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Nr. 171 41. Jahrgang

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2. Beilage des Vorwärts

Deutsche Justiz- Bilanz.

Bon Prof. Dr. Gustav Radbruch .

Schwerere Erschütterungen hat unser Glaube an die Justiz nie erlitten als in diesen Wochen. Die Tatsachen sprechen laut. Unnötig ein Wort der Scham, der Empörung hinzuzufügen. Das Münchener Urteil: Ludendorff freigesprochen, weil er mitten im dicksten Hochverrat von Hochverrat nichts gemerfi hat! Ihm selbst wird das zu bunt: er wirft zum Dank für diesen seltsamen Freispruch dem Gericht seine Ber­achtung ins Gesicht.

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Hitler und drei Mitschuldige zu fünf Jahren Feftung verurteilt. Zu fünf Jahren Festung immerhin, genau wie Jagow für seine Beteiligung am Kapp- Butsch? Ach nein, in Wahrheit zu sechs Monaten nach ihrer Berbüßung soll Strafausseßung, Bewährungsfrist, Straferlaß eintreten. Der Rest freigesprochen. Kahr , Lossow, Seißer überhaupt nicht angeflagt, als aber doch schließlich, widerwillig genug, ein Ermittlungsverfahren gegen fie eröffnet wird, nicht gehindert, eine Erholungsreise nach dem sonnigen Süden an­zutreten.

Ob sie dort ein gerührtes Wiedersehen mit Ehrhardt feiern werden? Der durfte, wegen Hochperrats, wegen Eides verbrechens verfolgt, aus der Untersuchungshaft des Staats­gerichtshofs entsprungen unter den Augen der bayerischen Be hörden in München weilen, ja an einer Sigung teilnehmen, bei der auch das bayerische Justizministerium vertreten war, durfte, als das Gericht genötigt wurde, sich für ihn zu inter­effieren, schleunigst wieder verschwinden, wohl auch nach dem fonnigen Süden. Und mit Roßbach war es nicht viel anders.

Sodann das Verfahren des Münchener Boltsgerichts. Die Prozeßleitung scharf nur, wenn es gilt, Kahr und Ge­nossen zu decken, unendlich nachsichtig, wenn Reichsverfassung und Reichspräsident immer wieder gröblich verunglimpft werden. Jeden Augenblick fällt die Tür krachend ins Schloß, bald ist es der Staatsanwalt, bald der Zeuge Lossow, der nicht mehr mitspielt, und es bleibt unversucht, diesem widerspen­ftigen Zeugen gegenüber die Autorität des Gerichts durch zusehen. Dagegen bleibt den Bertretern des Reichswehr­ministeriums die Tür verschlossen, weil sie sich in geheimer Sigung über verfassungswidrige Berfehlungen junger Offiziere zu genau unterrichten fönnten. Auf den Ruhörerhänken aber gibt eine mit den Angeklagten sympatisierende Menge ihrem Beifall und Mißfallen lauten Ausdruck. Es ist wie in alten Zeiten, da nicht der Richter, sondern der Umstand" das Urteil findet.

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Man sollte die Straße weniger und mehr die Geschichte fürchten. In diesem Sommer wird der Dichter Ernst Tol. ler die fünf Jahre seiner Feftungshaft verbüßt haben. Man wird ihm nicht einen Tag schenken. Und man wird Erich Mühsam in Niederschönenfeld weitere Jahre schmachten, alt und frank werden lassen, wenn der ungleich schuldigere Hitler fich längst wieder seiner Freiheit freuen wird.

Bum Gutachten über das Fechenbach- Urteil aber ist das Gericht berufen, dem Pöhner und v. d. Pfordten als Richter angehörten. Es hat sein Gutachten bereits abgegeben: an dem Urteil gegen Fechenbach ist vom Rechtsstandpunkt nichts auszusehen; die Verjährung, die sogar der Reichs­justizminister Dr. Heinze anerkannt hatte, wird geleugnet. Binge es nach dem bayerischen Obersten Landesgericht, so würde auch Fechenbach weitere Jahre im Zuchthaus schmachten müssen.

gerichts München über den 1. April hinaus, gegen den Bruch des feierlichen Versprechens der bayerischen Regierung, gleichzeitig mit dem Infrafttreten der neuen Straf­gerichtsverfassung die Volksgerichte aufzuheben, hat Herr Emminger offenbar nichts unternommen. Oder vielmehr: er hat darauf geantwortet, indem er gemeinsam mit dem Reichs­innenminister Jarres die Aufhebung des Staats­gerichtshofes zum Schuße der Republik beim Reichsfabinett beantragt hat.

Gerade das Gericht, das sich durch seine untadelhaft un­parteiliche Rechtsprechung in hochpolitischen Prozessen( gegen rechts wie gegen links) das Vertrauen weiter Bolfskreise er­worben hat, soll abgebaut werden, gerade das Gericht, deffen Zusammenfeßung für eine umfassende Neuordnung der Straf gerichte vorbildlich sein könnte. Denn eine unparteiliche Recht fprechung in politischen Prozessen erreicht man nicht, indem man vor der politischen Einstellung der Laienrichter einfach die Augen schließt, sondern nur, indem man sie beachtet und die verschiedenen politischen Einstellungen gleichmäßig be­rücksichtigt.

Es bleibt ein Rätsel, wie diejenigen bürgerlichen Parteien, die im Juli 1922 den Staatsgerichtshof selbst errichten halfen, ihren nunmehr veränderten Standpuntt, ihre Zustimmung zum Abbau des Staatsgerichtshofs rechtfertigen wollen, rätsel­

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Schon sind neue Landesverratsprozesse im Anzug. Die­felbe Münchener Staatsanwaltschaft, die Kahr , Lossom, Seißer frei umhergehen und umherreifen läßt, hat Quidde wegen Landesverrats festnehmen lassen. Erst durch das Eingreifen der Reichsanwaltschaft scheint die Freilassung erfolo+ au fein. ,, Landesverrat begeht nicht, mer gesezwidrige Zustände be tenntmacht, um ihre Abstellung durch deutsche Behörden zu Nach der Wahl in München . veranlassen." Man sollte denken, dieser Saß fei selbstverständ- Alois Hinterftoisner, völkischer Agitator, versieht sich mit lich; weil er aber für die Rechtsprechung leider nicht selbst­verständlich ist, dürfen unsere Genoffen im neuen Reichstag nicht ruhen, bis sie ihn in das Strafgesetzbuch hineingebracht haben.

Auch gegen 3eigner soll ein Landesverratsverfahren eröffnet worden fein, auf Beranlassung desselben Rechts­anwalts Melzer, der auch den Bestechungsprozek ins Rollen brachte. Was ist in diesem Prozeß von seinen Beschuldigungen übriggeblieben? Durch eine Unbedachtsamkeit, durch brutale Vergewaltigung und durch die Unfestigkeit seines eigenen Wesens ist Zeigner schicksalhaft in ein Neh von Unrichtigkeiten verstrict worden. Unrichtigkeiten nicht Unredlichkeiten. Und doch drei Jahre Gefängnis und doch Ehrverlust! In der Begründung aber, recht unverblümt, ein Hieb gegen das neue System, das unerprobte Leute unversehens auf wichtige Bläge bringe, im Borverfahren das schwach abgeleugnete Wort eines Staatsanwalts vom Heimzahlen für den verfluchten Republi­fanischen Richterbund und zu Beginn der ganzen Aktion eine breite und absichtsvolle Pressevorbereitung.

geiffigen Waffen für neue Heldentaten.

hafter aber noch, wie fich das derzeitige Kabinett die Zu­über die Aufhebung des Staatsgerichtshofs dem neuen Reichs­sammenſegung einer Regierung denkt, die den Gefeßentwurf tag vorlegen soll. Daß an einer solchen Regierung Sozial demokraten teilnehmen könnten, vermag ich mir nicht vor zustellen.

deutschen Volkes aufgebürdet haben, geht fast über seine Trag­Die Last, welche die letzten Wochen dem Rechtsgefühl des fähigkeit, zumal da sie zu alten Lasten hinzukommt. Im Jahre 1921 erschien die Broschüre 3wei Jahre Mord" von E. J. Gumbel. Sie gipfelte in der erschütternden Behaup tung, daß von den jeit 1919 begangenen 314 politischen Mor­ben an linksstehenden Personen 282 völlig ungefühnt ge­blieben feien, während von den 15 politischen Morden an Rechtsftehenden 13 ganz oder doch teilweise gefühnt wurden.

Ich überreichte damals die Broschüre vor versammeltem Reichstag dem Reichsjustizminister Dr. Schiffer und forderte ihn auf, in einer Denkschrift dazu Stellung zu nehmen. Diese Denkschrift ist endlich im November 1923 dem Reichstag zu­gegangen, aber bisher nicht veröffentlicht worden. Gumbel hat( Vorwärts" vom 14. Februar 1924) ihr Ergebnis so zusammengefaßt: Wort für Wort bestätigen die Justizminister meine Behauptungen, die Morde werden zugegeben, straflos laufen die Täter herum."

Und wiederum ein Gegenbeispiel: ein gewiffer Gansfer hat den Reichspräsidenten des Landesverrats bezichtigt. Die Untersuchung vor dem bayerischen Gericht zieht sich endlos hin, bis schließlich der Reichspräsident, wider den Sinn der Straf­prozeßordnung zum persönlichen Erscheinen vor dem Gericht geladen, angesichts eines Verfahrens, das der Rechtsverwei­gerung nahekommt, den Strafantrag zurückzieht. Troh seines großen Einflusses in Bayern war offenbar der Reichsjuſtiz­minister infolge der Zuständigkeit der Landesjustizverwaltung als eine Kulturschande, als eine Beschimpfung des Rechts­Der Deutsche Richterbund hat fürzlich( mit vollem Recht) und der Unabhängigkeit der Gerichte nicht in der Lage ge- gedantens die Verhaftung deutscher Justizbeamten bezeichnet, wesen, dem Reichspräsidenten zu seinem Rechte zu verhelfen. mit dem Frankreich die Freilaffung eines vom Reichsgericht Aber ein anderes muß dem Reichsjuftizminister Em wegen Spionage verurteilten französischen Kapitäns zu er­ninger zum Vorwurf gemacht werden: es ist nicht bekannt zwingen versucht. Ich erwarte, daß er es diesmal nicht dem geworden, daß er auch nur versucht hätte, die unbezweifelte Republikanischen Richterbund überlassen wird, in ähnlich Zuständigkeit des Staatsgerichtshofs für den scharfen Borten gegen das Münchener Urteil zu protestieren, Hitler Brozeß Bayern gegenüber zur Geltung zu bringen. daß er sich auch nicht der Pflicht entziehen wird, zu der Dent. Oder hält er etwa die Außerkraftsehung der Republikschuhschrift über die Gumbel- Broschüre Stellung zu nehmen. Nur gefehe in Banern für rechtsgültig und geeignet, die Ruständig­feit des Münchener Boltsgerichts für den Hitler- Prozeß zu begründen?

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Auch gegen den Versuch Bayerns , die weiteren Verfahren wegen des Novemberputsches dem Staatsgerichtshof zu ent­giehen, gegen die Aufrechterhaltung des Bolts

durch eine deutliche Zurückweisung offenbaren Unrechts fann die Justiz fich das Vertrauen weiter Boltstreife erhalten und verhüten, daß von dem zwar wichtigen, aber schmalen Felde der politischen Justiz aus unverdientes Mißtrauen das ganze, mit Hingabe und Erfolg angebaute Gefilde der Straf- und Ziviljustiz überflute.

Donnerstag, 10. April 1924

Gegen die Schmach

der zuchthausdrohenden Landesverratsanklagen wider Zeitungen, die die straffreie Selbstbewaffnung von Raub- und Mordgesindel feststellen, gilt es nicht nur zu pro­testieren, sondern auch eine Gesetzesänderung zu sichern, die diese Schmach beendet und vom deutschen Namen filgt. Auch darum wählt sozialdemokratisch!

Agrarische Talmudisten.

Robert de Jouvenel , ein Bruder des neuen Ministers, Im linksbürgerlichen Pariser Deuvre" vom 6. April hatte dr aber bekanntlich zu den schärfsten Kritikern Poincarés und der aber bekanntlich zu den schärfsten Kritikern Poincarés und Parteien polemisiert, die mit dem Argument der wachsenden nationalistischen Welle in Deutschland operieren, um die eigenen Wahlaussichten zu bessern. Er hatte dem Sinne nach ausgeführt: Wenn Ihr, vom Nationalen Block, davon redet, daß die nationalistische Gefahr in Deutschland seit der Ruhr­besetzung stärker geworden ist, dann um so schlimmer für Euch und Eure Politik."

An den telegraphischen Auszug dieses Artikels knüpfte nun die Deutsche Tageszeitung" einen höchst eigentümlichen Rommentar. Sie argumentiert folgendermaßen: Wenn das Anwachsen der nationalistischen Welle in Deutschland zu einem Angriffspunkt der Gegner Poincarés gegen die Ruhrbefeßung geworden ist, dann soll das deutsche Bolt erst recht nationalistisch wählen, denn damit wird in Frankreich die agitatorische Kraft der Richtung gestärkt, die Poincarés Ruhrpolitik als gefähr­lich bekämpft"!! Der Schöpfer dieser tiefsinnigen Deduktion scheint der Sprößling einer Mischehe zu sein zwischen einem Jefuitenpater und einem Talmudgelehrten.

Da sich aber die Deutsche Tageszeitung" nun einmal auf das Blatt Deuvre" beruft, wollen wir ihr folgende Stellen eines Artikels von Gustave Térn vorhalten, der in der gleichen Nummer vom 6. April neben dem zitierten Aufsatz Jouvenels erschienen ist:

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Wer sind die Urheber des Krieges? Nicht die Völker find es, die ihn gewollt haben. Diejenigen, die ihn wollen und die schließlich erreichen, daß er ausbricht, das sind, in allen Ländern, die gleichen Männer, die gleichen Säbelraffler, die zum absoluten Grundsatz die Behauptung erheben, daß die Beziehungen zwischen Nationen durch die Gewalt bestimmt werden, und daß es feine andere Gewalt gebe, als die militärische. Es gibt noch genug Schurken und Idioten, die dieses abscheuliche Vorurteil nähren, aber, gleich­viel, ob dies aus echter triegerischer Gesinnung oder in Wirklichkeit nur aus Gewinnfucht oder Dummheit geschieht, so ist es leicht, dieses Spiel aufzudecken und sie zur Ohnmacht und zum Schweigen zu zwingen wenn sich nur die Völker, diese ewig Genarrten, plan mäßiggegen diesen Schwindelzu wehren beginnen. Hier und dort, beiderseits des Rheins, mögen zwar diese Lügner in verschiedenen Sprachen reden- es ist diefelbe Lüge, es sind dieselben Rationalisien, dieselben falschen Patrioten, die eines Gemehels bet dürfen, um ihre Macht zu behaupten und ihre Ausbeutung fort­zusetzen."

Nun mag fich die" Deutsche Tageszeitung" weiter auf den " Deuvre" berufen....

Sichert euer Stimmrecht!

Die Stimmlisten für die Reichstagswahlen liegen in den durch Säulenanschlag am 5. und 6. April befanntgegebenen Aus­legungsstellen noch bis einschließlich Sonntag, den 13. April dieses Jahres öffentlich zur Einsicht aus.

An den Dienstgebäuden der Bezirtsämter werden bis zur Beendigung der Liftenauslegung Platate angebracht werden, aus denen die Stimmberechtigten diejenige Auslegungsstelle feststellen tönnen, in der fie die in Frage tommende Stimmlifte einzusehen haben. Nur wer in die Stimmlisten eingetragen iff, fann das Stimm­recht ausüben. Sind die Stimmliften unrichtig, so muß fofort Ein­spruch erhoben werden.

Seht die Wählerlisten ein!

Die Wahlleiter in Berlin .

Brandenburg I ift Stadtrat Boe3fch und als deffen Stellvertreter Für den Wahlkreis 2 fowie zum Wahlkreisverbandsleiter der Stadtrat Schüning ernannt worden.

Für den Reichstagswahlkreis 4( Potsdam I) ist Regierungs­Regierungsrat& bler v. Brun und zu deffen Stellvertreter der rat Boß und als dessen Stellvertreter der Regierungsrat Freiherr D. Ziegejar, für den Reichstagswahlkreis 3( Botsdam II) der Regierungsrat Baron v. Löwenstein zu Kreiswahlleitern bzw. Stellvertretern ernennt worden.

freisverband Brandenburg II ist Regierungsrat Boß bzw. Zum Verbandswahlleiter bzw. Stellvertreter für den Wahl­Regierungsrat Freiherr v. Ziegefar bestellt worden.

Kommunistische Frechheit.

Bon Franz Künstler.

Unjere am legten Sonntag in der Brauerei Friedrichshain

glänzend verlaufene Rundgebung gegen das Urteil im Hitler- Luden­dorff- Prozeß wird wie üblich in der Roten Fahne" mit ausfallenden Beschimpfungen gegen die Sozialdemokratie herabgesetzt.

Der Gipfel der Unverschämtheit wird aber erreicht, wenn sie mich sagen läßt, daß die Sozialdemokraten mit den kommunisti. fchen Zuchthäuslern nichts zu tun haben wollten".

Dieser frechen fommunistischen Berichterstattung sei der wahre Sachverhalt entgegengehalten.

Es ist richtig, daß Eichhorn nach Schluß der Versammlung fehr aufgeregt auf Levi und mich zukam und uns wiederholt der Feigheit bezichtigte. Darauf erwiderte ich Eichhorn in Zeugen­gegenwart von brei Parteigenoffen: Solange die Kommunistische Bartei arme Broletarier aufheit und sie als Stoßtrupps in fozial. bemokratischen Bersammlungen benutzt( bie intellektuellen Urheber bleiben immer tapfer im Hintergrund), fozialdemokratische Refe renten tätlich bedrohen, find wir gezwungen, auf Grund des bis. herigen rüpelhaften Betragens fommunistischer Bersammlungs. besucher, unsere Bersamfungen burch unseren Saalschutz schützen zir lassen. Wenn dann die Kommunisten über Bergewaltigung reden und sich auf die Grundsätze der Demokratie berufen, müssen wir es ablehnen, mit der Kommunistischen Partei über Moral und De