Nr. 25041.Jahrgang Ausgabe A nr. 128
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Donnerstag, den 29. Mai 1924
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Der Monarchist als Reichstagspräsident.
Wallraf gegen Löbe gewählt.- Wird die Bürgerblockregierung?
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Den ersten Erfolg haben die Deutschnationalen einstecken| fönnen. Die bürgerlichen Mittelparteien wenigstens in ihrer großen Mehrheit haben den Monarchisten Wallraf zum Präsidenten des Reichstags der Republik gewählt. Seit ihr Verhandeln mit den Tirpig- Maaten begonnen, hat deren Suggestivkraft sich ständig verstärkt, so daß ein Rotau nach dem andern vor der Marine- Ezellenz von ehedem erfolgt. Die Sachlage war so flar, wie es nur möglich sein fonnte. Die Feinde der Republik machten geräuschvoll ihren Anspruch" auf das Präsidium geltend, weil sie die stärkste Fraktion darstellten. Die sozialdemokratische Fraktion als die stärkste republikanische Gruppe die Differenz zwischen beiden beträgt nur fünf Mandate, die sich die Deutschnationalen von einer anderen Bartei geliehen haben! schlug wieder den bisherigen, in allen Lagen aufs beste bewährten Präsidenten, Genossen Löbe, vor. Von ihm hatte in der letzten Sizung des alten Reichstags der jezige Fraktionsführer des Zentrums, der badische Fehrenbach, ein geradezu begeistertes Loblied gesungen, als er ausführte:
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Wir stehen ver Wahlen, die einen leidenschaftlichen Kampf im Wir stehen ver Wahlen, die einen leidenschaftlichen Kampf im deutschen Volke hervorrufen werden. Ich glaube, wir werden mit einer gewissen Beruhigung und Freude fonstatieren dürfen, daß es wenigstens ein moment gibt, wo wir alle miteinander einer Auffaffung find, nämlich in der Anerkennung für die Leitung der Geschäfte gegenüber unserem verehrten Herrn Präsidenten.. Es ist nicht immer leicht, in übersichtlicher Weise über die Arbeiten des Reichstages zu disponieren. Unser Herr Präsident hat die Befäbigung dafür immer nachgewiesen. Es ist nicht immer leicht, in so leidenschaftlichen Kampfen, umtott von allen möglichen Anwürfen, auch von Beleidigungen, jene Objektivität zu bewah ren, die den Präsidenten auszeichnen foll. In mustergülfiger Obren, die den Präsidenten auszeichnen soll. In mustergültiger Objektivität hat unser Präsident feines Amtes gewaltet.( Bravo.) Dabei will ich ganz besonders gerne anerkennen, baß er mit Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit sein Amt geführt hat. Ent. schuldigen Sie, wenn ich als Süddeutscher sage: es hat mich außer ordentlich gefreut, bei dem Schlesier ab und zu auch den Schim. mer des goldenen humors hindurchblizen zu sehen. Ich glaube, am Schlusse dieser letzten Tagung dieses Reichstages unserem Herrn Präsidenten unfern wärmsten Dank und unsere herzliche Berehrung zum Ausdrud bringen zu sollen.( Debhafter Beifall.) An dem„ lebhaften Beifall", der nach dem stenographischen Protokoll dieser Erklärung Fehrenbachs folgte, beteiligten sich, mit Ausnahme der Kommunisten, Mitglieder aller Fraftionen. Das war am 14. März 1924.
Am 28. Mai aber, da dieser so gepriesene Präsident zur Wiederwahl vorgeschlagen wurde, stimmte nicht einmal das Zentrum für ihn, dessen Sprecher Herr Fehrenbach gewesen. Es stellte einen eigenen Kandidaten auf, und in der Stichwahl verhalf ein Teil von ihm dem Monarchisten Wallraf zum Siege. Wir stellen diese Tatsache lediglich fest!
Regierung, ist eine Sünde am deutschen Bolte, die schlimmste vielleicht seit der Erklärung des rücksichtslosen U- Boot- Krieges. Genau so wie damals nationalistischer Wahnsinn die Möglichkeit eines rechtzeitigen, annehmbaren Friedens zerstörte, so wird jetzt aus Angst vor dem Nationalismus eine durch den Umschwung in Frankreich unverhofft entstandene Gelegenheit zu einer schnellen endgültigen Regelung der Nachkriegswirren verscherzt.
Sind fich die Herren, die gegenwärtig dazu treiben, daß die Regierung des Bürgerblocks zustande komme, auch dessen bewußt, was sie anzurichten im Begriff sind? Oder stellen sie sich zu den klarsten außenpolitischen Tatsachen blind, zu den eindeutigsten Mahnungen gerade derjenigen Stimmen des Auslandes, die Deutschland am günstigsten gesinnt sind, taub? Ein einziger großer" politischer Gedanke scheint sie zu leiten: Wie legen wir endlich den Deutschnationalen die Feffein der Regierungsverantwortung an? Wie gelingt es uns, diese rücksichtslosen nationalistischen Demagogen endlich durch Ueber promittieren? An sich, rein parteipolitisch betrachtet. nahme eines Teiles der staatsmännischen Bürde zu fominsbesondere vom Standpunkte der Deutschen Volkspartei aus, ein durchaus begreiflicher Wunsch, zugleich aber ein frevelhaftes Spiel mit den wahren nationalen Interessen des Bater Landes. Denn über eins ist sich hoffentlich ein jeder im flaren: jede Reichsregierung, an der Deutschnationale teilnehmen, ist in den Augen des Auslandes eines jeden Vertrauens unwürdig. Eine Partei, die jahrelang selbst die einfachsten Maßnahmen zur Erfüllung des Friedensvertrages befämpft und sabotiert hat, eine Partei, die den Revanchegedanken stets in den Vordergrund gerückt hat, eine Partei, die jeden militaristischen Rummel mitmacht und alle Bestrebungen der Geheimorganisationen fördert, eine Partei, die noch foeben den Wahlkampf unter der aẞrole geführt hat, daß das Sachver ständigengutachten Wahnmiz" sei und ein zweites Berfailles" bedeute, kann eine solche Partei Vertrauen vom Auslande erwarten?
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Soweit das Ziel in Frage fommt, die Deutschnationalen au fompromittieren, so müßte es eigentlich selbst für deutsch Schauspiel, das die Deutschnationalen feit einigen Tagen bievolksparteiliche Begriffe genügend erreicht sein: denn das ten, ist wohl das Widerwärtigste und Kläglichste, was man feit langem erlebt hat: dieselbe Partei, die noch vor vier Wochen gegen den„ Wahnwiz" des zweiten Versailles " tobte, hat fich lediglich aus Sehnsucht nach der Futterkrippe zunächst bereit erklärt, über diesen Bahnmiz" zu verhandeln. Als dies noch immer nicht genügte, um an die ersehnten Ministerstühle heranzukommen, haben sich die Deutschnationalen in letzter Stunde bereit erklärt, entsprechend der For derung der Mittelparteien, den Wahnwih" zu afzep Daß Scholems Blaferchor, der feine Geschäfts- tieren. Dies ist gestern durch den Mund ihres Parteivor ordnung eines bürgerlichen Barlaments anerkennen will, trotz- ſizenden Hergt geschehen: die ganzen Verhandlungen des dem Anspruch auf einen Bizepräsidenten geltend machte, gestrigen Tages beruhen auf der vollendeten Tatsache dieses fonnte nur Heiterfeit erwecken. Der Chor gebärdet fich toll. deutschnationalen Rückzugs. Des weiteren hat sich Herr Hergt Aber er wird jetzt bald tuschen, weil ein Monarchist die Glocke ebenso vorbehaltlos auf den Boden der Verfassung schwingt. Daß diese Rebellen" sich vor jeder Peitsche ducken, gestellt. Fast möchte man meinen, daß, wenn das Zentrum ist bekannt. Es ist aber beschämend für die Arbeiter, die sie von ihm und den fünftigen deutschnationalen Ministern den Uebertritt zum Katholizismus verlangen würde, die Herren gewählt haben. sich des Ausspruches des Bourbonen - Königs Heinrich IV. entfinnen würden, der den Thron Frankreichs mit Hilfe dieser fleinen Formalität besteigen fonnte:" Paris ist eine Messe schon wert."
zu ihrem ersten Redner in der kommenden großen politischen Aussprache bestimmte die sozialdemokratische Reichstagsfraftion den Genossen Löbe.
Die Regierungsfrage offen.
Gefeilsche um den Bürgerblock.
Der gestrige Tag war mit Verhandlungen des Reichs. fanzler Marr über die Bildung eines neuen Kabinetts ausgefüllt, das unter seiner Führung auch die Deutschnationalen umfassen soll. Beit sind jedoch diese Verhandlungen noch nicht gediehen. Obwohl die Volkspartei und ein Teil des Zentrums bereits das Reichstagspräsidium den Deutschnationalen als Morgengabe darbrachten, zieren sich diese immer noch. Ein Teil von ihnen ist offenbar bereit, zur Erlangung von Ministerportefeuilles in puncto Verfassung und Erfüllungspolitit jedes Opfer zu bringen, während der andere sich noch sträubt. Das Zentrum hält an Mare als Reichskanzler feft, die Volkspartei dementiert die Behauptung, sie sei bereit, Stresemann als Außenminister fallen zu laffen.
Unter diesen Umständen ist alles noch ungewiß. Was sich seit gestern mittag vollzieht, die erneuten Verhandlungen mit Deutschnationalen um deren Eintritt in die
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nis zu der außenpolitischen Katastrophe, die man damit vorbereitet. Demgegenüber wird vielfach erwideri: Ist einmal das Sachverständigengutachten von Deutschland angenommen, dann sind weitere Verhandlungen überflüffig: ebenso wie Deutschland die betreffenden Gefeße und finanziellen Transaktionen auszuführen hat, so muß Frankreich feinen Teil von Konsequenzen ziehen, also die Amnestie im besetzten Gebiet, die Ruhrräumung usw."
Wenn man Politik lediglich auf dem Papier treibt, fo wäre das vielleicht richtig. Dann wäre es sogar gleichgültig, ob in Deutschland eine Regierung Ludendorff- Westarp und in Frankreich Poincaré - Degoutte am Ruder sein würden, um den Dawes- Plan auszuführen. Aber Politik wird nicht lediglich mit Aftenstücken, sondern auch mit Seelen getrieben. und ebenso wie es ein großes Glüd für die ganze Welt und nicht zuletzt für Deutschland gewesen ist, daß Poincaré am 11. Mai geschlagen wurde und am 1. Juni feinen Plak Herriot räumen muß, ebenso ist es nicht gleichgültig, sondern der Regierung sind oder draußen. Man wird über die beiderwesentlich, ob jekt in Deutschland Deutschnationale in feitigen Ausführungsmodalitäten des Sachverständigengutachtens sogar sehr viel verhandeln müssen. Und wenn morgen Deutschnationale in der Reichsregierung fizen und die französische Linksregierung erflärt:„ Wir waren gegenüber der Deutschen Republit zum größten Entgegenkommen bereit, wir haben es in verschiedenen Rundgebungen, noch vor unserem Amtsantritt so deutlich zum Auserud gebracht, wie wir es nur fonnten, aber zu einer Regierung, in der die Anhänger des Hohenzollernregimes, des Revanchetrieges, der Sabotage des Friedensvertrages fizen, haben wir nicht ein Jota Bertrauen!" wer in der ganzen Welt, wer in England, wer in Amerita, ja wer sogar in Deutsch land würde mit gutem Gewissen dem entgegentreten fönnen?
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Es scheint, als ob die Parteien der Mitte, voran die Volkspartei, über dem parlamentarischen Kulissengeschiebe den Blid für alles verloren hätten, was draußen in der Welt vorgeht. Und doch ist das Gebot, die Augen offen zu halten, dringender als je zuvor!
Die verhafteten Abgeordneten. Wollen und Können bei den Kommunisten.
Die Kommunisten hatten im Reichstage Dienstag und Mittwoch unausgefeßt getobt, die verhafteten Reichstagsgenoffen müßten freigelassen werden. Als es sich aber darum handelte, diesem Verlangen den zum Ziele führenden geschäftsordnungsmäßigen Ausdrud zu geben, standen sie rat- und hilflos da wie die Kinder. Die von ihnen bei ihrem Toben so wüst beschimpften Sozialdemokraten mußten ihnen erst den richtigen Weg dazu zeigen, und auch da fapierten sie es noch nicht, so daß sie der durch ihr Verhalten bei der Präfidentenwahl auf den Stuhl des Reichstagspräsidenten gelangte deutschnationale Herr Wallraf zurücwies. Schließlich fragten sie direkt bei den verlästerten Sozialdemokraten, wie sie es denn eigentlich machen müßten. Als durch die von ihnen befolgte Taktik dann zunächst die von ihnen verfolgte Absicht gänzlich vereitelt war, na h m die Sozialdemokratie schließ lich selber die Initiative in die Hand, um die Sache wieder in das richtige Gleis zu bringen und die Freilassung der in Haft befindlichen Reichstagsabgeordneten möglich zu machen, Es ist nüglich, die Dinge im einzelnen festzuhalten.
Eigentlich sollten sich sogar die ängstlichsten Herren vom Die Böllischen hatten beantragt, den im Hitler- Prozeß zu rechten Flügel der Deutschen Volkspartei mit dieser Demon 11 Jahr Festung verurteilten Abg. Kriebel aus der Haft stration politischen Renegatentums bei ihren Nachbarn zur zu entlassen. Die Kommunisten hatten zwei Anträge nach der Rechten begnügen und nun, gemeinsam mit den Deutschvölki- gleichen Richtung gestellt, von denen einer die Freilassung des schen, die Früchte des deutschnationalen Umfalls in der kom zu einem Jahr Gefängnis verurteilten tommunistischen Abg. menden Zeit ernten. Aber man kennt offenbar die Deutsch- ademann, der andere Antrag die Freilassung der acht in nationalen aus früheren Erfahrungen zu genau, um sich mit Untersuchungshaft befindlichen kommunistischen Abgeordneten diesen Ergebnissen begnügen zu wollen. Die Erinnerung an forderte. Die Kommunisten hatten Angst bekommen, daß die die Augusttage des vorigen Jahres ist wohl noch wach, in Deutschvölkischen und die Deutschnationalen nur für die Freidenen die Deutschnationalen unter Helfferichs Führung das laffung des völlischen Abg. Kriebel stimmen würden und nicht Steuerbukett der Regierung Cuno- Hermes glatt bewilligten, auch für die Freilassung der kommunistischen Abgeordneten. um es sodann unter Westarps Führung nach Bildung der Sie wollten deshalb die Rechte zwingen, auch für die FreiRegierung Stresemann- Hilferding rücksichtslos zu bekämpfen. lassung der fommunistischen Abgeordneten zu stimmen und Deshalb genügt wohl die gestrige Zusage Hergts zugunsten stellten deshalb den Antrag, alle in Haft befindlichen Abgedes Sachverständigengutachtens nicht, man will deutschnatio- ordneten freizulaffen. Nach der Geschäftsordnung ist die Vernale Reichsminister vor aller Welt Erfüllungspolitiker treiben handlung über einen solchen neuen Antrag nur zulässig, wenn lassen. niemand widerspricht. Als der deutschnationale Präsident Wallraf die Frage stellte, ob jemand widerspreche, wurde von der Rechten prompt widersprochen. Die Kommunisten hatten die Sache ungefchidt und plump angefaßt. Genosse Dittmann gab in einer Rede ihnen den Rat, ihren Antrag in der vorgelegten Form zurüdzuziehen und an seiner Stelle