Abendausgabe
Str. 241 41.Jahrgang
5 Goldpfennig
50 Milliarden
= Vorwärts=
Ausgabe Nr. 122
Bezugsbedingungen und Anzeigenpreffe
sind in der Morgenausgabe angegeben
Redaktion: S. 68, Cindenstraße 3
Fernsprecher: Dönhoff 292-295
Dolksblatt
23. Mai 1924
Berlag und Anzeigenabteilung Geschäftszeit 9-5 Uhr
Lindenstraße 3
Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands
Auf dem Weg zum Bürgerblock?
Man kompromisselt und kompromittiert sich.
Auf Einladung der Deutschen Boffspartei traten heute vormillag im Reichstag die Parteiführer des Zentrums, der Demokraten, der Deutschen Volkspartei , der Deutschnationalen Volkspartei und
der Bayerischen Volkspartel zu einer erneuten Besprechung zusammen. Die Berhandlungen fanden diesmal im Sigungsjaal der Deutschen Bollspartei unter dem Borsitz des Abgeordneten Dr. Scholz staff. Von den Deutschnationalen waren erschienen die 2bgg. Hergt, der jedoch die Sigung bald wieder verließ, Wallraf, Soul- Bromberg, Graf Westarp , v. Behrens von der Deutschen Volkspartei Dr. Scholz, Dr. Curtius, Kemptes, vom Zentrum Stegerwald, Dr. Peter Spahn , Giesberts, Beder- Arnsberg, von den Demokraten& och, keinath, Erkelenz , von der Bayerischen Bollspartei Emminger. Die nationalistische Freiheitspartei war zu den Besprechungen nicht zugezogen worden. Einer Anregung, auch Herrn v. Tirpit, der gestern mit dem Reichskanzler eine längere unverbindliche Besprechung hatte, zu den Berhandlungen 3uzuziehen, wurde nicht Folge gegeben.
Persönliche Fragen wurden in der Erörterung nicht berührt. Die Verhandlungen dauerten bis 12% Uhr und wurden daun durch eine kurze Panje unterbrochen. Sie bewegten fich nur auf fachlichem Gebiete. Wenn auch die Verhandlungen bis zur Stunde noch kein positives Ergebnis gezeigt haften, so. fcheint doch die Ansicht bei den Teilnehmern vorzuherrschen, daß fie nicht aussichtslos sind, und daß dieser Erörterung noch weitere folgen werden. Von den Mittelparteien wurde der Anschauung Ausdruck gegeben, daß das Sachverständigen gutayten die Grundlage für die Lösung des Reparationsproblems bedeutet und auf diesem Fundament weitergearbeitet werden müsse. Hierbei handelt es sich vor allem darum, die widersprüche und Untlarheiten des Gutachtens aufzuflären. Zurzeit gehen die Verhandlungen weiler.
Wie wir weiter hören, triff die Unterbrechung der Berhandlungen ein, weil eine neue Frage aufgeworfen wurde, über die die Bertreter des Zentrums fich zunächst untereinander und mit dem Borstand der Zentrumsfratlion beiprehen mollten.
Die Verhandlungen mit dem Bürgerblod werden im Zeichen des Bortes geführt: ,, en betrügt man hier?" Zu diesem Zweck soll eine möglichst vieldeutige Einigungs formel zusammengebaut werden. Wenn die Deutschnationalen das Sachverständigengutachten als Grundlage der Reparationsregelung, nicht mehr der Verhandlung" anerfennen, dann beten sie allerdings an, was sie gestern verbrannt haben. Man läßt ihnen nun das Loch der Ausrede offen, es sollten ja noch die ,, ll n klarheiten und wider sprüche des Gutachtens aufgeflärt werden. Und so entsteht die Gefahr, daß sich die deutsche Politik aus parlaments
taktischen Gründen abermals mit dem Borwurf der gewollten Zweideutigkeit und Hinterhältigkeit belastet. Gehen die Mittelparteien auf das Bürgerblock- Kompromiß ein, so werden sie damit aus innerpolitischen Gründen die außenpolitischen Interessen des Reiches schwer schädigen.
Die Kreuzzeitung " erwirbt sich das Berdienst, einen großen Teil des Leitauffages unserer gestrigen Abendausgabe abzudrucken und ihn aus eigenem Geist mit der Bemerkung zu versehen:„ Ein Kommentar ist überflüssig". Ueberschrieben ist das Ganze aber:„ Der Vorwärts" im Dienst der Feinde". Die Kreuzzeitung " hat es überhaupt sehr mit den Feinden". Schreibt sie doch in anderem Zusammenhang:
11
Allerdings haben die Deutschnationalen etwas mehr poli tisch en Sing als die Mittelparteien, die immer noch in dem Glauben leben, man könne durch ein politisches Schema eine Angelegenheit regeln, über die in erster Linie unsere Feinde bestimmen. Der Gipfel politischer Torheit aber wäre es, wenn die Absicht, diese Richtlinien der Deffentlichkeit zu unterbreiten, totfächlich ausgeführt wird. Will man denn dem Feinde eine neue Waffe in die Hand geben?
Die gestern im Berliner Rathaus erfolgte Wahl des Charlottenburger Bürgermeisters Scholz zum Nachfolger unseres verstorbenen Genossen Adolf Ritter ist nur ein Glied in der
großen Kette ununterbrochener Vorstöße des Bürgertums Arbeiterschaft in der Verwaltung der Reichshauptstadt. gegen den Einfluß der Sozialdemokratie und der Diese Wahl bezeichnet die„ Deutsche Zeitung" als einen„ antimargistischen Sieg", und sie hat recht. Der Bürgerblock im Berliner Rathaus hat zwar niemals die Fähigkeit bewiesen, seine Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung weder den Berliner Etat annehmen, noch irgendeine zur Führung der Geschäfte zusammenzuhalten. Er konnte der großen wichtigen fommunalen Aufgaben Berlins aus eigener Kraft lösen. Seine Fähigkeit reichte dazu aus, den eigener Kraft lösen. Seine Fähigkeit reichte dazu aus, den gemeinsamen Haß gegen die Sozialdemokratie zu befunden, wenn es galt, gegen die Sozialdemokratie den alten gutbürgerlichen Einfluß aufrechtzuerhalten, wenn es galt, den Geist zu betätigen, der früher unter dem Dreiflaffenwahlrecht gegen die Arbeiterschaft sich breitmachen durfte. Kommunalpolitisch unfruchtbar, zur Führung der Geschäfte nicht befähigt, reichte der Bürgerblock doch dazu aus, der Arbeiterschaft immer wieder deutlich zu zeigen, daß die bürgerlichen Parteien überall da, wo sie nicht unter Zwangsverhältnissen stehen, alles tun, um im alten Geist und mit alten Methoden über die Arbeiterschaft zu„ regieren". Der ,, politische Sinn" der Kreuzzeitung " in allen Ehren. Aber wir möchten doch dem Hauptorgan einer sich als fom- De motraten. Ihre örtliche Leitung, die auf dem äußerIn Berlin liegt die Führung des Bürgerblocks bei den mende Regierungspartei fühlenden Gruppe zu beften rechten Flügel sieht, beweist eine anerkennenswerte und denken geben, ob es nicht angemessen wäre, alsbald eine erstaunliche Geschicklichkeit, durch Verhandlungen hinter den anderweitige Regelung der Sprache eintreten zu lassen. Daß Kulissen immer wieder eine gemeinfame Front der bürgerein Regierungsblatt die auswärtigen Regierungen, lichen Parteien zu arrangieren. Der größte Schmerz dieser mit denen man verhandelt, schlechtweg nach gutem Kriegs- Berliner Demokraten nach dem Muster ihres Führers, des brauch als Feinde" bezeichnet, dürfte doch auf die Dauer Schulrats Merten, ist die mangelnde bürgerliche Diszinicht gehen. plin der Deutschnationalen . An die Stelle des Willens zum schöpferischen Aufbau der Gemeinde, zur Zufammenfassung aller Kräfte, die diesen Aufbau und die Aufmärtsentwicklung zu tragen haben, tritt hei den Führern der Mittelparteien im Berliner Rathaus die Steuerscheu und die Jagd nach dem Phantom des Bürgerblods. Das Erbe einer in ihrer Art und in ihrer Zeit bedeutenden kommunalpolitischen Leistung des freisinnig- demokratischen Berliner Bürgertums wird in fleinlicher Rüdwäriferei und in unpolitisch furafichtigem Kampf gegen die aufsteigenden Kräfte Der Arbeiterschaft fläglich vertan.
Im übrigen soll die Kreuzzeitung " nicht glauben, sie fönne auf die Sozialdemokratische Partei auch nur den geringsten Eindruck machen mit der Fiktion, auswärtige Regierungen feien unter allen Umständen als Feinde", die eigenen aber ebenso unbedingt als Freunde zu betrachten. Das hätten uns erst die Deutschnationaien in der Zeit, in der fie sich in Opposition befanden, vormachen müſſen. in Opposition befanden, vormachen müffen. Die Stel Iung der Sozialdemokratie zu einer Bürger blodregierung ist von vornherein gegeben. Eine solche Regierung wäre die schlimmste Feindin des deutschen Boltes, und sie wäre diesem viel gefährlicher als irgendeine ihm feindlich gesinnte frem de Regierung ihm werden könnte. Denn was die Feinde im Weltfrieg troß allem nicht zuwege brachten, Deutschland für alle Zeit rettungslos zugrunde zu richten, das würde eine vom Geift der Kreuzzeitung" beherrschte Bürgerblockregierung auf dem kürzesten Wege zustande bringen.
Paris , 23. Mai. ( WTB.) Die Morgenpreffe meldet übereinstimmend. daß auf Grund dringender und wiederholter Schritte der Delegierten der verschiedenen republikanischen Kammergruppen ber ehemalige Ministerpräsident Painlevé offiziell die Kandidatur für den Borsig der Kammer angenommen hat.
Entgegenkommen, aber keine Schwäche. Paris , 23. Mai. ( WTB.) Der Abgeordnete Bainlevé hat Paris , 23. Mai. ( WTB.) Der Abgeordnete Painlevé hat gestern nachmittag eine fünfpiertelstündige Unterredung mit Poincaré gehabt. Beim Verlassen des Quai d'Orsay erklärte Painlevé einem Bertreter des„ Matin":„ Ich bin zu einer streng vertraulichen Unterredung gebeten worden, die in feinem Zusammenhang mit irgendwelcher Ministerfombination fteht". Boincaré und Bainlevé haben dem Blait zufolge die außenpolitische Lage besprochen. In der Reporationsfrage habe Poincaré die freundschaftliche und entgegenkommende Haitung Macdonalds hervor- Paris , 23. Mai. ( TB.) Temps" schreibt in einem gegen die gehoben, die die allgemeine Regelung zu erleichtern geeignet sei. Kandidatur des Admirals von Tirpik gerichteten Leitartikel, geAuch die Frage der Beziehungen zu Rußland sei nicht führt von Männern wie dem Admiral von Tirpitz befize die Deutschunerwähnt geblieben; Herriot fei für eine offizielle Fühlungnahme nationale Bartei eine unerschütterliche Tradition und einen unmit den Erwjets, und wahrscheinlich werde es eine der ersten Res beugfomen Willen, denen eine über große Mittel verfügende Organi gierungshandlungen des künftigen Kabinetts sein, eine Mission nach fation, energische Männer und ebenso geschmeidige wie zähe MeMoskau zu schicken. Was die politischen Vorgänge in Deutschland thoden zugute tommen. Daß diese Partei jetzt nach dem Amte des anfange, die gestern ebenfalls lange besprochen worden feien, fo Reichskanzlers, nach dem Außenministerium und dem Reichswehrbeunruhige die Lage in Deutschland nicht allein Poincaré , minifterium firebe, sei eine ernste Tatsache für ganz sondern auch die Minister von morgen. Das Vordringen der Deutsch Europa Von dem Tage, an dem die Sachverständigen ihren nationalen und die etwaige Uebernahme von Ministerposten durch Bericht vorgelegt hätten, bis zu dem Tage der deutschen Reichstagsmartante Persönlichkeiten aus ihren Reihen waren Anzeichen, deren wahlen hätten die Regierungen der Entente mehr als drei Wochen ernste Bedeutung auch denen nicht entgehen könnte, die in einigen Zeit gehabt, ihre Politik gegenüber Deutschland zu formulieren und Tagen die verantwortliche Leitung der französischen Politik über die deutschen Wähler vor eine flare Wahl zu stellen. Dazu hätte nehmen würden. Painlevé und Herriot feien nach wie vor der An- man allerdings nicht nur den Sachverständigenbericht grundsätzlich ficht, daß die Deutschen nicht allein die Verantwortung für dieſe annehmen, sondern auch mit aller Klarheit die politischen, adminiftraEntwicklung trügen. Sie hätten wiederholt öffentlich erklärt, die bis tiven und anderen Borteile auseinandersetzen müssen, die Deutsch jetzt von Frankreich getriebene Politik sei nicht dazu angetan gewesen, land aus einer aufrichtigen Ausführung erwachsen würden, ohne die Erstarkung der deutschen Linksparteien zu fördern und die einen Zweifel darüber zu lassen, daß diese Vorteile fich verflüchtigen Freunde Frankreichs und des Friedens zu ermutigen. Die Be- würden, wenn der künftige Reichstag oder die fünftige Regierung schwichtigungspolitik der neuen Regierung werde dadurch zwar heifler Widerstand leisteteten oder auch nur feilschten. Die Notwendigkeit und schwieriger, aber trotzdem fei eine Gefte der Menschlich. diefer Politik sei nicht überall begriffen worden, denn diese Leute feit notwendig.„ Ich habe“, fagie Bainlevé," Boinaré dies er hätten es für geschickt gehalten, wenig Eile an den Tag zu legen flärt, aber man darf sich nicht täuschen, diese Geste wird keine und Worte zu machen. Jegt habe man es dafür in Berlin Geste der Schwäche sein. Es muß der deutschen Demokratie nicht eilig, und aus Berlin würden die Vorbehalte kommen. ermöglicht werden, daß sie die Oberhand gewinnt. Aber dem Von Tag zu Tag wüchsen die hindernisse, die sich franzöfifchen guten Willen muß ein gleich guter wille von dem Sachverständigenbericht in den Weg legten. Seiten Deutschlands entgegengestellt werden. Es ist von Man laufe Gefahr, vor das gefährliche Dilemma gestellt zu werden, Wichtigkeit, daß Berlin die Hallung der neuen franzöfifchen Re- entweder einem nationalistischen Deutschland mehr Zugeständnisse gierung nicht misversteht. Wenn Deutschland nicht begreift, so ist ihm nicht zu helfen und dem neuen französischen Kabinett auch
nicht."
zu madyen, als man sie einem demokratischen Deutschland gewährt hätte, oder aber das System der Sachverständigen untergehen zu laffen und so die Reparationen, ja den Frieden zu gefährden.
--
Die Stimmen der bürgerlichen Bresse fönnen darüber nicht einmal bei der jegt erfolgten Wahl hinwegtäuschen. Es genügt schon die Feststellung, daß kein bürgerliches Blatt es ge= wagt hat, auch nur eine 3eile gegen den fozialdemofratifayen Kandidaten Dr. Heimerich zu schreiben. Im Gegenteil: die„ Germania " muß anerkennen, daß Dr. Heimerich. ein Kandidat von allerersten Qualitäten fei. Die Lobreden, die auf den neugewählten Bürgermeister gehalten merden, fönnen ja aud) niemand darüber hinwegtäuschen, daß der Bürgerblodgedanke für seine Aufstellung maßgebend gewesen ist. Die Wahl findet gleichzeitig mit dem Abbau des Berliner Magistrats statt, der die Leistungsfähigkeit des Bürgerblocks auf tommunalpolitischem Gebiete im besonders hellen Licht erscheinen läßt. Nachdem man erst jahrelang den Gedanken der Einheitsgemeinde bekämpft, ihr in den schwie-rigen Lagen des Entstehens und Zusammenwachsens größte Schwierigkeiten gemacht hat, versucht man jetzt zum Gaudium der ganzen Welt die Reichshauptstadt in eine Art Provinz nest zu verwandeln. Man strich für die Spigenverwaltung der Biermillionenstadt den Stadtmedizinalrat, den Baurat für das Berkehrswesen, für Hochbau, man mutete der Welt zu, daß Berlin ohne Stadtschulrat austommen soll. Hier hat freilich der Bürgerblod einen bedeutenden Pflock zurücstecken müssen. Seine weisheitsvollen Beschlüsse waren denn doch zu grotest. Aber das Drum und Dran dieser Verhandlungen hat doch den kommunalpolitischen Gesichtskreis diefer widernatürlichen Paarung in ein helles Licht gesetzt.
Das Unglaublichfte leistet sich der Bürgerblock bei dem Abbau des Berliner Stadtschulrats. Hier scheuen die bürgerlichen Parteien nicht vor offener Gefehesperlegung, vor unbestreitbarer Beugung des Rechts zurück, um ihr Ziel zu erreichen. Die durchsichtige Behauptung, man wolle„ aus Sparsamkeitsgründen" auf einen Stadtschulrat für Berlin verzichten, ließ sich beim besten Willen nicht aufrechterhalten. So war man gezwungen, entgegen dem klaren Wortlaut des Gefezes, die Abbauverordnung nicht zum Abbau einer Stelle, die man sparen will, sondern zum Abbau einer Person, die den bürgerlichen Parteien nicht paßt, zu benutzen. Auch hier wieder sucht man vergebens in den Reden und in den Preffeäußerungen nach einem einzigen Argument gegen Paulsen, das einem objektiv denkenden Menschen einleuchten könnte. Für Paulsen haben sich die Berliner Lehrer ausgesprochen, seine Verdienste um die Erhaltung des Berliner Schulwesens sind unbestreitbar. Das macht nichts!„ Einen Menschen von der Weltanschauung wählt man nicht!" so erflärt offenherzig der volksparteiliche Herr von Ennern. Paulsen ist Sozialdemokrat und darum muß er verbrannt werden.
11
Mit dieser Tattif werden die bürgerlichen Parteien nicht viel erreichen. Ihre Redensarten von den Fachmännern", die in Verwaltungsstellen gebracht werden müssen, werden höchstens von ihnen selbst ad absurdum geführt. Die Stel
M