Nr. 75.
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Vorwärts
12. Jahrg.
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gernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin Berliner
Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
Freitag, den 29. März 1895.
Expedition: SW. 19, 33euth- Straße 3.
Kunst und Polizeiftaat. preußisches Gewächse, daß entschiedene Gefahren für das ja seit der Zeit der Demagogenheßen der 20 er, 30 er und
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Aus Künstlerkreisen wird uns geschrieben: Die offiziellen Vertreter der Wissenschaft und die Pack träger der Wissenschaft", wie Lassalle einst die Buchhändler benamset hat, haben sich zu Protesten gegen die Strangulirung ihres Ge und Erwerbes durch die Umsturzgesetze auf gerafft. Jetzt regen sich auch die Kräfte einer anderen sozialen Funktion", als welche der brave Demokrat Ludwig Pfau die Kunst bezeichnete.
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allgemeine deutsche Kunstleben im Gefolge haben muß, falls 40er Jahre erstaunliche Fortschritte gemacht, bis wir zu die russisch - tartarischen Bestimmungen dieses Kakerlaken von Gesezentwurf Rechtskraft erlangen sollten.
Bestimmungen gelangten, die sprachlich monströs ausgedrückt werden müssen: Versuchter Versuch des versuchten Versuchs zum Versuch des Hochverraths u. s. w. Wir sind eben das Volk der Denker, und die strafrecht- ausschwitzenden Denker suchen und suchten von je diesen Ruhmestitel deutscher Nation immer frisch und grün zu erhalten.
Gegen den Zusatz zu§ 130, der strafgesetzliche Dornens hecken um Religion, Monarchie, Ehe, Familie und Eigenthum ziehen soll, um diese Inftitutionen gegen Beschimpfung zu schützen, wenden sich folgende Säße:
Darum heißt es mit recht in dem angezogenen Artikel des Kunstwartes":" Nicht alle Bestimmungen der Vorlage berühren unmittelbar diejenigen Kreise, an die diese Zeit schrift sich wendet: aber alle athmen jenen Geist der Reaktion, gegen den Front zu machen als Pflicht jedes freien Künstlers erscheint." Das wohl derzeit führende Organ auf diesem Gebiet Da wird denn zunächst der famose Zusatz besprochen, Der Kunstwart", hat in seiner Berliner Beilage das Wort den die Vorlage zu§ 111 a des Strafgesetzbuches gemacht ergriffen, um zu zeigen, daß auch die bildenden Künste wissen will, der das Anpreisen oder„ Als- erlaubt- hinstellen" Gegenüber der Fassung dieser neuen Strafbestimmung weiß von der Reaktion mit Stangen und Spießen von von gewissen Vergehen unter exorbitante Strafen stellt. man wirklich nicht: soll man mehr staunen über die Unbefangenheit, mit der hier Begriffe als feststehend angenommen werden, Bütteln und Staatsanwälten bedroht zu werden sich Ueber diesen Zusatz heißt es am angeführten Orte: gefaßt machen dürfen. Diefer Paragraph kann nur demjenigen harınlos erscheinen, deren Grenzen die Philosophie seit Jahrtausenden vergeblich zu Im Polizei und Militärstaat führen ja die Künste der die Klippen zünftiger Jurisprudenz nicht fennt. Sollte man figiren bemüht war, oder soll man schärfer den Mahnruf er tönen lassen: Wachet auf! Euer bestes Können ist in Gefahr, überhaupt nur ein geduldetes Dasein, wobei sogar ihre dem Staate so müßte man auf den ersten Blick fragen- volkswirthschaftliche Bedeutung, rein materiell betrachtet, nicht das Recht zugestehen, sich gegen denjenigen zu wehren, der unterdrückt zu werden. Was ist Religion? Welche ist gemeint? In einer Zeit, wo den zur Sicherheit seiner Bürger aufgestellten Strastoder auf durchaus nicht erkannt wird. Für die gemüthlichen und diese Weise zu beseitigen bestrebt ist? Wer aber weiß, was oft ieder ernste Mann sich sein eigenes Glaubensbekenntniß aufbaut! ethischen Momente erwartet man in Ländern, wo der Säbel in der Hand von Staatanwälten und Richtern ohne daß Und ist denn die Ehe noch immer, selbst in protestantischen und der Geldsack alles prostituirt, ja gar keine Rücksicht. ihnen der Vorwurf der Böswilligkeit zu machen wäre, sondern Landen, ein Sakrameut und nicht vielmehr eine menschliche EinMan weiß, daß echte Kunst ihr Lebenselement nur in der lediglich der, daß sie eben auch nur fehlbare Menschen sind ausrichtung? Aber auch das Eigenthum soll als solches heiligen Schuh Freiheit findet und diese wiederum fördert: aber gerade den Ausdrücken unserer deutschen Sprache geworden ist, welche Das können Säbel und Geldsack nicht dulden, weil es Aus- und Unterlegungen vorgekommen sind, der wird mit genießen. Es ist gleichgiltig, wie du es dir erworben haft; ob du es ergaunert, erwuchert hast, das Eigenthum ist heilig- dann mit ihren Prärogativen bald Mathäi am letzten sein uns erklären müſſen: Weg mit biefem Paragraphen! Wer es er jenes Eigenthum, welches die Grundlage des Reichthums ist, von muß. Kapitalismus und Militarismus sind kultur- fahren hat, was allmälig aus unserem Unfug paragraphen geworden ist, wer es erfahren hat, wann z. B. es dem Staats- dem Chriftus predigt, es gehe eher ein Kameel durch ein Nadelfeindlich, folglich auch fun st feindlich. anwalte beliebte, wegen vorliegenden öffentlichen Interesses bei öhr, als daß ein Reicher in den Himmel komme. Beleidigungen einzuschreiten und wann nicht, der weiß auch, daß Der kunstsinnige Kritiker der Gesegesvorlage kommt zu dieser§ 111a genügt, um jede freie Kritik zu unterdrücken." dem Schlusse, daß man mit dieser Erweiterung des§ 130. An der Hand der famofen Motive", der sogenannten in der Hand jede freie That bedrohe, auf welchem Gebiete Begründungen zu den tassubischen Gesetzesvorschlägen wird der Kunst sie auch immer erfolgt sein mag. Er hebt auch dargelegt, daß es gefährlich sei, wie z. B. der Maler Kauf- gebührend hervor, daß die Vorlage von neuem eine Schranke mann gethan, die Freisprechung der Ehebrecherin durch zwischen der breiten Masse des Volkes und den sogenannten Christus zu malen und auszustellen, obgleich schon auf der Gebildeten aufrichten wolle. Schule an der Hand der Bibel mächtig viel Umsturz gepredigt werde.
Vorbildlich ist es für den Staat Preußen, daß Winckel mann , der Begründer einer Kunstwissenschaft, dies im preußischen Staate nicht werden konnte, sondern ebenso wie Herder und andere große Preußen" ihrem Vater land den Rücken kehrten, um ihre kulturgeschichtlichen Sendungen erfüllen zu können.
In Sparta haben die Musen nichts zu suchen, klagte Winckelmann mit sehr deutlicher Spize gegen seinen Heimathsstaat, der allzeit nur militärische Machtzwecke verfolgte, im günftigften Falle die Ausnutzbarkeit des Volkes steigerte, wie etwa der Viehzüchter seine Heerden hegt und nährt, um Milch, Wolle, Leder, Fleisch, Leim u. s. w. zu erzielen.
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Und die Staatserhaltenden" phantasiren fortwährend von Versöhnung der Gegensäge, Ausfüllung und UeberDas Große, das Neue komme selten geschritten auf der brückung der Kluft, Harmonie der Interessen", und wie die glatten Landstraße der Gesezmäßigkeit, und selbst, was für schönen Sächelchen alle heißen!- Alle Künstler, Kunsthandwerker, Kunstindustriellen, das Unantastbarste, Heiligste gelte, die christliche Religion und ihre Stiftung wäre straffällig gewesen, wenn es damals Kunstkonsumenten und Kunstfreunde, alle, alle haben wir, Gesetze nach Art der Umsturzvorlage gegeben hätte. Ebenso wenn nus Künste und Kunstpflege noch irgend etwas mehr tämen auch natürlich die Reformation und ihre Helden"-als Setuba, als Firlefanz sind, dringende Ursache, gegen Joachim u. s. w., schlecht weg bei solcher Praxis! Einführung der neuen Henkergeräthe gegen die Kunst, die nichts ist als Arbeit in höchster Potenz", zu protestiren aus allen Kräften.
Die neueste Zeit hat darin nichts geändert, Berlin ist der Sitz des preußischen Königs, der Präsident des Bundes der deutschen Fürsten und oberster Kriegsherr der deutschen Streitkräfte eine Hauptstadt deutscher Kunst ist es nicht. Der Zusatz zu§ 126 führe einen ganz neuen Begriff Die außerpreußischen Interessenten und Kenner der in die Strafgesetzgebung ein, das Hinwirken auf den Üm bildenden Kunst nun sehen in der Umsturzvorlage ein echt sturz der betreffenden Staatsordning". Nun, wir haben
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Feuilleton.
[ Nachdruck verboten.]
Zu Tode gehetzt!
Eine Erzählung nach dem Leben von Franz Held. „ Mit Gewalt fannst Du das nicht durchsetzen. Wir werden ihm Miethsentschädigung zahlen müssen." Meinst Du?! Hm."
Seine schäumende Wuth wurde durch diesen Gedanken bedeutend abgekühlt.
Es ist immer noch besser, als daß er uns das Doppelte und Dreifache stiehlt und verdirbt, fuhr die Frau fort. Wir müssen auf jeden Fall endgiltig mit ihm aus einander kommen."
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Die Knechte und Mägde lugten neugierig und hämisch hinter allen Ecken des Hofes hervor.
Schmeißt fie raus," wandte sich ihr Herr an die Lauscher zurück. Aber seine Frau wintte dem Gesinde ab. Sie müssen mir die Miethe, die ich hier nicht ab wohnen kann, in Geld vergüten!" schrie Rendelmann, während er sich zum Gehen wandte.
Da thun Sie gut dran!" eiferte Frau Schwarz. Wir Schwarz tam nach zwei Tagen, während deren er fieberhaft, sogar Nachts durch, gearbeitet und so das nöthigste sind froh, wenn wir Sie erst heraus haben. Sie wissen für ein paar Tage im voraus erledigt hatte, auf sein Gut schon, weshalb." zurück. Kendelmann verstummte und warf einen scheuen Blick 4 Juzwischen hatten sich die beiden Frauen wacker weiter auf seine Frau. gezantt, daß alle Töpfe in der Küche wackelten und klirrten." Ja, gut!" teifte diese, wir ziehen noch heute! Mit Frau Kendelmann, der es nicht entgangen war, daß ihr so einem Gesindel zusammen kann's ja die Sanftmuth selbst Mann ein Auge auf Frau Schwart habe( sie kannte seine nicht aushalten!" „ Raus! Raus!" brüllte Schwarz mit erhobener Wüstlingsnatur von seinen häufigen Attentaten auf ihre Dienstmädchen her, und bedauerte ihn deshalb beständig). Faust. Die Verschmähte suchte ihre Wuth gegen ihre Nebenbuhlerin auf jede Art und Weise auszulassen. Sie schüttete der Gottliebe das Waschfaß mit Blau um, als ob es zu= fällig geschehen wäre beanspruchte die Waschküche die ganze Zeit über für sich allein, so daß ihre ältesten und schon auf den Aussterbe- Etat gefeßten Handtücher und Bett überzüge sich einer gründlichen Verjüngerungskur zu er freuen hatten füllte den Holzkeller mit ganzen Wäldern an, daß für das Holz der anderen fein Platz blieb Ungeziefer säubern tann." Was? Ungeziefer? Und vorher Dieb? Ich verklage wollte die Reinigung des gemeinsamen Hausflurs der Gotts war liebe aufbürden, die sie einer Kendelmann, anfänglich die Grobheit selbst, an gewiffe, nahr- Sie wegen Beleidigung, Sie gemeiner Kerl!" später nur noch in Gegenivart seiner Frau unverschämt hafte Borstenthiere gemahnenden Unsauberkeit zieh gegen Frau Schwarz gewesen. ließ endlich( als kräftigsten Trumpf!) das Schweineihrem Knecht von in den Brunnen- Trog " Weshalb müssen wir uns denn streiten?" hatte er futter enter vier Augen zu ihr gesagt. Wo Ihr Mann doch schütten, so daß dessen Wasser auf längere Zeit für die für ein paar Wochen fort ist wir tönnten so schön mit feindlichen Kühe und Pferde ungenießbar wurde und einander auskommen ähulicher Chikanen noch unzählige, wie sie nur ein erbostes Und seine Kinnladen hatten leise gebebt, wie er so vor Nachbarinnengemüth zu ersinnen weiß. ihr stand. Nun war Schwarz plötzlich wieder da!
Zu dieser Nachgiebigkeit um jeden Preis war sie auch noch durch andere Gründe gekommen. Das Schlimmste hatte sie ihrem Mann noch gar nicht erzählt- - denn sie tannte seinen Jähzorn.
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Bei Tage sah er sie mit glimmenden Augen an, wie Es gab einen sehr heftigen Streit zwischen den beiden ein Wolf. Und als er sie einmal spät abends in der Nähe Männern. Schließlich warf Schwart dem Kendelmann die des Hühnerstalls allein traf, hatte er sie kurzweg um die Beschuldigung direkt ins Gesicht, er habe ihm so und so Hüften gepackt und an sich drücken wollen. Aber die kräftige viel Getreide vom Speicher gestohlen. Frau verabreichte ihm eene so nachdrückliche Ohrfeige, daß
Jawohl, gestohlen!!"
feine Nase start zu bluter anfing. Er ließ fie los, fluchte Kendelmann wollte statt aller Antwort auf ihn losund wagte feinen zweiten derartigen Versuch mehr. schlagen. Zum Glück fiel ihm seine Frau in den Arm, weil Es ist übrigens fein under( sagte sich Frau Schwartz), sie die Dinge denn doch nicht bis zu Mord und Todtschlag doß er mit seinem spindellürren Gestell von Ehegesponst getrieben sehen mochte.
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nicht zufrieden ist. Aber wie kann er sich da erdreisten, Der Beschuldigte erklärte feuchend, mit einem Menschen, gerade auf mich zu verfillen? Der alte Nußtuacker der ihn derartig beleidige, wolle er teine Stunde mehr zu sammen wohnen. Da sei man ja seines Lebens nicht mehr sicher!
der!!"
" Das thu' ich gern, wenn ich damit mein Haus vou
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Und ich Sie wegen Brandstiftung und Diebstahl!"" " Sie sind ein ganz schmieriger Verleumder!" " Und Sie sind ein Erzspißbube, ein Hallunke und
Filou!""
In diesem Tone ging es noch einige Zeit weiter, bis beide Parteien nicht mehr konnten. Ja, als nach drei Tagen die Familie Kendelmann wirklich mit Sack und Back abzog, wurde das„ klingende Spiel" des Gezänks womöglich noch lauter, denn Kendelmann nahm allerlei Geräthschaften mit, die ihm nicht gehörten. Und Schwarz, wie er das entdeckte, ließ sich von Thätlichkeiten nur durch die dringenden Vorstellungen seiner Frau abhalten. Sie hätte ein genaues Verzeichniß von allem gemacht, was sie mit auf den Hof brachten. Und sie könne vor Gericht beweisen, daß Kendelmann dies und jenes direkt gestohlen habe. Laß Dich nicht in eine Prügelei ein, schloß sie, wo Du ja doch alles durch's Gericht zurückbekommen wirst!" „ Ach was!" meinte Schwarz, als der Kendelmann'sche hochbepackte Möbelwagen an der Biegung der rothbraunen sonnengleißenden Landstraße hinter der dichtbeschneiten Erlenböschung verschwunden war. Wenn ihn die paar
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