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Nr. 261 41. Jahrgang

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KROLL

محمد

2. Beilage des Vorwärts

DEM DEUTSCHEN VOLKE

O.KOESTER

Donnerstag, 5. Juni 1924

In einem Punkt berührten sich freilich die Darlegungen des tom­munistischen und sozialdemokratischen Redners. Herr Dr. Levi sprach von der Verworfenheit der deutschen Justiz. Das muß ich entschieden zurückweisen. Nun zu den Deutschvöl tischen! Es ist bedauerlich, daß die Deutsche Volkspartei diese Nach­barschaft dulden muß.( Lärm b. den Natsoz. Zurufe der Komm.) Die Deutschvölkischen haben ein nahezu fommunistisches Programm entwickelt.( Unruhe b. d. Natsoz.) Auf die Rede des Herrn Henning trifft das Wort eines Ihrer Anhänger( zu den Natsoz.) zu: Wir find die geistig Enterbten!"( Lebhafter Beifall b. d. D. Vp.)

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Abg. Diffmann( Soz.): Wir werden trog der Rede des Abg. Thälmann für die Haftentlassung eintreten, feine Angriffe weisen wir zurüd.

Es folgen persönliche Bemerkungen zum Teil sehr erregter Natur unter vielem Lärm von links und rechts. Unter lauten Bfuirufen der Kommunisten werden sodann die Ausschußanträge auf Ablehnung der Freilassung der fom­munistischen Abgeordneten Lindau und Pfeiffer mit den Stimmen der bürgerlichen Parteien angenommen.

Biezepräsident Rießer seht die nächste Sigung auf heute, nach­mittags 5 Uhr, an. Tagesordnung: Entgegennahme der Regierungs­erflärung.

Abg. Eppstein ( Komm.) beantragt auf die Tagesordnung als ersten Bunft zu sehen: Freilassung aller politischen Gefangenen.

Abg. Müller- Franten( Soz.) widerspricht, da noch keine Reichs­regierung bestehe.

Der Antrag Eppstein findet nicht die genügende Unterstützung. Schluß 4 Uhr.

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Im gestrigen Bericht aus dem Reichstag ist ein bei dem Abge­ordneten Stoeder gefundener Brief über Terrorafte erwähnt worden. Der Berichterstatter, Genosse Löbe, hat jedoch hinzu­gefügt, daß Abg. Stoecker im Ausschuß dazu mitteilte, der Brief fei eine der vielen Zuschriften und Vorschläge, die ohne Auftrag bei Abgeordneten eingehen und er könne dafür feine Verantwortung übernehmen.

Strafantrag im Grandel- Prozeß

Je drei Jahre Zuchthaus für Thormann und Grandel. Das Gericht beschloß gestern im Thormann- Grandel- Prozeß, alle 3eugen zu vereidigen, daß aber aus dieser Tatsache feine Rückschlüsse über die Schuld oder Nichtschuld der Angeklagten zu ziehen seien. Es folgte dann die Bereidigung der Zeugen mit Ausnahme von Gilbert, der nicht aufzufinden war. Nach einer län­geren Beratung des Gerichts und der Verteidigung einigten sich alle Prozeßbeteiligten daraufhin, daß der Zeuge Gilbert nicht mehr zur Stelle geschafft werde, daß aber auch seine Aussage in dem Prozeß, da der Zeuge nicht vereidigt werden kann, nicht ausgewertet wer= den soll.

Es erfolgte im Anschluß daran noch eine kurze Bernehmung des Prokuristen Grandels, Rupp, der erklärte, daß er Grandel vor seiner Reise im Januar nach Berlin gebeten habe, hier

Ach bitte, wo geht's denn hier zur Volksoper?"- Meinen Sie Kroll oder den Reichstag?" einen Bertreter für Norddeutſchland zu engagieren.

Haftentlassungsdebatte im Reichstag.

Rathenau - Mörder!

bei den Grandel und Thormann?

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Nach dem Zentrumsabg. Bell sprach in der gestrigen Bor-| Boltsgericht in München im letzten Augenblid die Brüde mittagsfigung des Reichstags Abg. Brodauf( Dem.): Wenn auch nur betrat, die ihm der Vorsitzende baute. Ist der deutsche Geist etwa zu ein fieiner Teil der Beschuldigungen erwiesen wird, so haben wir Hause es mit der schlimmsten Gefährdung der Verfassung und des Staates zu tun. Wir werden uns durchaus freuen, wenn die Zentrale und ihre Mitglieder durch die Untersuchung ent­lastet werden, aber das Verfahren gegen die beiden Angeschuldigten muß seinen Gang gehen. Das Interesse der Herren Kommunisten an dem ungestörten Fortgang der Reichstagsverhandlungen scheint mir übrigens, nach ihrem ganzen Auftreten hier und besonders nach dem Debut der Frau Ruth Fischer nicht allzu groß zu sein. ( Lärm bei den Kommunisten.) Die Gerechtigkeit und Unparteilichkeit gebietet uns, den gleichen Standpunkt gegen die Herren auf der Rechten einzunehmen, die sich, wie die Deutschvölkischen, auf dem gleichen sittlichen Niveau befinden.( Großer Lärm bei den Nationalsozialisten.) Dort ist u. a. das Schandwort Judenschwein" gefallen. Das ist fennzeichnend für diese Herren. Wir Demokraten

wollen

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gleiches Recht für die Hochverräter von links wie von rechts. Abg. Henning( Natsoz.): Sechs Kommunisten läßt man frei, unser Freund Kriebel, ein Ehrenmann( Lärm bei den Kommunisten), muß in Haft bleiben. Das ist die Gerechtigkeit des Reichstags. Im Ausschuß hat das Zentrum sich für uns erklärt, um so größer war unser Erstaunen über seinen Umfall im Plenum. Auch Herr Dittmann sprach sich dort grundfäßlich für die Immunität aus; im Plenum hoben die Sozialdemokraten ihren Grundsatz:" Recht foll Recht bleiben!" auf. Ausgerechnet ein Mann von der Ver­gangenheit Dittmanns maßt sich an, von Kriebels Landesverrat zu sprechen( Stürmische Zustimmung bei den Nationalsozialisten. Rufe: Novemberverbrecher! Hochperräter!) Wir ireiben feinen Kuh­handel wie die Sozialdemokraten.( Große Unruhe links und an­dauernde Erregung im ganzen Hause. Ruf: Idioten!) Es ist der Stolz unserer deutschvölkischen Fraktion, daß sie auch nicht einen Tropfen jüdischen Blutes in ihren Reihen aufweist.( Stür­mischer Widerspruch und betäubender Lärm.) Ein Hochverräter ist Ein Hochverräter ist auch ein Vaterlandsloser. Wenn die Herren Stresemann und Marr die Wirtschaftspolitik unentwegt weitertreiben, die das deutsche Volt zum Erliegen bringen muß, jo find auch sie vaterlandslose Männer, mögen sie ihre Baterlandsliebe noch so sehr beteuern. Wir werden unsere Arbeit im Deutschlands Rettung unbeirrt und unerschrocken fortsetzen( Lärmende Zurufe aus den Reihen der Deutschen Voiks­part und des Zentrums.) Wir können Sie als Mitarbeiter an der Wiederaufrichtung Deutschlands nicht anerkennen. Reffen fann das deutsche Volk nur eine Diftatur der Deutschvölkischen.( Beifall rechts, Lärm bei den Kommunisten.)

Abg. Levi( Soz.):

Die Deutschvolfischen haben sich im Wahlkampf vorgestellt als die Partei der geistig und materiell Enterbten. Der Abg. Henning ist diesem Programm heute nichts schuldig geblieben. Gegen die ver­hafteten Abgeordneten liegen bis jetzt nur einseitige Darstellungen des Reichsanwalts vor. Wenn aber nur ein Teil der Anschuldigun gen wahr fein follte, so fönnen wir eine solche Kampfesweise nicht nur nicht billigen, sondern wir betrachten sie auch als eine fiefgehende Schädigung des deutschen Proletariats.( Lärm bei den Kommunisten.) Was ist denn dieser deutsche Beist", von dem uns Herr Henning einen Hauch hat verspüren lassen? Der Generalquartiermeister Ludendorff, der von 1916 bis Ende 1918 die ganze Macht Deutschlands in Händen gehabt hat, hat ein großes Spiel gespielt und das Spiel verloren.( Burufe bei den Nationalsozialisten: Durch Eure Schuld, durch die Friedensentschließung des Reichstags.) Ich rede von dem Ludendorff, der 1920 eines Morgens 6 Uhr vor dem Brandenburger Tor erschien. Er hätte den Mut haben müssen vor Gericht zu erscheinen. Er log vor dem Gericht wie ein erwischter Schulbub.( Lebhafte Bfui- Rufe rechts.) Oberstes Gesetz politischer Verbrecher ist, daß sie die Treue halten denen, die ihnen dalfen. Ich rede nicht von dem Abg. Ludendorff, der vor dem

( Buruf bei den Nationalsozialisten: Seipel- Mörder! Buruf links: Bei weiteren Ausführungen des Redners wird von einem nationalsozialistischen Abgeordneten gerufen: Adler!) Wir verleugnen Adler nicht, wir bekennen uns zu ihm.( 3uruf: Weil er ein Jude ist!) Adler hat seinen Pfennig Geld bekommen, wie die Antermann und Weichardt, die Geld für das Attentat gegen Harden erhielten und es versoffen und verhurten. Ich rede von dem Luden dorff, der im November 1923 in München marschiert ist und nachher auf dem Bauche gelegen hat.( 3uruf bei den Nationalsozialisten: Schuft! Unverschämter Lügner! Bizepräsident Dr. Rießer ruft den sich auf seine Aufforderung meldenden Zwischenrufer zur Ordnung) Der Redner erörtert dann

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die Fälle Urbahns und Frid,

bie juristisch und politisch völlig gleich feien.( Zuruf bei den Natio­nalfozialisten: Unerhört!) Urbahns hat aus durchaus anständigen Motiven gehandelt.( Buruf bei den Nationalsozialisten: Das ist ein Moskowiter!) Beide Fälle sind erwachsen aus der ungeheuren Not­Der Redner begründet die Stellungnahme der lage des Volkes. Sozialdemokraten für Haftentlassung der Abgg. Lindau und Pfeiffer, die jetzt nicht einmal der Reichsanwalt mehr mit all den Hochverrats­und Mordgeschichten in Zusammenhang bringen fönne. Da würde es fich nicht um eine Aufhebung der Immunität, sondern um eine Bogelfreierklärung zweier Abgeordneter handeln. Der deutsche Ar­beiter trage nicht die Neigung zum politischen Mord. Gelernt haben sie den Gebrauch der Sprengstoffe und des Dolches bei Euch( nach rechts).( Buruf bei den Nationalsozialisten: Mostau!) Was sie in vierjährigem organisierten Mord gelernt haben, das verlernen sie so schnell nicht wieder. Der Redner verlangt gleiches Recht für alle: für Kommunisten wie Nationalsozialisten. Wo ist der rächende Staatsanwalt?( Zuruf b. den Natsoz.: Sie sind der ist der rächende Staatsanwalt?( Buruf b. den Natsoz.: Sie sind der Anwalt von Moskau !) Turmhoch über der von Ihnen gerügten fittlichen Verwirrung erhebt sich die fittliche Verworfenheit der deutschen Justiz .( Vizepräsident Rießer rügt diesen Ausdruck.) Auch die Kommunisten müssen auf gleichem Fuß, nach gleichem Recht be­handelt werden

Abg. Thälmann ( Komm.): Mit von Spigeln zusammengetrage. nem Material will man uns befämpfen: es soll ein Sensations prozeß werden. Vor einigen Tagen wurde in der Dunkelkammer her Regierung davon gesprochen, ob man unsere Partei nicht schon jetzt verbieten sollte. Wir werden unser Ziel nie verleugnen, wir

haben

als Ziel die Organisation der Revolution. ( Ruf rechts: So sehen Sie aus!) Im bürgerlich- fapitalistischen Staat ist der Klassentampf unvermeidlich. Unsererseits wäre es geradezu ein Frevel, zu erklären, daß wir den bewaffneten Aufstand ablehnen.( Sehr wahr! b. b. Komm.) Die Fragen des bewaffneten Aufstandes und der Diktatur des Proletariats hängen eng zusammen. Das Bekenntnis zum bewaffneten Aufstand ist der Brüfftein für jede proletarische Partei. Wir werden nicht still­halten, wenn Sie( nach rechts) sich bewaffnen, um die Monarchie wiederherzustellen. Das Gewehr in der Hand des Proletariers be­deutet seine Freiheit. Im revolutionären Kriege muß die Bour­geoisie niedergekämpft werden.( Händeklatschen b. d. Komm.) Präsident Rießer macht wiederholt darauf aufmerksam, daß das Händellatschen im Reichstag nicht zulässig ist. Abg. Dr. Kahl( D. Vp.): Wenn etwas den Beweis erbracht hat, daß der Reichstag energisch gegen kommunistische Ausschreitun gen vorgehen muß, so war es die Rede des Vorredners, der den Rampf mit allen Mitteln, auch dem verbrecherischsten, empfahl. Es war eine Brandrede mit Aufreizung zum Mord und allen verbreche­rischen Taten. Da haben die Herren ihr wahres Geficht ge zeigt.( Buruf b. d. Komm.: Sie wollten ja die Wahrheit hören!)

Hierauf ergriff zur Schuldfrage der beiden Angeklagten in Bertretung des Generalstaatsanwalts, der am letzten Tage der Verhandlung nicht mehr beiwohnte, Staatsanwaltschaftsrat Bur­chardi das Wort. Die Bereidigung der Zeugen bedeutet nichts für ihre Glaubwürdigkeit. Das gilt auch für die Zeugen Tetten­born und Köpfe, denen ich vollen Glauben geschenkt habe und deren Aussagen auch nicht erschüttert worden sind. Ich glaube nicht, daß die Geldfrage für die Zeugen Tettenborn, Köpfe und Gilbert von ausschlaggebender Bedeutung war. Bielleicht wollten fie nur deshalb viel Barmittel aus Thormann herausziehen, um zu sehen, wer der Geldgeber sei. Aus dieser Handlungsweise auf eine mora­Aussage des 3eugen Tettenborn war flar und deuts, lische Minderwertigteit zu schließen, halte ich für verfehlt. Die ich und selbst Regierungsdirektor Weiß vermochte sie nicht zu

erschüttern.

Warum soll man um

Grandels Geständnis

immer einen Eiertanz aufführen. Der medizinische Sachverständige hat dargetan, daß das Geständnis sich normal psychologisch erklärt. Sicherlich ist Grandel bei seiner ersten Bernehmung niedergebrochen, aber er war doch nicht geistesverwirrt, und wer die klar und logisch aufgebaute Aussage hier vor Gericht gehört hat, der wird zugeben müssen, daß Dr. Grandel trog seines förperlichen Leidens geistig auf voller Höhe steht. Ich bin vielmehr der Ansicht, daß er in dem Augenblick, als er klar erkannte, was er angerichtet, nicht mehr die Kraft zu weiteren Lügen hatte, sondern daß sein Geständnis vor dem Untersuchungsrichter die Rüdfehr zur Wahrheit bedeutete. Und wenn Dr. Grandel den Herrn Justizrat Claß in seinem Geständnis belastete, so bedeutet auch dieser Umstand nicht, daß nun das ganze Geständnis falsch war. Ich stehe vielmehr auf dem Standpunkt, daß der Angeklagte seine Tat psychologisch rechtfertigen wollte, als er den Namen des Justizrates nannte. Es liegt hier eine Verabredung zum Mord

vor, auch wenn das Gericht durch die Bereidigung der Zeugen zu erkennen gegeben hat, daß es die Verabredung mit anderen, etwa mit einem Agent provocateur nicht ernst nimmt, und daß es den Deduktionen der Staatsanwaltschaft nicht folgen will. Aber auch bei dieser Rechtsauffassung bleibt immer noch eine Verabredung zwischen Thormann und Grandel bestehen, und die Angeklagten find deshalb aus§ 59 heraus mit Zuchthausstrafen von 1 bis 15 Jahren zu bestrafen. Was nun die Bemessung der Strafe selbst angeht, so billige ich beiden Angeklagten zu, daß sie sich nicht von egoisti­schen Motiven haben leiten lassen. Aber das fann man nicht übersehen, daß die Angeklagten feine jungen Fanatiker find, und hieraus fönnen fie feine Entschuldigung für sich ableiten. Man dente, welches neue Unheil über Deutschland hereingebrochen wäre, wenn im Januar der Inhaber der vollziehenden Gewalt durch Mord be­seitigt worden wäre. Auch darin kann für die Angeklagten kein Milderungsgrund liegen, daß die Tat glücklicherweise nicht aus= geführt worden ist.

Ich beantrage deshalb gegen beide Angeklagte eine Strafe von drei Jahren Zuchthaus unter Anrechnung von vier Monaten der erlittenen Untersuchungshaft.

In seinen Ausführungen über die Schuldfrage der Angeklagten ſtützte sich Rechtsanwalt Bloch vor allem auf die Tatsache, daß Justizrat Claß vereidigt worden sei, und daß niemand es wagen fönne, die Aussage dieses Zeugen zu bezweifeln. Damit breche ein Fundament der Anklage in sich zusammen. Hinter das sogenannte Geständnis Gran dels müsse man ein dickes Fragezeichen machen. Beuge sich wiederholt den Vorwurf habe machen lassen müssen, daß er mit der Wahrheit außerordentlich leichtfertig umgehe. Weiter müsse man die Aussagen der Zeugen Regierungsrat Mühleifen und Regierungsdirektor Weiß gegenüberstellen. Man müsse zu der Ansicht tommen, daß hinter Herrn Mühleifen lediglich ein leerer Raum sich ausdehne. Der Verteidiger schloß mit der Bitte um Freis fprechung. Auch Rechtsanwalt Dr. Sad bat um Freisprechung beider Angeklagter.

Hierauf wurde die Urteilsverkündung auf Don­nerstag vormittag angesetzt.