Nr. 12t ♦ 4t. Jahrgang
1« Seilage öes Vorwärts
Mittwoch, 12. MSrz 1424
9er lernende Serliner. �itt Besuch in der Bibliothek des Kunstgewerbemuseums.
„GroßberNn lieben wir"— so schrieb der langjährige Direktor her Biblicthek des Berliner Kunstgewerbemuseums. Dr. Pcter Jessen, vor zehn Jahren—.um seiner Arbeit willen. Die Land- schaft das Stadtbild, die Menschen, ihre Vergnügumyrn und ihre Kunst möchten wir uns größer, reiner, edler wünschen. Wer den Berliner würdigen will, niuß ihn dort aussuchen, wo er schafft und wirkt, oder dort, wo er an sich selbst arbeitet, wo er lernt. Diese lernenden Berliner beobachte ich seit dreißig Iahren. Durch den Lesesaal des Kunstgewerbemuseums geht fast ein jeder hindurch, der in Handwerk oder Industrie, in Dekoration oder Architektur mit- wirkt am künstlerischen Berlin : Junge und Alte. Arme und Reich«, Bescheidene und Anspruchsvolle, der Lehrling aus der Werkstatt und der Künstler, dessen Namen die Welt nennt... Nach allen Rich- tungen hin hat sich der Kreis der Besucher und ihrer Berufe er- weitert. Mit den Gesellen, Vorarbeitern und Werkmeistern kommen Kontoristen. Zeichner und Modelleure, Architekten, Bildhauer und Maler: jeder einzelne darauf angewiesen, sich unausgesetzt auf dem Laufenden zu halten. Dazu die gewaltig gewachsene Zahl der Studierenden, von der Technischen Hochschule, der Kunstakademie nnd der Universität bis zu den Fach- und Fortbildungsschulen aller Art... Wir haben jede Beschränkung des Besuches abgeschafft und sind für unser ltzertrauen bestens belohnt worden. Roch aber ist dort viel Platz für weiter« Leser. Ich höre immer n ieder, daß auch künsllerisch interessiert« Berliner nicht wissen, daß dort jedermann willkommen ist und reichliches Material findet, an einer Stätte der Belehrung und Anschauung über alles Große in der gesamten Kunst alter und neuer Zeit, der Heimat und der Fremde. Hier ist ein würdiges, dankbares Ziel." Dieses Ziel hält die Biblioihekleitung. wie in einer kürzlichen Unterredung eines unserer Mitarbeiter mit Geheimrat Icsien klar zum Ausdruck kam, auch jetzt noch, erst recht nach den unvermeidlichen Rückschlägen der Krieasjahre, fest im Aug«. Die öestänöe. Den Kern der Bibliothek bildet die Büchersammlung, die sich in erster Lim« auf das Kunstgewerbe erstreckt, darüber hinaus aber alle für dir Pflege der Kunstbildung wichtigen Gebiet« der freien Künste, Baukunst, Plastik und Malerei berücksichtigt. Die vibliochek hat dabei vor ollem die deutschen Er'cheinungen— selbst in diesen schweren Zeiten— so vollständig wie möglich vereinigt, ist aber von. scher eifrig bemüht gewesen, auch die Verbindungen mit der aus- ländischen Literatur aufrechtzuerhalten. Di« im Lesesaal bequem ausliegenden Katalog« bemühen sich so übersichtlich wie möglich und, wo irgend angängig, in verständigem Deutsch für alle An- fprüche gesonderte Abschnitt« einzurichten und dadurch gerad« den literarisch weniger Geschulten an die Dinge hcremzuführen. Neben den Büchern sind die photographischen Einzelblätter und sonstigen Abbildungen die meist benutzten, für den Praktiker zunächst wichtigen Slbteilungen der Bibliothek. Es sind gegen 100 000 Bläller, in 4COO Mappeu sachlich geordnet, alte und neue Kunst, Kunsthandwork, Architektur, Plastik und Malerei, noch Zeiten, -Meistern oder Gegenständen getvcimt. Wo früher Zeichnungen genügten, verlangt man heute die besten Photoarophien und mög- iichst schon Farbendrucke auf photogrophischer Grundlage. Kunst- sinnige Leute, die von ihren Reisen gute Photographien mitbringen, wie sie oft nur an Ort und Stelle zu haben sind, werden in der Kunstgewerbcbibliothek ewen dankbaren Abnehmer finden. Der krstbarst« Bibliothekbesitz sind die graphischen Sammlungen, die Originalwerke und Kunstblätter verschiedenster Art. Die alten Meister, nicht nur die Hondwerker, sondern mehr noch die Maler, Bildha"«r und Architekten haben St- che oder Holzschnitt« für die Werkstätten entworfen. Sie sind dem Historiker des Kunstgewerbes unentbehrlich und als Einzelblätter. Folgen und ganze Bücher unter dem Ncmren Ornament st iche gesammelt worden. Berlin besitzt die arößte und vollständigste Sammlung dieser Art. Als Grundlag« wurde schon im Jahre 1880 die Prioatsaimnlimg eines Pariser
Architekten vom preußischen Staate angekauft. Noch persönlicher treten uns die alten Meister in den 6000 Blättern der Hand- Zeichnungssammlung aus drei Jahrhunderten entgegen. Da ist für alle Gewerbe und Kunstrichtungen wirksamer Stoff geboten. Schweizer Glasmalereien, italienisch« Barockarchitekturen, ftanzö- fische Nokotoskizzen, seltene Feinheiten deutscher Goldschmledetunst. Eine klein«, ausgewählte Sammlung japanischer Farbeohol.schnille Ichließt sich würdig an. Neben alter und ferner Kunst sind natürlich auch die deutschen dekorativen Erfinder aus jüngerer Zeit, die eng- listhcn Reformatoren, die Paris » Plakatkünstler mit ihrem Besten stark vertreten. In einer Spczialsammlung ist das Hervorragendste aus Buchdruck und Buchkunst aller Länder pereinigt, Bücher und Einzelblätter, Schrift, Druck und Illustration, emschließlich der alte» Vorbilder seit Gutenbergs Zeiten. Eine besonders stark« An- zehungskraft hat auch die großartige Sostümbibliothek des ver- storbenen Freiherrn von Lipperheide. Mit ihren 12 000 Bänden, 30 000 Stichen, Lithographien und sonstigen Abbildungen und mit 400 Originalqemälden ist st« eine einzigartige Quelle für Tracht und Sitte aller Zeilen und Länder. vor mtü nach dem Kriege. Das Kunstgewerbemuseum wurde im Jahre 1867 als Privat- sammlung gegründet. Vierzehn Jahre späte? karren in seinen L-.se. saal jährlich rund-10000 Besucher, die bei der Berstoatlichung des Museums im Jahre 1686 auf 15 000 gestiegen waren. Im Jahre 1905 siedelten die Sammlungen in die prächtigen Neubauten in der Prinz-Albrecht-Straße gegenüber dem Londtagsgebäude mit 60 000 Lesern übcr. Kurz vor dem Krieg« hatte sich als glänzendes Zeugnis für die Lernbegier der Berliner Fachkreise die jährliche Besucherzahl auf über 90 000 erhöht. Dann ging es naturgemäß fünf Jahre lang weit bergab, aber nach Krieg und Revolution über- rafchend schnell wieder bergauf, so daß heute die letzte Friedenszissec fast rrreicht ist. Dos Jahr 1923 schloß mit 89 400 Lesebesuchern ab. Der Ernst der Zeit zwang zu neuen Wegen, das für weiteste Be- völkerungskreise so ungemein bedeutsame Institut weiter aus- zubauen und auf dem Laufenden zu erhalten. Der Staat hat, was die Leitung donkbar anerkennt, auch in diesen Tagen schwerer Not getan, was«r tun konnte. Genug war es nicht. So log der Aus- weg. sich an die private Hilf« kunstsinniger Kreis« zu wanden, am nächsten. Der Weckruf fand erfreulichen Widerhall nach dem Beispiel der schöpferischen Tat des Stifters der Kostüm- bibliothek und anderer Gönner, die ihre kleinen und großen Sam- mel'chätze, oft auch nur einzelne werwolle Stücke, den gemein- nützigen Interessen freudig geopfert, heule ist um die Bibliothek ein.Freundeskreis" von schon V50 Mitarbeite« geschart, ein schöner Beweis weitschauender Sammelarbeit und großzügigau Gemein- gefühls in Zeiten, die den Erwerb kostbarer Sammelschätze aus staatlichen Mitteln unmöglich machen. Aus solche Art kam wert- voller Zuwach», der sonst der Berliner Kunstgcwerbebibliothek wohl noch lange fremd geblieben wäre, sogar aus dem Ausland, so aus Rußland , Finnland , Schwaden, Norwegen , Dänemark , Ru- mänien, England. Auch Künstler, Drucker und Verleger haben in freiwilligen Gaben gewetteisert. Anspornend muß sein, was einer von ihnen schreibt:„Dem einschlägigen deutschen Verlage sollte es ein« freudige Pflicht fem. die maßgebende deutsch « Kunstbibliothek auf ihrem hohen Stande zu erhalten." Der Lesesaal in der Prinz-Albrecht-Straße 7a ist unentgeltlich geöffnet an ollen Wochentagen von v bis v Uhr, die Kostümbibliothek wochentäglich von 9 bis 1 Uhr. Ein Merkblatt orienttert leicht, wie jeder Besucher das Gewünschte erlangen kann. Ebenso leicht findet man sich nach kurzer Uebung in den zahlreichen Fachkatalogen zu- «cht. Die graphischen Sammlungen(Ornomentstiche, Handzerchnun- gen, japanische Farbenholzschnitte, Buchkunsterzeugnisie, künstlerisch« Photographien, alte Druckwerke) sind für Besucher von vorgeschrit- tener künstlerischer otw wissenschaftlicher Ausbildung nach Anmeldung bei deni austichtführenden Beamten in einem besonderen Studien- räum zugänglich.
Der plakatsäulenmaröer. Eine Uhr zeigt Mitternacht an. Während die Hauptstraßen der Friedrichstadt durch elektrische Bogenlampen noch hell erleuchtet sind, mühen sich in den Slraßen anderer Stadtteile die Gaslaternen. Licht vorzutäuschen. Hier ist Stille und Friede. Hin und wieder sieh: man einen Fußgänger. In der Ferne tauchen zwei kleine Lichter auf. Sie werden größer, kommen näher. Geräuschvoll fährt die letzte Straßenbahn vorüber, um an der nächsten Straßenbiegung wie- der zu verschwinden. Die Einsamkeit der Großstadtnocht ist nun bis zum frühen Morgen eingetreten. Kaum ist«in« Streije von zwei Schupomännern vorüber, da huscht plötzlich aus einem Hausflur ein« Gestalt hervor. Aus dem Rücken trägt die geheimnisvclle Person einen Sack, der wegen seiner Breite und Läng« hin und her schaukeit, so daß man denken könnt«, Gespenster wandeln in Berliner Straßen bei Nacht umher. Die Gestalt strebt der nächsten Plakatsäule zu. Im trübe« Schein der Sttaßengaslompe erblickt man nun ein Männlcln, das scheu nach ollen Seiten Ausschau hält. Als es sicher ist, daß kein« Menschen- seel« in der Nähe, mach'« es sich an d«r Anschlagsäule zu schaffen. Es reißt und zupft, es knistert und knastert. In einem Augenblick sind sämt'iche Plakate von der Säule heruntergerissen und die dicken Papiertnäuel verschwinden in dem umfangreichen Sack. Er preß: das Papier da hinein. Ein Plakat nach dem anderen muß sterben und zerfetzt in dem Nimmersatten Rochen verschwinden. Einige Minuten spätes steht die Anschlagsäule kahl da. Der Mann ha: seine Arbeit getan. So schnell wie er gekommen war. entfernte er sich wieder; und weiter gehls nach kurzem Tum Nur einige Schritte geht er an den Häusern die Straße entlang, denn bald hatte er di« nächste Lilfaßsäule erreicht und hier.arbeitete" er weiter. Es währt nur kurze Augenblicke und auch st« steht ent- kleidet, nackt und bloß da. In einer Stund« hat der„Piakatsäulen- abreißer" aus mehr als einem halben Dutzend Lilfoßläulen ödc Wracks gemacht. Der Morgen graut. Die entkleideten Anschlagsäule« stehen anklagend da. Der erst« Fußgänger wundert sich darüber, schüttelt den Kops und läßt das nackte Ding au« den Augen. Inzwischen taucht der„Geheimnisvolle" mit seinem bis zum Rand« mit zer fetzten Plakaten vollgepreßten Sack in einem Lumpenkeller unter. Mit schmutzigen Pavierscheinen in der Tasche verläßt er di« Etampe und geht seinen Weg zu den Gelegenheitsgeschästen im Tageslicht
Gefährdung des Nrbeitereigentums. Kommunistischer Mißbrauch der SonsumgenMenschafkeu. Am kommenden Sonntag, den 16. Mörz, linden in Groß- Berlin die Bertreterwohlen zur G«ne>;alv«rsamm. lung der Konsumgenossenschaft statt Bon de? aus Moskau ihre Direktiven bekommenden KommuniMchen Partei wer den die verzweifeltsten Anstrengungen gemacht, mm dos, was im vorigen Jahr« mit einem Mißerfolg endete, in dijesem Jahre zu«?. reichen: ein« kommunistische Mehrheit in der GSieralversammlung. Di« kommunistischen Wahloorschläge segeln diesmal unter dem auf den Gimpelfang berechneten Kennwort:„Opposition ". Welche tüchtigen„Genossenschafter" auf den Kandidattntlisten der„Opa sition in Vorschlag gebracht werden, erhellt daraus, daß verschied««� lich Personen kandidieren, di« heule noch nicht- einmal die Halft'' des gegenwärtig geltenden Geschäftsanteil»<25 Mentenpfennige) eist- gezahlt haben. In Ermangelung von Kandidaten greift man zu den schäbigsten Mitteln: man stellt Leute aus, deren Einverständnis nicht eingeholt wird: so wird aus einem Bezirk mitgeteilt, daß dir .Oppositrons"-Liste den Namen eines längst vetrstorbenen Mitgliedes enthält!— Welchen Zweck oerfolgt die kommunistische Propaganda in den Konsumvereinen? Was auf politischem und gewerkschastlichim Gebiet an Zcrsetzungsarbeit innerhalb der Arbeiterbewegung ge leistet wurde, soll auch aus die genossenschaftliche Organisation über trogen werden. Die von Tausenden für den praktischen Sozialismus begeisterten Arbeitern in jahrzehntelanger Aufbauarbeit in den Konsumvereinen erzielten Erfolge sollen zum Werkzeug der sinn. losen, von bolschewistischer Seite bezahlten Putschtaktik herabgewürdigt, ihr geopfert werden. Di« interessante Veröffentlichung unseres Leipziger Bruderorgans, der„Leipziger Bolkszeitung", offenbart den geradezu verbrecherischen Charakter der kommu-
48]
Der Bürger. von lleonharö Krank.
.Schnittig," murmelte Jürgen. Um ihn herum ging etwas vor. das das Leben zu sein schien..Das Ganze ist unerträglich ekelhaft. Wir machen das nicht länger mit," flüstert« er..Ich mache das nicht bis zum Schluß mit." Der Ausspruch des reichen Leberkranken wurde an der Bärsianerecke auf Untergründe und Fallen untersucht..Wer eiferen eine Grube gräbt," vernahm Jürgen..Natürlich, erst wägen, dann wagen, das ist klar." „Na. was sag ich!" rief der Schwiegervater..Eine Hand wäscht die andere. So steht's eben auch mit diesem Papier." Schweinezucht, das wolle er Jürgen gestehen, sei das einzige, aber auch das einzige, mit dem noch verdient werden könne, versicheri« ein Landwirt, der wegen seines jugendlichen Aussehens Mühe hatte, respektabel zu erscheinen. Es ginge j., auch alles so weit ganz gut. Nicht umsonst habe er die Land- rurlschaftsbochschule durchgemacht. Er bringe System in die Sache..Aber, sehen Sie. es fehlt einem doch etwas. Ich weiß sc'b't nicht recht, was. Man ist unbefriedigt. Die Seele, wissen Sie. die Seele, möchte ich sagen kommt zu kurz." Der G immifabrikant versuchte vergebens, den Leber- kran'en über die Flitzautomobilaktien auszuholen. Auch an der Börsi'ncrccke wurde noch gedeutet und geforscht und be- hautet, doppelt genäht halte besser. .Na. was sag ich!".„ „Das Volk will keine Freiheit: das Volk will Brot. Fresten uno Saufen will das Volk, glauben Sie mir," sagte Herr Hammes, hinem in Jürgens w"tbleiches Gesicht. Der gab keine Antwort..Dieser Fettwanst, dessen Leben in Fressen, Saufen und Huren besteht, könnte, auch wenn er seine Meinung revidieren müßte, ja doch keinerlei Konse- qnrn'en ziehen." Herr Hammes hielt sich an der Tischplatte fest. warf, ge- öttneten Mundes, den Kons in den N'ckcn. stieß ihn nach vorn. nieste«Oer nicht, sondern sagte:.Sie. ah. Sie werden sehr bald meiner Ansicht sein." Jürgen umklammerte das Handgelenk Elisabeths, den Wutausbruch zu unterdrücken, wahrend ihr ganzer Körper vor unterdrücktem Lachen zuckte. Und dann, hilfsbereit: „Wenn du willst, verschwinden wir jetzt unauffällig." Da erhob sich Herr Wagner. Er begann seine Rede mit
einer Verbeugung zu dem Platze hin, wo die Tante, die plätz- lich wieder trank geworden und schon lange nach Hause ge- fahren war, anfangs gesessen hatte Er sei sich der hohen Ehre wohl bewußt, die darin liege. daß seine Tochter dem letzten Sproß der alteinaesesienen Patrizierfamilie Kolbenreiber angetraut worden sei, sozusagen eingeheiratet habe in die Familie Kolbenreiher, die schon ein- mal im fünfzehnten Jahrhundert der Stadt einen Bürger- meister geschenkt habe. Seine Familie hingegen sei noch jung, aber zukunftsreich. Wie ein junges, gutes Papier! .Jung und alt verbindet sich miteinander." Dabei käme das Richtige Korans, was unser Vaterland nötig habe..Soli- dität, in Verbindung mit jungfrischem Wagemut... Die Fusion ist vollzogen. Der Erfolg werde nicht ausbleiben. .Und die Ehe?... Es ist mit der Ehe wie mit der Spekulation an der Börse. Licht und Schatten! Sonne und Wolken! Die Aktien steigen und fallen. Das ist nun einmal so. Es kommt eben darauf an," rief mit starker Stimme Herr Wagner, der schon etwas zu viel getrunken hate..in treuer Liebe auszul'arren, auch wenn einmal eine Baisse den Ehe- Himmel bewölkt... Es kommt auch wieder eine Hausie." Ja, es sei sogar besonders wichtig, gerade aus der Baisse Ge- winn und Lehren zu ziehen. Er hatte sich so in den Vergleich verfilzt, daß auch das Schlußboch auf die Neuvermählten zur Hälfte der Börsen- fpekulotion galt. Alle standen. Jürgens Gesicht war leinenwelß. Lieber ein gebrochenes Rückgrat als ein gebogenes, dachte er. entschlossen, nicht zu antworten auf die Rede seines Schwiegervaters. Und da er sich als erster setzte. Elisabeth mit hartem Griffe neben sich zog, setzten sich auch die anderen. Die Diener reichten schwar- zen Kaffee, Likör und lange Zigarren. Plötzlich gab Jürgen, ohne zu wissen wem, vielen Menschen die Hand..Leben Sie wohl." Sein Körper bewegte sich auto- matisch von einem zum anderen, endlich auch auf Elisabeth zu. Er reichte ihr die Hand:„Leben Sie wohl." Alle brachen in Gelächter aus. Auch Elisabeth war ver- blüsst über ihren Mann, der in der Eile und Berwirrung e» fertigbrachte, seiner Frau vor der Hochzeitsreise Lebewohl zu sagen. Noch«inen Ange"bllck bsieben die beiden unter dem 70r- rabmen stehen. Da näherte sich Jürgens Ohr ein rundes Ge- stcht mit rundgestutztem Bart, goldbebrillten, zwinkernden A"gen und gespitztem Munde, der flüsterte:.Biel Ver- gnügenl" Mit den Armen balancierend, schlich der Rundkopf auf den Fußspitzen zum Hufeisen zurück.
Sie reisten zuerst nach dem Süden, wo es im Winter Frühling ist. Einige Tage später wurde Katharina von einem Knaben entbunden Nach zehn in Paris und Rom verbsrachten Wochen kamen di« Neuvermählten in die südliche Hasdnstadt, die mit ihren Orangenbuden. Ba'aren und Säutenkolonnaden, durch- schwirrt von Matrosen, Chinesen, Negern, vornehmen Frem den, müden Auswanderern und dem Geschrei in zwanzig verschiedenen Sprachen, mit dem Salz- und Tsergeruch. Sirenen- gebrüll und dem Mastgewirr der Ozeanyiesen gelb in der Sonne lag, wie ein dem unendlichen Meere entstiegener, wahr- gewordener Traum eines Knaben, der Eltern, Lehrern, allen Qualen der Jugend, allen Fesseln und Berufen entfliehen möchte, hinaus in die unbändige Herrlichkeit. Sie fuhren in der Droschke, überdacht von einem rot- und weißgestreiften Riesensonnenschirm, ho!elwärts, vorüber an einer langen, immer neu genährten Reihe Arbeiter und Ar- beiterinnen, die aus der Tabaksabrik kamen. Blusen nnd Um- schlagtücher waren farbig, die Gesichter schlass und fahl. Jürgen sah weg. Und konnte dennoch nicht verhindern. daß er, als sie schon im Zimmer wa'-en, plötzlich dachte: Da besitzt irgendein Herr Hammes«ine Fabrik. .In sechsundfünfzig Stunden könnten wir in Afrika sein." Jürgen bekam keine Antwort. Elisabeth war auf der Ottomane eingeschlafen. „Durch dieses Wesen gehen Welt und Dasein in immer gleich unendlich breitem Strome durch, von ihr genossen in jeglicher Sekunde, ohne Bor- und Rückblick, ohne Rücksicht und Bedenken." Elisabeth atmete tief und ruhig und war schön und jung und gesund. Die Sonne, gebrochen durch die berabgelassenc Jalousie, zeichnete ein leuchtendes, gestreiftes Fell auf das Morgenkleid der Schlafenden. Es war warm. Fernher brüllte die Sirene. Die Mimosen dufteten. „Wie sie atmet!... Gut, fahren wir nach Afrika ? Nach New Porki Nach Indien ! Telegramme um Geld! Einstweilen überhaupt nicht zurückkehren! Komm«, was kommt! Elisabeth würde zu allem Ja sagen, ohne Besinnen. Ein herrliches, wunderbares, einfach organisiertes Tier, das lebt, einfach lebt. Bedcnkenlos glatt und kühl wie ein Fisch. Durch und durch kühl!".... Nur in der Nacht, in der Nacht, wenn die Liebe erwacht." summte Jürgen.„Nur in der Nacht wird sie heiß. Da kennt sie keine Grenzen... Sie ist ein vorgeschobener Posten der Lebenskrast." (Fortsetzung folgt.)