgelaufen waren. Rind sei so geschlagen worden, wie es nicht rötig war, ober der Soweit Sanitätsrat Dr. Magnus Hirschfeld . Bon der Flammen- Schuk des§ 193 wurde ihr nicht gewährt. Das Urteil lautete auf hypnose, Fernhypnose, Selbstmordverfuch auf hypnotischen Befehl 30 M. Geldstrafe. bleibt allerdings wenig übrig. Wie gefährlich das voreilige Eingreifen und sensationelle Aufbauschen von Kriminalfällen durch die Bresse sein kann, hat u. a. der vor einigen Jahren in München statigefundene Berchthold- Prozeß erwiesen. Professor Schrent- Nozing,
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Gerade die letzteren haben die größte Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. it es nun möglich, einen Menschen durch fremde Einflüsse in einen derartigen willens- und bewußtlosen Zustand zu bringen, daß er dem ihm gegebenen Befehl( Suggestion), ein Verbrechen zu begehen, auch wirklich nachkommen würde? Behauptet worden ist es oft besonders bei schweren Kapitalverbrechen wie Mord, Urbewiesen dagegen fundenfälschung und dergleichen mehr, wohl niemals. In gewissen Fällen erwies sich die Behauptung als ule Ausrede: Wie sonst der große Unbekannte den Verr herausreißen soll, so hier das große Unbekannte. In deren Fällen wieder, besonders bei Frauen, handelt es sich um fohn e Neuro- und Psychopathie, die behaupten, hypnotifiert, magnetisiert, fuggeriert, influrenziert, obduziert und dergleichen mehr geworden zu sein. In Wirklichkeit jedoch hat der Mediziner es hier mit iner Form von Paranoia, d. h. einem Irresein des Verfolgungs-, Beziehungs- oder Beeinträchtigungswahns zu tun. werden Aerzte, besonders Zahnärzte Opfer ihrer Patientinnen, die fie beschuldigen, sich an ihnen in der Hypnose ver angen zu haben. Schließlich kann es sich hier um Zustände sexueller Hörigkeit handeln,
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( Nachdruck burch Malil- Berlag, Berlin .)
Der Bürger.
Von Leonhard Frank . Jürgen betrachtete zwei Männerhände, und als er das dazugehörige Gesicht suchte, sah er, daß diese riffigen, hornhäutigen, übergroßen Männerfäufte einem jungen Arbeiter mädchen angehörten. Neben ihr wackelte der Oberkörper eines bärtigen alten Briefträgers, in deffen zerklüftetes Wachsgesicht Das Ersteigen von millionenmal pier Stockwerken eingezeichnet war, steif und haltlos hin und her.
Nun sind wir direkt und mitten in das soziale Problem hineingefahren. Mit der Elektrischen!... Nur dies allein Nur dies allein ( auch das gilt für Sie persönlich), mur den Uebertritt zur Arbeiterklasse, nur diesen letzten Schritt verzeiht der Bürger uns Bürgersöhnen nicht. Denn er weiß, daß wir erst dann gefährlich werden können... Geist, chriftliche Menschenliebe, Geist, christliche Menschenliebe, Helfenwollen, Aendernwollen, erlaubt der Bürger noch. Da lächelt er noch. Ja, alles das nimmt er fogar für fich felbft in Anspruch. Denn er ist sozusagen für den Fortschritt. Aber nur ja nicht das! Nur ja nicht tatsächlich ändern! Da wird er wild. Da demaskiert er sich. Da läßt er verfolgen, ein sperren und, unter Umständen, erschießen und erschlagen."
Die drei aneinandergekoppelten Wagen, vollgestopft mit Arbeitern, die bis auf die Trittbretter herausquollen, überholten lose zusammenhängende Arbeitertrupps, die sichtbar alle demselben Ziele zustrebten. Immer wieder hörte Jürgen den Schrei: Bum Paradies!" Der Schaffner tassierte. Der Agitator, der schweigend vor sich hingeblickt hatte, machte eine Bewegung, als schüttle er etwas von sich ab. Es ist nichts zu machen." Und da Jürgen fragte, teilte er ihm den Inhalt der Depesche mit.
" Und was geschieht dann mit dem Attentäter?" " Er wird hingerichtet."
" So... Wird hingerichtet."
"
Borüber an einer geschlossen und zielhaft marschierenden Gruppe Schuhleute Krachend vorbei an einem Kanalloch, um das herum Proletarierfinder Ringelreigen tanzten.
"
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Fabritmädchen, die halb geschlafen hatten, erwachten im Rud: Alle Fahrgäste und die grau herbeiftrömenden Arbeiter massen drängten hinein in das" Paradies", das schon überfüllt war.
Galerien und Ballone, von denen die Menschenleiber, übereinandergetürmt, gleich Gewächsen aufstiegen, stürzten nicht hernieder. An den Tischen: Oberförper neben Oberförper, überragt von denen, die, dicke Menschenschnüre bildend, dichtgedrängt in den Zwischengängen standen. Gebärden der Erregung durchschnitten Stimmengeschwirr und Rauch, hinter dem die Wandmalereien verschwammen: paradiesische Wesen, die alles im Ueberflusse hatten.
Plötzlich hörte und sah Jürgen, der eine Sefunde die Augen geschlossen hatte, gewaltige, filometerbreite, gischtige Wassermassen aus blauer Höhe herabflatschen: sah zehntausend flatschende Menschenhände und in weiter Ferne, auf dem Bodium, einen Mann.
Da schwoll sein Herz, und das nie empfundene Gefühl rückhaltloser Hingabe erfüllte ihn ganz Sympathie für den Mann, der das Bertrauen dieser fünftaufend Hoffenden be'aß. Hingabe an diese fünftausend Vertrauenden. Stürmischen Herzens streckte er die Hand dem jungen Zeitungsverfäufer hin, der rief:„ Die Befreiung! Die Befreiung!"
Arbeitsschwarze Hände griffen nach den Blättern, die er über den Kopf hochhalten mußte. Ein Zögernder fragte:„ Was fostet die Befreiung!"
Genoffinnen! Genoffen! Euer gemeinsamer Kampf, der Klaffenkampf, die Gemeinsamkeit all derer, die durch ihr Klaffen chicksal die gegebenen und unbedingten Feinde des Kapitalismus sind, dieses Gemeinsame, Euer Klaffenbewußt sein, ist der unerschöpfliche Quell Eurer Kraft: Kraftquell für jeben und für das Bertrauen jedes einzelnen auf feine Kraft", erflang fernher die Stimme des Redners.
Und Jürgen fragte:„ Ist das so? Ich werde dahinter tommen, ob und weshalb das so ist." Ihm entgegen drängte noch einmal der junge Reitungsverkäufer, auf dem Arme den Stoß, der bis zu seinem Ohre reichte. Du hast nicht bezahlt." Und da Jürgen, verwirrt, ihm in das Antlig sah:" 3wanzig!... Umsonst aibt's nichts."
3wanzig?" Der Zögernde blickte wieder den schweiß triefenden Kellner an und überlegte, ob er„ Die Befreiung"
Lehrer, die von ihrem Prügelrecht feinen Gebrauch machen, weil sie mit ihren Kindern auf bessere Art fertig werden, sollten gegen dieses Urteil entschiedensten Brotest erheben. Dem Lehreritond" wird wahrlich nicht damit gediert, daß ein Gericht mit diesem Urteil zwar nicht in Worten, aber durch die Tat den Stod des
oder ein Glas Bier kaufen solle, als wäre beides zusammen unmöglich.
Da erkannte Jürgen an einer Kopfbewegung des Redners den Agitator, der von Monopolisierung, Akkumulation und Mehrwert sprach, worunter Jürgen sich nichts vorstellen fonnte.
„ Dazu noch das arbeitslose Einkommen, geschluckt von Aktienbefizern, die in gar keiner Weise arbeiten in dem Betriebe, von dem sie die Dividenden beziehen. Ich lasse mein Kapital arbeiten, sagt der Aktienbefizer, der auf dem Kanapee liegt, die Kurse studiert, wie die Spinne im Neg in der Börse lauert, erstklassig durch das Leben glitscht, aber den Rasen nicht betritt, fein Holz im Walde stiehlt, sondern für Recht und Ordnung ist."
Die Fünftaufend faßen reglos, horchten und blickten, als hielten sie mit ihren Händen den Erdball.
In den Betrieben schuften Männer und Frauen jahraus, jahrein, von früh bis abends an den Maschinen, machen vom vierzehnten bis zum sechzigsten Lebensjahre immer diefelben Handgriffe, aus denen Zahnbürsten, Lokomotiven, Stednadeln, lleberfeedampfer, Schreibmaschinen, Schuhe, Leintücher entstehen; in behaglichen oder eleganten, geschmackvollen oder geschmaclofen Wohnungen sizen Herren und Damen, deren Lebensarbeit darin besteht, das Dasein zu genießen, ins Theater zu fahren, über Kunst und Literatur dumm oder flug zu reden, Kulturträger zu sein, ihr Dienstpersonal zu schifanieren und ihre Kinder falsch zu erziehen und reich zu verheiraten, Leute, die einen Betrieb nie betreten haben, es feien denn Modegeschäfte und Seft, Tanz, Bordell, oder sonstige Nachtbetriebe gewesen, gepflegte Zeitgenossen, die keinen Dunst davon haben, wie Rahnbürsten fabriziert werden, oder wie ein Webstuhl aussieht, und beziehen Dividenden von einer Bürstenfabrik oder einer Leinenweberei, während die Kinder der Bürstenmacher nicht einmal wissen, daß die Benugung einer Bahnbürste zur Erhaltung der Zähne beiträgt, und die Leinenweber für ihre armseligen, stinkenden Betten keine Leintücher kaufen fönnen."
Auch meine Tante besitzt eine Schatulle, gefüllt mit Aktien, sie, die in ihrem ganzen Leben nie etwas anderes gemacht hat, als diese qualvollen Häkeldedchen, dachte Jürgen. ( Fortsetzung folgt.)