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Nr. 262+ 41. Jahrgang

Ausgabe B Nr. 132

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Donnerstag

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Berliner Volksblatt

5. Juni 1924

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Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Für Republik und Frieden!

Löbes Abrechnung mit den Deutschnationalen.

Der erste Tag der großen politischen Debatte im Reichs­tag begann mit der Fortsetzung jener Erörterungen, die in ben Berhandlungen der Mittelparteien und Deutschnationalen in breitester Form wochenlang immer wieder in der Deffent­lichkeit geführt worden sind. Aus den Auseinandersehungen, die durch eine Erklärung der Mittelparteien und durch eine Rede des Grafen We starp geführt wurden, gingen die großen politischen Gesichtspunkte, über die jetzt entschieden werden muß, nicht hervor.

Da erhob der Genoffe Löbe durch seine überaus glän­zende Rede die Debatte auf das Niveau einer großen politischen und ideellen Auseinandersehung mit dem Problem der deutschen   Gegenwart. Diese Rede durch Leuchtete den Sinn des politischen Geschehens, der im Partei­gezänk der letzten Verhandlungen um die Regierungsbildung unterzugehen drohte. Die Rede des Grafen estarp war die Ankündigung der Opposition der Deutschnationalen gegen die neue Regierung Marr. Aber aus dieser Ankündigung der Opposition sprach nur zu deutlich die Hoffnung, aus der Oppofition von heute zum Bundesgenossen von morgen zu werden. Aus dieser Hoffnung heraus ver­mied Westarp die antithetische Zuspigung der trennenden poli­tischen Fragen gegenüber den Mittelparteien.

Sein Kampf galt der Sozialdemokratie! Um bie Sozialdemokratie zu befämpfen, wollen die Deutschnatio­nalen die Führung der Reichsregierung. Um die Sozialdemo tratie zu bekämpfen, wollen sie Preußen. In der Sozial demokratie fehen fie die Kampfstellung der Republit und bes demokratischen Fortschritts, die sie zerschlagen müssen, ehe sie in Deutschland   zurüdfehren fönnen zum alten reaktionären Kurs der Monarchie. Um die Bundesgenossenschaft der Mittelparteien in diesem Kampf warb Bestarp in feiner Reichstagsrede. Ordentlich vorsichtig verhielt er sich in der Frage der Außenpolitif, in der er die Stellung feiner Fraktion auf die Formel brachte: Die An­nahme des Gutachtens im ganzen scheint mir nicht möglich zu fein". Die Tage des Bürgerblods sind noch nicht endgültig vorüber. Die Auseinandersetzungen der nächsten Wochen im Parlament werden die Entscheidung brin­gen müssen, ob die heutige Konstellation zur dauernden wird. Nach Bestarp arbeitete Genoffe Löbe in seiner ausge­zeichneten, das ganze Haus in Bann zwingenden Rede den großen Gegensaz heraus. Mit der Rückkehr des Genoffen Löbe in die parlamentarische Feldschlacht hat die Bartei einen glänzenden, fesselnden und gedankenreichen Redner zurückgewonnen, dessen Humor die Gegner zugleich niederschlägt und entwaffnet. Die Rede Löbes diente der ge= schichtlichen Wahrheit, daß jene Außenpolitik, die von der Sozialdemokratie zuerst mit aller Entschiedenheit ver­treten und gegen alle Anstürme verteidigt wurde, sich als die zwingend notwendige Gegenwartspolitik er­wiesen hat. Löbe zeigte, daß zwar wohl durch die Opposition gegen die Erfüllungspolitik die ertremen Parteien gewachsen wären, daß aber gleichzeitig die Gedankengänge der Erfüllungspolitik auch diese Parteien selbst mit zwingender Gewalt in ihren Bann gezogen hätten. Bu­nächst die Volkspartei, bis nunmehr auch die Deutschnationalen vor dem Wege nach Damaskus   stünden, schwankend zwar und zögernd, nicht ohne Zurückweichen, aber mit der Unsicherheit, die das erste Snmptom des Umfalls ist.

Westarp bekämpfte die deutsche Demokratie, Löbe ver­teidigt die deutsche Demokratie als die Hoffnung der Zukunft. Westarp seht der Wendung des politischen Kurses in Frank reich und England den Willen zur Wendung des deutschen  Kurses in entgegengeseztem Sinne entgegen. Löbe er= widert offen und ehrlich das Vertrauen des Auslandes zur deutschen   Demokratie, weil aus diesem Vertrauen der Friede für Deutschland   hervorwachsen werde. Westarp will die neuere und bessere Atmosphäre für Verstän­digungsverhandlungen zerstören, Löbe verteidigt den Gedanken des Friedens und der Verständigung.

Aus diesem Gegensaz Westarp- Löbe ging mit aller Klar­heit hervor, daß die deutsche   Sozialdemokratie ideell Die führende Partei in Deutschland   ist. Sie ist die Trägerin der Idee der Berständigung und des Friedens, sie ist die Trägerin und festeste Stüße jener Außenpolitik, die in der Gegenwart für Deutschland   notwendig ist. Zwei Wege zeigte diese Reichstagssigung: den Weg der Reaktion, der Europa  dauernd mit Krieg und Unrecht erfüllen muß, den Weg der Sozialdemokratie, der zum Frieden und zur Verständigung führt.

Die Rede Löbes gipfelte in einer starken Proflamation des Willens der Arbeiterschaft zum fulturellen Aufstieg und zur jozialen Gerechtigkeit. Der Gedante des Sozialismus leuchtete aus diefer Rede flar und hell hervor. Auch hier tam der große innere und soziale Gegensatz gegenüber dem Macht­willen der Deutschnationalen zum Ausdrud. Zwei Wege in der äußeren wie in der inneren Politik liegen vor dem deut schen Bolte. Ueber die Wahl des rechten Weges fann fein Bweifel bestehen

Herr Graefe hielt schließlich eine Rede im schlimmsten Stile der völkischen Mordheze gegen den Reichstanz­ler Dr. Marg. Ihr gegenüber müssen fast die früheren Hez­reden Helfferichs verblassen.

Bräsident Wallraf eröffnete die Reichstagsfißung heute um 10 Uhr 25 Min.

Auf der Tagesordnung steht die Besprechung der Regierungs. erklärung. Berbunden damit wird die erste Lesung des Nothaus.

halts für 1924.

Nach einer Erflärung des Abg. Scholz( D. Bp.) für die drei Mittelparteien, einer Rede Weftarps( Dnat.) und einer Erwiderung des Reichskanzlers Mary ergriff das Wort der

Abg. Löbe( Soz.):

Das Kernstück der nächsten Zeit ist die Stellungnahme zu bem Sachverständigen gutachten. wie fich zu ihm die Parteien stellen, der Reichstag stellt, evtl. der nächste Reichstag  ( Heiterkeit), mie sich das deutsche Volt dazu stellt, falls es zu einer direkten Entscheidung aufgerufen werden sollte. Davon hängt unser Schicksal in den nächsten Jahrzehnten ab. Darauf kommt es an, ob unfere Wirtschaft wieder voll in Gang tommt, ob 60 millionen unserer Bolfsgenossen Nahrung, klei­dung und Wohnung finden, darauf kommt es an, ob wir uns als Reich und Bolt erhalten können.

( Beifall b. d. Soz.) Die Ausführungen des Grafen Bestarp nötigen mich, einiges vorauszuschicken. Die starken Barte, die wir von ihm gehört haben, erinnerten mich an einen Ausspruch von dem Großvater jenes neuen Mitgliedes des Reichstages, dem Jugend und Namen vorzuwerfen ein spießbürgerliches Unterfangen wäre. Dieser Großvater hat nicht nur starte, sondern auch schwache 3eiten seines Vaterlandes gesehen und als Abgeordneter des Breußischen Landtages fagte er: Es ist leicht für einen Staats­mann, im Rabinett oder in der Kammer in die Kriegstrom pete zu stoßen und sich dabei an seinem Kaminfeuer zu wärmen. oder von dieser Tribüne donnernde Reden zu halten und es dem Musketier, der auf dem Schnee verbiutet, zu überlassen, ob sein System Sieg und Ruhm erwirbt." Die augenblickliche Lage Deutsch­ lands   ist dazu angetan, dieses Wort Bismards in Erinnerung zu bringen.( Große Unruhe rechts.)

"

Als die Deutschnationale Partei noch in feine Regierungs­fombination einbezogen war, hat sie auch von dieser Stelle aus ihren Spott geübt über die Zangengeburten, die bei neuen Regie­rungsbildungen nötig werden. Diesmal sind Sie( nach rechts) ganz hervorragend in die Kombination einbezogen worden. Die erste Probe von Kraft und Verjüngung bei derartigen Akten haben Sie wirklich nicht bestanden. Jetzt möchte ich aber spöttisch fragen: Wie piel Aufwand ist unnüz vertan, wieviel Kleinliches, allzu Menschliches hat sich in diesen Verhandlungen gezeigt?( Sehr wahr! bei den Soz.) Wenn ich mich eines Ausdrucks bedienen wollte, den ich neulich von der Rechten gehört abe, so würde ich sagen: Und wieviel Knochenerweichung gehört dazu!

( Lebhafte Zustimmung bei den Soz.) Dieser Vergleich ist wirklich nicht übertrieben, wenn man darauf hinweist, daß jedesmal, wenn der Kontrahent zur Bordertür hinausgeworfen wurde, er zur Hintertür wieder hineinkam( Sehr gut und Heiterfeit links). Umgekehrt verstehe ich es nicht, daß der Reichs­tanzler Marg und die Mittelparteien diesen Vorgängen nicht eher ein Ende gemacht haben, daß sie überhaupt diese Verhandlungs­weise geduldet haben, und ich hoffe, daß sie dabei nicht von dem Gesichtspunkt ausgegangen sind, daß sie in dem Augenblid, wo sich ihre Berbindung mit der rechten Seite zerschlägt, auf der andern Seite ihnen eine Kombination zur Verfügung steht, die auf alle Fälle für sie einspringt.

Herr Reichskanzler, diese Regierungsbant hätten Sie vor Wochen auch schon haben können.

( Sehr wahr! links.) Wenn Graf Westarp   jagt, das parlamen­tarische Syftem fei ganz unerträglich für Deutschland  , so stellt er damit unser eigenes Bolt tief unter alle Bölter mit parla­mentarischen Einrichtungen, nicht nur unter die großen angeisächsi­fchen und romanischen Nationen, die soviel Selbstbewußtsein haben ( Buruf rechts: Das fehlt Ihnen!), sondern auch unter die germani­schen Nationen des Nordens, die gar nichts anderes als parlamen­tarisches System kennen. In demselben Augenblick aber, wo Graf Bestarp das parlamentarische System als unbrauchbar erklärt, ver langt er auf Grund dieses Systems, daß der Reichspräsident der stärksten Partei angehört.

Wenn wir doch endlich mal den Augenblic erleben wollten, wahre Ueberzeugungstreue bei jenen Herren zu fehen! Ueber die hanebüchenen Unrichtigkeiten gegenüber dem Sachver ständigengutachten, die sich Graf Westarp erlaubt hat, werde ich fpäter sprechen. Wir bedauern diesen langen Regierungshandel besonders wegen seiner Rüdwirtung auf unsere inter nationalen Notwendigkeiten. In vorigen Reichstag sprach der Außenminister von dem Eilberstreifen am Horizont. Dieser Optimsmus wurde darnals verspottet, aber heute bestreitet niemand mehi, daß im West en die Wolfenwand sich zu heben be­ginnt.( Widerspruch rechts.) Die Zeitungen der Rechten haben felbst

darauf hingewiesen, daß durch die französischen   Wahlen der nationale Block eine schwere Niederlage erlitten hat,

in Frankreich   die Demokratie triumphiert, daß die Linksmehrheit andere Wege einschlagen wird als Poincaré  ( Ruf rechts: abwarten!), daß in Frankreich   der starke Wille zu einem wirklichen Frieden besteht und zu einer vernünftigen Verständigung mit Deutschland  , von der auch Herr Hergt in seinem Interview mit dem Lokalanzeiger" sprach. Ich erinnere an die Kundgebung Herriots, an die Er öffnungsrede des französischen   Alterspräsiden= ten, an die Bemühungen, den Präsidenten Millerand zu entfernen und an die gestrige Rede des Kammerpräsidenten

Painlevé.

Dieses Vertrauen zur deutschen   Demokratie erwidern wir offen und ehrlich,

weil wir uns davon eine Befriedigung verfprechen. Gewiß belastet uns das Sachverständigengutachten schwer, auch die neue französische Regierung wird die Wiedergutmachung verlangen, aber es ist eine andere Atmosphäre in die Berhandlungen gekommen. Wir hoffen, daß die im Gutachten nicht berührten Fragen zur Berständi­gung führen werden, namentlich die Freilassung der Gefan= genen und die Rückkehr der Ausgewiesenen. Diese Verständigung wird gerade dann am schwersten herbeizuführen sein, wenn wir sie zur Bedingung machen.( Widerspruch rechts.) Boraussetzung für die Verständigung ist allerdings daß auch bei uns der gute Wille herrscht und die Haßreden aufhören, denn alle nationalistischen Kundgebungen können die Gefängnishaft nur verlängern. Deshalb begrüßen wir es, daß die Deutschuationalen nicht in der Regierung fihen, denn, wenn sie sich auch auf den Boden des Sachverständigengutachtens stellen, würde doch niemals das Mißtrauen des Auslandes zerstört werden. Bei aller Rücksicht auf das Alter muß ich sagen, Herr von Tirpig hätte sich selbst sagen sollen, daß seine Kandidatur mie ein Alarmruf wirken würde. Graf Westarp hat sich ja selbst in England erfundigt, welche Wirkung die Kandidatur des Herrn von Tirpitz haben würde.( Ruf auf der Rechten: Lüge!- Lärm.) Ver­ehrter Herr 3wischenrufer, ich kenne Sie nicht. Aber wenn Sie mir Lüge zurufen, so haben Sie nicht beachtet, daß der Abg. Koch vorhin den Zwischenruf machte, daß in unseren Verhandlungen proto­follarisch erwiesen ist, daß Graf Westarp selbst eine solche Er­flärung abgegeben hat.

Sie( zu den Deutschnationalen  ) haben die stärkste Fraktion herbeigeführt mit Abgeordneten, die unter einer anderen Firma gewählt wurden. Sie haben im Moment Ihres Sieges gewisse Tendenzen, die wir vertreten haben, selber aufgenommen, insbesondere in der Frage des Sachverständigengutachtens zwar schwankend, zögernd, aber doch mit derjenigen Sicherheit, die das erste Symptom des Umfalles ist.

Abg. Löbe wird von den Kommunisten fortgesetzt unter­brochen und wendet sich, nachdem er längere Zeit diese Unterbrechun­gen nicht beachtet hat, ihnen mit folgenden Worten zu: Ich hätte ge­wünscht, daß am Tage der Eröffnung des Reichstages die Wände

dieses Gaales hinausgerückt worden wären bis an die Grenzen des

Reiches und daß

die ganze deutsche Arbeiterschaft gesehen hätte, was hinter dieser abgemachten und bestellten Entrüffung auf Kommando steckt. ( Stürmische Zustimmung bei den Soz. und in der Mitte, Geschrei der Kommunisten.) Ich weiß sehr wohl zwischen ehrlicher Ent­rüstung und anderer zu unterscheiden. Ich weiß, daß Abg. Rem= mele vor einigen Tagen hier ehrlich entrüstet war, aber ich weiß genau zu erkennen, welche Entrüstung auf Bestellung gespielt aus der man dann, nachdem das Kommando erfüllt ist, wieder in das behagliche bürgerliche Leben zurückfinkt. ( Gebrüll der Kommunisten.) Ich gebe die Ueberzeugung nicht auf, daß außerhalb und auch innerhalb dieses Saales fehe auch( zu den Kommunisten) unter Ihnen eine ganze Anzahl ab gehärmter Proletariergesichter, daß sich auch unter Ihnen

wird und.

ich

viele aufbäumen werden gegen diese Methode, die das Ansehen der Arbeiterschaft schädigt. ( Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten, Unruhe bei den Kommu­niften.) In Medlenburg. Thüringen   und Sachsen   hat diese Entwicklung schon begonnen aber auch bei den Bölkischen! In Bayern   haben die Völkischen von der Landtagswahl bis zur Reichstagswahl 40 000. Stimmen verloren, ein Beweis dafür, welcher Schwemmsand sich da ansammelt.( Buruf von den Bölkischen: Weil alle Führer eingesperrt sind! Stürmische Heiterkeit.)

-

Wie fönnen Sie überhaupt glauben, daß auf Ihre Seite eine Mehrheit des deutschen   Volfes trefen wird, wenn wir sehen, Iwelche lange blutige Spur hinter den Anfängen Ihrer Organi­fation herläuft!

Fast jeder Mordprozeß dieser Tage bringt neue Beweise da für. Angefangen von jenem Ehrhardt, den Sie heute abschütteln, der beim Kapp- Putsch   aber noch Ihr Führer war, der des Mein eids angetlagt, ein armes Mädchen ins Gefängnis bringt und sich selbst davon macht, über alle diese Morde und Mordprozesse- welche Rette! Wie können Sie, die doch auf die deutsche Offizierschre halten, noch Berbindungen aufrecht erhalten mit diesem Schmuh und Blut,