Abendausgabe
Nr. 233 41. Jahrgang Ausgabe B Nr. 118
Bezugsbedingungen und Anzeigenprefe find in der Morgenausgabe angegeben Bedattion: SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Döngoff 292-295 Tel- Adresse: Sozialdemofcat Berlin
5 Goldpfennig
50 Milliarden
19. Mai 1924
Berlag und Angetgenabtetiuns Geschäftszeit 9-5 Uhr
Berleger: Borwärts- Berlag Gmb Berlin SW. 68, Cindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 2508-250
Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands
Hannover will bei Preußen bleiben.
Hannover , 19. Mai. ( Eigener Drahfbericht.) Die geftrige Vor abstimmung über die Schaffung eines eigenen Staates Niedersachen endete mit einer Niederlage ihrer Veranstalter, der deutsch - hannoverIchen( welfischen) Partei, trotzdem diese im Vergleich zu den Reichstagswahlen vom 4. Mai nicht unerhebliche Stimmengewinne buchen konnten. Die Zahl der Stimmberechtigten befruq 1 768 100. Davon mukte verfaffungsmäßig ein Drittel, alfo 589 600, für die Forderung einer Volksabstimmung auf Schaffung eines neuen Landes flimmen. Die Welfen haben aber nur 448 961 Stimmen aufgebracht. Es fehlen demnach 140 639, so daß der Zweck der ganzen Veranstaltung nicht erreicht ist. Mehr als zwei Drittel der Stimmberechligten folgten der Parole ihrer Parteien, gegen die partifularistischen Bestrebungen durch nicht stimmen zu proteffieren. In den einzelnen Bezirken wurden für die Welfen folgende Stimmen abgegeben: Regierungsbezirk Hannover 144 818, Hildesheim 82 691, Lüneburg 116 704, Stade 70 882, Osnabrüd 33 896.
So erfreulich das Ergebnis der Abstimmung in Hannover ist, so bedauerlich ist es, daß diefer Unfug überhaupt in Szene gelegt wurde und neue Verwirrung brachte. Deutsch land hat wahrhaftig schon Sorgen genug, es braucht eine hannoversche Frage" nicht auch noch dazu. Seine innere Gliederung ist nicht ideal, und es wäre sicher I effer gewesen, nach dem Zusammenbruch mit der ganzen Kleinstaaterei auf zuräumen und eine deutsche Einheitsrepublik mit provinzialer und tommunaler Selbstverwaltung zu schaffen. Aber die
Biedererweckung der„ historischen Individualitäten" führt nicht zu diesem Ziel, sondern weit von ihm weg, zurüd in die alte deutsche Zerrissenheit.
Bem das noch nicht flar ist, der fonnte es aus dem Brief des bayerischen Ministers Schweŋer lernen. Er zeigt deut lich, wohin die Reise gehen foll. Das Deutsche Reich , das darf nie vergessen werden, fonnte nur im Kampf gegen die Dynastien geschaffen werden; da dies zunächst nur gefchah, indem eine starke Dynastie die schwächeren teils auffraß, teils zur Bedeutungslosigkeit herabdrückte, war nur eine Notlösung. Aber die Einigung Deutschlands hat 1866 mit einem Thron st urz begonnen, der dann 1918 allgemein gemacht wurde, und das war ein Fortschritt, denn die Einigkeit Deutschlands be ruht seitdem nicht mehr auf der Hausmacht einer Dynastie, sondern auf dem Willen des Boltes. An diesem Willen foll nicht gerüttelt werden.
Wir freuen uns, daß die Sozialdemokratie in vorderster Front zur Abwehr der welfischen Bestrebungen gestanden hat. Ohne den erwachten politischen Sinn der Arbeiter feine Republit, ohne Republik fein Deutsches Reich !
.
Niederlage der Welfen.
deutsch - hannoveranischen Separatisten in den letzten Wochen erleben mußten. Die gemeinsame Arbeit aller politischen Parteien am Ab mehrfampf gegen reichsfeindliche Bestrebungen hat gezeigt, daß stärker als alle innenpolitischen Gegensätze das Gefühl der Verantwortung gegenüber dem großen deutschen Volksganzen wirksam ist. Hannover , 19. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Es ist intereffant, die Frage aufzuwerfen, wer die ungewöhnlich hohen Kosten für die welfische Agitation getragen hat. Neben dem hannoverschen Urabel, der einen großen Teil seiner Einfünfte zur Agitation aufgewendet hat, allerdings gleichzeitig daneben den Behörden gegenüber feine Unfähigkeit erflärte, die Steuern zu zahlen, hat ein gewiffer Teil der hannoverschen Großindustrie, vor allem die Stahl- und Eisenwerke in Han nover- Minden und andere große Firmen beträchtliche Geldmittel für die hannoversche separatistische Bewegung zur Verfügung gestellt. In diesem Zusammenhang gewinnt die Taifache eine ganz besondere Bedeutung, daß der Herzog von Cumberland eine erhebliche Summe von mehreren Millionen Goldmark bei der hannoverschen Filiale der Hamburger Handelsgesellschaft zu angeb lichen geschäftlichen Zweden vor einiger Zeit eingezahlt hat.
Der Abstimmungsfampf der letzten Tage brachte eine selbst für die hiesigen Berhältnisse außergewöhnliche Steigerung der politischen Auseinandersetzungen. Die welfische Partei überschwemmte noch in letter Stunde das ganze Land mit einer Flut gefälschter Flugschriften von angeblichen Kronzeugen für ihre Be strebungen, unter denen im bunten Wechsel der frühere deutsche Kronprinz, August Bebel , der demokratische Minister Koch und Genoffe Beus zitiert wurden. Der bekannte Zeichner Rüsch hat durch die Propagandaplatate mit ihrer Parallelisierung awischen den welfischen und rheinisch- französischen. Separationsbestrebungen die besondere But der Belfen erregt und murde geſtern abend aufs Neue von einem welfischen Haufen angegriffen.
Die Frage der Regierungsumbildung.
Wie die Telegraphen- Union" aus dem Reichstag erfährt, werden in dieser Woche die von den Mittelparteien in der vergangenen Woche unternommenen Bemühungen zur Aufstellung eines gemeinsamen Aktionsprogramms fortgesetzt. Diese Bemühungen haben nichts mit dem Gedanken der Bil dung eines Nationalen Blocs der Mitte zu tun, der infolge des bekannten Fraktionsbeschlusses der Deutschen Volkspartei allgemein als erledigt angesehen wird. Das Attions pro
|
gramm der Mittelparteien wird sich hauptsächlich auf außenpolitische Fragen beziehen. Aus der Haltung der übrigen Parteien zu diesem Programm wird es fich ergeben, inwieweit bei der Regierungsumbildung ein Zusammengehen Der bisherigen Koalitionsparteien mit den anderen Parteien möglich ist. Die Zentrumsfraktion tritt heute nachmittag 3 Uhr zu ihrer ersten Sigung im Reichstag zusammen. Auch hier werden außenpolitische Fragen der Hauptgegenstand der Beratungen sein. Aller Voraussicht nach wird Reichskanzler Marr in dieser Sigung die augenblickliche politische Lage ausführlich darlegen. Die eigentlich konstituierende Bersammlung der Zentrumsfraftion, in der die Neuwahl des Vorstandes vorgenommen werden soll, wird voraussichtlich zu einem späteren Termin stattfinden. In der Frage der Regierungsumbildung selbst sind bis jetzt noch feine entscheidenden Schritte unternommen worden. Das Reichskabinett wird auch in dieser Woche seine Arbeiten über die auf Grund des Sachverstän digengutachtens anzufertigenden Gefeßentwürfe fortfeßen.
Konferenz der Innenminister. Besprechungen über den zivilen Ausnahmezustand. Wie wir erfahren, fand heute morgen im Reichsratssitzungsfaal des Reichstags eine Besprechung der Vertreter der Innenministerien der Länder statt. Die Besprechung galt der Anwendung des zivilen Ausnahmezustandes auf die von der Rechten in der letzten Zeit systematisch veranstalteten Regimentsfeiern, Schlageter Feiern und Deutschen Tagen.
Entscheidung der Bayerischen Volkspartei . Gegen Knilling und die Bölkischen.
Sieg Schweners
und der Gemäßigten. München , 19. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Die Landesvorstandschaft der Bayerischen Bolksparte hielt am 17. und 18. Mai in München die mit Spannung erwartete Tagung ab, an der sämtliche hervorragende Persönlichkeiten der Partei teilnahmen. Die Konferenz hatte die Aufgabe, die Auffassung in der Gesamtpartei bezüglich der nunmehr einzuschlagenden Bolitik flar zulegen und auf diefer Grundlage die Richtlinien für die weitere Politik der Landtagsfraktion der Bayerischen Bolkspartei festzulegen. Im Mittelpunkt der Erörterungen stand naturgemäß der Rückblic auf die verflossene Regierungspolitik der Partei, so daß auch die
Was die Zechenbesitzer wollen.
Der Zechenverband nimmt an.
Effen, 19. Mai. ( WTB.) Der Zechenverband hat ein Schreiben an den Reichsarbeitsminister gerichtet, in dem er erklärt, daß er sich trot schwerwiegender Bedenken zur Annahme des Schieds. spruches für den Ruhrbergbau entschlossen habe. Leitend dafür bestehenden Arbeitsstreitigkeiten mit ihren verderblichen Folgen zu beenden.
Hannover , 19. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Die Abstimmung zeigte in den einzelnen Teilen des Abstimmungsgebietes start abweichende Beteiligung. Das zeigt ein Bergleich der Resultate aus den einzelnen Städten und Landkreisen. In der Stadt anfei für ihn die Absicht gewesen, alles nur mögliche zu tun, um die nover wurden 67 815 Ja- Stimmen von insgesamt 290 822 Stimm berechtigten gezählt. Bei der Reichstagswahl hatte die Welfische Partei nur 39 932 Stimmen in der Stadt aufgebracht. In Hildes., heim stimmten von 36 436 Stimmberechtigten 3112 mit Ja, in a r burg von 45 401: 2647, in Göttingen von 24-624: 3305, in Osnabrüd von 53 210: 2990, in Lüneburg von 18 203: 2318, in Celle von 15 904: 3986, in ee ft emünde von 20 814: 1031, in Goslar von 13 121: 1407, in Uelzen von 7790: 1191, in Lehe von 24 709: 1531, in Beine von 11 569: 2535, in Berden von 5977: 1486, in E in bed von 6035: 1443, in Ulslar von 11 124: 3800, in Binsen, einer welfischen Hochburg, von 2249: 572, in 2nchow, ebenfalls einem welfischen Hauptort, von 2058: 474.
Aus Landfreifen liegen bis jetzt folgende Ergebniffe Dor: Landkreis Bersenbrüd( ohne Stadt Spatenbrüd) von 25 579 Stimmberechtigten: 3538 Ja- Stimmen, 3epen von 11 201: 5743, Marienburg von 22 176: 4545, Lehe von 13 729: 4354, Isenhagen von 10 894: 1202.
Danach haben die Welfen 50 bis 60 Proz. mehr Stimmen er halten als bei der Reichstagswahl, fie hätten sie aber verdoppeln müssen, um zu ihrem Ziel zu gelangen. But abgeschnitten haben die Welfen in der Stadt Hannover und in den fatholischen Gegenden der Broving, um Osnabrüd, im ehemaligen Stift Hildesheim und im Eichsfeld ( Duderstadt ), wo sie offensichtlich die Unterstützung katholischer Kreise fanden. Berhältnismäßig schlecht abgeschnitten haben sie dagegen in ihren eigentlichen Hochburgen.
Hannover , 19. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Der Ober. präsident von Hannover , Genoffe Noste, äußerte sich gelegentlich der Niederlage der Welfen in einem fleinen politischen Kreise persönlich über den Berlauf der Abstimmung und führte dabei etwa folgendes aus:„ Die heutige Abstimmung bedeutet einen Wendepunkt in der neuen deutschen Geschichte. Der Gedanke der staatsbürgerlichen Vereinheitlichung hat über den engherzigen und reichsfeindlichen Bartitularismus gefiegt. Entschie bene zurückweisung verdient die banerische Einmisung in innerpreußische Verhältnisse, wie wir sie in dem Auftreten bayerischer verantwortlicher Politiker, wie des bane rischen Innenministers Dr. Sgwener zugunsten der
' chaft zu verhüten, oder ob zuletzt doch die Achteinhalb= stunden schicht wieder eingeführt werden muß. Es. mag unpolitisch sein, das heute auszusprechen, aber hier soll die Wahrheit gesagt werden. Niemand kann heute diese Frage mit Sicherheit beantworten, und erst der Erfolg fann zeigen, was wir von uns allen an Arbeitsleistung verlangen müssen, um nicht zugrundezugehen. So mag es zunächst mit der Achtstundenfchicht im Bergbau versucht werden. Dann mögen zunächst mal alle anderen Betriebe mit einer angemessenen Ber längerung der Arbeitszeit folgen. Ohne das würde Die Annahme des Schiedsspruches durch den Zechenver auch die längere Arbeitszeit im Bergbau vergeblich fein. Dann wird band ist sehr wohl begreiflich. Die Bechenbefizer haben durch fich zeigen, ob wir so eine genügende Berbilligung und Bermehrung den Schiedsspruch nicht nur alles erreicht, was ihnen der vom unserer Erzeugung erreichen, daß wieder auf jeben ein zum Leben Reichs- und Staatsfommiffar für Rheinland- Westfalen gefällte ausreichender Anteil an der Gesamtgütererzeugung entfallen fames. Schiedsspruch zubilligte, sondern noch erheblich mehr. In diesem Schiedsspruche war bekanntlich die Verlängerung Also die Verlängerung der Arbeitszeit im Bergbau soll Der Arbeitszeit bis zum 1. November 1924 befristet. In nur der Anfang sein zur allgemeinen Arbeitsdem am Freitag gefällten Schiedsspruch ist die Arbeitszeitver- eitverlängerung. Es müsse, schreibt der gemütsvolle längerung bis zum 1. April 1925 unfündbar festgelegt, an Bergwerksdirektor, wieder mehr gearbeitet werden, fo welchem Datum fie erstmalig mit zweimonatiger Kündigungs- piel nur die Muskeln und Nerven hergeben". frist gekündigt werden kann. Mit anderen Worten: die In der ganzen Welt hat sich das Unternehmertum nach und Arbeitszeitverlängerung ist bis zum 1. Juni nach, wenn auch meist nur widerstrebend, eingestellt auf den 1925, also auf mehr als ein Jahr festgelegt. Dazu kommt Achtstundentag. Das deutsche Unternehmertum hat sich in noch die Verschlechterung bezüglich der Kofereiarbeiter, feinen führenden Kreisen noch immer nicht damit abgefunden. für die die Arbeitszeit noch über den vorlegten Schiedsspruch Es hat durch die Inflation zunächst die Arbeitskraft ausgehinaus verlängert ist. Sogar der schwerindustrielle Lofal- plündert und verschleudert und versucht jetzt, da die Inflation Anzeiger" schrieb in feiner Abendausgabe vom Sonnabend, zu Ende ist, mit der Rückkehr zum Zehn- und Zwölfftundenin der Meinung, die Bergarbeiter würden den Schiedsspruch tag fich tonkurrenzfähig zu erhalten. Daß diese Methode, rein annehmen, daß er nur die Angebote enthält, die der Zechen wirtschaftlich gesehen, heller Wahnsinn ist, braucht nicht nochverband den Gewerkschaftsführern bereits vor dem Streif ge- mais nachgewiesen zu werden. macht hatte".
Wenn in der Unternehmerpreffe immer wieder vom einem Streif" der Bergarbeiter geredet wird, so genügt es, auf die Beschlüsse der Bergarbeiterverbände hinzuweisen. Die Bergarbeiter wollen arbeiten; die Bechenbefizer allein sind es, die sie an der Arbeit hindern und die Zechen, ohne Rücksicht auf die wirtschaftlichen Folgen, still gelegt haben. Um was es sich für die Unternehmer bei diesem Kampfe handelt, das fagt ein anonym gebliebener Bergwerksdirektor in der Kölnischen Zeitung " in Nr. 348 vom 17. Mai mit einer Deutlichkeit, die jeden Zweifel ausschließt. Er schreibt: Die Frage ist in Wirklichkeit nicht, ob im Bergbau in acht oder fiebenstündiger Schicht gearbeitet werden soll, sondern ob die Acht stundenschicht ausreicht, um den Zusammenbruch der Wirt
Gutachten des Reichswirtschaftsrats gefordert. Zum Kampf im Ruhrbergbau meldet WIB.:
Wie die Erklärung des Bergarbeiterverbandes ernent ergibt, ist einer der Hauptstreitpunkte zwischen den Parteien die unterschiedliche Beurtellung der Frage, welche Arbeitszeit im jetzigen Augenblid rechtens ist, in dem die bisherigen Vereinbarungen abgelaufen sind und die Arbeitnehmerverbände den Schiedsspruch vom 16. Mai abgelehnt haben. Der Reichsarbeitsminister ist deshalb heute an den Hauptausschuß des Vorläufigen Reichswirtfchaftsrats mit der Bitte herangetreten, sofort unparteilsche, arbeitsrechtskundige Juristen zu benennen, die gebeten werden sollen, über die genannte Rechtsfrage nach Anhörung des Standpuntes beider Parteien in kürzester Frist ein Gutachten zu erstatten.