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Nr. 17$ 41. Fahrgang

1. Seilage ües vorwärts

dle«stog,1S. April 1424

Schädlinge des Handels. Wie wird heute der Wucher bekämpft? Abbau auf der ganze« Linie.

Wird heute noch Wucher getrieben? Der Handel, und nament- lich der Großhandel, wird ohne Zaudern darauf antworten: Wucher? Was ist das? Solch ein Wort kennen wir gar nicht! An dieser Stelle ist vor einigen Tagen darauf hingewiesen worden, daß sich heute um die Innehaltung der Rich'preise fast niemand mehr kümmert und daß die Butterpreise vom Großhandel durchaus will- türlich festgesetzt werden. Man kann diesem Schuldtonto des Groß- Handels hinzusetzen, daß überhaupt noch immer die Preise für fast olle Waren, namentlich aber der Textilwaren, zu hoch sind, und daß noch lange nicht ein Idealzustand auf dem Warenmarkt herrscht zur vollen Zufriedenheit der Verbraucher. wie wirö üer Verbraucher geschützt! Di« Inflation des verflossenen Jahres, die rapid« Entwertung aller Wert« und die verhängnisvollen Praktiken der Wucherer und Schieber zum Schaden der Verbraucher machten es notwendig, daß eine Rdhe ge'etzlicher Bestimmungen erlassen wurden, um den vielen dunklen Elementen im Großhandel nach Möglichkeit das Handwerk zu legen Seit dem 15. August 1923 sind folgende, sogenannt« not- wirtschaftliche Verordnungen des Reichs in Kraft: 1. die Preistreibereiverordnung, 2. die Verordnung gegen verbotene Ausfuhr lebenswichtiger Gegenstände, 3. die Verordnung über den Verkehr mit Vieh und Fleisch, 4 die Vevordnung über den Verkehr mit Vi ehund Fleisch, 5. die Verordnung über Notstandsversorgung, g. die Verordnung über Preisprüfungsstellen, 7. die Verordnung über Auskunftspflicht, 8. die Wuchergerichtsordnung. In die Preistreibereiverordnung ist der Leistungswucher neu aufgenommen. Der lj 4 dieser Verordnung lautet:Wegen Leistungs- wucher wird bestraft, wer vorsätzlich für ein« Leistung zur Befriedi- gung des täglichen Bedarfs eine Vergütung fordert, die unter Be- rücksichtigung der gesamten Verhältnisse«inen übermäßigen Verdienst enthält, oder«in« solche Vergütung sich oder einem anderen gewähren, oder versprechen läßt." Es sei hier gleich darauf hingewiesen, daß der Leistungswucher noch heute«in« große Roll« spielt und daß ihm nicht immer mit der notwendigen ElMgie zu Leibe gegangen wird. Di« Verordnung über Handelsbcschrgxhmgen enthält die Bestimmung über Preisschilder, gegen die seinerzeA der Handel besonders Sturm gelaufen ist, die er aber heute prompt innehält, um durch das Preis- schild zu proklamieren, daß er billiger verkaust als der Konkurrent. Was ist heute übrig geblieben l Die Duchergerlchte sind aufgehoben und durch das Verfahren bei den ordentlichen Gerichte erfetzt. Die meisten wucherfacheu sind aber Pagotellsachen, die nach der Iuftizreform nicht zur Verhandlung kommen dürfen. Die Preisprüfungs stellen bestehen nur noch dem Namen nach und haben heute kaum noch eine Be- deutung. Das Landespolizeiamt wollte und sollte die Preis- Prüfungsstellen neu organisieren und den Bedürfnissen von heut« anpassen. Das Landespolizeiamt aber ist inzwischen ausgelöst worden. Die vom Landespolizeiamt seinerzeit eingerichteten Marktgerichte, die durch ihre schnelle und energisch« Justiz außerordentlich viel zur Bekämpfung des Wuchers getan haben, sollen, wie man hört, abgeschafft werden Am schlimmsten jedoch und am verhängnisvollsten für die Verbraucher ist die Stellung, die das Reichswirtschaftsministerium allen diesen Dingen gegenüber einnimmt. Auf Beran'assunq dieser Behörde, die für den Schutz der Konsumenten gegenüber Schiebern und Wucherern eintreten soll, ist die Verordnung über Handelsbeschränkungen zum Torso geworden dadurch, daß heute jeder Großhandel tredben darf, ohne«m« besondere Erlaubnis dazu zu haben, die die Handelserlaubnis stellen, die sehr streng prüften und die nun fortfallen, zu verleihen hatten. Im Reichswirtschafts- Ministerium ist man der Ansicht, daß die heutigen stabilen Verhältnisse und die fest« Währung es notwendig machen, den Handel von lästigen Fesseln zu befreien. Wenn man aber weiß, daß im Februar und Män über 1000 Personen die Großhandelserlaubnis versogt worden ist. weil st« die erforderliche Sachkenntnis und ZuverlSsstgkeit nicht

besaßen, wenn man bedenkt, daß diese Element« nun hemmungslos auf den Handel losgelassen werden, dann bekommt die Geschichte doch «in anderes und bedenkliches Gesicht. Allerdings besteht noch immer die Möglichkeit, jemandem die Großhandelserlaubnis zu ent- ziehen und ihn vom Kroßhandel auszuschließen, wenn er sich uner- laubter Machenschafien schuldig macht. Wer aber soll dies« Unter- sagung aussprechen resp. in die Weg« leiten? Die Polizeibehörden im Lande sind meistens dazu gar niH in der Lage, weil sie nicht das genügende Personal haben, das außerdem dem Raffinement der Wucherer und Schieber gegenüber nicht genügend gerüstet ist. Das Landespo'izciamt, das seine oomehmst« Aufgabe darin sah, die Polizeibehörden mit den notwendigen Anweisungen zu versehen, ist, wie gesagt, ausgelöst und sein« geschulten Beamten sind in all« Winde zerstreut. Es kommt hinzu, daß mehrfach Oberpräsldenten anordneten, daß die Untersagung der Großhandelserlaubnis, die auf Grund schwer kompromittierender Gerich'sverhandlungen und Ver­urteilungen ausgesprochen war, wieder zurückgenommen und in ein« Verwarnung umgewandelt wurde. Di« schlimmsten Schädling« des Handels sind die Kartelle mit ihren gau, willkürlichen Prelsfest- letzungen. Nun gibt es zwar eine Kartelloerordnung und ein K a r t« l l a e r i ch t. vor das die übermütigen Syndikaisherren zitiert werden sollen. Diese» Kartellgericht hat aber bisher noch niemal, ein« Auflösung eine» Kartells verfügt. ch» Es liegt also Abbau auf der ganzen Linie vor. Wer die Stimmung im Reichswirtschastsministerium kennt, weiß, daß es nur eine Frage der Zeit ist, daß sämtliche Verordnungen gegen Wucher aufgehoben werden. Dann steht der Verbraucher vollkommen schütz- los da. Kommt aber«ine neu« Inflation, kommen, wie sie e» hoffen, die Rechtsparteien an das Ruder, verliert Deutschland allen Kredit beim Ausland, wird alles wieder bei uns chaotisch, dann wird Deutschland dos wahre Paradies der Schieber und Wucherer werden. Dagegen muß heute schon mit aller Energie protestiert und das Reichswirtschaftsministerium darauf aufmerksam gemacht werden, daß es seinen Kurs so schnell wie möglich zu ändern hat.

kommt dem die Untersuchung führenden Landgerichtsrat Kruspi darauf an, festzustellen, ob Gerth bei Begehung der Tat im vollen Besitz seiner Geisteskräfte war. Die beiden GerichtSärzte haben auch die Leichen der ermordeten Frauen obduzier« und find gegenwärtig mit der Abfassung eines Gutachten» über die Todesursache beschäftigt.

Die gute Dolle.

Zur Schreckenszeit der Inflation konnte der deutsche Käufer kaum einheimische Ware auftreiben. Die war einfach seinem Gesichts- kreis entschwunden, um jenseits der Grenzen für Valuta abgefetzt zu werden. Schieber, Krämer und all« kapitalistisch Verseuchten sind tnternatlonal, sobald da» ihrem Neben Gek>beutel bekömmlich ist. Sie sind e» nur nicht im völkerversohnenden Sinn», weil sie große Problems nicht erfassen können und wollen. Schamlos aber war es. daß guten,»inheimifchen Erzeugnissen ein fremde« Mäntel- che» umgehängt wurde. Eine jede Hausfrau kann zu diesem Kapitel au« eigenen Ersahrungen beitragen. So waven womöglich angeblich die Seife aus London , die Zahnbürste aus Paris und die Strümpfe aus Brüssel . Das allerfchönfte aber erlaubte man sich mst den Zwiebeln, die der Berliner Bollen nennt. Sie wurden in einen Sack gepackt, auf den besagten Sack wurden ein paar Halbmond« gemalt, wodurch ohne weiteres die ZwiebelnAegyptische Bollen' wurden. Heute, wo bestimmte Kreise au»volksgesundheitlichen' Gründen gegen das Gefrierfleisch hetzen, weil es billiger als, das deutsche Fleisch ist, hat auch die Zwiebel ihre fremde Staatszugehörig. teit wieder abgelegt. Sie verleugnet ihr Heimatland nicht mehr, sondern wird wiederum als die gute, einheimische Bolle angepriesen. Und mit gemischten Gefühlen, halb Zorn, halb Schadenfreude, sehen sich die Käuferinnen die Zwiebeln an und denken, mögest du dich nimmer valeugnen. Der Fraueamörder Verth geisteskrank 7 Mit der Untersuchung de» GeisteszustanoeS deS Polizeiwachtmeister« Gerth, der den doppelten Frauenmord in der strafte verübt bat, sind die GerichtSärzte, Med.-Rat Dr. Störmer und Proiesior Dr. Strahmann, gegenwärtig beschäftigt. ES

die nächsten Moröprozeste. Zum Deginn der neuen Schwurgerichksperiode. Di« Schwurgerichte bei den Landgerichten I und III werde» am 28. April ihre erst« Sitzungsperiode in der neuen Form des mit drei Richtern und sechs Geschworenen besetzten Gerichtshofes beginnen. Zum Borsitzenden des Schwurgerichts I ist für das laufende Geschäftsjahr� Landgerichtsdirektor Dr. T o l k eniannt worden. Der erste Berhandlungsgegenstand betrifft einen Mordfall. An- geklagt ist die Landarbeiterin Lina Hildebrandt, die be- schuldigt ist, ihr neun Tage altes uneheliches Kind mit einem Bindfaden erdrolselt zu haben. Di« Angeklagte war im September 1922 im Birchow-Krankenhaus niedergekommen und nach neun Tagen enttossen worden. Als sie mit dem Kinde zur Wohnung ihrer Mutter kam. war dies« abwesend. S!« nahm einen Bindfaden und erwürgte ihr Kind Die kleine Leiche, die sie ent- kleidete, steckte sie in eine Papiertüte und verbarg sie hinter einer Holzkiste im Flur. Am nächsten Tage fuhr sie mit der Bahn nach Velten i. d. Mark, und warf die Leiche in«inen mit Wasiei ge- füllten Wielengraben. Die Leiche ist bisher nicht gefunden worden. Die Sache kam aber dadurch zur Aufdeckung, daß vom Krankenhaus dem Amtsgericht Mitteilung von der Geburt des Kindes gemacht worden war. Auf die vom Gsmeindewaisenrat erhobene Nachflöge gab die Angeklagte an, daß sie das Kind in Pflege gegeben habe, und daß das Kind gestorben sei. Da die Angeklagte den Totenschein nicht beibringen konnte und sich alle ihr« Angaben als unwahr er- wiesen, wurde sie unter dem Verdacht des Mordes am Neujahrstag« diese? Jahres in der Wohnung ihrer Mutter, die von der Geburt de« Kindes überhaupt kein« Ahnung gehabt hatte, verhaftet. R.-A. Dr. Mendel hat die Ladung von San.-Rat Dr. Leppmann beantragt und unter Beweis gestellt, daß die Angeklagt« in einem Anfalle von Sinnes st örung, noch unter der Einw'rkung der überstanden«» Krankheit stehend gehandelt habe, so daß die Ueberlegung ausscheide. Beim Schwurgericht des Landgerichts III , dessen Vorsitz Landgerichtsdirektor Dransfeld führt, wird gleich am ersten Tage ein politischer Sensationsprozeß zur Der- Handlung gegangen. Unter der Anklage des versuchten Morde» an Maximilian Horden wird sich der Oberleutnant a. D. Ankermann zu verantworten haben. Während die Mittäter, W e i ch e r d t und Grenz, bald nach der Tat ergriffen worden waren und bereit» feit mehr als Iahrcsflist abgeurteilt worden sind, war es Ankermann gelungen, nach Oesterreich zu entfliehen. Er ist vor längerer Zeit in Wien oerhaftet und nach Deutschland gusgeliefert worden. Di« beiden Mitschu'digen waren von den Geschworenen nur der Körperverletzung schuldig befunden worden. Di« Aus- liefsrung Antermanns ist jedoch von Oesterreich aus wegen Mord- versuche erfolgt. Die Anberaumung des Termins zur fraupwer- Handlung gegen Ank-rmann Hot sich dadurch so lange verzögert, daß die Oberstaatsanwaltschaft bemüht war, nachträglich auch die Geneh- migung zur Strafverjolgung wegen eines anderen Deliktes als Mordversuch zu erziefln, was aber dem Vernehmen nach nicht ge- glückt«st Maximilian Horden hat sich dem Verfahren als Neben- klag« angeschlossen._ Tie Voruntersuchung gegen Frau Bischur. In dem Ermittlungsverfahren gegen die des v i e r f a ch e n Giftmordes beschuldigte Frau Bischur ist am Sonnabend unter Leitung des Untersuchungsrichters, Landgerichtsrot K r u s p i, die Leiche von Georg Körner, des Bruders des ersten Mannes der Frau Bsschur, auf dem Iohannisfriedhof in Plötzensee aus- gegraben worden. Der Sarg war, obwohl er sich viereinhalb Jahre im Erdreich befand, vollständig unversehrt und wurde sofort nach dem Leichenschauhaus übergeführt. Dort wird er geöffnet werden, und der Gerichtsarzt, Professor Dr. F r a e n k e l, ist mit der Obduktion der Leiche beauftragt worden. Die Leichenteile werden von mebreren Gerichtschemikern auf Spuren von Morphium und Gasvergiftung untersucht werden. Bekanntlich ist das die einzige Leiche der vier mutmaßlich ermordeten Nersonen, die nicht verbrannt worden ist. Landgerichtsrat Kruspi vernimmt in dieser Mordsach« noch täglich sowohl die Angeklagte, die sich im Moabiter Untersuchungsgefängnis

l?!-» druck durch Hialli-Uerla», AerN».)

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Der Dürger. von öeonharö Krank.

Die Zellentür ftit sich auf. Vor ihm steht Katharina tm grauen Gefängniskleid, das verschönt ist durch den ordrnings- widrigen Einschlag beim Hals«. Der kleine, feste Mund lächelt froh.. Stürmische Liebe, wie damals, brach in Jürgen los. Da blickt Katharina gleichgültig und kalt ihn an.(Auch kann ich «in Mädchen sein, das im Kampfe gegen di« Umwelt steht und durch ihr verächtliches Abweisen...') Mit beiden Händen griff Jürgen in die Luft und taumelte gegen die Gefängnismauer, blickte flehend Katharinas Blick an. der lautlos sprach:»Nimm erst von neuem auf dich alle Qualen I' Zwei paar Arme, an denen Spazierstöcke baumelten, breiteten sich aus. fielen schenkelwärts. Schultern zuckten. Jürgen betrachtete die eingeschrumpften Gebilde..Auch ganz und gar entselbstet!" Und folgte, berührt von dem Interesse des Leidensgenossen für die Leidensgenossen, den zwei Männern._ m Da bin ich ganz deiner Meinung. Vorstand wiederholte der zweite Vorstand und ließ den ersten Borstand vorangehen, hinein in das Gesangvereinslokal, m. dem die Tenor- und Baßftsche schon voll besetzt waren. Unbemerkt stand Jörgen hinter dem großen Kachelofen. Aus dem Gastzimmer klangen, durch die geschlossene Tür d".rch, die Klüpfelschläge des Wirtes, der den Hahn m das Vierfaß schlug.....' Er habe die außerordentliche Singpro be emberusen. weil das hochverehrliche Gründungsmitalied, Herr �imon O:t, im Sterin liege.Er liegt in den letzten Zügen. In diesem Moment wu�de Jörgen van einer Möwe be- mcftt. Lautlos. Sie stand vor ihm, glich e'ner nordischen Frau groß, hellblond und hatte ein gefühlsentferntes. oollkammen seelenloses Gesicht. Jenseits aller Verwunderung sagte Jürgen zu ihr:Nur wußte ich bis jetzt nicht, daß Möwen scböne, küble Frauen sind." Die Möwe antwortete nicht, blickte auf das weite, taste Meer h'naus. Auch Jürgen blickte auf das Meer hinaus. .Deshalb müssen wir rechtzestig das Trauerlied einstudie-

ren, das am Grabe gesungen werden soll, damit wir uns nicht wieder blamieren." Er ist ja noch gar nicht tot!" Ein kleiner, dürrer, bebrillter Schuhmachermeister schoß vom Stuhle empor und forderte etwas mehr Pietät. Er war der Schriftführer. .Wenn er doch noch lebt!" .Aber es kann nicht mehr lange dauern. Ich bitte asso den Herrn Dirigenten , das Trauerlied vorzunehmen." Der Vorstand breitete die Arme aus:.Oder sollen wir uns wieder blamieren?" Der zweite Borstand erhob stch, klopfte ans Bierglas: Ich bin ganz der Meinung unseres ersten Herrn Vorstan- des... Wenn ein altes Mitglied, ein Veteran des Männer» gesanges, stirbt, kann er verlangen, daß das Lied, das wir an seinem Grabe singen, vorher ordentlich geprobt wird. Und die Ehre unseres Vereins steht auch nicht so bombenfest, daß wir uns wieder blamieren dürsten, wie das letztemal." Die Möwenfrau trug in den reglosen Augen einen Blick, als schaue sie das unabänderliche Schicksal. Der Brillenschuster verteilte schon die Gesangbücher. Die zehn Bässe gruppierten sich um das Klavier herum..Dort ,'nten ist Friede", intonierte der Dirigent. Und die Bässe setzten ein:Im kühlen Haus." Nur die Bässe singen, b�tte ich mir aus. Warten Sie. bis Sie daran kommen." Der Brillenschuster hatte mst» gesummt. Er sang den ersten Tenor. Es ruhet der Schläfer vom Leben aus." Gabelförmige Schwingen kamen fühlergleich und steif vorne aus der Körpermitte der Möwenfrau heraus, ver�chwan- den wieder. Sie bewegte sich wie ein Vogel, der zum Fluge anhebt, sah mit inhaltslosen, blauen Augen Jürgen an, der dachte: Will sie fort? Und über dem Hügel: fum, sum, sum, sum." Mehr piano! Nickst: sum. sum. sum. sum: sondern: sum, sum, sum, sum... Sie, meine Herren, sind doch keine Schmeißfliegen: B'enen summen viel rarier." Plötzlich sab Jürgen vierzig*"r Decke gerichtete Augen- paare, vierzig eirund geöffnete Münder und an den Rücken der Sänger, die fetzt im Halbkreise alle um das Klavier her- umstanden, die vierzig eingetrockneten Gebilde. Die Schwingen kamen gabelförmig vorne aus der Leibes- mitte der Möwenflau heraus: Jürgen fetzte sich darauf und schwebte, den Kops an die nebelumflorte, schön« Brust der

Frau gelehnt, über das kalte, weite Meer, ruhend in der Ueberzeugung, daß er zu dem unbekannten Orte gelangen werde, wo fein Bewußtsein auf ihn warte. Die Möwenflau selbst darf, da sie ersttckte Seelen fort» trögt, natürlich keine Seele haben, dachte Jürgen während des lautlosen Fluges. Und sagte zu ihr:Wenn ich nun dem Ar.zte erklären würde, daß auch diese Sänger ganz und gar entselbstet sind, und daß ihre Seelen, von dir und deinen Schwestern hingebracht, irgendwo im Weltenraume schmerz- lich warten, in ungeheurer Einsamkeit, würde er mir nicht glauben, sondern behaupten, mein Zustand habe sich verschlim- wert... Die Psychiater sind doch zu dumm. Glauben Sie das nicht auch?" Die Möwenfrau antwortete nicht, flog weiter, leicht vor- gebeugt. Ihre Augen hatten sich während der ganzen Zeit nicht bewegt. Ihr Gesickstsausdruck hatte sich nicht verändert. Weil sie eben keinen Gesichtsausdruck hat. dachte Jürgen und drehte das Gesicht nach oben, blickte ihr in die Augen. Ringsum war nur noch Wasser und Nebel Jürgen wußte nicht und dachte auch nicht darüber nach. wie er hierhergelangt war. Er saß auf der Bant in der Anlage, gegenüber dem grünen Bretterzaune, In den er vor vierzehn Jahren als erstrebenswertes Ziel den Frackherrn- jürgen hineingesehen hatte. Ein Lächeln tiefinnerster Sicherheit erhellte sein Antlitz, als er. jeden Willen ausschaltend, alle Muskeln entspannte, in dem Bestreben, wie damals wieder nur die Begierden, nur den Menschen in sich sprechen zu lassen, um zu erfahren, was der Mensch in ihm ersehne. Der Bretterzaun blieb Bretterzaun und leer.Dieses nicht? Dieses wenigstens begehrt er nicht mehr," flüsterte Jürgen.Das aber ersehnt es. mein Herz?" Er schloß die Augen und lauschte und wartete und fühlte nichts. Die Lider der inneren Augen blieben geschlossen. Da saß er, reglos, leid- und freudlos, leblos. Leiser Wind bewegte die Baumkronen. Schläiriges Zwitschern eines Bogels im Sonnenbrand. In der Ferne brauste die Stadt. Das ist die weiße Sekunde", flüsterte Jürgen in Plötz- sicher Erregung. Denn er sah sich schreiten. Und die Straßen wurden enger, dunkler, die Häuser kleiner. Unbebaute Stellen. Der verfaulende Bretterzaun. Das klein« Fenster hing nah der Erde rotleuchtend in der Finfternis. (Fortsetzung folgt.)