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Nr. 190 41. Jahrgang
1« Seilage öes vorwärts
Mittwoch, 23. �lpril 1924
Ttos dem Reiche der Wohnungsämter.
Die Statistik über die Lage des Berliner   Wohnungsmarktes im Kalenderjahr 1323 hat interessante Zahlen geliefert, die das unklare Bild über die Lage des Berliner   Wohnungsmarktes ein wenig erhellen. Die Nachfrage bslief sich am 1. Januar 1322 auf rund 147 301, am 1. Januar 1323 auf rund 23S 333 und am 1. Ja- nuar 1324 auf rund 223 333 Wohnungen. Die Wohnungsuchenden nahmen also 1323 nur um 8 Proz. gegenüber 43 Proz. im Vorjahre zu. Der Zu ström ist schwächer geworden. Als vermiet- bar wurden 34 333 Wohnungen(1922; 47 333) angemeldet.
der wohnungsbeöarf. Der Wohnungsbedarf von solchen Familien, die mit Anspruch auf eine leere Wohnung nach Berlin   zuwanderten, war sehr bc- trächtlich. Nicht weniger als 7865 Reichsdeutsche, 2 431 Auslandsdeutsche einschließlich der Kriegsgefangenen und 117 Angehöriger fremder diplomatischer Missionen, zusammen 10ZSZ Familien waren unterzubringen. Außerdem forderte der Ministerial- erlaß vom 23. Juli 1323 noch, daß die infolg« Todesfall oder Ver- l setzung in den Ruhestand freigewordenen Beamtcnwohnungen für
die betreffenden Behörden offenzuhalten seien. Der Wohnung?- zustand hat sich bei kleineren und mittleren Wohnungen weiler ver- schlechlert: einerseits nach normaler Abnutzung, andererseits aber durch zu dichtes Bewohnen, ungenügende Beheizung und mangelhafte Instandhaltung. Im allgemeinen konnten nur die größten Mängel, wie Dach-, Leitungs- und OefenschSden beseitigt werden. Die Or­ganisation der Wohnungsämter wurde durch Vereinigung benach. barter Wohnungsämter zu Bezirtswohnungsämtern ver- einfacht und oerbilligt, weil dadurch Personal und Material stch ersparen ließen. Das Groß-Berliner Wohnungs-Notrecht blieb 1823
noch unverändert, jedoch liegt bereits eine Neufassung sowie ein neuer Entwurf für die Satzungen vor. Bis zu ihrer endgültigen Ab- schließung werden dieBekanntmachungen des Magistrats zum Schutze der Mieter und über Maßnahmen gegen den Wohnungs- mangel" für die neue Stadtaemeinde Berlin   vom 21. Mai 1921 und die vom Ausschuß für das Wohnungswesen ausgestellten Satzungen vom 26. Ottober 1921 noch wirksam bleiben. Ebenso besteht die Polizeiverordnung über Wohnungsordnung für den Landespolizei- bezirk Potsdam   vom 19. März 1919 noch zu Recht. Der Entwurf einer Wohnungsordnung für das Gesamtgebiet einer neuen Stadt-
gemeinde Berlin   liegt zu neuer Beschlußfassung vor. Von den 1923 als oermietbar angeboteneu etwas 34 333 Wohnungen wurden etwa 4233 wegen begründeter Ansprüche der Verfügungsberechtigten oder aus sonstigen Ursachen ohne Mitwirkung des Wohnungsamtes vergeben, und die übrigen etwa nahezu 28 333 Wohnungen wurden durch den amtlichen Wohnungsnachweis oermietet. Vohnungsaufftcht unö pflege. Di« Wohnungsaufstcht und die Wohnungspfleg« sind ein beson- ders schwieriges Problem. Mieter und Vermieter find häufig zu verarmt, um die Forderungen der Wohnungsaufstcht zu erfüllen. Regelmäßige ftraßenmäßige Besichtigungen sind aus Gründen des Beamtenabbaues nicht mehr möglich. Die verfügbaren Kräfte können kaum noch den Fällen nachgehen, die bei der Tätigkeit des Wohnungsnachweises oder durch Anzeigen sich herausstÄlen. Dies« Anzeigen gehen aus von den Betroffenen selbst oder aber auch von Organisationen und Behörden, wie Lungen-, Trinker- und Säu�- lingsfürsorgestellen, vom Wohlfahrtsamt für den Landesbezirk Berlin  vom 22 April 1913 sowie die Wohnungsverordnung. Wohlfahrts- amt und von Stadtärzten Rat, Belehrung und Mahnung versuchen hier Abhilfe zu schassen. Soweit dieses durch Zwangsmaßnahmen oder bei Notstand nicht zu erreichen ist, versuchen die Wohnungs- ämter selbst die Mängel zu beseitigen, wozu die sogenanntenAb- lösungsgelder". verfallene Kautionen und dergleichen gewisse Mittel liefern. Die Wiederaufnahme der Kontrolle über das Schlafstelleu- wesen war leider aus denselben Gründen wie bei der Wohnungs- aufstcht nicht möglich. Höchstens ganz grob« Verstöße in sitt- licher oder gesundheitlicher Hinsicht konnten beseitigt werden, soweit sie bekannt wurden. Kinderreiche und Kranke. Das schwierigste Problem ist die Unterbringung kinderreicher Familien. Die Wohnungsämter müssen gerade nach dieser Hinsicht hin besonders ernstlich einsetzen. Ebenso ist eine unabweisbare Auf- gäbe der Wohnungsämter die Bekämpfung ansteckender Krankheiten und die Säuglingssterblichkeit. Die Zu- fammenarbeit mit den Fürsorge- und Wohlsahrtsstellen hat in vielen Fällen schon Erfolg erzielt. Die Zuweisung einer geeigneten Woh- nung an Kranke führte in zahlreichen Fällen zur Besserung ihres Zustandes. Auch konnte mit Betten aus Mitteln der Alt-Berliner König-Friedrich-Stiftung sowie durch Umzugs- und Mietbeihilfen große Not gelindert werden. Die Bautätigkeit der Wohnungsämter zeitigte 1923 eine Leistung von 1212 Wohnungen mit 3136 Räumen. Leider gingen durch versall und Brandschaden 402 Wohnungen ver­loren, meist solch« Wohnungen, die wegen ihres schlechten Zustandes kein Wohnungsuchcnder mehr haben will oder die überhaupt als un- benutzbar baupolizeilich gesperrt sind. U eberall hat man behclfs- mäßig Nolwohnungen geschaffen durch Herstellung verwahrloster Wohnungen, durch Wohnlauben, durch Instandsetzung von Baracken, im ganzen 1212 Wohnungen.   Die Bauwirlschaft ist 1923 weiler zurückgcgsngen. Sowohl der private Wohnungsbau wie der Sied- lungsbau wurden durch die Inflation stark beeinflußt. Der private Wohnungsbau hat davon Nutzen gezogen. Der Sicdlungsbau litt darunter. Bis auf vereinzelte Fälle schuf der private Woh- nungsbau fast nur Einfamilienhäuser und in den ärmeren Gebiets- teilen fast nur sogenannte Dauerwohnlauben. Lebhaft war die industrielle Bautätigkeit in Neu- kölln, Tempelhof  , Spandau   und Reinickendorf  . Die Innenbezirk« erhielten einen Zuwachs durch Errichtung oder Umbau einiger Ge- schäftshäuser. Aus Landesdarlehen, Reichskrediten konnten zufanzmen 396 Wohnungen, und zwar 533 Hochhäuser und der Rest in Msttei- und Flachhäusern in Angriff genommen werden. Die neu geschaffenen Wohnungen verteilten sich auf 19 geschlossene Siedlungen, außerhalb dieser Siedlungen wurde nur«in Einzelhaus mit öffentlichen Zu- schössen errichtet. Di« Bauzufuhr war durch die Geldentwer- tung und verspätete Bereitstellung der Mittel zeitweise in Frage gestellt. Leider wurden die vom Reich im Herbst in Wochenraten zur Verfügung gestellten Papiermarkkredite durch die fortschreitende Geldentwertung vermindert, so daß eine Anzahl Siedlungen im Dezember stillgelegt werden mußten. Notdürftigste Fertigstellung war erst wieder in Aussicht zu nehmen, als das Reich der Stadt als Treuhänderin um Weihnachten   herum 853 333 Goldmark zuwies Von den 396 Wohnungen konnten bis zum Ende des Jahres rund 433 bezugsfertig hergestellt werden.
q Das Aeichen. Von Daniel Eorkery. 3. Ich würde jetzt sicher ruhig eingeschlafen sein, wenn dieses andere nicht gewesen wäre. Ich blieb aus dem Bett sitzen und raucht« eine Zigarette roch der anderen, und ich weih nicht, immer wieder fiel mir ein, daß der Wachtmeister Naylor sich doch noch«rinnern könnte. mein Gesicht schon irgendwo gesehen zu haben. In zwei Minuten war ich wieder in den Kleidern. Ich huschte lautlos die Treppen- stufen hinunter..Mir fiel der muffige Geruch in der Gaststube auf, wie ein Haus so muffig riechen konnte, das in einer offenen Gegend so frei dastand. Ich schob die Riegel zurück, drehte den Schlüssel herum und zog ganz leise mein Rad hinter der Tür hervor, um in die Stille der nebligen Dämmerung zu tauchen. Während ich mich leise vorwärts tastete, ging das Giebelfenster auf. Junger Mann, wohin wollen Sie um diese Stunde?' Still," hauchte ich ihm zu.es ist besser für mich, daß ich mich fortmach«, sie werden ganz sicher wiederkommen.' Ich sah seine weißen Haare um seinen Kopf fallen und in seinen Augen einen Blick so unschuldig wie im Gesicht eines Weibes; die Welt mit ihrer verhärtenden Erkenntnis war aus irgendeinem Grunde an ihm vorübergegangen. Aber wollen Sie nicht etwas zu sich Rehmen,«he Sie fort­gehen?" Nein, nein, bester nicht, ich werde schon noch zu einem Früh- stück kommen, ganz sicher" Ja, das schon, das werden Sie schon." Ich hatte das Ge° fühl, als wollt« er etwas anders sagen. Sie sind hier zu jeder Zeit willkommen, bei Tage oder bei Nacht.   Sie haben sich ein schweres Päckchen aufgehalst und müssen viel ausstehen, müssen lagsen wie ein armer Hase, hinter dem die Hunde her sind," murmelte er noch zu mir. Die fröstelnde Dämmerung lag um mich und die nächtlich« Stille. Andere müssen noch mehr aushalten, die jungen Männer in den englischen Gesongnisten," gab ich zurück und setzte mich auf das Rad. Da kamen mir zwei Zeilen von Sean Clarachs Lied in den Sinn, ich reckte mich und sang dem alten weißhaarigen Manne ins Fenster: So viele meiner Söhne hat England mir geraubt, Wie soll ich, Gott im Himmel, weiterleben ohne sie! Es ist immer dasselbe alte Lied." setzte ich mit plötzlicher Bitterkeit auf Gälisch   hinzu. ..Ich kann dich nicht verstehen,' sagte er traurig,aber es ist so schön, diese Sprache zu hören. Ja, die vor uns gelebt haben, da» waren groß« Männer."
Ich winkte mit der Hand und ließ ihn allein. Er sah mir in die schweigend« Morgendämmerung nach. 4. Zehn Meilen weiter war ich an einer Stelle, wo ich als Jung« so oft meine Schulferien zugebracht. Ich fuhr und fuhr immer weiter, und Sean Clarachs düsteres Lied schwand ollmählich aus meinem Kopf«. Ein schöner Herbstmorgen begann mich mit stiller Wohligkeit einzuhüllen. Und wie ich durch diese Gegend fuhr, wurden mir wieder die alten Tage lebendig, in denen ich hier mit dem Sohne des Bauern den ganzen Tag fischte oder auf dem einzigen Pferd nach dem Städtchen ritt, um etwas zu bestellen. Und der Gedanke an den Sohn dieses Bauen? fügt« sich ein in meine Stimmung, machte mich wieder ruhig und erfüllt« mich ganz. Jen« alten Tag« waren so freundlich und anheimelnd, all die spätere Zeit war so voller Angst, Hastigkeit und Unruhe. Der Weg machte jetzt bei ein paar Bäumen eine Biegung, dann stieg ich ab; vor mir war das 5)aus meines jugendlichen Freundes Gregory Ahern. Ich mußte mir mit Gewalt einreden, daß er doch jetzt schon ein Mann sein muß'«, aber ich sah immer nur den Knaben vor mir. Hier waren die Feldstücke seines Vaters, ich erkannte jedes einzelne wieder. Sie waren viel bester bestellt, der Hof viel bester im Stand«, Schuppen und Scheune waren um das Wohnhaus neu hinzuge­kommen, und«in lebendiger Windschutz aus Lärchbäumen war auf der Wetterseite gepflanzt. Alles sah nach Behäbigkeit aus. so daß ich sch-n fünbtete, der Hof sei inzwischen in andere Hönde gekommen. Endlich braute ich mich doch in den Hos. Di« Haustür war offen. Ein ftbräqes helles Liibt fiel auf den Hausflur und reichte bis zu den Füßen eines alten Mannes, der mich grüßt«:Kommen Sie nur herein in mein Haus, Sie hätten noch ziemlich weit bis zum nächsten Hause!" Seid Ihr Humphrey AHern," fragte ich. Ja, der bin ich," brachte er vorsichtig heraus. Ihr erkennt mich wohl nich» mehr?" Er erhob feine Augen und sah mich fest an. Sie müsten mir schon verzeihen." sagte er mit einer unge- zwungenen Höflichkeit, die mich sogleich an den jungen Gregory in desten Iugendtagen erinnerte; es war gerade jetzt etwas in ihm, was ich nickst recht beim Namen nennen konnte und was mich verwunderie. Sie müssen schon verzeihen," und dabei blinzelte er mich mit den Augen an,das Reißen hat mich ganz unnütz gemacht, ich kann nicht mehr aufstehen, und die Sonn« blender mich sehr." Und dabei machte er immer Anstrengungen aufzustehen. Es sind jetzt fünfzehn Jahre her, seit ich zuletzt in Eurem Haule war." sagte ich, und ging ganz nahe zu ihm.aber Euer Sohn kannte mich einmal ganz gut."
Wenn er Sie dazumal gekannt hat, so wird er Sie auch heute noch kennen." Ich spürte, daß in diesen seinen Worten ein besonderer Sinn war oder hatte ich, ohne es zu wollen, meinem Kopfe auch jetzt jenen leisen Ruck gegeben? Gregory und die andern sind im Stalle bei den Kühen, sie werden jeden Augenblick hereinkommen, setzen Sie sich einstweilen," sagte der Alte 5. Das Weibervolk kam zuerst, sie erkannten mich gleich wieder und ftagten nach meinen Leuten. Dann kam Gregory, mein Jugend- freund. Er war jetzt sechs Fuß groß, starkknochig, von frischem Aus- sehen ein wenig hastig in seinen Bewegungen, seine Stimm« war etwas unbestimmt, sein ganzes Gehaben hatte jene merkliche Höflich- keit, die man allenthalben in Munster trifft. Vor Schüchternheit vermochte er kaum zu sprechen. Nach einer Weile sagt« er endlich: Ich habe Ihr Buch gelesen. Ich habe es da drin," und dabei wies er mit einem Kopfnicken nach dem Nebenraum. Ich war überrascht. Mein kleines Gedichtbuch und ich hatte gute Gründe zu dieser Meinung war wohl nicht weit über meine Dubliner Freunde hinausgekommen. Und Sie waren auch bei dem Aufstand dabei und auch in Frongoch. Ich wollte Ihnen noch schreiben aber ich bin nicht dazu gekommen" Cr sah scheu auf mich, und dann senkten sich sein« Augen. Ich war ein wenig rot geworden, denn ich muß gestehen, daß ich seit Iahren nicht mehr an ihn gedacht ha'te. Sein« Leute sahen nicht von mir weg. Sie waren offenbar noch nie einem begegnet, der jene furchtbare Dubliner Osterwoche mitgemacht oder schon im Ge- fängnis gesesten hatte. Und der junge Bursche hatte sicherlich das alles für sich behalten, die Erinnerung an mich war etwas Heiliges für ihn gewesen, ich konnte es ihm ansehen. Ich wurde verlegen und hielt inn« Ich fürchtet«, daß der Dubliner Schriftsteller oder der Gefängnisheld etwas verlieren könnte, wenn er zuviel sagte. Ich mußte meinen Kopf still halten wie bei einem Pho'orraphcn. Der Alt« sah mich mit unverwandten Augen an und schien sich seine Sc- danken zu machen. Beim Abendessen sagte Gregory, immer noch mit großer Zurück- Haltung:Ich habe Ihren Artikel im Fenier gelesen: Wenn die Götter kommen, müsten die Halbgötter abtreten. Ich wollte Ihnen schon schreiben, aber ich hätte vielleicht nicht recht getan* Du hättest mir schreiben scllen," sagte ich zu ihm. Gregory ist nicht so einer der das täte," sagte jetzt ein« von den Frauen mit einem Lächeln kn ihren ruhigen Augen. Mit einem leichten Ruck stand er auf und horchte nach der offenen Tür hinaus. (Schluß folgt.)