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Abendausgabe

Nr. 249+ 41. Jahrgang Ausgabe B Nr. 126

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Vorwärts

Berliner Dolksblatt

5 Goldpfennig

50 Milliarden

Mittwoch

28. Mai 1924

Berlag und Anzeigenabteilung)

Geschäftszett 9-5 Uhr Berleger: Borwärts- Verlag GmbH. Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Ferniprecher: Dönhoff 2506-2507

Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei Deutfchlands

Auf dem Weg zum Bürgerblock.

Stresemann ausgeschifft.- Die Republik ihren Feinden ausgeliefert?

Amtlich wird mitgeteilt:

Der Reichspräsident hat heute vormittag den bisherigen Reichskanzler Dr. Mart mit der Regierungsbildung beauf­fragt. Dr. Marr hat den Auftrag angenommen.

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Reichstagspräsidium finden, Sie können nur finden, wie man Ar­beiter niederschlägt, wie man Abgeordnete tagelang im Gefängnis recht, wenn Sie sich kein Präsidium wählen, wir brauchen dieses hält und zum Hungerstreit zwingt, wie jezt in München . Uns ist es Präsidium nicht. Wir sind sehr einverstanden damit, daß die Re­gierungsbildung nicht zustande kommt, daß Sie sich vor den deut­fchen Arbeitern und vor dem Ausland nach Kräften blamieren. Wir beantragen, in die heutige Sigung einzutreten und zunächst über die Freilassung der politischen Gefangenen und die Aufhebung des Aus nahmezustandes zu verhandeln.

Der zweite Dolchstoß der Volkspartei hat nicht vermocht, die Erteilung des Auftrags zur Regierungsbildung an Marr zu verhindern. Aber jest handelt es sich nicht mehr um die Bildung einer von Marr geführten Regierung der Mitte: Abermals wird mit den Deutsch nationalen per fo eifrig auf den Wortlaut der Geschäftsordnung versessen, daß sofort Abg. v. Graefe( dvölf.): Gestern war gerade Herr Fehrenbach handelt, abermals erscheint die Bildung eines auf den Namensaufruf die Wahl des Präsidiums folgen müsse; jetzt Bürgerblods mit deutschnationaler Teilnahme wahr schiebt er noch die ganze Regierungsbildung in die Geschäftsordnung scheinlich. hinein. Wir müssen sofort einen Präsidenten wähien, der das Die Verhandlungen über die Bildung des Bürger- Haus vor solchen Szenen bewahrt, wie wir sie gestern erlebt haben. blocks unter dem Reichskanzler Marg werden intensiv be= trieben. In den frühen Nachmittagsstunden verhandelten Hergt und Westarp mit Marr. Man nennt folgende Hergt und We starp mit Marr. Man nennt folgende beutsch nationale Minister:

Aeußeres Herr von Radowiz Inneres Wallraf Landwirtschaft- Schiele.

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Das ist die Kapitulation der Mittelparteien vor den Deutschnationalen! Mögen immer die Deutschnationalen fich zu den Formeln der Mittelparteien bekennen: Stresemann ist von den Angriffen der Deutschnationalen gefallen. An seine Stelle tritt der frühere Oberzeremoniemeister des Sultans Mehmed V . Die Deutschnationalen beherrschen Inneres und Aeußeres,- das Ausland wird darin ein Programm sehen, das lauter spricht als alle Formulierungen. Die Demokraten zeigen die Neigung, an dieser Bürgerblockregierung teilzu nehmen, wie sie sagen, um die Kontrolle zu behalten". Schöne Kontrolle angesichts der Auslieferung des Innen­aministeriums an eine verfassungsfeindliche Partei!

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Angeblich haben die Deutschnationalen sich bereit erklärt. für Verfassungsschuß und Erfüllungspolitik einzutreten. Das ist eine Kapitulation vor Worten, wenn es wahr ist. Die Rapitulation der Mittelparteien ist schlimmer. Sie geben nicht Worte und Programme auf, menn sie mit den Deutschnationalen regieren, sondern politische Tatsachen. Die Deutschnationalen kompromittieren sich vor ihren Wählern, aber sie gewinnen Macht und Raum, um ihre Politik im Innern wie nach außen durchzuführen. Die Mittel­parteien erzielen einen Wortfieg- aber sie kompromittieren fich und ganz Deutschland im Ausland auf das schwerste. Mehr. Sie fompromittieren die republikanische demokratische Berfassung.

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Was wird aus dem Schuh der Verfassung gegen rechts, menn den Deutschnationalen das Innenministerium nusgeliefert wird? Die Deutschnationalen sind eine anti­republikanische Partei geschworene Feinde der Demokratie, des parlamentarischen Systems, der gegen­wärtigen Reichsverfassung. Eine Regierung, an der sie teil­haben, ist eine Regierung gegen die Republik . Bon vorn herein wird die Sozialdemokratie einer solchen Regierung mit Der schärfsten Gegnerschaft gegenübertreten.

Sie wird nicht dulden, daß die Republit ihren Gegnern ausgeliefert wird!

Die Präsidentenfrage.

Der Reichstag nach kurzer Vormittagssigung auf 2 Uhr vertagt.

Die heutige Sigung des Reichstages begann mit starter Ber­spätung, weil die drei bürgerlichen Mittelparteien auf die Idee gekommen waren, daß zwischen der Regierungsbildung und der Wahl des Reichstagspräsidiums ein Zusammenhang be­stehe. Die Sizung sollte um 11 Uhr beginnen, aber erst um 12 Uhr erschien der Alterspräsident Gen. Bod auf dem Präsidentenplatz und eröffnete die Sigung mit der Bekanntgabe der Urlaube, die einigen Abgeordneten erteilt sind. Darauf wird in die Tages­ordnung eingetreten, deren erster Punkt Wahl des Borstandes ist. Abg. Fehrenbach( 3entr.) beantragt, die Sigung zu ver= tagen, und die Anberaumung der nächsten Sizung dem Alterspräsidenten zu überlassen. Zur Begründung führt er aus: Nach meiner Auffassung besteht zwischen der Re= gierungsbildung und der Wahl des Reichstagsvorstandes ein persönlicher Zusammenhang( Burufe d. Komm.: Schiebung! Schieber!). Zum Schieben habe ich gar keine Veranlassung( Burufe d. Komm.: Aber zum Kuhhandel!). Da die Regierungsbildung bis jegt noch nicht erfolgen tonnie, scheint es mir angezeigt, auch die Bildung des Reichstagsvorstandes zu verschieben( Aha- Rufe b. d. Komm. und aroße Heiterkeit).

Abg. Diffmann( Soz.): Unsere Fraftion hält diese Begründung nicht für sichhaltig und wird gegen den Antrag Fehrenbach stimmen. Abg. Schulz( Dnatl.): In erster Linie ist es dringend notwendig, daß der Reichstag fich tonstituiert. Wir brauchen einen tatkräftigen Präsidenten, der die Wiederholung der gestrigen Szenen verhindert( Lärm bei den Kommunisten), die eine Schande und Schmach waren.( Geschrei bei den Kommunisten.) Wir beantragen, Jofort die Wahl des Präsidiums vorzunehmen.

Abg. Koenen( Komm.): Der Reichstag fängt gut an!( Große Heiterteit Sie tönnen teine Regierung finden, Sie tönnen tein

Abg. Fehrenbach( 3.): Herrn v. Graefe war es gestern darum zu tun, gleich in der ersten Sizung seine Geistesgemeinschaft schlage, steht dem§ 13 der Geschäftsordnung in feiner Weise ent­mit den Kommunisten darzutun.( Großes Hallo.) Was ich vor

gegen.

Bei der nun folgenden Abstimmung erheben sich für den Antrag Fehrenbach die Parteien des Zentrums, der Deutschen Volkspartei und der Demokraten, während gegen den Antrag die Sozialdemo­fraten, Kommunisten, Deutschnationalen und Deutschvölkische stimmen. Damit ist der Antrag Fehrenbach abgelehnt.

Abg. Fehrenbach( 3tr.) beantragt nunmehr, die Sigung auf 2 Uhr zu vertagen( Rufe der Kommunisten: Schieber). Die Frat tionen haben sich noch nicht einigen können und es ist ständige lebung des Hauses, einem solchen Vertagungsantrag, zumal, wenn er von drei Fraktionen gestellt wird, stattzugeben. Abg. Schulz( Dntl.): Nach dem Gebrauch des Hauses können wir einen solchen Antrag nicht ablehnen, aber es ist bedauerlich, daß so fluge Leute, wie sie in diesen drei Parteien versammelt sind, noch so lange Zeit zur Ueberlegung brauchen.( Heiterfeit.)

Abg. Dittmann( S03.): Auch wir widersehen uns nicht der Erwartung aus, daß, wenn der Reichstag um 2 Uhr wieder zu von drei Frattionen gewünschten Vertagung, sprechen aber die sammentritt, die Wahl des Präsidiums erfolgt.

Nachdem noch Abg. Könen( Komm,) dagegen ,, protestiert" hat, daß die Freilassung der verhafteten Abgeord: neten noch nicht beschlossen sei, wird der Bertagungs­antrag unter dem Geschrei und Händeklatschen der Kommunisten angenommen.

Helfer des Faschismus.

Das Echo der kommunistischen Flegeleien. Wären die Kommunisten bezahlte Agenten der. faschistischen Reaktion, so hätten sie nicht anders und besser operieren können, als in der gestrigen Eröffnungsfizung des Reichstags. Ein Blick in die Rechtspresse aller Schattie rungen genügt, um die wahre Wirkung ihres Verhaltens zu

Der neue Schiedsspruch.

Der Schiedsspruch liegt bis jetzt noch nicht im Wortlaut vor.

Wie uns aus zuständigen Kreisen versichert wird, ist dieser Schieds­spruch für die Bergarbeiter verhältnismäßig so wenig ungünstig aus gefallen, daß die Vertreter der vier Bergarbeiterverbände ihren Ver. tandsmitgliedern die Annahme des Echiedsspruches empfehlen werden.

mir:

Ueber den wesentlichen Inhalt des Schiedsspruches erfahren

Der neue Schiedsspruch bedeutet gegen die verschiedenen bis­herigen Sprüche eine Verbesserung infofern, als er die Siebenstundenschicht grundsählich bestehen läßt und die ein­stündige Mehrarbeit nur bis zum 30. September 1924 vorsicht. Bon da ab fann die Mehrarbeit an jedem Monatserften mit zweimonat­licher Frist gekündigt werden. Die Arbeitszeit über Tage beträgt acht Stunden und eine Stunde.

Für die Kotereiarbeiter ist eine Berkürzung der Arbeitszeit eingetreten. In Betrieben mit einer Garungszeit von 28 und mehr Stunden beträgt die effektive Arbeitszeit im Wochen­durchschnitt 62 Stunden. In Betrieben mit kürzerer Garungszeit und in solchen, die Gas erzeugen, tann die Arbeitszeit bis 31 72 Stunden im Wochendurchschnitt erhöht werden, doch ist für jede wefiere über 62 Stunden hinausgehende Arbeitszeit/ des wöchent­lichen Durchschnittslohns zu zahlen.

Der Lohn wird ab 1. Junui um weitere 5 Pro 3. erhöht, so daß einschließlich der Erhöhung von 15 Proz. durch Berbindlich teitserklärung ab 1. mai, der Aprillohn ab 1. Juni eine Steigerung von insgesamt 20 Pro 3. erfährt.

Da die Streifzeit gewissermaßen als Urlaubszeit betrachtet wird. ift es jedem Arbeiter gestattet, den ihm nach dem Manteltarif zu­stehenden Urlaub durch die entsprechende Lohnfumme abgelten zu lassen. Der Betrag foll möglichst sofort ausgezahlt werden, soweit die Zechen die hierzu notwendigen Summen beschaffen tönnen, um den Bergarbeitern in ihrer augenblicklichen starken finanziellen Bedrängnis entgegenzukommen.

arbeiter haben sich sofort ins Ruhrgebiet zurückbegeben, um in den Die an den Verhandlungen beteiligten Funktionäre der Berg­vorbereiteten Revierkonferenzen für die Annahme des Schiedsspruches und damit für die Wiederaufnahme der Arbeit einzutreten,

erkennen. Nicht eine Spur von Sorge oder gar Angst macht sich in den deutschnationalen, Blättern bemerkbar: die Reaktion Das war einmal; seitdem hat sie die bolfchemistische Bewegung hat längst verlernt, sich vor den Kommunisten zu fürchten. nur noch als Kinderschreck benutzt, um das Bürgertum, soweit wie möglich nach rechts zu bringen. Aber nachdem dieses Ziel leider in genügendem Maße erreicht ist, benutzt sie die Erzesse der Kommunisten, um die Republik und ihre Einrichtungen zu diskreditieren: die angeblichen Schrittmacher der Dif­der faschistischen Säbeldiktatur. tatur des Proletariats sind ihr die besten Schrittmacher

lich mit dem erklärlichen Ruf nach Verschärfung der geschäfts­Aufrichtige Sorge und Empörung verbunden natür­ordnungsmäßigen Zwangsmittel gegen die Ruheftörer, macht fich lediglich in den demokratischen Blättern und in der Ger­ mania " bemerkbar. In der Bossischen Zeitung" wird die fordert, wie sie z. B. in England besteht. Schaffung einer besonderen Parlamentswache ge=

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In Frankreich besteht sie gleichfalls, jedoch in der Form einer täglich wechselnden Infanteriekompagnie. Wir würden allerdings durchaus davor warnen, in ähnlicher Weise etwa die Reichswehr zu dieser wenig erbaulichen politischen Aufgabe heranzuziehen.

Bei den reaktionären Blättern hingegen macht sich nicht Sorge, sondern umgekehrt Hohn und Schadenfreude bemerkbar. Mit kaum verhüllter Genugtuung stellt der Lokal­Anzeiger" fest:

Die Deutschvölkischen fun den Demokraten und Sozialdemo fraten einstweilen durchaus nicht den Gefallen, Amok zu laufen und den Porzellanladen des hochheiligen Parlamentarismus zu zer­schlagen. Das besorgen ganz allein die politischen Kinder" des Herrn Severing."

die erwünschte Gelegenheit, die Spießerherzen damit zu er Die Gefangfinale der Eröffnungssigung gibt den Herren freuen, daß das Deutschlandlied gegen die Internationale" gehörig ausgespielt wird. Aber die ganz Scharfen machen bereits aus ihren geheimen Wünschen kein Hehl mehr. Die Deutsche Zeitung" schließt ihren Bericht mit den Worten: Notwendig wäre doch nur gewesen: Ein Leutnant und zehn Mann" im Sitzungsfaale des Hohen, besonderen Schutzes mür­digen Hauses."

Und am deutlichsten wird der schwerindustrielle Tag": ,, Stünden an der Spize unserer Regierung Männer, die die Konsequenzen aus diesem ganzen Theater zu ziehen verstehen, fo hätten wir sehr bald die schärffte Militärdiftatur. Das Sowjet­Theater wäre schnell am Ende... Rechts wird das Deutschland­lieb angestimmt. Links die Internationale zum Sturm entfacht. In der Mitle fizzen mit großen Augen unsere bisherigen großen Politiker, nach deren Ansicht mit Demokratie und Parlamentarismus ein Bolt aus dem Dred fommen

fann."

Sinomjem hat wieder einmal vorzügliche Arbeit für die ärgsten Feinde der Republik und der Arbeiterklasse ge­leiſtet!

Parteimonopol und Petroleum.

( Bon unserem römischen Korrespondenten.)

Rom , im Mai 1924.

Die faschistische Partei strebt weiter mit unge­schwächter Energie danach, ihre politische Monopol= ftellung zu feftigen und auszubreiten. Der Entwurf zur Umgestaltung des Reglements der Kammer, den auf Befehl des Hohen Rates des Faschismus" eine von ihm ernannte Kommission ausgearbeitet hat, geht darauf hinaus, die Kam­mer und ihr Dazwischenreden" in der Praxis ganz zu be­feitigen. Man ist nicht mehr zufrieden damit, die übergroße Mehrheit zu haben, mit der man alles durchsetzen und die Funktion des Parlaments zu einer rein dekorativer herabdrücken kann; es soll auch alles bequem und mühe­los zu erreichen sein. Die an Zahl so geringe Opposition soll nicht nur die Bucht der Mehrheit gegen fich haben, son­dern auch noch gefesselt sein durch die eigne Recht­losigkeit. Daher fordert der Entwurf der Abänderung des Reglements( der, obwohl außerhalb des Parlamentes aus­gearbeitet, doch unbeanstandet von der Kammermehrheit an­genommen werden wird), daß nach dem Schluß der allge­meinen Debatte nur noch die Abgeordneten das Wort nehmen fönnen, die eine von mindestens 30 Unterschriften unterstützte Tagesordnung eingebracht haben; diese Abgeordneten fönnen mur 30 Minuten sprechen und feiner fann mehr ais eine Tagesordnung unterzeichnen.

Auf diese Art soll den kleinen Fraktionen der Opposition, erschwert werden, eine Tagesordnung einzubringen und ihre von der allein die Klerikalen 30 Stimmen aufbringen könnten, Leute zum Worte fommen zu laffen; nach der bisherigen Geschäftsordnung genügten 20 Unterschriften, wobei ein Üb­geordneter mehrere Tagesordnungen unterzeichnen tomte.