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Eringlmg der Mehrheit in der Wimer Stadwerwatwng durch di« Sozialdemokratie hat dazu geführt, daß die früheren Vormittags- Versammlungen in Sälen und der Nachmitiagsmarsch mit Fahnen und Standarten in den Prater durch den Massenaufmarsch auf der Ringstraße ersetzt worden find.'Diesmal mußten schon vier Riesen- Versammlungen, vor dem Rathaus, dem Parlament, dem Burgtheater und der Universität, auf der Hakmkreuzler mit Unterstützung gewisser Professoren ihre 5>>tzerei«n treiben, abgehalten werden. Fanfaren vom Rachausturm erffnetm die Feier, die Arbeitersänger begrüßten die Hunderttausende, die in Aehnerreihen, von den Ordnertruppen geleitet, singend heranmarschiert waren. Dann sprachen die Redner, worauf Chöre von Joses Scheu und dieSchöne blaue Donau" mit Orchesterbegleitung und Bläfermustk die Demonstration beendetem Die Sammelplätze waren bis zum Eintreffen der BezWszüge von Ordnerkompagnien abgesperrt. Einzelteilnehmer wurden nicht zuge- lassen, so daß nur organisierte Genossinnen und Genossen die Demon. stranten stellen: sie trugen die Erkennungsschleif«, die das früher übliche metallen« Maifeftzeichen erfetzt hat. Der Rückmarsch erfolgt« wieder geschlossen. Am Nachmittag fuhren tausende Arbeiterradfahrer mit geschmück 'en Rädern über den Ring zum Freiheitsplatz vor dem Rothau», wo die Arbeiterturner sin großes Schauturnen veranstalteten und ihr« Fahnen enthüllten. Schon am Mittwochabend, besonder» aber am Nachmittag und Abend des Staatsfeiertages gab es zahlreiche künstlerische Veranst.il- tungen der Organisationen in fast allen Theatern, im neuen Saal der H»st>urg und in vielen der schönsten Festlokale Wien ». Zum erstenmal waren zu Ehren der Maifeier sowohl die Häuser in den Arbeitcrbezirken wie die städtischen Amtsgebäude mit Fahnen geschmückt. Starke öeteiligung in Lrankreich. Paris , 1. Mai.(Eigener Drahtbericht.) Die Frier de» 1. Mai ist in Paris ruhig und ohne Zwischenfall verlaufen. Die Beteiligung an der von den Gewerkschaften organisierten Manifestation im Tro- cadero war ungewöhnlich stark. Auch die 16 von den Rom » niunisten einberufenen Versammlungen waren gut besucht. Di« Durchführung der Arbeitsruhe war, wie vorauszusehen, nicht vollständig. Trotzdem war die Zahl der Feiernden größer. als in den Gewerkschastskreifen noch am Mittwoch angenommen worden war und als im vergangenen Jahr. Mit einer für fran« zösrsche Verhältnisse staunenswerten Disziplin waren die etwa 12 000 Chauffeure der Poriser Droschken der von ihren Gewerkschasten ausgegebenen Parole zur E I n st e l l u n g der Arbeit gefolgt. Man sah den ganzen Tag nicht eine Droschke auf der Straße. Auch da» Fahrpersonal der S t r a ß en b a h n und der Autobusse hat zum größten Teil gefeiert. In einzelnen Depots betrug die Zahl der Feiernden bis zu 70 Proz. und die Gesellschaft mußte, um den Der- kehr auf ein Drittel des gewöhnlichen Umfange» aufrechterhalten zu können, auf die Dienste der freiwilligen Technischen Nothllfe zurückgreifen. Auch in den Kommunalbetrleben wie» da» Personal am Donnerstag starke Lücken auf. Besonders stark war die Be> tciligung an der Arbeitsruhe in der Holz-, Möbel-, Glas», Leder». Metall- und Bauindustrie. In Le Havre betrug die Zahl der Feiernden mehr als SO Proz. der gesamten Arbeiterschaft: die Straßenbahn tonnte noch nicht 20 Proz. ihrer Wagen In den Verkehr bringen. In Lorient beteiligte sich an einem Umzüge durch die Straßen die gesamte Arbeiterschaft de» Marin earsenals und der kommunalen Betrieb«. UnbefrieSigenüer verlauf la Euglauü. London . 1. Mal.(Eigener Drahtbericht.) Di« Maifeier in England war zersplittert. Nur teilweife fanden am Donnerstag Mai- feiern statt. Teilweise haben die Organisationen der Arbeiterpartei für Sonntag Feiern angesetzt.Daily Herald" beklagt di« unge- nügende Organisation und hofft, daß zukünftig der 1. Mai unter der Arbeiterregierung zu einem wahren Feiertag wird.

Mecklenburgs warneaöes Se,'spiel -lurrf) R-chtssi-g z,,m Narrenhaus.*

Mecklenburg- Schwerin, I. Mai.(TU.) Nach den Mecklenburger Nochrichten" hat die Fraktion der Deutschvölki- scheu Freiheilspartei dem Vorsitzenden der deulschaatio. nalen candlagsfroklion erklärt, daß sie nicht in der Lage fei. gegen den von den Sozialdemokraten und Kommunisten angekündigten Mißtraaensantrag gegen da» Ministerium Vrandeusteiu zu stimmen, wenn nicht vor dem wiederzusammentritt des Landtages der Rücktritt de» Ministerpräsidenten v. Branden- stein erfolgt wäre. Brandensteln fei infolge seiner Stellungnahme zu dem Sachoerständigengulachten für die Freiheitsportei untragbar. Da die Veutschuationale Volkspartei nicht gewilll ist. Brandensteiu zum Rücktritt zu veranlasien. ist der Sturz desMinifleriams unvermeidlich, falls die Freiheilsparlei ans ihrem Standpunkte verharrt.

Di« Ministerknse in Mecklenburg-Schwerin sollte ein Warnungszeichen für die Reichstagswähler am 4. Mai fein. Die Deutschnationalen sind mit dem Schlachtruf: Gegen jede Erfüllungspoliti! Nieder mit dem Vertrag von Versailles " in den Kampf gezogen. Innerlich waren sie von der Verlogenheit dieses Schlagworts von vornherein überzeugt. Aber ihnen kam es lediglich darauf an, die Massen zu verblenden und aus der nationalistischen Der- hetzung der Deutschoölkischen ihren Nutzen zu ziehen. Sie haben ihre Rechnung ohne die Deutschvölkischen ge» macht. Ueberall, wo die Rechtsparteien am Ruder sind wie in Thüringen und Mecklenburg-Schwerin, betrachten sie

sich als die Polizeibüttel der bürgerlichen jede praktisch« Regierungsarbeit lahm.

Parteien. Sie legen Thüringen schwankt

seit dem Antritt der Ordnungsbund-Regierung von Krise zu Krise. Nicht anders ist es in Mecklenburg-Schwerin. Minister. Präsident v. Branden st ein hat wie sämtliche Minister- Präsidenten des Reiches dafür gestimmt, das Sachoerständi- gcngutachten anzunehmen folglich muß er gehen. So wollen es die Deutschvöltischen, und sie sind in dieser Forderung kon» seqüenter als die Deutschnationalen, die sich öffentlich in schärffter Form gegen das Gutachten aussprechen, hinter geschlossenen Türen aber für seine Annabme stimmen. Die Folge ist ein heilloses Durcheinander in Mecklenburg- Schwerin. Die deutschnationale Rechtsregierung kann ohne deutschvölkische Hilfe nicht regieren, eine Regierung der großen Koalition ist nur mit Unterstützung der Deutschnationalen denkbar. Was wird die Folge fein? Die Mecklenburger Deutschnasionalcn haben es weit gebracht. Nach zwei Monaten bereits haben sie abgewirtschaftet und hinterlassen ein C h a o s. das nur zu sehr an das Chaos erinnert, das die reaktionäre Regierung in Bayern verursacht hat. Soll sich das Mecklenburger Trauerspiel im Reich wiederholen? Auch hier wäre eine deutschnationale Rechts- regierung von der Gnade der Deutschoölkischen abhängig. Auch hier wären die Deutschnationalen gezwungen, Erfüllungs- Politik zu treiben. Auch hier würden sie wie in Mecklenburg- Schwerin von den Deutschvölkischen schachmatt gesetzt werden, und das Chaos würde hier zur K a t a st r o p h e. Das zu oerhindern gibt es nur einen Ausweg: den deutsch - nationalen Lügenbolden, die sich wieder einmal in«ine Kata- strophenpolitik hineinmanövriert haben, das Handwerk zu legen, ehe sie Unhell angerichtet haben. Dafür zu sorgen ist die Pflicht jedes einzelnen am 4. Mai.

Imposante Zeier in hollanü. Amsterdam , 1. Mai.(WTB.) Der 1. Mai wurde von den So- zialdemokraten in beinahe allen Städten Hollands durch Kund- gedungen und Umzüge mit Musik gefeiert. In Amsterdam hatten die städtischen Behörden einen öffentlichen Park zur Abhaltung einer Massenversammlung freigegeben. Auf mehreren Plätzen Amster- dams wurden Konzerte gegeben und Kinderspiele veranstaltet. Am Vormittag bewegten sich zahlreiche Züge von Arbeiterorganisationen mit Mustt und unter Borantragung von Fahnen nach dem erwähn- ten Park. Am Abend werden mehrere Bersammlungen in ver» schiedenen Lokalen abgehalten werden. Bisher ist weder au» Amster- dam noch aus den übrigen Teilen des Landes eln Zwischenfall ge- meldet worden. Ver?. Mai in polen . Warschau , 1. Mai.(Eigener Drahtbericht.) In Polen haben heute di« Industriearbeiter gefeiert, mit Ausnahme von Eisenbahn und Elektrizität. In Warschau kam es zwischen Sozialisten und Kom- munisten zu Schlägereien, so daß die Polizei einschritt. Die Straße mit dem Gelände der Sowjetgesandtschaft, die ein« große rot« Fahne gehißt hatte, war gesperrt. Rote Zahne in Rom . Rom , 1. Mai.(Eigener Drahtbericht.) Di« Gesandtschaft der russischen Sowjetunion hat am 1. Mai rot geflaggt. Gegen faschistische Angriffe oder Demonstrationen hatten die Kommunisten rings um die Gesandtschaft«inen Sicherungsdienst gestellt. Die Carabineri« der Regierung sorgte dafür, daß dieser Sicherheitsdienst nicht ange- griffen wurde. Polizeiattacke in Mhen. Athen , 1. Mol.(Eigener Drahtbericht.) Die Masse! er demon- stration der Arbeiter ist von der Polizei mit der Masse gesprengt worden. Dabei wurden mehrere Manifestanten erheblich verletzt. Ver Weltfeiertag öer Zukunft. Eine Anregung Macdonalds. London . 1. Mai.(Eca.) Znm 1. Mai hat Ramsay Mae- d o n a l d folgende votschasl an dl«Vereinigung zugunsten der Arbeiter, und politischen Bewegung" gerichtet: Es ist mein glühend- stet Wunsch, daß an einem späteren 1. Mai der Völkerbund das varlament aller Völker geworden fein möge. Ich erlaube mir die Anregung, daß dieses große Ereigni» am besten dadurch gefeiert werde, daß das erste Gesetz, da» der Völkerbund annimmt, den 1. Mai in Uebereiostimmung mit alle« Ländern zum Fest der weltverbrüderuug erklärt. Dieser Tag wird ein Fest zur EInnerung an frühere widrige Slreitigkeiten und«in Tag der Hoff­nung auf die endliche SolidarilSt der Menschheit sein. Eine Verordnung de» Reichsxrästdenkeu zur Ergänzung der Per- ordnung vom 28. Februar d. I. setzt für Teilnahme an nicht zu- gelassenen Veranstaltungen im Freien Hast»der Geldstrafe vis ISO M., für die Veranstalter oder Redner Gefängnis oder Geld« straf« fest.

Sozialüemokratische Runüfunkreöe. Genosse Breitscheid spricht drahtlos am Abend des l.Mai. In der Reihe von Wahlreden, die der Berliner Unterhaltungs- rundfunk feinen Hörern bietet, kam gestern abend unser Genosse Dr. Rudolf Breltscheid zu Wort. Er führte aus: Da» Glück des Loses hat es gefügt, daß ich als Vertreter der Sozialdemokratie am 1. Mai zu Ihnen sprechen darf. Auf einem internationalen Kongreß, der vor 3S Iahren stattfand, wurde der 1. Mai zum Festtag der Arbeiter der Welt bestimmt, an dem sie für den Weltfrieden und die achtstündige Arbeitszeit als das Symbol des sozialen Fortschritts demonstrieren sollen. Mancherlei Schicksale hat da« Proletariat seitdem durchlebt, und manchen ersten Mai, an dem bald die eine, bald die andere der Maiforderungen im Bordergrund« stand. Aber kaum jemals zuvor sind beide zugleich so akut und so dringend gewesen wie heute, und dazu kommt, daß wir diesmal nicht nur«in platonisches Bekenntnis zu unserem Programm ablegen, son- dern daß wir in wenigen Tagen Gelegenheit haben, uns mit dem Stimmzettel in der Hand für unsere Forderungen einzusetzen. Am 4. Mai soll darüber entschieden werden, ob das deutsche Volk alles tun wird, was in seinem Bermögen liegt, um die Grundlage für Frieden und Berftändigung zu schaffen. Noch im sechsten Jahr nach Beendigung des Krieges leben wir noch nicht in einem Zustand, der als wirklicher Friede angesprochen werden kann. Fremd« Truppen stehen innerhalb unserer Grenzen und fremd« Regierungen üben nicht nur«inen militärischen, sondem auch den stärksten wirtschaftlichen Druck auf Deutschland aus. Die ökonomssche Einheit unseres Landes

ist zerstört, und die Wirkungen dieser aus dem sogenannten Frieden» vertrag und den zahlreichen Sanktionen folgenden Maßregeln machen sich nicht nur in den besetzten, sondern auch in den unbesetzten Gebieten tausendfältig fühlbar. Aber wenn auch im geringeren Grad« sehen wir ähnliche Erscheinungen auch in den Sieger st a a t e n. Di« Weltwirtschaft ist aus dem Gefüge, Unruhe und Un sicherheit sind das Kennzeichen der Situation in den meisten Ländern, und die, die aus dem Krieg« zurückgekommen sind, haben nirgendwo verwirklicht gefunden, was Lloyd George den englischen Soldaten während de» Kriege» versprach, die Heimat nämlich, in d«r e» eln Glück ist für Heloen zu wohnen. Für uns ergibt sich daraus in erster Linie, daß'<'! der Kapitalismus nicht imstande gewesen ist, dl« Wunden zu heilen, die er geschlagen hat, er konnte einen Well krieg entfesseln, aber er konnte di« zerstörte Welt nicht wieder aufbauen. Der Kampf wider das kapitalistische Wirtschaftssystem ist daher unsere erste und wichtigste Parole, auch in diesem Wahlkampf. Aber diese allgemein« Formulierung des sozialistischen Endziels genügt nicht. Wir haben uns an die wichtigsten Problem« des Tages ?u halten, und da müssen wir uns zunächst bemühen, auch unter der apitalistischen Ordnung«inen Weg zu finden, aus dem wir wenig- sten» zu einer Erleichterung des unmittelbaren Drucks und zu einer Beseitigung der unmittelbar drohenden Gefahren gelangen können. Das Gutachten der internationalen Sachverständigen über die deutsche Leistungsfähigkeit hat die gegenwärtige Regierung als Basis für weitere Diskussionen anerkannt, und die Frage ist nun die, ob der Reichstag in seiner neuen Zusammensetzung diesem Beschluß bei- treten und aus ihm die notwendigen gesetzgeberischen Konsequenzen ziehen wird. Die Sozialdemokratie ihrerseits ist dazu bereit. Sie weih zwar, daß das, was die Sachverständigen vorschlagen, eine Lösung in kapitalistischem Sinne ist, aber solange die Arbeiter- s ch a f t der Welt nicht stark und einig genug ist, um andere Methoden vorschlagen zu können, sind wir genau so gut wie S o w j e t r u ß» l a n d genötigt, auch kapitalistischen Lösungsversuchen zuzustimmen, wenn fle uns einen Fortschritt versprechen. Die Sozialdemokratie verheimlicht weder sich noch anderen, daß die Belastung, die da» Gutachten vorsteht, gewaltig ist. Eine Jahresleistung von 2500 Mil­lionen Goldmark vom fünften Jahre ab gerechnet, ist sicherlich kein Betrag, der leichten Herzens von Deutschland übernommen werden könnte. Dazu di« Entnahme der Eisenbahnen aus dem Reichsbesitz, die Belastung der Industrie und Landwirtschaft und die Ankündi- gung neuer Verbrauchsabgaben. Und auch damit muß gerechnet wer- den, daß der Versuch gemacht wird, alle diese Lasten in der Haupt- 'ache der arbeitenoen Bevölkerung aufzubürden. Und daß es der größten Sraftanstrengnng von unserer Seile bedarf, um eine gerechlere Verteilung der Soften durchzusehen. Und dennoch haben wir uns damit einverstanden erklärt, daß das Sachverständigengutachten zur Grundlage der Diskussion gemacht werde. Die Parteien der Rechten erinnern wir daran, daß das Wesentlichste von dem, was das Gutachten fordert, bereits im Memorandum der Cuno-Regierung vom 7. Juni 1023 der Entente angeboten worden ist: in dieser Regierung saßen keine Sozialdemokraten, und gegen diesen Schritt haben die Deuischnatio- nalen Protest nicht erhoben. Der bekannte englische Rationalötonom Keynes, den oft genug deutschnationale Redner im Reichstag als Kronzeugen gegen den Dersailler Vertrag zitiert haben, schreibt jetzt: Deutschland kann bessere Bedingungen als diese kaum erwarten. Der Bericht atmet eine neue Gesinnung und ist in einem neuen Geiste versaßt, er schafft eine Atmosphäre der Unparteilichkeit und eröffnet ein neues Kapitel." Zu diesen, günstigen Urteil aber hm Keynes vor allen Dingen deshalb ein Recht, weil die Sachverständigen an die Spitze ihres Gutachtens den Satz stellen, daß Deutschland nur leisten kann, wenn sein« wirtschaftliche Einheit wiederhergestellt wird. Da» Gutachten grundsätzlich ablehnen, bedeutet die Verlängerung und Verewigung de» ans an, lassenden Druck»

oder treibt uns über kurz oder lang w einen neuen bewaffneten Kon- fllkt hinein, der für Deutschland vollkommen aussichtslos wäre. Der neu« Reichstag dar? also kein« Mehrheit haben, die die Dinge treiben oder es gar auf einen neuen bewaffneten Konflikt an- kommen läßt. Es muß Erfüllungspolitik gemacht werden in dem Sinne der von uns unterstützten Ersüllungspolitik Wirths und Rathenaus, die nichts anderes zum Zweck hatte, als die Befreiung Deutschlands mit wirtschaftlichen Opfern zu erkaufen. Wenn trotz dieser klaren Tatsachen heute leider so viel« denen folgen, di« nationalistische Reden im Munde führen und eine aktive ouswärtig« Politik empfehlen, für die die Voraussetzungen nicht ge- geben sind, so rührt das in erster Linie ans der entsetzlichen wirt- schaftlichen Not der letzten Jahre, die den Boden für die Aufnahme- der radikalen Parolen bereitet hat, wenn sie nur ein« schnelle Hei- lung tn Aussicht stellten. Auf diesem Boden konnte die Saat der Kommmristen sowohl wie der Deusschvölkischen aufgehen. Auch die Kommunisten, die das Sozial« in den Vordergrund stellen, bekämpfen außenpolitisch di« Erfüllungspolitik, und die Deutschoölkischen, die in erster Linie das sogenannte Nationale betonen, hoben sich mit einem sozialen Programm versehen. Einem sozialen Programm freilich. an dessen Ernst kein Dernllnstiger glauben kann, und das in einem blöden Antisemitismus gipfelt. Di« Kunst all dieser Aerzte wird versagen. Boraussetzun«, der Gesundung ist die außenpolitische Verständigung und Ueberwindung des Ratio na- Ii sm us und gleichzeitig der entschlossen« Bruch mit einer Wirt- fchaftspolitik, die neben der Rücksichtslosigkeit Frankreichs für die Not des deutschen Volke» verantwortlich gemocht werden muß. Die Inflation hat die Sozialdemokrat!« mit allen Kräften zu be­kämpfen gesuchr. Sie stellte Anträge über Anträge, um durch die sogenannt« Erfassung der Sachwerte, durch wertbeständige Steuern usw. das Gleictytewicht des Haushalts herzustellen und damit die wesentlichst« Borbedingung für eine feste Währung zu schaffen. All ihre Bemühungen scheiterten an dem Widerstand der b ü r g« r» lichen Parteien, an dem Egoismus der Großmdustri« und der großen Landwirtschaft und an der wahnwitzigen KreditpolUik der Reichsbank. Den Vorteil hatten d!« Sachwertbesttzer in Industrie und Landwirtschaft, und erst in dem Augenblick, als Ende 1923 die Gold- rechnuna Platz zu greifen begann und die Inflationsoewiimler ihren Vorteil schwinden sahen, entschlossen st« sich zu einer Tat. zu der die Sozialdemokratie sie Jahr« lang vergebens mitzureißen oersucht Hatte. Di« Rentenmark wurde geschaffen und ernsthafte Anstrengungen wurden gemacht, den Staatsbanshalt ins Gleichgewicht zu bringen. Aber leider mußten jetzt die Kosten in allererster Linie die a r b« i- ten den Schichten der Bevölkerung tragen, weil die Nutznießer der llaflafioa auch das erreicht hatten, daß in der Zeit der Papiergeldwirtschaft die Arbeiter so verarmt waren, daß sich ihre politischen und gewerkschaft- lichen Organisationen schwächten und ihr« Presse fast vor dem Unter- gang stand. Unter dem Schutz des Ermächtigungsgesetzes, dem die Sozialdemokratie zugestimmt hatte, um sich nicht den Vor- wurf zuzuziehen, als habe sie irgend etwas versäumt, was die Sicher- stellung der Rentenmark gewährleisten könne, setzte der große Abbau ein, auch der Abbau der sozialen Reformen. Wir versuchten nach dem Wiederzusammentritt des Reichstages in unseren Anträgen diesen oerfehlten Methoden zu begegnen. Da wurde das Parlament auf- gelöst, und der Kamps wird jetzt nach den Neuwahlen auszuscchten sein. Wir wollen die Festigkeit der Währung erhalten sehen. Aber wir wollen nicht, daß die Arbeitenden, hie während der Inflation ge- nügend gelitten haben, nun auch die Lasten des Wiederaufbaues tragen. Wir wissen, daß die Mark nur provisorisch stabilisiert ist. Eine Gefahr droht ihr nicht zuletzt von dem großen Defizit in unserem Außenhandel. Diese» Defizit wird nicht ausgeglichen, indem man auf die Löhne und die Lebenshaltung der Arbeiter drückt, denn unser Export hat zur Voraussetzung einen geistig und körperlich gesunden Arbeiterstand. Die hohen Preise unserer Industrie rühren nicht her von zu hohen Arbeitslöhnen, sondern fle sind viel- mehr diktiert durch falsche Kalkulationen bei der Produk» tion, durch die Preisbildung der Syndikate und Trusts und durch di« Uebersetzung des Zwischenhandels. H i« r hat der Kampf«inzusetzen. Für die Mederherstellung einer großzügigen Sozialpolitik, für die Wiederherstellung vor allem des Achlslundenlags, über den wir nach den Wahlen den Volksentscheid«mrusen wollen, für die Befreiung der Arbeiterklasse, die mit der Befreiung vom aus­ländischen Druck Hand in gand gehen muß. Diesen Kampf wollen wir nicht führen nach den kommunistischen Rezepten mit dem bewaffneten Ausstand, sondern mit den Mitteln der Demokratie auf dem Boden der Republik , die uns, wie sie sich heute darstellt, sicher nicht als ein Ideal erscheint, die uns aber eine Form ist, die wir nicht zerbrechen lassen, und der wir einen sozialistischen Inhalt geben wollen, lim diese Ziele zu erreichen. gehen wir in den Reichstag , von dem wir wissen, daß er nicht die einzig« Waffe der Arbeiterschaft ist, aber doch eine Waffe, die nicht zerstört werden darf. Di« letzten Entscheidungen werden in den Auseinandersetzungen zwischen den wirtschaftlichen Kräften der Arbeit und de» Kapitals fallen, aber auch Im Parlament sollen und wollen wir wirken, daß sich unsere Maiforderungen verwirk- lichen und daß einmal die Zeit kommt, von der Richard Dehmcl träumt: Doch kommt einmal«in erster Mai, Da stehr das Volk in einer Reih'. Mit einem Schlage hat's all« Tag« Ein paar Stunden zur Freude frei.