Kr. 251» 41.?ahrgattg Ausgabe A Nr. 129 Bezugspreis: Wöchentlich 70(Solbpfcnnig, monatlich 3,— Goldmark voraus zahlbar. Unter Kreuzband für Deutschland . Danzig , Eaar- und Memelzebiei. Oesterreich. Litauen . Luxemburg 4.25 Goldmark. sür das übrige Ausland S.25 Goldmari pro Monat. Der..Vorwärts' mit der Sonntag». bcilage..Volk und Seit' mit..Sied» lung und Kleingarten", sowie der Ilnterhaltungsbeilagi„Heimwelt" und ffrouenbeilage„Frauenstimme" erscheint wochentägluh zweimal, Sonntags und Montags einmal.
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Ourgerblock-Durcheinander Das Raten um die Regierung.
Die deutschen Wählerinnen und Wähler haben am gestrigen chimmelfohrtstag, soweit sie Geld dazu hatten, im Grünen, soweit es ihnen fehlte, in häuslicher Ruhe verbracht. Wieviele haben die Muße dazu benutzt, ernstlich darüber nach' zudenken, was sie am 4. Mai angerichtet haben? Sie überlassen es dem Reichspräsidenten und den Irak tionsführern, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie aus diesem Scherbenhaufen ein Regierungstopf zusammengeleimt werden kann. Soviel man auch sucht, die Stücke wollen nicht zueinander passen. Herr H c r g t möchte Reichsminister des Innern werden. Er ist bereit, vor der schwarzrotgoldenen Fahne der Republik , die trotz dem volksparteilichen Antrag noch nicht abgeschosft ist, den Hut zu ziehen. Er ist bereit, als Vizekanzler, sich mit dem Kanzler Marx und mit dem Reichsaußenminister S t r e s e- m a n n zu vertragen, ja sogar Frau Stresemann die Hand zu küssen. In der Außenpolitik, die auf das Sachverständigengut- achten festgelegt ist, soll„die Kontinuität" gewahrt werden. Mehr kann man von Herrn5)ergt wirklich nicht ver- langen! Aber heute nachmittag sitzt die deutschnationale Fraktion. Sie wird darüber entscheiden, ob ihr Fraktionssührer einer ge- borensn Kleefeld die Hand küssen darf. Andere Fragen sind von minderem Belang. Der Fall Stresemann ist akut geworden. Wird die Lolkspartei ihren„besten Mann" opfern? Aber ist das der beste Mann? Oder ist es nicht vielmehr schon Herr Scholz? Gibt es keine neue Regierung Marx, dann stehen die Namen Stegerwald und S ch o l z im Vordergrund. Daß das Zentrum das Experiment mit Stegerwald machen würde. ist sehr stark zu bezweifeln. Bleibt ein Kabinett Scholz mit irgendeinem physiognomielosen Berussdiplomaten alter Schule als Außenminister und reichlich mit Deutschnationalen durch- setzt. Ein solches Kabinett würde freilich weder außenpolitischen Kredit noch eine parlamentarische Mehrheit haben. Was tut's? Man mag die Dinge drehen und wenden, wie man will. Die einzige Möglichkeit ist ein Kabinett mit außen- politischem Kredit, das den Kampf um eine parlamentarische Mehrheit ausnimmt. Diese einzige Möglichkeit unmöglich zu machen, ist das Ziel der Volkspartei. Diese Partei, deren Vorfahren mit dem Be- kenntnis auftraten:„Das Vaterland über die Partei!" tritt heute aus engstirniger Parteitaktik alle Interessen des Vater- landes mit Füßen. Herr Scholz braucht vielleicht gar nicht erst Reichskanzler werden, um das Reich ganz zu ruinieren, er kann es vielleicht auch so. Der„Bürgerblock" bleibt schon deshalb eine Schlagwort- hülle ohne Kern, weil die bürgerlichen Parteieü untereinander und in sich völlig zerfahren sind. Nie hat sich der u n p o l i- tische Sinn des deutschen Bürgertums trauriger manifestiert, als in den endlosen Geschaftelhubereien seiner wichtigtuenden Führerschaft um die neue Regierungsbildung. Viele Führer, keine Führung! In diesem Wirrwarr könnte die A r b e i t e r k l a s s e als ordnende Richtung gebende Macht in Erscheinung treten, wenn nicht ein Teil von ihr seine Stimmen an die kommunistischen Kindertrompetenvirtuosen weggeworfen hätte. Und d a s ist dos Allerbitterste an der Geschichte! Maxchens Himmelfahrt. Ter gottvertrauende Sprung i« der Abgrund. Für„die schlechthinige Ablehnung" des Sachverständigen- gutachiens tritt Max M a u r e n b r e ch e r in der„Deutschen Zeitung" ein. Er tut es init einem Lassalle-Zitat. obwohl Lassalle trotz aller Genialität weder das Gutachten noch Max Maurenbrecher vorausgeahnt hat. Er entschuldigt sich für dieses jüdische Zitat, indem er den noch Unentwegteren die Bemer- kung an den Kopf wirft:„Schämt euch, daß ihr erst vom Juden lernen müßt, was klare und würdige Polj- t i k ist." Ass� das kann man vom Juden lernen, sagt der völ- kische Antisemit Maurenbrecher. Sodann setzt er sich mit der bekannten deutschnationalen Erklärung auseinander, die das Sachverständigengutachten als ..Verhandlungsgrundlage" akzeptiert, und ruft seinen Partei- freunden zu: Dies euer Faseln von Verhandlungen„auf Grundlage des' oder „bei Gelegenheit des' oder„ausgehend von diesem Gutachten' ist in Wirklichkeit ein bängliches Ausweichen vor einem klaren Rein oder Ia, ein hissloses hinausschieben des letzten Entschlusses zum gottoer- trouenden Sprung«n den Abgrund!— Also darüber, daß die Ablehnung der Sprung in den Ab- rund ist, besteht volle Uebereinstimmung, Meinungsver- ebeicheit nur darüber, ob d« liebe Sott cha will od« nicht.
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Nun ist Maurenbrecher zwar Pastor, ober, wenn wir recht unterrichtet sind, besteht über diesen Punkt auch unter den Pa- stören keine übereinstimmende Ansicht. Von den Marx- und Stresemann-Lcuten glaubt Mauren » brecher nicht, daß sie das Notwendige, nämlich den bewußten Sprung,„groß und ganz tun" werden. Dazu sind sie nicht die richtigen Charaktere. Die von Verhandlungen faselnden, dem klaren Ja oder Nein ausweichenden Deutschnationalen können aber auch nicht die richtigen Charaktere sein. Bleibt nur W u l l e! Ob aber d e r es sich nicht am Ende auch noch überlegt, wenn die Reihe an ihn ist? Hüegerblock unö Demokratie. Eine Warnung. Die Verhandlungen über die Bildung eines Rechtskabinetts werden von einem Teil der demokratischen Presse mit Besorgnis und Entrüstung besprochen. Das„BerlinerTageblatt" stellt als selbstverständliche Haltung der Demokraten folgen- des fest: „Sollte dieses oder ein ähnliches Kabinett zustande kommen, so wäre ebenso mit einer Gefährdung des Verfassung s- staates wie mit einer schweren Schädigung der außenpolitischen Interessen des Reiches zu rechnrn." „Für die Demokraten tonn ein Zweifel über die Haltung, die sie einzuschlagen haben, nicht bestehen. Die deutschnationale Presse hat ja selber wiederholt in mehr oder minder geschmack- vollen Ausdrücken erklärt, daß der Eintritt der Demokraten in eine neue Regierung völlig überflüssig sei. In der Tat kann und darf die Teilnahme der Deutschen demokratsschen Partei an einer Regierung, wie sie geplant wird, unter keinen Umständen in Frage kommen." Diese Erklärung ist eindeutig. Die demokratische Reichs- tagsftaktion aber hat sich zu solcher Eindevtigkeit noch nicht durchgerungen. Die schwarzweißrote voikspartei. Kritik des Zentrums. Die„G« r m a n i a" bemerkt zu dem Antrag der Deutschen Volks partei , die schwarzweißrote Fahne wieder«inzuführen: „Werden sich da die Völkischen argem, daß die Deutsche Bolkspartei ihrem schönen Aaitationsantrag auf Wiedereinführung der allen Flagge um eine Nasenlänge zuvorgekommen ist. Im übrigen hat die Deussche Volkspartei die Situation ganz richtig erkannt. Di« wichtigste Angelegenheit, die uns im Augenblick be- schäftigt, ist ohne Zweifel die F l n g g e n f r a g e. Außerdem ist die Zahl der innerpolitischen Streitpunkt« noch viel zu gering. Sie muß schleunigst noch dadurch vergrößert werden, daß die Flagg-nfrage wieder aufgerollt wird. Ein« Lösung im Sinn« der Antragsteller wird sie zwar nicht finden, denn dazu ist «ine Verfassungsänderung notwendig und die dafür nötige Zwei- drittelmehrheit dürste schwerlich aufzubringen sein." Das Letztere wäre allerdings nur mit Hilfe der— K o m m u- nisten möglich!_ Die Lage im Ruhrkampf. Der Schiedsspruch verbindlich erklärt. Nachdem der unker Vorsitz des Schlichter» des Reichsarbeit». Ministerium» gefällte Schiedsspruch vom 27. Mai lS24 belrefsend die Arbeit»streitigkeiken im Ruhrkohlenbergbau vom Zechenoerband und einem Teil der Arbeitnehmeroerbände nicht angenommen worden ist, hat der Reichsarbeilsminister den Schiedsspruch unter dem 2g. Mai von Amts wegen für verbindlich er- k l S r t. da dies al» der einzige Weg erscheint, um die im Interesse der Volkswirsschast erforderliche sofortig- Wiederaufnahme der Produktion im Ruhrbergbau herbeizuführen. * Am Mittwoch hatte ein« Delegiertenkonferenz des alten Vergarbeitero erbendes in Bochum entgegen der Empfehlung der Orgamsationsleitung den Schiedsspruch mit 107 gegen 83 Stimmen abgelehnt, die Konferenz des Christlichen Verbandes hin- gegen mit 102 gegen 7 Stimmen den Spruch angenommen.
DI« französisch« Partei und die koaiitionssrage. Der sozio- listifch« Vezirksparteitag des Seine-Departements(Paris und Bannmeile) hat gestern mit Zweidrittelmehrheit die Beteiligung an einer Regierungstoalition abgelehnt. Es stimmten 666 Partei- Mitglieder für und 1781 gegen den Eintritt in die Regierung. Am Sonntag und Montag entscheidet endgültig der Gesamtparteitag. Paul Cambon. der 22 Jahre lang ununterbrochen, von 1808 bis 1020, französischer Botsckzafter in London war, ist hochbetagt in Paris gestorben. Er entstammt«, ebenso wie sein Bruder I u'l« s, der letzt« Botschafter in Berlin vor dem Kriege, einer alten Diplomatensamili«. Er war einer der Hauptarbeitenden am Zu» standetommev der englifchch-sqöstjchm Erttente,
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Der Claß-Prozeß. «Drang zur Selbstbezichtigung".— Furcht vor der Oeffentlichreit. Durch den Pfeifer- und Bläserlärm, den die jungen Leute Sinowjews im Deutschen Reichstag aufführten, ist zeitweilig die Ausmerkscimkeit abgelenkt worden von dem politischen Mord prozeß. der gegenwärtig in Moabit verhandelt wird. Aber die Verhandlungen gegen Thormann- Grandel, die wegen Mordversuchs gegen den General Seeckt unter Anklage stehen, verdienen in höchstem Maße die kritische Teilnahme der gesamten Oeffentlichkeit. Nicht so sehr wegen der Personen, die da beschuldigt sind, als vielmehr wegen des Netzes von Intrigen und Beschuldigungen, die sich um ihr Vorhaben spinnen, und wegen der Personenkreise, die hinter ihnen und gegen sie stehen. Da wird von Thormann ein Mann gesucht, der den mili- tärischen Leiter der Reichswehr „killt". Er sucht ihn— wo anders könnte er sich Erfolg oersprechen?— im Bureau der Deutschvölkischen Freiheitspartei , die jetzt den Ludendorff in den Reichstag geschickt hat. Er findet Gehör bei dem Sekretär dieser Partei, jenem ehemaligen Offizier Tettenborn, der ihm die notwendigen Zusagen macht und ihm auch den Mann stellt, der bereit sein soll, den General im Tattersall vom Pferde zu schießen. Dem jungen Mann wird Reithose, Waffe und das nötige Abonnement für den Reitsaal besorgt. Auch Geld wird ihm zur Verfügung gestellt. Alles ist fertig und der Thormann wartet im Caf6 auf den Ausgang des Unter- nehmens. Do kommt die Polizei und verhaftet ihn. Der deutsch - völkisch« Sekretär hatte alle Vorbereitungen mit ihm getroffen aber gleichzeitig das„Reichskommissariat für öffentliche Ord- nung" dauernd über den wirklichen oder vermeintlichen Atten- totsplan auf dem laufenden erhalten. So war Thormann in die Falle gegangen? Er war verhaftet. Bald stellt sich her- aus, daß zu seinen Hintermännern der Nationalsozialist und Fabrikant Grandel in Augsburg gehört. Aucb der wird verhaftet, nachdem er sich soeben durch einen gefälligen Polizei- beamten einen Paß nach Tirol hatte ausstellen lassen. Eon- zufällig natürlich. Eine Absicht, zu reisen, hatte er überhaupt nicht, so sagt er. Aber es ist für alle Fälle gut, wenn man eine Ausreisegenehmigung in der Tasche hat. Und nun wird der Mann in Berlin vernommen. Das ist sür den Mann aus Bayern schon sehr unangenehm. Ja, wenn's noch in München gewesen wäre! Aber gerade in Berlin vor einem rfifipreußi- scheu Untersuchungsrichter. Da mußte er ja den Kopf ver- licren. Und er verlor ihn. Er erzählt ausführlich und in allen Teilen durchaus logisch von seinen Verbindungen mit dem Führer der Alldeutschen , dem Justizrat C l a ß, den er glatt der Ansttftung und der Finanzierung des Mordplanes gegen Seeckt beschuldigt. Das erschien und mußte erscheinen als das offene Ge- ständnis eines ertappten und überführten Verbrechers. Aber wenige Tage darauf, augenscheinlich, nachdem er erkannt hatte, daß er zuviel aus der Schule geplaudert, widerruft er sein Geständnis und bittet den ihm gegenüber gestellten Claß weinend um Verzeihung. Er hat zwar, wie er vor Gericht zu- gibt, alle Einzelheiten des Plans von Thonnann erfahren, er hat auch mit dem gedungenen vermeintlichen Attentäter ge- sprachen, aber nichts unternommen, um die Ausführung des Attentats Zu verhindern. Vielmehr ist er seelenruhig nach Augsburg gefahren und hat sich einen Paß ausstellen lassen. Aber das, was er in der ersten Aufregung über seine eigenen und die Absichten des Justizrats Elaß ausplauderte, soll plötz- lich nicht wahr gewesen sein. Grandel ist vor Gericht ein zweite'- Philipp Eulenburg : schwer krank— und fast nicht verneh- mungsfühig. Die Aerzte bestätigen es und so muß man es glauben. Da, zu leidet er— nach seinen eigenen Angaben— an einem unbezwingbaren„Drang zur Selbstbezichtigung". Der hat ihn verleitet, Mitteilungen zu machen von seinen eigenen.Handlungsn, die nachprüfbar find, und von Unter- Haltungen, die er mit Claß geführt. Merkwürdig, daß diese Unterhaltungen auch die Differenzen zwischen Claß und Seeckt betrafen, die doch nur sehr Eingeweihten bekannt sein konnten und dem ganzen Attentatsplan einen vlavfiblen Grund liefern konnten. Aber das alles, was Grandel aus- plauderte, soll jetzt dem„Drang zur Selbstbezichtiaung" entsprungen und deshalb unglaubwürdig sein. Dieser„Drang zur Selbstbezichtigunq" ist«ine werwolle Bereicherung des Kapitels von forensischen Ausreden. Ludendorff kannte nur den„Zufall", der ihn ans Brandenburger Tor und in den München «? Putsch geführt hatte. Grandel übertrifft ibn mit dem„Drang zur Selbstbezichtigung", der so merk- würdige Wahrscheinlichkeiten ans Tageslicht för- derte. Ludendvrff fand mit seinem„Zufall" Glauben, bis er ebenso zufällig in den Reichstag der Republik spazierte. Ob Grandel dieselben gläubigen Richter findet, mag beute noch beweifelt werden. Aber da steht der Elaß vor Gericht. Als Zeuge, nicht ais Angeklagter. Eelbswerständlich bestreitet er. irgend etwas von dem Mordplan gewußt oder gar ihn angeregt zu haben. Je- doch ist da der dunkle Pmitt. des der Staatsanwali so gern