Von einem„Antreten" der Strafe kann heute eigentlich nurbei zweien der Verurtheilten, nämlich bei Keßler und Wißbergerdie Rede sein. Die beiden anderen Sünder, nämlich Zachan undHarnisch, sitzen wegen anderer Preßdelikte, deren die Gerechtig.keit deutscher Gerichte sie schuldig befunden hat, bereits seitgeraumer Zeit hinter den Kerkermauern Plötzensee's. Für siebietet der heutige Tag also eigentlich nichts besonders Neues...Es erübrigt, auf den Prozeß und seine Vorgeschichte beidieser Gelegenheit einzugehen. Die Art, wie am IS. Januar 18S4die preußische Staatsrniion triumphirt und wie am S. und g. Maidesselben Jahres ein Berliner Gericht ehrenhasten Männerngegenüber seine Sachlichkeit und Unparteilichkeit dokumentirthat, ist unauslöschlich lief in das Gedächtniß der gesitteten Welteingegraben. Diese Tage gehören wegen ihrer Wirkung zu denen,die nicht vergessen iverden können.Und auch die Verurtheilten werden, wenigstens soweit sieunsere Parteigenossen sind, der Wirkung dieser Affäre hinterden Kerkermaueru erhobene» Hauptes gedenken. Wissen sie doch, daßwenig andere Ereignisse der Herrlichkeit von heute einen sostarken Ruck gegeben haben, wie die Gummischlauch-Affäre mitihren Folgen. Es ist in neuerer Zeil wahrlich das menschen-möglichste von den Juteresientcn der heutigen Staats- undGesellschaftsordnung gethan worden, um diese ivackelig zu machen,aber eine der schönsten Palmen soll vorab unbestritten noch denenzuerkannt werde», welche von den Ordnungsthaten am Friedrichs-Hain eine Festigung der Ordnung von heule erhofften.Wenn die Gummischlauch-Preßsünder das Gefängniß wiederverlassen, und in anbetracht der Behandlung, die ihnen dort zutheil wird, haben wir allen Grund zu wünschen, daß sie ansdiesem Musterinstitut ohne schlimme Folgen für ihre Gesundheitheimlehren mSgen— wenn ihnen also nach Monaten die deutsche„Freiheit" wieder winkt, so wird abermals zur Freude allerrechtschaffenen Menschen ein gutes Stück von der heutigen Herr-lichkeit abgebröckelt sein.Dafür sorgen wir und noch mehr— unsere Feinde!Tie Inhaber von Sammellisten für die ausgesperrtenBrauer und Böttcher iverden hierdurch letztmalig aufgefordert,bis zum 7. April er. abzurechne», da andernfalls die Namen derRestanten im„Vorwärts" veröffentlicht werden. Der Ausschußder Berliner Gewerkschafts-Kommission, Grenadierstr. 10.Bismarck zu Ehren wollen einige größere Hoflieferanten,wie durch Säulenanschlag bekannt gegeben wird, am Allerwelts-Narrentage bereits um 7 Uhr abends ihre Läden schließen. DasOpfer zweier voller Stunden zu Ehren des Ausbeuter- Heros istgewiß nicht von Pappe. Aber es zeugt von Inkonsequenz. DerBourgeois, der den anerkannt bedeutendsten aller Arbeiterseindesinnvoll ehren will, kann dies wahrlich nicht, indem er den Ausgedeuteten zwei Ruhestunden mehr am Tage gönnt. Eine sinmgemäße Ehrung ist nur durch entsprechend größere Aus-b e u t u n g möglich. Wie wäre es, wenn man den Angestelltennach dem noch sehr erinnerlichen Muster des Kaiscrgeburtstags-Sonntags einige der ihnen gebührenden Ruhestunde» raubte undsie als Staffage zu Jlluminationszwecken benutzte? Erst so würdedie Bismarckbegeistcrung der Arbeiterfeinde ehrlich zum Ausdruckkommen.DaS BiSmarckfieber wird von den Antisemiten, die inbezug aus— sagen wir Geschäftsgewandtheit— allen anderenbürgerlichen Parteien überlegen sind, in einer Weise ausgenutzt,die den berechtigten Neid aller Mühlendammer hervorruft. Terfamose Plan. die Reichstagsräume als Abladestelle fürGeschästsreklame mit Beschlag zu belegen, ist vorderhand miß'glückt; was lag näher, als der Scherz, den Leuten, die Bismarck'Flugblätter nicht geschenkt haben wollen, den Beweis zu liefern,daß die Haupt- und Residenzstadt noch gute Seelen hat,die für eine Portion Entrüstungsblech und das ans altenSchmökern zusammengestöppelte Entrüstungsflugblatt sogar 20 Pf.bezahlen. Der Marten'sche Saal in der Friedrichstraße vereintephantastrt man von 1000 Personen— wir meinen. wennman die Hälfte annimmt, trifft man gerade das Richtige.Das giebt zu denken. Für«ine mit solchem Lärm inszenirteVeranstaltung, die allle nationalen Elemente vereinigensollte, ist das ein geradezu klägliches Resultat. Heiliger Bismarck,was mag das erst werden, wenn die konservative Parteiihren tollkühnen Plan wahr macht, und heute Abend in allenscchs Berliner Wahlkreisen Enlrüstungsversammlnngen ver-anstaltet. Man denke, sechs öffentliche Volksversamm-lungen in der Hauptstadt der Sozialdemokratie! DasRededonnerwetter über die„verruchte" Berliner StadtVertretung und den„vaterlandslosen" Reichstag hielt derAbgeordnete von Ahlwnrdt's Gnaden, Herr Professor Förster.Ter Redner bildet seine Kunst, die Zuhörer nervös zu mache»,immer mehr aus; jeder glaubt, die Rede hat glücklich ein Endegefunden— plötzlich kommt ein neuer Wortschivnll. AllbekannteSachen werden wie gewöhnlich mit großem Pathos und als Aus-fluß neuer Weisheit vorgetragen.Der Eifer der Versammlung, die heilige bismärckische Sachezu retten,>var wirklich rührend; nicht nur daß man zweiDepeschen abschickte, nein, man bescheinigte auch noch durch zweiResolutioimi, daß man sehr, sehr böse sei, weil andere Leutenicht aus Kommando in patriotische Siedehitze gerathen wollten.In den Resolutionen giebt man die Stadtvertrelung und denReichstag dem„Hohn und der Verachtung Deutschlands, Europasja der ganzen Welt preis". Ein Musterwerk schwülstiger Aus-drucksweise ist das Telegramm an den König von Preußen: Einechtes Königswort wiegt 100000 Neiderstimmen auf. Ew. Majestäthaben ein solches Wort gesprochen; ganz Teutschland widerhalltjubelnd von dem die Jahrhunderte durchtönenden Klange diesesWortes und blickt mit begeistertem Vertrauen auf den erhabenenSchirmer der angetasteten Volksehre.---Der Schriftsatz der Depesche spricht wie gewöhnlich von1000„deutschen Männern". Wenn sich unter dieser Formelalles vereint, was Berlin an Servilismus und Byzantinismusaufzuweisen hat, dann haben die Bismarck-Anbeter ein wahresWort gesprochen; dann soll ihnen auch ihre unverschämte Aus-schneideret noch einmal verziehen werden.In der Urania hielt der Leiter der Absteckungsarbeitenbeim Bau des St. Gotlhardttunnels, Professor Dr. C. Koppeaus Brannschweig vorgestern einen intereffanlen Vortrag überdie Alpen- und Hochgebirgsbahnen, vornehmlich der Schweiz.Nachdem dieser berufene Fachmann in kurzer Skizze die früherenVerkehrsmittel im Hochgebirge geschildert hatte, ging er auf dieEntstehung der modernen Riesenwerke über und veranschaulichtedie Schwierigkeiten, die beim Bau der Gotthardtbahnund den Werken der Jngenieurkunst am Mont Ceniszu überwinden waren. Des weiteren ging der Vortragende aufden Bau des Simplontunnels ein, der in diesem Frühjahr inAngriff genommen werden soll. An den Bildern der gewaltigenGebirgsnatur in der Schweiz erläuterte der Redner die Niese»-arbeit die der Mensch bei Durchbohrung der Bergriesen zu leistenhat. Im zweiten Theil des Vortrags wurden die Bergbahnengeschildert, welche den Vergnügungsreiscnden die Schwcizerreisezwar ungemein bequem gemacht, dafür der Alvenbesteigung aber auchum ein gutes Stück ihres wunderbaren Reizes beraubt haben.In der Fürsorge für die Bequemlichkeit derer, die sich den fastmühelosen Genuß der Alpenwelt gönnen können, werden fort-gesetzt neue Aufgaben der Jngenieurkunst gelöst; so ist manneuerdings von der Drahtseil- und Zahnradbahn zu demProblem der pneumatischen Bahn übergegangen, welche dieReisenden mit der Fixigkeit, mit der man die Briese der Rohr-post befördert, auf den Gipfel der Jungfrau hinausschnellen würde.Freilich würde ein solches Vergnügen vorab nur der mitmehr oder weniger Unrecht auf Bildung und Besitz pochendenMenschengattung möglich sein, denn nach der Berechnung, dieHerr Prof. Dr. Koppe gab, stellt sich eine solche kurze Reise aufnicht weniger als 80 M. Späteren Zeiten, in denen nicht alleinder Profil das maßgebende sein wird, möge es vorbehaltenbleiben, die heute fast abenteuerlich klingenden Probleme zumNutzen der gesammten Kulturmenschheit zu verwirklichen.Sehr gescheidt benahm sich am Mittwoch der ArbeitgeberS. aus der Pappel-Allee vor dem hiesigen Gewerbegericht. Erwar von einem früher bei ihm beschäftigt gewesenen Arbeiterwegen unrechtmäßiger Entlassung verklagt worden. Vor Eintrittin die eigentliche Verhandlung fragte der Vorsitzende Richter denBeklagten, ob er der Geschäftsinhaber sei. Der Fabrikant ver-neinte die Frage mit dem Bemerken, daß das Geschäft seinerFrau gehöre. Die weitere Frage des Richters, ob diese dennauch als Geschäftsinhaberin im Handelsregister verzeichnet stehe,bewog den Arbeitgeber zu der Auskunft, sie sei zwar nicht insHandelsregister, wohl aber ins Standesamts regist ereingetragen. Auf die Belehrung des Vorsitzenden, daß in diesemwichtigen Buch zwar Eheschließungen, Geburten und Todessälle,aber keine Handelsfirmen eingezeichnet ständen, antwortete derBeklagte mit stoischer Ruhe: Ich bezahle mein Gewerbe. EineEinigung des Klägers mit diesem gelehrten Kopf kam nicht zustände, da sich der gute Mann leider so rabiat benahm, daß derVorsitzende wiederholt mit Bestrafung drohen mußte. Da dieSache nochmals zur Verhandlung kommt, so wird der Klägerweitere Gelegenheit finden, die eminente Weisheit seines ehe-maligen„Brotherrn" zu bewnndem.Ein Musterarbeiter. Den Gipfel der Anspruchslosigkeithat offenbar ein Arbeiter erklommen, welcher auf einem Kohlen-platze in der Saarbrückerstraße beschäftigt wird. Derselbe stehtin wohlthnendem Gegensatze zu den Sozialdemokralen, die be-kanntermaßen nicht arbeiten wollen, aber dasür desto größereAnsprüche machen. Besagter Arbeiter hat die Arbeiten z» ver-richten, wie sie auf einem Holz- und Kohlenhofe vorkommen, undwird auch zum Abtragen von Brennmaterial an die Kundschaftverwendet, wodurch allmälig das idyllische Arbeitsverhältnißweiteren Kreisen bekannt geworden ist. Dasselbe bestehtdarin, daß der Glückliche als Gegenleistung für seineLeistungen Kost und Logis erhält; eine baare Ent»schädigung wird für überflüssig erachtet. Wenn ein ArbeiterKost und Logis erhält, so kann er wahrlich zufrieden sein, ins-besondere wenn, wie im vorliegenden Falle, das„Logis" ganzaußergewöhnliche Annehmlichkeiten bietet. Die Lagerstatt bestehtnämlich aus einem Arbeitswagen, wie er aus Holz- und Kohlenplatzen gebräuchlich ist, das Bett ans einigen Säcken und derluftige Schlafraum aus einem Kohlenschuppcn oder dem Haus-flur, wo gerade der Wagen Ausstellung gesunden hat. Abendsnach Geschäftsschluß wird der aus dem zweiten Hofe des Hausesbelegene ikohlenplatz durch ein großes Thor verschlossen und derArbeiter kann sich nun seinen süßen Träumereien über dieFreuden seines Daseins ungestört hingeben, sofern ihn nichtseine sonst gewöhnlich von Hunden versehenen Obliegenheitenals nächtlicher Bewachcr des Eigenthums seiner Herrschaft inAnspruch nehmen.— So muß beute ein Arbeiter beschaffen sein,will er das Wohlgefallen der Besitzenden erringen!TaS Wasser der Spree ist feit einigen Tagen in bi'deutendem Steigen begriffen; der Wasserstand hat seit Anfangder Woche um 60 Zentimeter zugenommen und ist so hoch, daßbereits die Plattform der Dampfer-Anlegestelle am Schlosse überfluthet ist. Wenn das Steigen des Wassers noch weiter anhält,dürfte die Mühlendamm- Brücke ans der Spree zu einem erheb-lichen Hinderniß werden. Uebrigens ist seit kurzem durch einunterhalb der neuen Schleuse angebrachtes Eisengerüst der er-forderliche Hochgang der die Spree passircndeu Zillen unterBetrachtziehnng der Mühlendamni- Brücke dafür Sorge getragen,baß die Fahrzeuge nicht mehr an dem Brückeiiboben hängenbleiben können.Arbcitcrfriihwagcn werden vom I. April ab wieder aufden verschiedenen Linien der Großen Berliner Pferdebahn vonmorgens ö Uhr in viertelstündlichen Abständen verkehren.Die OuinibnSlinie Frankfurter Linden— PotsdamerBrücke führt seit dem gestrigen Tage nicht niehr über denSchloßplatz, sondern durch die König-, Spandauerstraße über denMühlendamm-Spittelmarkt und durch die Leipzigerstraße.Ein Blinder als Korrespondent l Vor längerer Zeit, sowird berichtet, hatte sich ein junger Beamter einer der erstenhiesigen Banken, namens R.. in Gemeinschaft mit Freunden inBörsenspekulationen eingelassen und dabei bedeutende Verluste er-litten. Dieses Mißgeschick hatte derart auf den jetzt 27 Jahrealten Mann eingewirkt, daß er sich in einem Eisenbahnzuge durcheinen Revolverschnß in die rechte Schläfe zu tödten versuchte.Diese Absicht mißlaug; außerdem aber büßte R. infolge des un-glücklichen Schusses das Augenlicht ein. Völlig erblindet, fander in der städtischen Blindenanstalt in der Alten JakobstraßeAufnahme. Der junge Manu, der anfangs mit Korb-flochten beschäftigt wurde, fand bald in der Arbeit Trostfür sein herbes Geschick, wurde einer der fleißigsten und bestenArbeiter und erlangte auch schließlich sein heiteres Wesen zurück.Bald war er der Liebling nicht blos der Verwaltung,sondern auch seiner Leidensgefährten, denen er die Arbeitszeitdurch Scherz und Witz zu verkürzen verstand. Da trat plötzlicheine Wendung ein, die ihn trotz der Blindheit dem kaufmännischenBerufe zurückgeben sollte. Die Leitung der Anstalt beschaffteeine Schreibmaschine zur Erledigung des schriftlichen Verkehrs,und der Anstallsdirektor veranlaßt« den sehr begabten Kaufmann,sich mit der Einrichtung vertraut zu machen. R.. der sichunablässig der neuen Beschäftigung hingab, erlangte etwa nachJahresfrist eine derartige Fertigkeil im Schreiben, daß er dieMaschine völlig beherrschte. Dadurch ist es ihm— freilich zumLeidwesen seiner unglücklichen Gefährten— gelungen, bei emerhiesigen großen Versicherungsgesellschaft mit einem als aus-kömmlich bezeichneten Gehalt als Korrespondent Anstellung zufinde», eine Errungenschaft, die wohl einzig in ihrer Art dasteht.Durch Explosion kleiner Gummiballons erlitt gesternMittag der in der Schönhauser Allee 93 wohnende KaufmaniiBreilkreuz erhebliche Verletzungeil im Gesicht. B. hatte für seinenvierjährigen Knaben von einem Händler einen der mit Gas ge-fülllcn Ballons erworben! und war im Begriff, diesen zu be-zahlen, berührte jedoch durch eigene Unvorsichtigkeit mit seinerbrennenden Zigarre eine der Gummiblase», welche der Händlerin der Hand hielt, wodurch die sämmtlichen Ballons zur Ent-zündung gebracht wurden. B. erlitt schwere Brandwunden imGesicht und mußte sofort ärztliche Hilfe in Anspruch nahm.Neberfahren wurde gestern Morgen der Kutscher eines demBäckermeister Vogler aus Zehlendorf zugehörigen Brotwagens.Während der Wagen an dem Gasthos zum Deutschen Hause inSteglitz hielt, ließen heranrückende Soldaten plötzlich Trommel-wirbel erschallen. Die erschreckten Pferde gingen durch, derKutscher wurde herabgerissen und beide Räder gingen dem Un-glücklichen über die Brust. Allgemeines Befremden erregte es,daß keiner der Soldaten angehalten wurde, den Pserden in dieZügel zu fallen und dem Unglücklichen beizustehen.Von einer Hochzeitskutsche wurde der 12jährige in derHochmeisterstraße bei seinen Eltern wohnende Schüler Güntherüberfahren. Er gerieth beim Passiren der Gollnowstraße. wo-selbst er einen Handwagen schob, unter die Räder der von derGeorgenkirche konimenden Brautkutsche, deren Räder ihm über denKopf hinweggingen. Der Kleine wurde nach der elterlichenWohnung gebracht.— Ob der Wagen hat rekognoszirt werdenkönnen, wird nicht berichtet.Zweimal überfahren wurde von ei» und demselben Fuhr-werk, wie jetzt bekanntwird, am Montag Nachmittag um öVs Uhrdas dreijährige Mädcheu Alma Wüstenberg aus der Falckenstein.straße 21. Dort lief das Kind in die Räder eines Geschäfts-wageus, und der Kutscher(Firma Baatz, Wriezenerstr. 34) mer kteden Vorfall erst, als das Hinterrad dein Mädchen auf der Bruststand. Kaum hatte er den Wagen zurückgezogen, als das Pferddurch das Geschrei anderer Kinder scheu wurde, von neuem anzogund die Kleine nochmals überfuhr. Die Verletzungen sindanscheinend schwerer Art.Polizeibericht. Am 27. d. M. morgens wurde auf demPromenadenwege in der Königin-Augnstastraße die Leiche einesanscheinend infolge eines Schlaganfalles verstorbenen Mannesaufgesunden.— In der Wienerstraße fiel abends eine Frau beimAbspringen vom Hinterraum eines in der Fahrt befindlichenPferdebahnwagens hin und erlitt einen Armbruch.— In derLinicnstraße wurde eine Frau durch einen Bierwagen überfahrenund an den Beinen schwer verletzt.— Im Hanse Steinmetz-straße 88 fand ein kleiner Brand statt.Witterungöübersicht vom 28. März 1895.Wetter-Prognose für Freitag, 29. März 1895.Zlniächst warmes, vorwiegend trübes Wetter mit Regenfällenund frischen südwestlichen Winden; nachher ausklärend undelwaS lühler. Berliner Wctlerbureau.Gerirsits-Zleikuttg.Wucherprozeß Labaschin und Genoffen.Im weiteren Verlaufe des Wucherprozesses Labaschinund Genossen(siehe 2. Beilage) bekundet der als Zeuge ver-nommcne Justizrath Hirsch, daß er für Labaschin eine großeAnzahl notarieller Akte aufgenommen, daß aber nach seiner festenUeberzeugung kein einziger dieser Akte ein Wucherakl gewesen sei.Er habe auch kein einziges dieser Geschäfte als verschleiertes er»achien können. Er habe im allgemeine» die Geschäfte Labaschin'sgekannt und gewußl, daß derselbe sehr schwierig abziewickelnde Ge-schäfle, die sehr viel Mühe und Arbeit machten, betreibe. Labaschinhabe ihn in verschiedenen Fällen um seinen Rath gefragit, wenn auchkeineswegs in allen Fällen, und er habe nach seiner besten juri-stischen Ueberzeugung wiederholt ihm sagen können, daß diebeabsichtigte» Erbschafts- und Hypotheken-Ankäufe vor dem Ge-setze von 1893 nlcht strafbar seien. Der Zeuge versichert gegenübereiner i» den Akten befindlichen anderweiligen Behauptung einerZeugin, daß er vor Vollzug der notariellen Akte den Inhalt derselbenbeiden Komparenten laut und deutlich vorgelesen habe. AufBefragen des Staatsanwalts giebt der Zeuge zu, daß er auchfür Rieß einige notarielle Akte aufgenommen habe, möglich seies auch, daß dieS vereinzelt bei Protz zutreffe.In einem anderen Falle hat ein alter Kanzleirath, dessenSohn sein Militärjahr abdienen mußte, von Labaschin 4— S00 M.erhalten, wogegen er an Labaschin seine Gehaltssorderungencediren iniißle. Die Anklagebehürde hat diesen Fall nun zurIllustration sür das Bestreben L.'s herangezogen, einfacheDarlehnsgeschäste zu verschleiern. Der Zeuge rühmt L. nach,daß ihn dieser sehr coulant behandelt habe.Vor ö Jahren befand sich eine jetzt verstorbene Prediger-Witlwe, die ein Grundstück in Neuruppin besaß, in Geldverlegenheit, weil sie nothwendige Zahlungen zu leisten hatte.Di« Wittive hatte einen Erbanspruch in Höhe vor 2812 M., derzur Zeil nicht realisirbar war, weil einem schwachsinnigen Bruderbis a» sein Lebensende der Zinsgenuß zustand. Infolge einerZeitungsannonce trat die Frau behufs Veräußerung der Erb-schaft mit Rieß»nd durch dessen Vcrmittelung mit Labaschinin Verbindung. Die Frau cedirte durch einen von dem Justiz-rath Hirsch aufgenommenen notariellen Akt ihren Erb-anspruch an Labaschin und erhielt als Kaufpreis 1408 M.Das Erbschaftskapital mußte sie jährlich mit 140,80 M.verzinsen und zur Sicherheit auf dem Grundstücke inNeuruppin eine jiautionshypothek von 4500 M. bestellen.—Rechlsanw. Dr. C o ß m a n n ist der Ansicht, daß Rieß in diesemFalle doch absolut nichts Strafbares begangen habe.— Rechtsanw.Dr. S ch ö» f e l d bestreilet, daß hier ein verschleiertes Dahrlehns-geschäst vorliege und daß die Kautionshypothek einen Werthhatte.— Staatsanw. Strähl er findet es auffallend, daßJnstizrath Hirsch hier ein angebliches Kaufgeschäft notariellbeurkundet habe, während doch die Verpflichtung zur Verzinsungmit einem Kaufe nicht im Einklang stehe.— Justizrath Hirschbestreitet dies und setzt auseinander, daß nach seiner Ansicht dernotarielle Akt in sich ganz klar sei.In einem dritten Falle hat sich ein Graf Günther v. Strach->vitz zur Befriedigung eines nothwendigen Geldbedürsnisses anLabaschin gewandt. Er verkaufte ihm eine auf einem Ritterguthaftende Hypothek von d000 M. für 3500 M. Die Hypothekwar sicher, aber erst nach>/« jähriger Kündigung in Raten von500 M. fällig. Später brauchte Graf Strachwitz nochmals Geld undverkaufte an Labaschin für 300 M. eine Hypothek von 1750 M.,deren lebenslänglicher Zinsgenuß einer 50 Jahre alten Frau zu-stand.— Der Staatsanwalt erklärt, daß hier ein reines Kauf-geschäft vorliege.Hier werden die Verhandlungen abgebrochen und auf Freitag9 Uhr vertagt.Ist der Schriftführer einer Versammlnng, die sich mitöffeiulichen Angelegenheiten befassen soll, als Ordner zu be-trachten? Diese Frage wurde am 28. März vom Kammer-gericht verneint. Im Lokale des Gastwirths Kelle sollteam 4. September 94 eine öffentliche Versaininlung zu dem Zweckestaltfiudcn, die Gewerbegerichts-Wahlen zu besprechen. Der Ein-berufer Augustin theilte den Anwesenden mit, daß'die Anmeldungder Äersammlung zu spät erfolgt sei und daß unter diesen Um-ständen von einer Burenuwahl Abstand genommen werdenmüßte. Eine Besprechung der Kandidatenfrage selbst glaubte erjedoch nicht unterlassen zu brauchen; er übernahm die Leitungund ersuchte den Handelsmann Löwenstein, als Schriftführer zufungiren. Löwenitein kam dieser Aufforderung nach. Augustinwurde als V o r st e h e r, Kelle als der, welcher denPlatz her-gegeben, und Löwenstein alsOrdner einer nicht angemeldetenVersammlung in Strafe genommen. Das Schöffengericht ver-urtheilte Augustin, während Kelle und Löwenstein freigesprochenwurden. Gegen dies Urtheil legte der Staatsanwalt Berufungein, und zwar mit Erfolg. K. sowohl wie L. wurden von derStrafkammer v e r u r t h e i l t. Bezüglich Löwenstein's wurdeausgeführt, daß ein Schriftführer als Ordner anzusehen sei. DasKammergericht schloß sich dem Urtheil bezüglich Kelle's an,sprach aber Löwenstein frei, indem es sich der Begründung desVertheidigers, Rechtsanwalts Heinemann, anschloß, daß einSchriftführer nicht als Ordner anzusehen sei. Ein Ordner inder Versammlung wäre vielmehr eine Person, die für die richtigePlatzvertheilung sorgt, den Versammelten die Plätze anweist undeine ähnliche Thätigkeit entfaltet.