Nr. 265 41.Jahrgang Ausgabe A nr. 136
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Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratifchen Partei Deutfchlands
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Sonnabend, den 7. Juni 1924
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Der Reichstag lehnte gestern abend mit 239 gegen 194 Stimmen den deutschnationalen Mißtrauensantrag ab und ging in einfacher Abstimmung über den nationalfozialistischen Bertrauensanfrag" zur Tagesordnung über. Er nahm sodann mit 247 gegen 183 Stimmen den Antrag Fehrenbach an, der die Annahme des Sachver ständigengutachtens durch die Regierung billigt.
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Die Politik der Befreiung durch Erfüllung bleibt der Kurs der deutschen Außenpolitik. Mit 247 gegen 183 Stimmen hat der deutsche Reichstag der Regierung Marr die Zustimmung zur Annahme der Gutachten der Sachverständigen gegeben. Die Kontinuität der bisherigen deutschen Außenpolitik bleibt gewahrt. Die Ent- rung der Situation herbeigeführt, die nach der Verwirrung wicklung zum Frieden und zur Verständigung, die in der ganzen Welt sich vollzieht, wird nicht unterbrochen. Deutsch lands Politik gliedert sich dieser Entwicklung ein, auf die sie seit fünf Jahren hingearbeitet hat.
Der Gedanke der Erfüllungspolitik hat einen großen parIamentarischen Erfolg errungen. Die Abstimmung über die Tagesordnung der Regierung der Mitte hat der ganzen Welt gezeigt, daß eine große und feste Mehrheit im Reichstag für die Fortsetzung der bisherigen Außenpolitik besteht- eine Tatsache, die durch die wochenlangen Berhandlungen über die Regierungsbildung verbunkelt worden war. Diese, Mehrheit ist stärker, als die Opposition es sich versehen hatte. Noch gestern abend, furz vor der Abstimmung, rechnete der„ LokalAnzeiger" eine zweifelhafte Mehrheit von 7 Stimmen für die Regierung Marr heraus, 230 gegen 223 Stimmen. Die Batrioten, die auf eine das Chaos bringende Entscheidung spefulierten, haben sich getäuscht. Mit 64 Stimmen Mehrheit, mit 247 gegen 183 Stimmen hat der Reichstag die Tagesordnung der Regierung Marr angenommen. Alle Befürchtungen, daß die deutsche Außenpolitif das Steuer herumwerfen, daß fie in den Kurs der Deutschnationalen, vielleicht gar in den Kurs der intransigenten Opposition der Ertremen einlenten fönnte, find damit zerstreut.
Deutschland nimmt das Sachverständi. gengutachten als ein unteilbares Ganzes an. Die Regierung Marr, deren Legitimation zur Annahme des Gutachtens von der Opposition bisher heftig bestritten wurde, ist durch Beschluß der Volksvertretung ausdrücklich legitimiert, ihre Erklärung, daß sie das Gutachten annehme, ausdrücklich gebilligt worden. Sie ist beauftragt worden, nunmehr das Sachverständigenqutachten durchzuführen. Deutschland zeigt seinen guten Willen durch die Annahme, es wird ihn im Laufe der Durchführung zeigen. Es darf erwarten, daß nun auch die Gegenseite iene Erleichterungen gewährt und jene Voraussetzungen schafft, auf denen das Gutachten sich aufbaut.
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besteht aus den Kommunisten und den Völkischent. Er steht auf dem Standpunkt, daß man das Gutachten, jenes zweite Versailles ", ohne jede Verhandlung von vornherein ablehnen müsse. Der andere Teil, die Deutsch = nationalen, wollte vor der Annahme Verhandlungen, um dem Ganzen eine andere Gestalt zu geben. Er wäre vielleicht sogar zur Annahme bereit gewesen, wenn er dafür Kompensationen an innerer Macht erhalten hätte. So wiegen die 183 Stimmen, die die Opposition aufbrachte, noch weniger als die reine Zahl es erscheinen läßt. In der entscheidenden Frage der deutschen Außenpolitik, in der Schickfalsfrage Deutschlands , gibt es wohl eine feste Mehrheit, aber feinen geschlossenen oppositionellen Blod.
Einn der von den Deutschnationalen geplanten" TirpigLösung". Es könnte sein, daß nach der Entscheidung des Reichstages die Völkischen und ein Teil der Deutschnationalen sich mit gewaltsamen Staatsstreich plänen tragen. Herr Graefe hat jedenfalls die Tatsache, daß über sein fogenanntes heuchlerisches Vertrauensvotum zur Tagesordmung übergegangen wurde, dazu benutzt, um die Regierung Marr als eine nerfassungswidrige Regierung zu bezeichnen. Sollten sie auf so frech verlogener Rechtsgrundlage" einen Staatsstreich versuchen, so sollen fie auf einen Widerstand stoßen, der härter sein wird, als der„ stahlharte Wille" des Herrn Henning. Deutschland wird sich von den Graefe und Ludendorff nicht mit Gewalt zum Selbstmord zwingen laffen. Zwei Tage parlamentarischen Kampfes haben jene Klä- Die außenpolitische Entscheidung ist gefallen. Der Kurs der deutschen Außenpolitik ist klar bestimmt. Nun werden der letzten Wochen bitter notwendig war. Es ist das Ver- die Verhandlungen über die Durchführung des Gutdienst der sozialdemokratischen Sprecher in diefen Debatten, achtens im einzelnen beginnen. Sie werden ihren daß sie mit der größten Klarheit und Entschiedenheit die Niederschlag finden in dem Gesetzgebungswerk, das nun zu Linien herausgearbeitet haben, die für die deutsche Außen- erledigen ist. Bei diesen parlamentarischen Verhandlungen politik richtunggebend sein müssen. Genosse Breitscheid steht die andere große Entscheidung noch aus die Ent hat gestern fortgesetzt und erweitert, was Genoffe Löbe scheidung darüber, wer die Lasten der Erfüllung Seine formvollendete, mit unerbittlicher des Gutachtens tragen foIL Geine formvollendete, mit unerbittlicher begonnen hatte. Hier wird der Logit aufgebaute Rede war wie die Rede des Genossen Löbe Kampf aufs neue entbrennen, hier wird er geführt werden ein Höhepunkt der Diskussion. In dieser Tatsache spiegelt müssen auch gegen Parteien, mit denen zusammen die Sofich die andere wider, daß im Kampfe um die deutsche Außen- zialdemokratie den außenpolitischen Kurs bestimmt hat. Erst politik die deutsche Sozialdemokratie die geistige Führung müssen wir leben als Volf, ehe wir um die Frage der LastenJene außenpolitische Tendenz, für die verteilung fämpfen fönnen, erst müssen wir den staatlichen sie um Anerkennung und Verwirklichung immer gerungen Kampfboden sichern, auf dem wir die sozialen Auseinanderhat, ist gestern in der Abstimmung des Reichstags abermals fegungen zu führen haben. Erst müssen wir uns von dem gebilligt worden auch von manchem Abgeordneten, der sie würgenden Drucke befreien, den die Reparationsverpflichtung früher heftig bekämpft hat. Die Reden 2öbes und Breit nach der bisherigen Regellosigkeit uns um den Hals legte. Die scheids waren Laten im Interesse Deutschlands - die Bergarbeiter der Ruhr haben empfunden, wie die UngewißOpposition von rechts aber war nur ängstlich darauf bedacht heit in der Reparationsfrage ihren Kampf um soziale Bemit ihren Agitationsphrafen nicht in Konflikt zu kommen, hauptung und sozialen Aufstieg lähmte. ein Streben, das sich bei Herrn Schlange und dem Grafen Reventlom zu unfreiwilliger Romit steigerte.
übernommen hat.
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Die Auseinanderseßungen haben ergeben, daß die Oppofition, die der Regierung gegenübertritt, feineswegs einen politisch einheitlich gebildeten Block darstellt. Sie zerfällt deutlich in zwei Teile. Der eine Teil, die intransigente Opposition,
Nun aber beginnt für uns der Kampf erst recht! Nun gilt es, der Idee der sozialen Gerechtigfeit Geltung zu verschaffen. Nun gilt es, die wirtschaftlichen Voraussetzungen wahrer Demokratie zu schaffen. Sammlung der deutschen Arbeiterschaft, Sammlung aller Kräfte der Demokratie in diesem Ringen- das ist unsere nächste Aufgabe.
Die Kammer in Permanenz?
Millerands vergebliches Suchen nach einem Ministerpräsidenten.
Paris , 6. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Die Führer der Präsidentschaftstrise ist damit in die Phase des Konflikts zwi Partei des Linksblods, die bereits am Donnerstagabend über schen Elysee und Barlaments mehrheit getreten Milledie neue Lage beraten haben, waren am Freitagvormillag zu einer rand hat am Donnerstag abend und am Freitag eine ganze Reihe neuen Besprechung zusammengetreten, an der u. a. Herriot, Léon Don Politikern zu Rate gezogen. Er hat dabei insbesondere die Blum, Paul Boncour, Barenne, Renaudel, Briand Mitglieder des Senats bevorzugt, wo er noch immer auf und Painlev teilgenommen haben. Am Freitagabend fand eine eine Mehrheit hoffen zu dürfen glaubt. Wenn auch über den Ver= neue Bollversammlung sämtlicher dem Kartell angeschlossenen lauf dieser Besprechungen teinerlei Mitteilungen erfolgt. find, so ist Fraffionen stait, um über die einzuschlagende Tattit Beschluß zu doch so viel sicher, daß feiner der von Millerand ins Elysee gefassen. Die Sozialisten haben in ihrer Fraktionsfizung am Freitag- betenen Politifer, unter denen sich von bekannteren der Bizepräsident morgen beschlossen, auf die Einbringung ihres angefündigten Antrages des Senats Millier- Lacroig, die ehemaligen Minister Ra auf Bertagung der Kammer, der der Geschäftsordnung zuwiderlaufen tier, Riom , Klop, Thomson und Chaumet, die Abges würde, zu verzichten und statt dessen in der Vollversammlung der ordneten Franklin Bouillon und Brunet befanden, den Cinken zu beantragen, daß die Kammer bis zur Beendigung der Auftrag zur Bildung des Kabinetts übernommen hat. Millerand Krise in permamenz tagen soll. Das soll in der Weise geschehen, wird also feine Besprechungen fortseßen. Im Elysee daß die Sitzungen nicht mehr gefchloffen und auf den nächsten Tag scheint man am Donnerstag sehr start auf den Gouverneur von vertagt, fondern nur jeweils auf wenige Stunden fuspendiert werden. Algier , den ebenfalls der Linken angehörenden und mit Millerand persönlich befreundeten ehemaligen Minifter Steeg gerechnet zu Paris , 6. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Herriot hat am
An der Durchführung der Gutachten wird der Reichstag teilhaben. Eine Reihe von Gefeßen wird nach seinem Wiederzusammentritt in schneller Folge erledigt werden müssen. Bei den Beratungen über diese Gesetze bleibt die juristische Streitfrage zu erledigen, ob für das Eisenbahnneg eine Zweidrittelmehrheit des Reichstags erforderlich ist. Wäre das nicht der Fall- und diese Ansicht ist hier immer vertreten woorden so stünde der Durchführung auf dem Wege der Gefehgebung nichts mehr im Wege. Wenn aber die Ansicht durchdringen sollte, daß eine verfaffungsändernde Mehrheit für dies Gesetz nötig ist, so wird im Parlament um diese Mehrheit gefämpft werden müffen. Kommt in diesem Reichstag eine Zweidrittelmehrheit nicht zustande, so bleiben nur zwei Bege: die Auflösung des Reichstages oder der Boltsentscheid. Dann mukfei es durch Neuwahlen, sei es durch Freitagmorgen einem Mitarbeiter des Paris Soir" mitgeteilt, daß haben. Am Freitag ließ dieser jedoch alle Gerüchte dieser Art aufs Boltsentscheid die Mehrheit des Bolles selbst für die Durch die Einfe in Ruhe die weitere Entwicklung der Dinge abwarten nachdrüdlichste dementieren. Herrn Millerand wird also führung jener Maßnahmen aufgerufen werden, mit denen die Befreiung der befekten Gebiete und die Lösung der Reparationsfrage verknüpft ift. Wir sind überzeugt, daß diese Mehrheit noch stärker fein würde, als am 4. Mai. Die Abstimmung des Reichstags hat meiter gezeigt, wie unbegründet die Machtansprüche der Deutschnationalen sind. Sie erweist die Bildung einer Regierung der Mitte als die einzige praftisch mögliche Lösung der Regierungsfrage. Die Regierung der Mitte, die Regierung des bisherigen außenpolitischen Kurses, verfügt für diese Politik über eine feste Mehrheit. Hätte eine Tirpiz- Regierung, eine Regierung des entschiedenen Kurswechsels der deutschen Bolitik im deutschnationalen Sinne, überhaupt eine parlamentarische Mehrheit für sich gewinnen fönnen?
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Eine Tirpik- Regierung hätte nur Bestand haben tönnen als eine Regierung des Staatsstreichs. Das war der
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werde. Selbst wenn sich, was er nicht glaube, der eine oder andere Politiker der Linken finden follie, der von Millerand den Auftrag zur Kabinettsbildung annehmen werde, so werde ein derartiges Minifterium das Kartell der Linken in der Kammer gefchloffen gegen fich
haben.
Paris , 6. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Die Präsidentschaftstrife hat bisher genau den in den letzten Tagen vorausgefagten Verlauf genommen. Herr Millerand hat Herriot zur Kabinettsbildung berufen, dieser aber hat, da der Präsident sich weigerte, aus der durch die Erklärungen der Mehrheit geschaffenen Lage die Kon sequenzen zu ziehen, den Auftrag abgelehnt mit der ausdrücklichen Begründung, daß er nicht einen Augenblick daran denke, ein Mi nifterium außerhalb des Kartells der Linken zu bilden, dessen Auffassung und Beschlüsse über die verfaffungsmäßige Rolle des Präsidenten Herrn Millerand ja bekannt seien." Die
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letzten Endes doch keine andere Wahl bleiben, als an einen der ihm nahestehenden Politiker der reaktionären Minderheit zu
appellieren und ihn mit der undankbaren Aufgabe zu betrauen, seine Berteidigung vor dem Parlament zu übernehmen. Auch das ist zwar eine Berlegung der verfassungsmäßigen Regeln, in beren Namen sich Millerand an seinen Bosten flammert. Aber das ist ja schließlich Nebensache. Denn dieses provisorische Kabinett, an dessen Spize entweder Maginot oder Francois Marsal stehen wird, dürfte voraussichtlich im Laufe des Samstags gebildet werden und sich Montag oder Dienstag den beiden Rammern des Parlaments vorstellen. Es wird noch am gleichen Tage in der Rammer gestürzt werden. Wird Millerand fich dann mit dem von ihm verlangten öffentlichen Botum" zufrieden geben und seine Demission nehmen, oder wird er den Kampf mit illegalen Mitteln fortlegen? Schon verlautet, daß man im Elysee die Absicht habe, durch das neue Ministerium die soeben eröffnete Session des Parlaments