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1907
Nr. 116.
Erscheint täglich außer Montags. Abonnements Preis für Berlin : Bierteljährlich 3,30 Mart, monat lich 1,10 Mart, wöchentlich 28 Pfg. frei in's Haus. Einzelne Nummer 6 Pfg. Sonntags- Nummer mit bem ,, Sonntags: Blatt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 8,30 Mart pro Quartal. Unter Kreuzband ; Für Deutschland u.Defterreich- Ungarn 2 Mart, für das übrige Ausland 3 Mart pro Monat. Eingetragen
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für 1891 unter Nr. 6469.
Vorwärts
8. Jahrg.
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Redaktion: Benth- Straße 2.
Kirche
und Wissenschaft.
Freitag, den 22. Mai 1891.
Expedition: Beuth- Straße 3.
Also: Sint ut sunt, aut non sint*)! so heißt es bei herrscht. Diejenige Wissenschaft jedoch, welche die menschdiesen Leuten in der Theorie, und in der letzten Instanz liche Vernunft dem Glauben nicht unterordnet, der Praxis desgleichen. ist vom Teufel und macht, ob sie auch Sehen wir zu, wie sich die Vertreter der katholischen genügend Bescheid, um sich durch solche Erklärungen, sie fchen zum Thier. Aber die National- Zeitung" weiß in der Geschichte Himmel und Erde durchforsche, die Men= Kirche gegenüber dem Aufruf zum Bündniß mit der Darum ist es ein Segen für die Menschheit, daß er Bourgeoisie und zu gemeinsamer Arbeit an der Lösung der mögen auch noch so energisch klingen und noch so ihr den unfehlbaren Papst gegeben hat, der ihr sichere Ausfozialen Frage stellen, und was von ihnen zu erwarten energisch gemeint sein, nicht irre machen zu lassen. ift! Betrachten wir zunächst einmal die Germania", Die Vertreter der Kirche haben ihre Lehren starr funft darüber geben kann, was wahre Wissenschaft ist und welche in ihrem Pfingstleitartikel zur Genüge ihren Stand- und unverbrüchlich festgehalten, aber sie haben dennoch, was falsche. Er allein kann sie vor Verderben und Verpunkt kennzeichnet. wenn es ihnen an der Zeit schien, wenn die Umstände es dammniß retten und ihn nur soll sie preisen. erheischten und die Kirche dabei Vortheil hatte, sich äußer- Das ist die Ueberzeugung, die wissenschaftlich menschSie weist klar und entschieden den Verdacht ab, daß lich anderen Anschauungen gefügt, als Maske die herrliche sowohl, als die kirchlich göttliche Ueberzeugung, zu sie sich dem in neuester Zeit mit Vorliebe gepflegten Ge- fchende Meinung angenommen und ruhig abgewartet, bis der der Papst Leo XIII . und mit ihm die vielen Tausende danken an die natürliche, rein menschliche Bedeutung die Stunde der Demaskirung schlug. von Dienern der katholischen Kirche die Menschheit erunserer hohen Feste irgendwie genähert habe. Pius IX. war Ende der vierziger Jahre so liberal, ziehen wollen.
Ihr ist das Pfingstfest auch heute noch das Ge- daß sich das junge Italien begeistert unter seine Fahnen Die National- Zeitung" und die gesammte nationalburts- und Stiftungsfest des Christenthums und nichts stellen wollte. Anderthalb Jahrzehnte darauf aber schleu- liberale Bourgeoisie wird sich zu dieser Anschauung beweiter. derte er der modernen Wissenschaft den Syllabus ins An- tehren müssen, dann wird die Kirche sehen, wie sie mit Sie schreibt: geficht, verfluchte sie in Grund und Boden und hob feier- der fromm gewordenen Bourgeoisie die Kastanien theilt, Vom heiligen Geiste erfüllt gingen die Apostel vom lich die in jeder Beziehung ad absurdum geführte, seit die sie aus dem Feuer der sozialen Frage herausholt. Glauben begeistert hinaus in alle Welt, um das Evangelium Jahrhunderten völlig überwundene Scholastik wieder auf Abhandeln aber von diesem Glaubensbekenntniß läßt des Heils allen Menschen zu verkünden. Der heilige Geiſt iſt den Thron der unfehlbaren Wissenschaft. sich die Kirche nicht ein Jota, mag der unfehlbare Papst es, der die Völfer aller Zungen in der Einheit des Glaubens und zur Einheit der Kirche versammelt hat. Das ist der wahre Leo XIII . steht auf demselben Standpunkt wie dieser Leo XIII . heißen oder anders. Sinn, die großartige Bedeutung des Pfingstfestes." sein Vorgänger und wie alle Päpste vor ihnen. Er ist Das leitende Blatt der katholischen Partei denkt nicht ein sehr kluger Mann. Im Jahre 1878, als er noch der
daran, modernen Anschauungen gegenüber irgend welche in den Kreiſen der Kirche und ihrer Gläubigen berühmte Politische Itebersicht.
nicht
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Als wenn es in den letzten zwei Jahrtausenden gar teine Kulturentwickelung gegeben hätte, schreibt sie mit dreister Stirn darauf los:
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Ronzessionen zu machen. Die katholische Kirche fügt sich Kardinal Pecci war, gab er eine Schrift heraus unter ihr muß man sich fügen, wenn man sich mit dem Titel: Die Kirche und die Zivilisation."**) ihr vereinigen will. Darin versuchte er zu beweisen, daß die Kirche nicht Ueber den Stand der Saaten laufen von allen Nicht der Geist der neuen Zeit ist es, dem sie ent- die Feindin der Zivilisation sei, sondern daß im Gegen- Seiten und aus allen europäischen Ländern ungünstige Begegen kommt, hinweg, ruft sie, hinweg mit der Ver- theil alle Zivilisation von der Kirche ausgegangen ist. Die richte ein. Der außergewöhnlich kalte Winter, während nunft, zurück, herrscht sie die Wissenschaft an, zweitausend Kirche, so führt er mit großem jesuitischen Scharfsinn, der dessen obendrein in einem großen Theile Europas bie Jahre zurück, nicht mehr und nicht weniger. Kulturgeschichte zum Troße aus, habe die Arbeit geheiligt, Schneebedeckung fehlte, hat die Wintersaaten schwer gedie Sklaverei aufgehoben und die christliche Barmherzigkeit schädigt, so daß weite Flächen Landes umgepflügt werden erfüllt, die Aufgabe die Herzen der Menschen einander mußten. Aller Voraussicht nach werden wir also nicht blos näher zu bringen und die Armen zu versöhnen. eine verspätete sondern auch eine spärliche Ernte bekommen. Die christliche Liebe ist ihm die festeste Grundlage genau doppelt so hoch als vor einem Jahr Und die Theuerungspreise, welche jetzt schon herrschen Nur der Geist, der vor zweitausend Jahren in Gestalt aller sozialen Verhältnisse, und die Kirche sei immer nur- lassen eine ungersnoth befürchten, wenn die, feuriger Zungen auf die Apostel herniederstieg und auch heute bestrebt auf dieser Grundlage ihr Gebäude des sozialen ohnehin schlimmen natürlichen Wirkungen des Mißwachses noch in der Kirche schafft, vermag versöhnend und heilend zu wirken, die unselige Kluft zu überbrücken, welche sich aufgethan Lebens aufzuführen. Christus ist ihm das höchste Ideal durch die Kornzölle noch künstlich gesteigert werden. Die hat zwischen den verschiedenen Gesellschaftsklassen. Was iminer wahrer Tugend und die einzige Quelle höchster sittlicher Kornzölle müssen fallen; und unmöglich kann das deutsche auch Staatsweisheit an Gesetzen und Heilmitteln erfinden mag Veredlung, und weil die Kirche nie geduldet habe, daß Volk bis zum nächsten Winter warten, bis zu welcher Zeit als soziale Reform, wird Stückwerk bleiben, wenn nicht gleich dieses höchste Tugendideal in den Staub gezogen werde, der Reichstag fich vertagt hat. Hier gilt es rasches Handeln, zeitig die Herzen der Menschen der Geist befeelt, der am Pfingstfest sichtbar waltet. Mag zynische Frivolität über die ist sie die alleinige Beschützerin der Zivilisation. Die und eine baldige Einberufung des Reichs= Ammenmärchen des Christenthums spotten, mag in Ueberein wahre Wissenschaft aber ist die, welche beweist, daß tags erweist sich als dringende Nothwendigkeit.- stimmung mit ihr wissenschaftlicher Stolz es für unfaßlich zwischen Glauben und Vernunft die schönste Harmonie halten, daß ein vernünftiger Mensch behaupten kann, die Bestimmung der Menschen sei, sich für den Himmel vorzubereiten es bleibt doch wahr, Ruhe, Glück und wahre Zufriedenheit vermag nur die beseeligende Gewißheit des Glaubens zu bringen."
Feuilleton.
Nachdruck verboten.]
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Die Falkner von St. Vigil. Roman aus der Zeit der bayerischen Herrschaft in Tirol von Robert Sa, weichel.
In der letzten Sigung des Bundesraths wurde die Novelle zur Gewerbeordnung, das sogenannte Arbeiter*) Sie feien, wie sie sind, oder sie mögen nicht sein. schutzgesetz, in der vom Reichstage beschlossenen Form an **) L'église et la civilisation, par le Cardinal Pecci, genommen. Die Veröffentlichung desselben im„ Reichsaujourd'hui Sa Sainteté le Pape Leo XIII. anzeiger" dürfte in den nächsten Tagen erfolgen. Die deutsche
sie
Ihre Augen flammten in die feinigen.
" Ja, wer das Glück beim Schopf zu packen kriegt, der soll's festhalten," versetzte er." Zum Teixl, es hätte vorhin nicht viel gefehlt, und ich" hätte Dich bei Deinen Böpfen gepackt."
Willst Du mir karessiren?" fragte sie mit einem Freilich, wenn's nicht ein Zufall zerschlägt," lachte er. Lachen, welches deutlich genug verrieth, daß sie die Schmeichelei Sie schreckte leicht zusammen; dann aber lachte auch freute. Sie trat ein wenig von ihm weg und begann, den und rief: Kopf neigend, die Flechten wieder aufzustecken. Ambros " Darum soll Einer nicht fragen, was nachher kommt, schaute ihr still zu und ihre, von den kurzen, mit Zwirnspißen wenn er das Glück in der Hand hält." besetzten Hemdärmeln unbedeckten Unterarme dünkten ihm wunderbar weiß und rund. Auch Afra schwieg unterdessen; ihre schwarzen Augen ruhten auf Ambros und um ihre Sie bückte sich, klopfte Lupattino auf den Kopf und vollen Lippen spielte ein leises Lächeln. Sie konnte sich hieß ihn Raum geben, damit der Gast in das Haus treten unmöglich darüber täuschen, daß er sie mit Wohlgefallen Bin ich das Glück?" lachte sie und wurde bis über fönnte, worauf sie selbst Ambros voran in die Stube betrachtete und ein süßes Erschrecken tam über sie. Das die Augen roth. ging. Ihr Spiel mit dem Hunde mußte wohl sehr Schwarz ihrer Augen vertiefte sich. lehhaft gewesen sein, denn ihre Flechten, die sie tief im Als sie ihr Haar wieder befestigt hatte, neckte sie Am" Ja, ich weiß nicht," entgegnete er etwas verNacken zusammengelegt trug, hatten sich von den Nadeln bros, daß er inzwischen so andächtig dagesessen hätte wie legen. Aber ich hab's abgemalt gesehen, als ein schönes befreit und hingen bis über die Hüften herunter. Sie schien in der Kirche. Sie wollte wissen, woran er gedacht hätte? Weibsbild, das auf einer Kugel steht. Warum solltest Du es nicht zu wissen und Ambros kamen die dicken, ins Bläu- Aber sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern fuhr fort es nicht sein?"
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Liche schimmernden Zöpfe wie zwei lebendige Schlangen vor. zu scherzen und zu plaudern und bald waren Beide mitten Aber ich steh' auf einem Mühlrad," lachte sie noch
Wie sie so über die Wölbung des Rückens glitten, schien in den Erinnerungen an den Fastnachtstanz.
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sich Asra's schlanke, doch volle Gestalt höher zu heben und Ach, das war schön", seufzte sie, lehnte sich, die elastischer zu werden. Ambros fühlte ein Verlangen, nach weißen Arme unter dem Busen verschränkend, auf ihren den üppigen Flechten zu greifen. Stuhl zurück und schaute ihn aus halbgeschlossenen Augen träumerisch an.
Mein Mann wird wohl gleich kommen," sagte Afra in der Stube. Siz doch nieder."
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Plöglich lachte sie hell auf. Sie erinnerte sich, wie „ D, ich habe mit dem Müller just nichts zu reden", er- einer Dirne der Schuh vom Fuß geflogen, als ihr Tänzer widerte er." Ich war hier in der Nähe; da bin ich auf sie in die Luft geschwungen hatte und der Schuh war wie einen Augenblick vorgesprochen." eine Bombe zwischen die älteren Männer in der Ecke geSie setzte sich ihm gegenüber und als sie sich zurück- fallen und hatte dem Oberförster, der eben trinken wollte, lehnte, fühlte sie den Druck der heruntergefallenen Flechten. das Glas zerschlagen. Sie erzählte Ambros, der es nicht Mit einem verlegenen„ Ach!" griff sie nach ihnen und warf gesehen hatte, davon, und Beide lachten ausgelassen. sie, aufstehend, über die Brust.
Was Du für prächtige Zöpfe hast!" rief Ambros be
wundernd.
" Ja, Glück und Glas, wie leicht bricht das!" rief sie darauf.„ Aber was thut's? Es muß Einer uur gut in Acht nehmen; dann hält es schon vor. Meinst Du nicht?"
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stärker. „ Um so besser," rief er. Die Kugel rollt fort und das Mühlrad dreht sich immer auf derselben Stelle. Da weiß Einer doch, wo er das Glück zu finden hat"
wo
Sie schlug die Augen nieder und ablenkend sagte sie: " Der Eine sucht's hier, der Andere dort. Weißt Du, Dein Freund, der Jerg, es sucht?"
Ambros zuckte mit den Schultern. Was kümmerte
es
ihn?
Auf dem Klosterhof," sagte Afra.
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" Jetzt laß mich aus," rief er ungläubig. Du haft davon schon in Tamers gered't; aber es ist kein Verstand nicht darin."
Weißt Du's besser?" fragte fie. Damals hab' ich blos einen Verdacht gehabt; jetzt ist's aber gewiß. Denn or