die Erweiterung und Vervollständigung des Staats-Eiseu-bahnnetzes und die Betheiligung des Staates an dem Bauvon Kleinbahnen. Die Vorlage wurde vom Eisenbahn-minister Thielen empfohlen, woraus aus dem Hause einelange Reihe von Wünschen vorgebracht wurde bezüglich desBaneS von Eisenbahnen in den verschiedensten TheilenDeutschlands. Im übrigen war die Debatte sehr trocken.Fortsetzung am Dienstag.—Tchorlenicr-Zllst, vor anderthalb Jahrzehnten nochder Nebenbuhler W i n d t h o r st' s, dem er vielem alsgeistig glcichwerthig galt, was aber ein gar arger Jrrthum,ist gestern g e st o r b e n, nachdem er schon seit 7 bis8 Jahren ein politisch todter Mann war. Er hatte bc-deutende Fähigkeiten; als Redner in der Polemik oft glän-zend, allein in seinem Denken ein beschränkter Junker,konnte er sich nicht zu höheren Gesichtspunkten aufschwingen,wie Windthorst, der den Ueberblick des Staatsmanneshatte.Obgleich er früher erklärt hatte, daß er niemals ein-willigen würde, das Brot zu vertheuern, wurde er nachhereiner der ärgsten Schutzzöllncr.Burgherr Freiherr v. Schorlemer-Nlst wurde am 21. Oktober 1825 im Schloß Heringhausen bei Lippstadt geboren, trat1845 in ein Ulanenregiment, ans welchem er nach 12 Jahren alsPremierlieutenant wieder ausschied, um sich ganz der Bewirth-schastung seines Gutes Alst bei Burgsteinfurt zu widmen. Erwurde 1863 auch Mitglied des Laudesvkonomie- Kollegiums undwidmete sich dann politischer Thätigkeit im ultramontanenInteresse, wofür er zum Gcheimkämmerer des Papstes ernanntwurde. Seit 1870 war er Mitglied des Abgeordnetenhauses, seit1375 des Reichstages. Seil dem Jahre 1885 war er Mitglieddes Staatsrathes als Belohnung für seine Verdienste um den vonihm gegründeten westfälischen Bauernverein. Im Jahre 1335legte er sein Mandat nieder.—Im Wahlkreise Eschivege-Schmalkalde» findet heutedie Stichwahl zwischen unserem Kandidaten Huhn und demVertreter der bürgerlichen Ordnung, dem KnüppelpastorJskrailt statt. Selbst freisinnige und liberale Blätter berichtenvon unerhörten Wahlbeeinflussungen zu gunsten Jskrant's.Ob dieselben Herrn Jskrant zu einem Mandate verholfenhaben, das freilich nach kurzer Zeit von der Wahlprüfnngs-kommission und dem Reichstage für nngiltig erklärt werdenmüßte, wird der morgige Tag lehren. Unter den Depeschenfinden unsere Leser die bis Mitternacht bekannt gewordenenResultate.—Noch eine Nachwahl zum Reichstage. Nach einerMeldung der„Münchener Neuesten Nachrichten" ist derReichstags-Abgeordnete fürlAschaffenbnrg Pfarrer Haus iuWörth a. M. gestorben. Pfarrer Haus, der der Zentrums-Partei angehörte, wurde mit 8694 gegen 12S6 nationalliberale, 2706 demokratische und 1811 sozialdemokratische Stimmen gewählt. Die Wiederwahl einesZentrumsmannes ist zu erwarten.—Ter agrarische Staatsrath. Nach dem Bericht des„Reichs-Anzeigers" wurden in der Sitzung des Staatsraths amSonnabend, den 16. d. M., nach der Pause die Verhandlungen überEisenbahnfrachten und Schiffahrtsgebühren fortgesetzt.Hierbei wurde zum Zweck der Verbilligung der landwirthschafllichen?5roduktion und zur Beförderung des Absatzes landwirtyschafl-icher Erzeugnisse eine möglichst niedrige Gestallung der Eisen-bahn-Tarife für landwirthschaftliche Rohstoffe und Erzeugnisseempfohlen, lieber das Maß der Frachtherabsetzung ist einVotum nicht abgegeben, wie auch die Frage, ob für bestimmtelandwirthschaftliche Artikel außergewöhnliche Ermäßigungen fürweitere Entfernungen einzutreten haben, besonderer Erwägungim Einzelfalle vorbehalten ist. Im übrigen ist die Einführungallgemeiner Tarife nach dem Prinzip der fallenden Skala—unter Berücksichtigung etwa entgegenstehender berechtigterlokaler Interessen— der Staatsregicrung zur Erwägunggestellt und im besonderen die baldige Ausdehnung der in denöstlichen Provinzen bestehenden Vieh- Staffeltarife auf alleLandestheile befürwortet.— Die Einführung staatlicher Schiff-fahrts-Gebühren auf denjenigen natürlichen Wasserstraßen, welchevorzugsweise für die Einfuhr landwirthschafilicher Erzeugnissedes Auslnndes dienen, ist dagegen von dem Staatsrath nachLage der Bestimmungen der Reichsverfassung und der inter-nationalen Schifffahrts-Karten als zur Zeit nicht spruchreif undohne wesentliche Wirkung auf die Preisbildung des Getreidesbezeichnet worden.— Die nächste Sitzung findet am Dienstagstatt, da der Montag für die Berathungen der Kommission freigelassen worden ist.Aber_ die Rechnung des Finanzaristokraten stimmt nicht.Graf Greiss hat sich entwickelt; er ist nun vollständig reif ge-worden für unsere Gesellschaft. Er scheut vor nichtsmehr zurück, auch nicht davor, sich zu prostituiren undverkauft sich gegen eine Million an die Tochter eines Bürgers,der seinen Reichthnm eben auch auf anrüchige Weis« gewonnenhat. Witt ist der Betrogene.Warum Rudolf Stratz den Grafen gerade als das Muster-beispiel für die Drohnenwirthschaft hinstellt? Soll Herr Witt,der Großkapitalist, die Arbeitsbiene vorstellen, die der Drohnenach dem Leben trachtet? Ist das Drohnendasein Witt's nichtnoch bedenklicher, als das des leichtfertigen SchuldenmachersEreiff, trotzdem Witt, bürgerlich höchst respektabel, von den Zinsenseines Kapitals sich nährt? Und wo vor allen Dingen bleibtdie Lehre des Exempels? Es wird keine Drohne ans demBienenstock geworfen. Graf Greiff hat sich eine Millionerheiralhet. Daß er dabei innerlich verkommen, er fühlt's nichtmehr, und die liebe, liebe Gesellschaft wird es ihn sicher nichtfühlen lassen. Nein, die satirische Absicht des Autors wird nichtersüllt. In der Gesellschaft, die Stratz im Auge hat, gedeihendie Hallunken und leben prächtig aus Koste» der Arbeitsbienen.Mau sticht sie nicht nieder und darum bleibt die Satire vonStratz stumpf.— Schauspielerisch schufen Herr Reicher(Greifs)und Herr Nissen(Witt) Gestalten in voller, lebendigerDeutlichkeit.Hermann Zaber will in seiner Komödie„Hans, derTräumer", die im Neuen Theater aufgeführt wurde, Schwärmerund Schwindler, die mit dem Sozialismus aufgetaucht sind,treffen. Aber eine gar matte, fast kindliche Hand schwingt dieGeißel. Daß es Heuchler giebt oder geben kann, die die sozia-listische Mitleidsphrase im Munde führen und als ausgemachteSpitzbuben ein Drohnendasein auf Kosten anderer führen, daswird niemand bestreiten. Wo hat Faber aber seinen unseligenHelden her und was bat der mit dem modernen Sozialismus zuschaffen? So wie der sozialistisch denkt, so denkt kaum in irgendeinem Krähwinkel ein bürgerlicher Hansnarr vom Sozialismus,und gewiß nicht ein edler Schwärmgeist, ein idealistischerTräumer. Ein Mann, der sich an die Bleichröder, an die Roth.schild und an— den Freiherrn Stumm wendet, um seinen Plandurchzusetzen, dem Volk das geistige Brot zu reichen, der ist dochkindischer, als es selbst kindische Theatermanier erlaubt. Natür-lich fällt Hans, der Träumer, Schwindlern in die Hände, dieihm ein verkrachtes Theater, sein Volksbühnenhaus, zuschanzen.Aber seine gute Hausfrau, das Werb mit dem bekannten gesundenMenschenverstand, rettet ihre» dummen Hans aus den Händender Gauner. Er ist von seinem Irrwahn genesen. Es istmöglich, daß ein rückständiges Publikum zu solchen Späßenlacht, in der geheimen Freude, nun hat der Sozialismus mitseinen weltbeglückenden Prospekten eins weg. Aber dann mußAller Voraussicht nach werden die Verathungen jetzt bald zuEnde sein. Ueber den Hergang bei den Berathungen diesesStaatsraths wird erzählt, daß der Kaiser jeden Tag denSitzungen, die von 10 bis 1 Uhr vormittags und von 1l-ß Uhrbis über 6 Uhr abends hinaus dauerten, ununterbrochen an-gewohnt und die Geschäfte geleitet hat. Von 1 Uhr bis LVzfand jedesmal in der Wohnung des Ministers v. Bötticher, diean den Sitzungssaal anstößt, ein gemeinschaftliches Frühstückstatt.— Auch ein größeres Festmahl beim Reichskanzler hatbereits für die Mitglieder des Slaatsraths stattgefunden.—Nach Bill— Herbert. Nachdem Bill Bismarck Ober-Präsident von Ostpreußen geworden ist, soll nun HerbertBotschafter in St. Petersburg werden. General Werder, derlangjährige Botschafter, ist abberufen worden, um am 1. AprilHerbert Platz zu machen. Zur Freude des einstmals boykottirtenVaters erhalten die Söhne jetzt die höchsten Aemter. Würdedie Karriere der Söhne Bismarcks lediglich von ihren Ver-diensten abhängen, so hätten sie vielleicht den Rath vierterKlasse erreicht, vielleicht wären sie überhaupt aus demStaatsdienste geschieden.—Ter Antrag Kanitz. Die Zahl der Unterschriftenunter dem Antrag Kanitz hat sich um sechs vermindert.Der jetzt zur Vertheilung im Reichstag gelangte Antragzählt nicht 103, sondern 97 Unterschristen. Sechs Polenhaben ihre Unterschrift zurückgezogen. Uebrig geblieben sindaus den Reihen der Polen nur die Unterschriften von Dr.v. Komierowski und GrafKwilecki. Nicht ganz ein Vierteldes Reichstages hat also den Antrag unterzeichnet. Unter-zeichnet haben jetzt sämmtliche Konservative mit Ausnahmeder Herren v. Levetzow und Graf Schlieffen, sodann sämmt-liche Antisemiten mit Ausnahme von Bockel und Ahlwardt,die Hälfte der Freikonservativen, zwei Polen, acht konser-vative und zum bayerischen Bauernbund gehörige Wilde,ein einziger Nationallibcralcr, der Abg. Schwerdtfeger(2. Brannschwcig). Bon denjenigen Abgeordneten, welcheim April 1894 gegen den Antrag stimmten, haben denselbenzwei unterzeichnet.—Ei» neuer Kanitz. Dem Abgeordnete»hause istein Antrag des Abgeordneten v. Mendel-Steinfels zugegangen,die Staaleregieruug aufzufordern, einen Betrag bis zu zwanzigMillionen Mark zur Verfügung zu stellen zwecks Befriedigungdes Kreditbedürfnisses landwirthschafilicherGenossenschaften(besonders ländlicher Darlehnskassen)und zwar zu einem entsprechend niedrigen, 2Vs Prozent nichtübersteigenden Zinsfüße.— Daß andere Gewerbetreibende anden Staat schon ein so unverschämtes Verlangen gestellt haben,ihnen zu LVs pCt. Geld zu pumpen, haben wir doch noch nichtgehört. Bescheiden sind die Agrarier nicht. Aber aufs Geschäftverstehen sie sich, das muß man sagen.—Eine„Mission des Friedens." Die Reklameblätterder 1. April-Gesellschaft veröffentlichen folgende Notiz:Als Präsident v. Wedell-Piesdorf im Jahre 1885 dem FürstenBismarck die Glückwünsche des Reichstags zum 70. Geburtstageüberbrachte, antwortete der Fürst:„Es ist mir eine hohe Ehre,die Glückwünsche des Reichstages zu erhalten, und ich dankeIhnen für diese Mission des Friedens." Um eine Missiondes Friedens handelt es sich auch jetzt.Und wer diese Mission des Friedens nicht billigt, istein Landesverräther, ein Feind der nationalen Größe undwas nicht alles sonst noch. Gassenbnben-Geschimpfe und„Mission des Friedens"— das paßt nicht zusammen.Die Grattilation des Reichstägspräsidenten im Jahre1885 wurde beiläufig als bloße geschäftsmäßigeFörmlichkeit behandelt— wie das Aufstehen vomPlatz bei der Ankündigung eines Todesfalls. Jetzt ist'saber anders. Jetzt soll's eine Manifestation zu gunstender Blut- und Eisenpolitik, der Millionär-z ü ch t e r e i und des gemeinsten Streberthumssein. Und da kann kein anständiger Mensch mitmachen.—Sonntagsruhe in der Binnenschifffahrt. In derKommission des Reichstags zur Berathnng des Binnen.schifffahrts- und Flößerei-Gesctzes ist der Antrag auf Ein-f tt h r u n g der Sonntagsruhe in der Binnen«schifsfahrt abgelehnt worden, und es sollen nun Erhebungenin Schisffahrtskreisen darüber angestellt werden, welcheGründe für und wider die Einführung der Sonntagsruhesprechen. Möge man dabei auch eine von rheinischenPrivatschiffern dem Reichstag vorgelegte Petition recht ein-gehend prüfen und— beherzigen.es schon sehr rückständig sein und sehr bescheiden im Maß derKenntuiß vom sozialistischen Wesen.Im Lessing-Theater gab es am Sonnabend einen altenGast in der guten Bedeutung des Wortes und ein neues Stück,von dem nicht ganz soviel des Lobes zu sagen ist. Da aberGast und Stück für einander lebten, so drückte das Publikumgnädig ein Auge zu und spendete von den Ehren, die demKünstler vollauf galten, in Bausch und Bogen auchdem Stück ein Theil, um das es sonst auf jedenFall gekommen wäre. Herr Friedrich Hanse, der Gast,ist weltbekannt, und wer dem nunmehr 67 jährigen Künstler nochbesonders neue Worte spenden wollte, der müßte das Lexikon derLüge zur Hand nehmen. Die Vorzüge dieses in seiner Art wohlkaum erreichten Schauspielers waren von unfern Väternbereits gerühmt. Wenn heute mit gutem Gewissen kon-statirt werden kann, daß Friedrich Haase im besten Sinnedes Wortes der alte gevlieben ist, so ist das eineAnerkennung, die einem zweiten zu erringen wohl nicht so leichtfallen dürfte.Es ist nicht bekannt, ob und in welchen Beziehungen HerrKlau! Arsen, der Verfasser der Neuheit, zu dem Künstlersteht, aber daß das Schauspiel„Am Spieltisch desLebens" bedenkliche Aehnlichkeit mit jenen Stücken hatte, dieeinem bedeutenden Sfünstler auf den Leib geschrieben werden, warauch dem Unbefangensten klar. Es handelt von demarmen Mädchen, das von seinem leichtfertigen Kavalier verlassenwird, sobald diesem Braven eine Geldbeirath winkt. Das armeMädchen heirathel aus Acrger und Noth einen alten Gecken.Beide Ehepaare werden GutSnachbarn, die ganz leidlich auf gutenFuß miteinander geblieben wären, wenn rnchtein aller Bekannterdes jungen Glückspilzes, der von diesem durchs Spiel moralischund materiell ruinirr worden, aus Amerika zurückgekehrt wäreund im heillosen Skandal dem Alten einen Floh ins Ohr gesetzthätte. Glücklicherweise kann das Wappen eines Mannes vom Adelnur dann beschimpft werden, wenn pikante Beziehungen in seinEheglück eingreifen; was vor der Trauung geschehen, geniertim gründe nicht. Das bedenkt der sechszigjährige Edelmann unddaher löst er den ärgerlichen Zwist, so gut es geht, in Wohl-gefallen auf.Geckenlhum. Bonhommie, Gebrochenheit— diese ganze Skalakonnte in den vier Akten des Stückes von unserem Gastin allen Tonarten meisterhaft variirt werden. Wenn sein alterKavalier vielleicht im Anfang zu giggerlhast war, so ,vird derverständige Zuschauer das einer kleinen, gewiß verzeihlichenKaprice des Künstlers zu gute halten. Von den sonst im Schau-spiel Mitwirkenden verdienen die Damen Reiche» dach undRiska, welchen die beiden weiblichen Hauptrollen deS Stückeszugefallen waren, besonders ehrend erwähnt zu werden.Es wird in dieser Petition bemerkt, daß die Bekanntwerdungder im Reichstage laut gewordenen Absicht, die gesetzliche Sonn-tagsruhe auch auf das Binnenschifffahrts-Gewerbe auszudehnen,in den Kreisen der holländisch-rheinischen Schiffs- und Dampf-schiffsbesitzer großes Interesse verursacht habe und daß esnach der bereits auf dem allgemeinen deutschen Binnen-schifffahrts-Kongreß zu Berlin zum Ausdruck gekommenen Zu-stimmung der großen Mehrheit der Privatschiffer wohl nichtnothwendig sein würde, nochmals die Zustimmung zu erkennen zwgeben, wenn nicht inzwischen von feiten einer Anzahl rheinischerRbedereien gegen die Einführung der Sonntagsruhe agitirtwürde, wodurch die Reichstags-Kommission leicht in den irrthüm-lichen Glauben gerathen könnte, daß der rheinische Schifferstandgegen die Sonntagsruhe und Sonntagsheiligung sei. Es habensich bereits Vereinigungen von Privatschiffern und Kapitänen ge-bildet, die Sonntagsruhe auf holländischem Gebiete, wo auchkein gesetzlicher Zwang besteht, freiwillig durchzuführen. Dervon den Gegnern der Sonntagsruhe gemachte Einwand bezüglichder Einbuße an Verdienst sei nicht st i ch h a l t i g; dieselbewürde um so leichter überwunden werden, wenn die gesetzliche,allgemeine Sonntagsheiligung durchgeführt werden sollte. Auchsei der Einwand, daß die Natur der Schifffahrt genügend Ruhe-pausen auserlege, kaum zutreffend; bei niedrigem Wasserstanderuhe die Schifffahrt höchst selten, im Gegentheil würden diePrivatschiffer dann gerade besonders stark beschäftigt. BeimLaden und Löschen sowie in der Fahrt bestehe kaum noch eineNachtruhe bei den Schiffern. Trotz dem bestehenden Gesetze derSonntagsruhe würde das Laden und Löschen auch jetzt noch immer anSonntagen in großem Umfange betrieben, da die Erlaubniß dazu nurselten versagt wird. Eine Winterruhe trete auch nicht in jedem Jahreein. Eine Gefährdung der Fahrzeuge, Güter und Personenkönnen die Privatschiffer in der Sonntagsruhe nicht erblicken, dafür die Fälle von Roth und Gefahr kein Verbot gemacht werdensoll, und sie wünschen daher als christlich gesittete Männer,der Segnungen der staatlichen Fürsorge für das geistige undleibliche Wohl der Bevölkerung ebenso gut theilhaftig zu werden«wie jeder andere Stand im deutschen Lande.Es ist allerdings bitter für die Mehrheit der betreffendenKommission, sich von diesen Schiffern über die einfachsten„christlichen" Grundsätze unterrichten lassen zu müssen.Agitation gegen die Tabaksteuer. Wie berichtet wird,hat auch die Karlsruher Handelsk am m e r an denReichstag eine Petition wegen Ablehnung der Tabak-Fabrikat st euer gerichtet.— Morgen am Dienstag findet inBerlin eine große Protestkundgebung der Tabaks-intcressenten gegen die Miquel'schen Tabaksteuerpläne statt.—Die Genossenschafte» und die Sozialdemokratie.An dem mageren Knochen des Vortrages des GenossenDr. Arons über das Genossenschaftswesen delektiren sich„Berl. Tagebl." und„Volks-Ztg." Letzteres Blatt will einenGegensatz zwischen den Abgg. Herbert und Robert Schmidtkonstruiren, weil Genosse Herbert letzter Tage den StettinerKonsum- und Sparvcrein erobert hat und GenoffeRobert Schmidt sich gegen die Gründung von Konsum»vereinen ausgesprochen hat. Daß es etwas anderes ist, denGegnern eine für diese werthvolle Position abzunehmen undselbst derartige Organisationen zu gründen, liegt auf der Hand.Die„Bolks-Ztg." knüpft an die Erörterung dieser Sache dieBemerkung, daß Genosse Robert Schmidt sich vor seiner Redegegen Genossen Dr. Arons mit der Parteileitung in's Einver-nehmen gesetzt haben dürfte. Dazu hatte Genosse Schmidt eben-sowenig wie irgend ein anderer Redner in den Versammlungenüber das Genossenschaftswesen auch nur die mindeste Veran-lassung. Wir können übrigens noch versichern, daß niemand inder Partei, selbst Genosse Arons eingeschlossen, der von derliberalen Presse erörterten Frage irgend eine Bedeutungfür die Partei beimißt.—Der Dreibund zwischen Deutschland, Oesterreichund Italien ist jetzt auf's neue fest begründet worden: Die„Weber", das Hauptmann'sche Schauspiel, sind jetzt glücklich inallen drei Staaten verboten. Deutschland, das ja überhaupt mehrund mehr seinen Stolz darein zu setzen scheint, an der Spitze derinternationalen Reaktion zu marschiren, ging mit diesem Verbotvoran; Oesterreich folgte,— und nun ist auch in Italien dieAufführung des staatsgefährlichen Stückes verhindert worden.Wie uns aus Venedig gemeldet wird, hat die dortige politischeBehörde die schon angekündigte Aufführung der„Weber" ausRücksicht auf die„öffentliche Ordnung" und Sicherheit zuverbieten beschloffen.Nun ist der europäische Fried« gesichert.--»Die Wahlreform in Oesterreich, an der nun schon so langeherumgedoktort wird, scheint jetzt etwas mehr in Fluß zu kommenund es scheint sich jetzt auch etwas Licht über den Regierungs-Vorschlag zu verbreiten, der dem Wahlreform-Ausschuß gemachtworden ist. Unter den Einwendungen, die dem vorjährigenRegierungsentwurf seitens des Grafen Hohenwart und seinerGesinnungshenoffen gemacht wurden, war die wichtigste und amhartnäckigsten festgehaltene gerade diejenige, welche sich gegen dieErrichtung einer fünften Kurie deswegen kehrte, weil hierdurchdie weniger als fünf Gulden zahlenden direkten Steuerträgermit den keinerlei direkte Steuer zahlenden neuen Wahl-berechtigten zusammengeworfen, proletarisirt und der wohl»disziplinirten sozialdemokratischen Organ i»ation ausgeliefert würden. Auf die Beseltigungäeser Einwendung scheint die Regierung nun Haupt-sächlich bedacht gewesen zu sein, und so ist der neueVorschlag entstanden, welcher dem Subkomitee des Wahlreform-Ausschusses unterbreitet wurde und der gegenwärtig die Grund«läge seiner Berathungen bildet.— Die„Neue freie Presse" theilt als Grundzüge dieses Re«gierungsentwurfs folgendes mit:1. Das bestehende, auf der Jnteressen-Ver«tretung aufgebaute Wahlsystem wird aufrechterhaltenund zu den bestehenden vier Wäylerklaffen: Großgrundbesitz,Handelskammer, Stadt- und Landgemeinden, tritt eine fünfteWählerklnffe der neuen Wahlberechtigten hinzu.2. Diese Wählerklaffe besteht jedoch au? zwei Wahlkörpern, von denen jeder für sich wählt.3. Dem ersten dieser Wahlkörper gehören alle Wähleran, welche eine direkte Steuer zahlen und nicht schonnach dem bestehenden Gesetze einer der vier erstenWählerklaffen angehören, also im allgemeinen diejenigen,welche eine direkte Steuer zahlen, die weniger ali fünfGulden beträgt.4. Dem zweiten Wahlkörper gehören an die q u a l i f i«zirten Jndustrie-Arbeiter. insbesondere die Mit-glieder der Krankenkassen, und dann die übrigen, keine direktenSteuern zahlenden Personen, welchen etwa außerdem noch dasWahlrecht ertheilt werden soll.5. Auf jeden Wahlkörper der neuen Wählerklaffe zu«sammen sollen ungefähr 70 neue Mandate entfalle», umwelche die Gesammtzahl der Abgeordneten zu vermehren ist.6. Die Regierung wird für die neue Wählerklaffe eineWahlkreis- Eintheilung ausarbeiten derartig, daß in jedenWahlkreis immer die beiden genannten Wahlkörper und iukeinem derselben nur ein Wahlkörper wählen wird.Die„Neue Freie Presse", der diese Informationen zugehen,die trotz eines offiziösen Dementis wohl richtig sein dürften,bemerkt dazu, daß— nachdem seit der Einbringung dieses Vor-'chlages über ein ständiges Fortschreiten der Arbeilen des Sub-komitees berichtet wird— angenommen werden müsse, daß dasvorstehend skizzirte Projekt die Zustimmung aller im Subkomiteevertretenen Parteien wenigstens grundjätzlich erhalten hat. und