Einzelbild herunterladen
 
  

Abendausgabe

Nr. 22741. Jahrgang Ausgabe B Nr. 115

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife sind in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: Sm. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-295 Tel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlin

1305 6m

Vorwärts

Berliner Dolksblatt

5 Goldpfennig

50 Milliarden

Donnerstag

15. Mai 1924

Berlag und Anzeigenabteilung

Geschäftszeit 9-5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 2506-2507

Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Die Regierungsfrage in Frankreich .

Léon Blum gegen Koalition.

Aus den Aeußerungen der Pariser Blätter gewinnt man noch kein flares Bild über den Charakter der neuen fran­ösischen Regierung. Die Parteien der Linken sind zwar darin einig, daß der Kurs Poincarés durch einen deutlich ausgepräge ten Linksturs abgelöst werde, aber wie weit dieser Kurs gehen mird, hängt davon ab, welche der linksstehenden Barteien den ausschlaggebenden Einfluß in der Regierung haben wird. Alle künftigen Regierungskombinationen drehen sich haupt­fächlich um die Frage, ob Briand oder Herriot Chef der Regierung werden wird. Daneben steht die Frage im Vorder­grunde, welche Haltung die sozialistische Partei in der Frage der Regierungsbildung einnehmen wird. Bisher war der Standpunkt der Partei, entsprechend dem Beschluß des Amsterdamer Sozialistentongresses von 1904 der, daß die Bartei sich nur unter ganz besonderen Umständen an einer bürgerlichen Koalitionsregierung beteiligen könne. Dieser Standpunkt scheint auch jezt in den maßgebenden Kreisen der Bartei vorzuherrschen. Laut einer Meldung der Expreß- Ror­respondenz vertritt Genosse Léon Blum in der heutigen Nummer des Populaire" folgenden Standpunkt:

1. Hinsichtlich der Mitarbeit der Sozialisten in einem Rabinett feien besondere Umstände, wie sie in der Amsterdamer Resolution vorgesehen sind, nicht eingetreten.

2. Eine direkte Beteiligung der Sozialisten an der Regierung würde sowohl für die Radikalen als auch für die Sozialisten die größten Schwierigkeiten heraufbeschwören.

3. Die sozialistische Partei sei bereit, entsprechend dem Beschluß des letzten Parteitages jede Reform und jede ehrliche Demokratie zu unterstüßen und jeder Regierung, die zu einem solchen Werke bereit sei, ihre Hilfe zu leihen. Diese Stützung könne jedoch sicherlich dauernder und wirksamer von außen erfolgen als von innen.

Neben dieser Auffassung wird von einer anderen Gruppe in der Partei die Auffassung vertreten, daß die Sozialisten sich an dem neuen Kabinett beteiligen müßten. Zur endgültigen Klärung dieser Frage wird zum 1. Juni nach Paris ein Bar teitag einberufen.

Welche Bedeutung dem Beschluß der Sozialisten in den Kreisen der bürgerlichen Linksparteien beigemessen wird, geht ous folgender Darstellung des linksdemokratischen Deuvre" über den voraussichtlichen Gang der Entwicklung hervor. Da­nach wird Präsident Millerand Herriot die Kabinetts­bildung mit oder ohne Bedingungen übertragen. Im ersten Falle werde Herriot seine Mitwirkung ablehnen, andernfalls aber die Sozialisten um ihre Mitarbeit ersuchen. Sei der sozialistische Parteitag dafür, so täme ein Lintskartell an die Regierung. Sonst werde sich der neue Ministerpräsident an­derswo nach Unterstützung umsehen. Sollte Herriot die Ka­binettsbildung nicht übernehmen, so werde sich Millerand vor­aussichtlich an Briand wenden. Noch energischer wie das Deuvre" tritt der linksradikale Quotidien" für eine Koali tion mit den Sozialisten ein, deren Beteiligung an der Regie­rung er als unentbehrlich" bezeichnet.

"

Die Verhandlungen im Ruhrkampf. Der Ausgang ungewiß.

Die Verhandlungen im Reichsarbeitsministerium find heute fortgesetzt worden. Gegen 2 Uhr trat in den Berhandlungen eine furze Pause ein. Ueber den Gang der Berhandlungen tann bis­her noch nichts mitgeteilt werden. Es ist noch völlig ungewiß, ob auf einen günstigen Ausgang gerechnet werden kann. Es besteht lediglich einige Aussicht, daß die Verhandlungen heute abend zu Ende gehen.

Freibrot für arbeitslose Bergarbeiter. Dortmund , 15. Mai. ( Tul.) In Dortmund wird an nicht ar beitende Bergleute jeden Alters Freibrot auf dem Wohlfahrtsamt

ausgegeben.

Neue Butschgelüfte der Separatisten. Elberfeld , 15. Mai. ( TU.) Aus dem Ruhrgebiet wird berichtet, daß die Separatisten Matthesscher Färbung für die nächsten Tage einen Butsch planen. Sie fagen fich, daß ihre Absichten an. gesichts des Ausfalls der französischen Wahlen ungefäumt in die Tat umgesetzt werden müssen oder überhaupt nie mals ausgeführt werden fönnten. Sie halten den jetzigen Zeitpunkt auch deshalb für günstig, weil sie auf die Unterstützung eines Teils ber ausgesperrten Bergarbeiter hoffen. Wie es heißt, soll der Butsch mit der Besetzung der Zechenanlagen durch die von ihnen aufgestellte republikanische Notwehr beginnen.

Letzte Sihung des Volksgerichts. Die Ministerverhaftung im Bürgerbräu.

Breitscheid über den französischen Wahlerfolg. Paris , 15. Mai. ( WTB.) Der sozialdemokratische Reichstags: abgeordnete Breitscheid , der sich auf der Durchreife in Baris aufhält, erklärte einem Redakteur des Populaire", sicher sei es be­bauerlich, daß das Anwachsen der französischen . Linten mit einer Rechtsorientierung in Deutschland zusammenfalle. Aber alles berechtige zu der Hoffnung, daß der Sieg der fran­ zösischen Linken die Aktionsfähigkeit der deutschen Nationa­listen schwächen werde; denn es sei nicht zu übersehen, daß die letzteren ihren Erfolg zum Teil der Politik des Nationalen Blods verdankten. Selbstverständlich könne sich feine deutsche Regierung einbilden, daß sich die durch den Bericht der Sachverständigen ge­schaffene Lage durch den Sieg der Linksparteien geändert habe. Die deutschen Sozialisten hätten ihren Wahlfeldzug haupt­fächlich unter der Parole Annahme des Sachverständigenberichtes" geführt, und jetzt werde es ihre Hauptaufgabe sein, mit allen Kräften zu verhindern, daß man von dieser Linie abweiche. Auf alle Fälle fei zu erkennen, daß, wenn auch die Situation an sich dieselbe bleibe, die Atmosphäre sich doch geändert habe.

Er sei überzeugt, daß man bei beiderseitigem guten Willen in verhältnismäßig furzer Zeit zu einer befriedigenden endgültigen Lösung der Reparationsfrage und der Frage der Ruhrbefeßung gelangen werde. Die deutschen Sozialdemokraten feien stolz darauf, daß der internationale Sozialismus in größtem Maße dazu beigetragen habe, die Hindernisse zu beseitigen, die sich dem allgemeinen Frieden entgegenstellten.

,, Das Unglück des deutschen Rechtsruckes". Condon, 15. Mai. ( WTB.) Daily Chronicle" schreibt, die französische Regierung, die wahrscheinlich gebildet werden würde, eröffne weit hoffnungsvollere Aussichten. Ihr aufrich tiger Wunsch nach finanziellen Reformen bedeute, daß fie ebenso wie Großbritannien deutsche Reparationen um ihrer selbst willen suchen müsse und nicht als einen Vorwand zu annexionistischen Sicher heiten". Auf diesem Wege sei der Dames Bericht der aner. tannte Wegweiser. Es sei jedoch ein großes, wenn auch leicht erflärliches Unglüd, daß zur felben Zeit, wo Frankreich eine Rammer wählte, die dem Frieden und der Regelung der zu lösenden Probleme günstig gesinnt sei, die Wahlen in Deutschland einen starten ud nach rechts ergeben hätten. Doch mehrten sich die Zeichen, daß die Deutschnationalen nicht das Odium auf sich nehmen würden, die Abstimmung über eine Verfassungsänderung zu be­nugen, um den Dawes- Bericht zum Scheitern zu bringen.

Der diplomatische Berichterstatter des Daily Telegraph " fagt, daß Gerüchten zufolge, die in London aus gutunterrichteter Quelle eingetroffen feien, annähernd% der Anhänger Hergts bereit seien, die Politik des Reichstanzlers Marg und des Außenministers Strese mann anzunehmen. Es sei zu hoffen, daß der Umschwung nach links in Frankreich nicht unter den deutschen Politikern die gefährliche Täuschung beleben werde, daß die neue französische Regierung weniger auf Reparationen und Sicherheit bestehen werde als die corige, wenn sie vielleicht auch bereit sein werde, mit einem Deutsch land, das ehrlich seine Verpflichtungen erfülle, zusammenzuarbeiten.

des Hitler- Unternehmens. Heß wurde wegen Beihilfe zum Hochoer rat zu einer Festungsstrafe von 1 Jahr 6 Monaten und einer Geldstrafe von 30 m. verurteilt. Er hat diese Strafe sofort anzutreten. Für den Strafteil von 1 Jahr 3 Monaten erhielt er Bewährungsfrist bis zum 1. Mai 1928:

Gegen die völkischen Treibereien. Auch der Breslauer Stahlhelm- Rummel verboten. Breslau , 15. Mai. ( TU.) Die Ortsgruppe Breslau des Stahl­helm hatte für den nächsten Sonntag eine große Rundgebung an­gekündigt, zu der auch Meldungen von auswärtigen Verbänden zahl reich eingegangen find. Wie mitgeteilt wird, hat das Preußische Ministerium des Innern die Genehmigung zu der geplanten Kundgebung versagt. Zugelaffen ist allein eine Versammlung im großen Saale des Schießwerder, die vorschriftsmäßig angemeldet worden ist.

Aus der Presse ist zu ersehen, daß verschiedene Organisationen am kommenden Sonntag festliche Veranstaltungen begehen, wobei sie Bersammlungen oder Umzüge unter freiem Himmel ins Auge gefaßt haben. Es wird vom Polizeipräsidium ausdrücklich darauf hingewiesen, daß Beranstaltungen unter freiem Himmel grund fäßlich verboten sind und feineswegs stattfinden dürfen.

Die neuen Reichsfilbermünzen werden von den Bostanstalten auch bei der Begleichung der Einzahlungen auf Zahlfarten und Rentenmartpofianweisungen unbeschränkt angenommen. Für Wertbriefe nach Spanien ist der Meistbetrag der Wert­angabe auf 3000 Goldfrant herabgesetzt worden.

Ansturm von rechts.

Unentschiedenheit der Mitte.

Der heute morgen hier mitgeteilte Beschluß der Deutschen Volkspartei und der neue An sturm der Rechten gegen den Bestand der Regierung Marr kennzeichnen die inner­politische Lage. In der Presse der Mittelparteien wird der Dolksparteiliche Beschluß gar nicht oder recht zurückhaltend kommentiert, man begreift, daß er dort einige Verlegenheiten bereitet hat.

"

Der Berl. Lokalanzeiger", der trog seiner ausgesprochen deutschnationalen Haltung noch mancherlei aus den Be­ratungszimmern der Volkspartei erfährt, bemerkt, zu dem Beschluß:

Wie wir hierzu noch weiter erfahren, glaubt man in volks­parteilichen Kreisen, daß der gegebene Weg zu der Regierungsneue bildung darin zu suchen ist, daß beim Wiederzufammentritt des Reichstages die Deutschnationalen als stärkste Frat. tion mit der Regierungsbildung beauftragt werden. Man nimmt an, daß diese Bartei dann ihr Kabinett auf der Basis des großen Bürgerblods zu bauen versuchen wird. Er wenn dieser Weg sich aus irgendwelchen Gründen als ungangbar enweisen sollte( was jedoch nicht als wahrscheinlich angesehen wird), fönnte die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, daß das jeẞige Kabinett oder eine auf der gleichen, Basis gebildete ähnliche Re­gierung die politischen Geschäfte weiterführt.

Ist diese Erläuterung des volksparteilichen Beschlusses richtig, dann kann der Vorstoß der Rechten gegen den weiteren Bestand des Kabinetts Marr nur als eine Parallelaktion zu ihm aufgefaßt werden. Es ist in politischen Kreisen und wohl auch im Kabinett selbst viel über die Frage gesprochen worden. ob der Wahlausfall den sofortigen Rücktritt bedinge oder ob die Reichsregierung den Zusammentritt des Reichstags Bleiben abhängig machen dürfe. abwarten und von seiner Stellungnahme ihr Gehen oder

biet noch nicht herausgebildet. Das Berhalten des Kabinetts Eine bestimmte Praris hat sich bei uns auf diesem Ge= Müller nach den Wahlen von 1920 entsprach einer starren Auslegung der demokratischen Verfassung, die in der Regie rung nur einen Ausführenden Ausschuß des Barlamentes gramm um eine Mehrheit des Parlamentes in parlamenta sieht, ohne ihr die Möglichkeit zu geben, für ein eigenes Pro­rischer Feldschlacht zu lämpfen. Eine solche enge Auslegung der parlamentarischen Demoratie ist weder im Sinn noch im Wortlaut der Berfassung begründet, noch geht sie zwangsläufig aus dem Wesen der Demokratie hervor. Führertum und Demokratie find nicht unvereinbare Dinge- die formale Demokratie wird durch wahres Führertum erst mit Leben und Inhalt erfüllt. Das Rabinett Müller wählte nach den Wahlen von 1920 den Rüd tritt, die strengste und starrste Auslegung der parlamenta. rischen Demokratie, als Demonstration für die neue Verfassung. Diese Betonung des formalen Brinzips durch das Kabinett Müller aber schafft noch fein Gewohnheitsrecht. Die Regie­rung Ware ist darum weder durch zwingende Berfassungs­verschriften noch durch Gewohnheitsrecht gebunden in ihren Entschließungen. Es steht ihr frei, ob sie mehr das formale Prinzip oder mehr das Führerprinzip betonen will, ob sie sich durch die Berufung auf das Formale vom Kampf um ihren außenpolitischen Kurs zurückziehen will, oder ob sie diesen Kampf bis zu einem eindeutigen und bindenden Be schluß des Reichstags fortfehen will.

Die heftigen Angriffe, die von rechts her, von der Kreuz­3eitung" und der Deutschen Zeitung", gegen den Bestand der Regierung Marre gerichtet werden, finden deshalb keine Begründung in der Verfassung und im parlamentarischen Brauch. Diese Angriffe sind politische Angriffe. Sie gelten dem außenpolitischen Kurs, den die Regierung Marr bisher eingeschlagen hat.

Sie

Die Deutschnationalen wollen der offenen parlamenta. rischen Feldschlacht für oder gegen das Sachverständigen gutachten ausweichen. Sie wollen vor dem Zusammentritt des Reichstags den Rücktritt der Regierung, um schon vor diesem Termin in Berhandlungen die Annahme des Sach­verständigengutachtens wieder praktisch aufzuheben. wollen den Rücktritt der Regierung Marr ferner, um die Durchführung der Gutachten zu sabotieren. Daher richtet sich ihr neuester Angriff gegen die technischen Vorbereitungen, die in den Ministerien getroffen werden, um eine rasche Durch führung der Gutachten zu ermöglichen. Die Kreuz- Zeitung " erhebt folgenden Vorwurf gegen die Regierung:

,, Wie sich jetzt aber immer deutlicher zeigt, geht das Kabinett über diesen Standpunkt weit hinaus, ja es ist im Begriff, aus dem unheilvollen Entschluß der vorbehaltlosen Annahme des Sachverständigen gutachtens bereits praktische Folgerungen zu ziehen. Nicht nur, daß verschiedene deutsche Vertreter für die dort vorgesehenen Kommissionen bereits ernannt find, hat man darüber hinaus bereits Gefegesporlagen in Angriff genommen, die bei einer Durchführung des Sachver ständigengutachtens in Betracht kommen.

Es ist unbegreiflich, daß das Kabinett Marr- Stresemann die Berantwortung für Handlungen übernehmen will, die ihm weder in fachlicher noch in moralischer Be­ziehung zu steht. Das Kabinett Marr- Stresemann hat in

Vertagung der serbisch - französischen Berhandlungen. Die fer­München, 15. Mai. ( WTB.) Das Voltsgericht Münbische Regierung hat ihre Gesandtschaft in Baris aufgefordert, der chen hielt gestern seine legte Sigung ab und beschloß damit franzöfifchen Regierung mitzuteilen, daß die Reife des Königs, der feine Tätigkeit. Angechlagt war der ehemalige Leutnant und Stu­am 25. Mai zu einem offiziellen Besuch in Paris eintreffen sollte, dent der Staatswissenschaften Rudolf Heß . Die Anfiage beschul. wegen der Ministerkrise in Serbien auf unbestimmte Zeit verschoben diesen Tagen bewiesen, daß es die Grenzen, die einem Uebergangs­

worden sei.

zufolge bezeichnet der Sefretär Sunyatsens die Meldung über den Sunnatsen am Leben. Einer Times"-Meldung aus Hongkong Tod Gunyatsens als vollkommen unwahr und als Erfindung feiner

digt ihn, auf feiten Hitlers in den Bürgerbräufeller eingedrungen zu fein, Kahr , Lofsow und Seißer bewacht und auf Befehl verschiedene Minister und Beamte der Staatsregierung verhaftet und weggebracht zu haben. Das Gericht erblickte darin eine Förderung| Feinde.

fordern deshalb umgehendes Rücktrittsgesuch fabinett politisch gezogen sind, nicht innezuhalten vermag. Wir bes kabinetts, damit eine Reinigung der Atmosphäre eintritt und nicht noch mehr verhängnisvolle Regierungsatte vollzogen wer­