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Nr. 177+ 41. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Die neuen Bahnhöfe auf der Nord- Süd.

Die fortschreitende Entwicklung der Berliner Untergrundbahnlinien.

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Bei der Erledigung des letzten Londoner Berkehrsstreits nahm Binsfäßen, die heute jede Kapitalshergabe verlengt, ist an e ine Ren-| Das Unterhaus einen Antrag an, der die Regierung ermächtigt, in tabilität nicht zubenten. Die Finanzierung wird deshalb nur das weit verzweigte und fomplizierte Londoner Verkehrssystem zum von der Gemeinde vorgenommen werden können und die laufenden Ein­Zwecke der Vereinheitlichung, der Ausschaltung schädlicher Kontur. nahmen des Unternehmens- heute bereits monatlich 150 000 Goldmart Ueberschuß- werden restlos in den Weiterbau hineingesteckt. Die Stadt. renz zwischen den verschiedenen Berkehrsgesellschaften tontrol. verwaltung verfolgt die ganz richtige Taftif, zunächst abschnittweise lierenb einzugreifen. In dem gleichen Augenblid, in dem zu bauen, damit sie das Unternehmen nach Möglichkeit aus eigener man in der englischen Hauptstadt, in einem Bande, in dem Privat Kraft fortführt und nicht Gefahr läuft, es aus Mangel an Betriebs­gesellschaften viel stärker den öffentlichen Berkehr bedienen als mitteln aus der Hand geben zu müssen. Die Fortführung der Nord­in Deutschland, fich zu solchen Maßnahmen entschließt, findet sich im Südbahn wirft am Hermannplay das Problem auf, wie der Bahn­Berliner Rathaus wenn auch wohl nur aus Zufall und noch nicht hof Hermannplah gestaltet werden soll, an dem die Bahn fich mit endgültig eine Mehrheit, die für den Abbau des städtischen Bau der früher projektierten AEG.- Bahn freuzt, von der ein kleines Stüd rats für das Berkehrswesen eintritt. Eine solche Maßnahme würde Berkehrsamt und die meiſten Stadtverordneten und städtischen Ver Hermannplaz- Münchener Straße- bereits fertiggestellt ist. Das den schwersten Schlag für die Entwicklung des Groß- Berliner Berwaltungsbeamten treten dafür ein, von vornherein einen Gemein­tehrswesens bedeuten. fchaftsbahnhof anzulegen, um für den Weiterbau der AEG. Bahn nach Norden hin, der unter allen Umständen tommen muß, gleich gerüftet zu sein. Auch an der Belle- Alliance- Straße soll die Berlängerung bis an den Rand des Tempelhofer Feldes sobald wie möglich, wenn es irgend geht noch in diesem Jahre, in Angriff ge­nommen werden. Die wenigen Monate, die feit der Stillegung der

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Niedergang und Aufstieg der Verkehrsmittel.

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Das Berliner Publikum ist in den letzten Jahren auf feine Ber­fehrsunternehmungen nicht gut zu sprechen. Die Klagen über die Städtische Straßenbahn, über die Untergrundbahn, über die 3u stände auf der Stadt- und Ringbahn nehmen fein Ende. Das Publikum hat von seinem Standpunkt aus nicht unrecht. Es hat freilich auch oft bei seinen Klagen vergessen, daß unter der Inflation Ber­tehrsunternehmungen am allermeisten gelitten haben. Fast alle deutsche Mittelstädte und manche Großstädte mußten den Betrieb ihrer Straßenbahnen einstellen, weil eine Rentabilität einfach nicht zu erzielen war. Ob die Unternehmungen fommunal fiert oder Privat eigentum waren, spielte dabei nicht die geringste Rolle. Jetzt erst bessert sich die Lage aller Unternehmungen und die im Berliner Verkehrswesen Tätigen können sich neuen Plänen für den Ausbau unserer Berliner Unternehmungen widmen. Denn darüber ist kein Zweifel: mit den heutigen Mitteln fann der Berkehr in Berlin nicht bewältigt werden. Die Stadt- und Ringbahn ist am Ende ihrer Leistungsfähigkeit, die Straßenbahn, die sehr energisch ihr Verkehrsnek wieder erweitert( jezt befördert fie fchon bis zu 1% Millionen Fahrgäste täglich), wird felbst bei weiteren großen Anstrengungen den Berkehrsbedürfnissen nicht gerecht werden fönnen. Es muß mit allen Mitteln ein weiterer Ausbau gefunden werden. Dafür tommen zunächst die Untergrundbahnen in Betracht. Die städtische Nord- Südbahn , die eine glänzende Entwid luna genommen hat( heute rechnet man bereits mit einer Jahresbeförderung von 50 Millionen Berfonen!). wird mit Macht weiter gefördert. In diesen Tagen merden zwei weitere Bahnhöfe bis dicht an die Kaiser. Friedrich- Kirche, am Eingang der Hafenheide, führen. Der nächste Bauabschnitt, der um die Kirche herum in die Hasenheide hineinführt, ist in Angriff genommen. 3m nächsten Sommer foll die Bahn bis zum Her­mannplah fertiggestellt sein. Damit erhält fie ihren Anschluß an die in Neukölln bereits fertiggestellte Strecke und ihre Züae werden im Sommer oder Herbst 1925 von der Seestraße im Norden bis zum Südring Bahnhof Neukölln durchgehen. Um den immer mehr zunehmenden Personenverkehr zu be. wältigen, sind neue Wagen bequemer und leistungs­fähiger als die alten Wagen der Untergrundbahn fertiggestellt und im Laufe des jetzt kommenden Bau. jahres werden weitere Wagenzüge in Angriff ge. nommen, so daß der Berkehr auf der ganzen Strede 3meieinhalb- Minuten- Abstand in

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der Zeit höchster Berkehrsdichte bewältigt werden kann. Fortführung der Untergrundbahnen. Der Weiterbau der Untergrundbahn ist in erster Linie eine Finanzfrage. Bei den ungeheuerlichen

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( Radbrud burch Malil- Berlag, Berlin .)

Der Bürger.

Von Leonhard Frank . Auch Jürgen las diese Notiz. Ihn intereffierte nur das Bort Ronstitution". Er fragte Bhinchen, ob sie glaube, daß er ein fonftitutioneller Schuft oder ein Schuft aus freier Ent­fcheidung, also ein für seinen Berrat verantwortlicher Schuft fei, der die Kraft gehabt hätte, feiner zu werden. Er stand unter dem Türrahmen der Küche und blickte gespannt in das foffungslos zurückfragende Geficht. Was meinst bu, Phinchen?"

Unabgewendeten Blides ließ Phinchen den Spüllappen fallen, trodnete, wie immer, wenn Jürgen die Küche betrat, gewohnheitsmäßig die violetten Hände an der Schürze ab. Der Jammer um ihren abgezehrten Herrn gab ihr die Borte, Jürgen sei immer der beste Mensch von der Welt gewesen; sicher habe er niemals absichtlich Böses getan.

Da geriet er in Erregung. Dann wäre ja alles hoff. mmgslos. Denn wie fönnte ich aus diesem Buste menschlicher Niedertracht herausfinden, wenn ich ohne Schuld, ganz ohne eigenes Butun hineingeraten wäre.. Aber du fannst das ja nicht wien . Sechzehn und jetzt bist du vierzig. Haft dein Leben in dieser Küche verbracht."

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Wochenlang verlies Jürgen das Haus nicht. Er kleidete fich gar nicht mehr an, ak und schlief außer jeder Regel. Manchmal wandte er fich mit einer Frage an Phinchen, deren Herz die Antwort gab.

Sehnsucht und Grübelei freisten immer um denselben Bunft. Auf der Weli war nichts als er und der Banzer­plattenturm, vor dem er grübelnd faß und stand und lag und fniete, diefes Panzerplattengewölbe in ihm selbst, zu dem er Einlak fuchte und nicht fand.

Bah, gequält und unverdrossen machte er sich jeden Tag und jede Nacht von neuem an die Aufgabe. Jeden Gedanken dachte, ieden Schritt machte der Wahnsinn mit. Und auf dem Tisch fag der Revolver.

Schon hatte er die Fähigkeit erworben, sich im Bach traum und auch im tiefften Schlaftraum zu beobachten. In der Finsternis unterirdischer Gewölbe, durch die er traum­ficher Schritt, traf er den andern, den er fuchte, führte mit ihm

Der Bahnhof Belle- Alliance- Straße

traurig geflüsterte Wechselreden. Im Blick des andern stand Sehnsuchtslose Bereitschaft. Geh und miß!"

" Ja, messen! Ich werde messen. Dies ist das Mittel." Da faß er aufrecht im Bett: blickte die Schranktür an. Messen?"

So ausschließlich lebte er seiner Aufgabe, daß es ihm troß Unterbrechung des Traumes auch diesmal gelang, die Fort fegung des Traumes zu träumen, in das Gewölbe, das tief unter dem Leben lag, zurüdzugelangen, vor die Augen des andern, die sehnsuchtslos und unerbittlich ihn anblickten.

Jürgen wußte, daß er nicht fragen dürfe, was er messen folle. Und als er flüsternd dennoch fragte, verschwand das Gesicht. Logifferne Gebilde zudten auf, verzudten in Finster­nis. Lichtbündel verzischten in Finsternis, aus der fefündlich wieder Licht aufsprigte.

Da schoß eine dice, schmerzhaft weiße Lichtfontäne auf, in deren Mitte unirdisch weiß das Wesentliche lebte, das, im Tlefften ihn durchschauernd, plößlich sein eigen wurde.

Inbrünstig bemühte er sich, das Wissen vom Wesentlichen aus dem Halbschlafe heraus in das Wachsein herüberzuretten, öffnete mit großer Vorsicht wiederholt die Lider, nur einen Millimeter: Immer war das Wesentliche weg und nur die Schranktür da.

Und als er ganz erwacht aufrecht im Bette saß, mußte er nicht mehr, wann und wie und durch wen ihm der Rat zuteil geworden war, noch einmal, wie in der Jugend, eine Ban­derung durch die Menschheit zu machen, unverstellten Blickes " Dann werde ich wieder dorthin gelangen, wo ich schon war. D. Bewußtsein!" Sein sehnsuchtsvoller Freudeschrei riß ihn aus dem Bett.

Bereit, jedes Leid und selbst den Tod zu erleiden, verließ er das Haus, in der Tasche den entsicherten Revolver.

Der Sonntagmorgen tat sich vor ihm auf. Glocken läuteten. Ein roter Sonnenschirm überquerte die Straße. An Jürgen vorbei marschierte eine Knabenflaffe, in Biererreihen streng geordnet und geführt vom Lehrer, der fommandierte: Links! Rechts! Links! Rechts!"

,, Wenn die Schwerter blizen und die Kugeln fliegen..." Links! Rechts!"

An dem Lehrer sah Jürgen das erste mal dieses Gebilde, das im Rücken hing, verfümmert, eingeschrumpft, vertrocknet. " Das ist, mitgeboren, aber ganz veröbet, das Eigene, das in gar feiner Wechselwirkung mehr zu feinem Träger steht," flüsterte er und ließ sich auf den Lehrer zugehen. Auch Sie

Sonntag, 13. April 1924

Notenpresse vergangen find, haben jedenfalls bie Aussichten auf Weiterführung dieser wichtigen Bauten bedeutend gefördert. Ohne die Veränderung der wirtschaftlichen Entwidung wäre die Fort führung freilich nicht möglich.

So wichtig die Förderung dieser Untergrundbahnbaupläne audy fein mag, deren endgültige Erledigung mit der AEG.- Bahn, der Moabit - Treptower Bahn usw. ein Menschen alter in Anspruch nehmen wird, so darf doch der Ausbau der Straßenbahn und der anderen Verkehrsunternehmungen nicht dahinter zurücktreten. Selbst bei voll ausgebautem Untergrundbahnnez werden ober. irdische Bertehrsmittel immer noch nötig sein. Das be­weist die Erfahrung in London , New York usw. Wenn bei den wird, wird es von allergrößter Wichtigkeit fein, daß die dem Ber Verhandlungen mit der Entente die Frage der Reichsbahn gelöst liner Lofalverkehr dienenden Teile der Reichseisenbahn in irgendeiner Form wirtschaftlich und verwaltungstechnisch in eine Be ziehung zu den übrigen Berliner Verkehrsunternehmungen gebracht

werden.

Nicht nur Tarifeinheit, sondern auch planmäßig gemein­fame Arbeit aller Unternehmungen muß das Ziel einer weit­fichtigen Berliner fommunalen Verkehrspolitit fein. Berlins Birt

schaftsleben, sein Gedeihen und seine Entwicklung fann in der wertvollsten Weise dadurch gefördert werden. Hoffentlich zeigt das Plenum der Stadtverordneten­versammlung für diese Zusammenhänge mehr Ber­ständnis als die Vertreter der bürgerlichen Parteien, die aus rein politischen Erwägungen die Stelle eines Stadtbaurates für das Berkehrswesen abbauen wollen. Die Sparsamkeit, die hier angewandt würde, käme Berlin teuer, sehr teuer zu stehen.

Hallesches Tor- Gneisenaustraße.

Die neue Strede der Nord- Süd, die über das Hallesche Tor hinausführt, ist nun bis zum Bahnhof Gneisenaustraße fertiggestellt worden. Während über der Bahn auf den Straßen, noch an der Fertigstel lung der Gewölbedecken gearbeitet wird, Eisenträger, Steine, Sand und Holz in scheinbarem Durcheinander herumliegen und große Bretterzäune den Straßen. verfehr behindern, werden vom 15. d. M. ab die Untergrundbahnzüge in schneller Fahrt über den Bahnhof Belle- Alliance- Straße, den wir im Bilde zeigen, bis in die Nähe der Hafenheide laufen. Der Bahnhof Belle- Alliance- Straße ist sicherlich das be­merkenswerteste Bauwert dieser Strede. Die Rund bögen, die zwei Bahnsteige überdecken, geben dem Ganzen etwas Feierliches, wie man es sonst bei ähn lichen Bauwerten taum wieder findet. Der Bahn hof ist für den Umsteigeverkehr nach Tempelhof aus­gebaut, nur die Tempelhofer Strede felbft harrt noch der Ausführung. Probefahrten wurden schon mehr. fach unternommen und zeigten, daß das neue Bau­wert technisch in durchaus einwandfreier Berfassung ift. Nachdem vor einiger Zeit eine erste Be­fichtigungsfahrt stattgefunden hatte, an der Ber treter des Magistrats, der Hoch- und Tiefbaudepu tation, des Verkehrsamtes, sowie des Aufsichtsrates der Nord- Süd teilgenommen hatten, fand gestern eine weitere Besichtigung statt, zu der auch die Presse ge­laden war. Bei dieser Gelegenheit wurden auch die neuen Wagen im Betriebe gezeigt, die den Anforde rungen des großstädtischen Verkehrs besser ent­sprechen als die bisher im Gebrauch befindlichen. Sie haben an jeder Seite drei Türen, find wesentlich breiter gebaut und für 30 Sihplähe eingerichtet. Sie machen einen gefälligen Eindruck. Nur die Verschlüsse der Doppeltüren erscheinen technisch unvollkommen. Bei dem großen Gedränge, gerade auf der Nord- Süd, fann sehr leicht jemand an den Türgriffen einen Halt fuchen wollen und dabei unbewußt die Türe öffnen und so zu schweren Verkehrsunfällen Anlaß geben.

| machen sich mitschuldig an einem furchtbaren Verbrechen, und ich fann Ihnen sagen, weshalb."

Erst als er den Lehrer schüttelte und in das empörte Ge­ficht sagte: An einem entfeßlichen Verbrechen! Denn Sie laffen fich als Seelenmörder gebrauchen," ftuzte der Lehrer, riß sich los, eilte der Klasse nach und richtete die in Unordnung geratenen Biererreihen wieder aus mit dem Kommando: Links! Rechts!"

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Bon einem visionären Blizz erleuchtet, sah Jürgen fämt­liche Knabentlassen Europas , die, kommandiert von den Lehrern, auf einer Riesenebene in linearer Ordnung freuz und quer umhermarschierten und unter Geschüßesbrüllen un­Ünunterbrochen versehens Infanterieregimenter wurden. stiegen die erstickten Seelen aus den ftrenggeschlossenen Schülerquadraten in die Höhe und verschwanden mit flagen­dem Gefange.

Wohin?" fragte Jürgen. Wohin find sie verschwun­den?" Er stand, noch durchzogen von der Vision, reglos und entrüdt, bis drei alte Herren ihm in das Blickfeld hinein­spazierten. Der eine erzählte etwas, verteidigte fein ablehnen­des Verhalten. Da kam es darauf an, ein Charakter zu sein."

Sie aber haben feinen Charafter. Denn was würde ge­schehen, wenn Sie Ihr Bermögen, Ihre Stellung, Thre Privi­legien und die Achtung der geachteten Männer verlören? Wo bliebe dann Ihr Charakter? Sie, meine Herren, find Cha­raftermasten." Und er deutete auf die eingetrockneten Ge bilde, die sich mit den Dreien fortbewegten.

Als habe eine Hand ihn durch die vielen Straßen hin geführt, stand plöklich, die düsteren Fensterlöcher quadratiert mit dicen Eisenstäben, vor ihm das Gefängnis, ein stein­gewordener Schrei.

Dunklen Drud in der Brust, blickte Jürgen die zufrie denen Sonntagsspaziergänger an. Sie gehen vorüber, un­berührten Gemütes." In seiner Brust stand das ganze much­tende Gebäude.

Und er schritt, stehend vor der Mauer, wieder durch die Gänge, Gänge, die in seinem Herzen waren, durch den Saal. in dem die engmaschigen Drahtgitterfäfige standen, jeder ein menschliches Wesen trennend von den menschlichen Wesen. " Schnauzl!" lockt mit Zeigefinger und Daumen die ver wüstete Siebzehnjährige. Katharinas Schnauz wedelt kläglich mit dem Schwanzftumpf.

Qualvolle Machtlosigkeit, wie damals, preßte Jürgens ( Fortsetzung folgt.) Herz zufammen.