Einzelbild herunterladen
 

Nr. 267 41.Jahrgang Ausgabe A nr. 137

Bezugspreis:

Böchentlich 70 Goldpfennig, monatlich 8,- Goldmark voraus zahlbar. Unter Kreuzband für Deutschland . Danzig , Saar- und Memelgebiet. Desterreich, Litauen , Luxemburg 4.25 Goldmart, für das übrige Ausland 5,25 Goldmark pro Monat.

Der ,, Borwärts" mit der Sonntags beilage Bolt und Zeit mit..Gied. lung und Kleingarten". sowie der Unterhaltungsbeilage Heimwelt" und Frauenbeilage Frauenstimme erscheint wochentäglich ameimal, Sonntags und Montags einmal

-

Telegramm- Abreffe: Sozialdemokrat Berlin

Sonntagsausgabe

Vorwärts

Berliner Volksblatt

15 Goldpfennig

150 Milliarden

Anzeigenpreise:

Die einfpaltige Ronpareille gelle 0,70 Goldmart, Reklamegeile 1.- Goldmart. Kleine Anzeigen" das fettgedrudte Wort 0,20 Gold. mart ( auläffig awei fettgedruckte Worte), jebes weitere Wort 0,10 Goldmart. Stellengesuche bas erfte Wort 0,10 Goldmart, jedes weitere Mort 0.05 Goldmart. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Familienanzeigen für Abonnenten geile 0,30 Goldmart. Eine Goldmart

ein Dollar geteilt durch 4,20,

Anzeigen für die nächste Nummer müssen bis Uhr nachmittags im Sauptgefchäft, Berlin GB 68, Linden. ftraße 3, abgegeben werden. Geöffnet von 9 Uhr früh bis 5 Uhr nachm.

Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Redaktion und Verlag: SW 68, Lindenstraße 3

Fernsprecher: Berlag: Donboff 2506-2507 Redaktion: Dönhoff 292-295

Sonntag, den 8. Juni 1924

Vorwärts- Verlag G.m.b.H., SW 68, Lindenstr. 3 Postscheckkonto: Berlin 375 36 Bankkonto: Direktion der Diskonto- Gesellschaft, Depositenkasse Lindenstraße 3

Die Verfassungskrise in Frankreich .

Senator François- Marsal von Millerand mit der Kabinettbildung beauftragt. Die Kammer in Permanenz erklärt.

V. Sch. Paris , 7. Juni. Heute nachmittag war man in der Kammer allgemein der Ansicht, der Todeskampf Millerands würde nur noch 12 Stunden dauern, nachdem ihm sein extra aus Algier herbei­gerufener Freund Steeg einen Korb erteilt hatte. Dieser galt als feine letzte Hoffnung für die Bildung eines kabinetts, be­tehend aus Abtrünnigen der Linken. Es wurden bereits Bor­bereitungen für die Abhaltung des Kongreffes, d. h. der gemein­famen Plenarversammlung beider Kammern in Bersailles am tommenden Dienstag für die Neuwahl des Präsidenten der Re­publik getroffen.

Am Spätabend hat sich jedoch das Blattgewendet: Endlich ist es der sprichwörtlichen Hartnädigkeit Millerands gelungen, einen Freund zu finden, der das undankbare Ge­fchäft übernommen hat, fich für eine verfahrene Sache zu opfern. Der Finanzminister des Kabinetts Poincaré , Francois Marsal , hat um 1211 Uhr abends die Bildung eines kabinetts übernommen, das fich beiden kammern am Dienstag um 3 Uhr nachmittags vorstellen wird, um eine Botschaft Millerands zu verlejen. Diefe Botschaft wird, wie Marfal ausdrücklich beim Berlaffen des Elysee erklärt hat, die Demiffion des Präsidenten nicht enthalten. Daß das Minifterium, vorausgesetzt, daß es Marjal gelingen wird, es zu bilden, sofort von der Kammer mit großer Mehrheit gestürzt wird, fleht außer Zweifel. Millerand flammert sich jedoch an die Hoffnung, daß er dem Einfluß von Marsal, welcher selbst mitglied des Se. nats ist, gelingt, eine fnappe Mehrheit im Senat zu er­langen. Ob diese Mehrheit auch ihre Zustimmung zu einer Auflösung der neuen Kammer geben wird, ist dagegen sehr zweifelhaft.

Jedenfalls ist die ganze rise in ein sehr gefährliches Stadium getreten. Voraussichtlich wird sie durch den Anschlag von Marsal zum mindesten um einige Tage verlängert. Die Rammer hat heute den Beschluß gefaßt, in Permanenz zu tagen, d. h. jeden Tag mindestens eine furze Sihung abzu­halten. Um eine Ueberrumpelung zu verhindern, fritt fie auch morgen, am Sonntag, um 4 Uhr nachmittags wieder zusammen. Baris, 7. Juni. ( TU.) Francois Marjal, der Finanz­minister vom letzten Kabinett Poincaré , ist heute abend um 10 2hr zu Millerand berufen worden. Er hat das Elysee um 11 Uhr verlassen und erklärt, er werde die Bildung des neuen kabinetts übernehmen. Marfal wird morgen früh feine Konfultationen beginnen und am Dienstag nach mittag um 3Uhr der kammer und dem Senat die Botschaft Millerands verleien. Die Ueber­nahme der Kabinettsbildung durch Francois Marjal erregte heute abend bei den zu Hunderten versammelten Journalisten und Politikern eine große Sensation. Er scheint der einzige Mann zu sein, dem Millerand in dieser tragischen Stunde das Bertrauen schenken fonnte und der fich bereit erklärte, das Los auf sich zu nehmen, welches ihm jedenfalls durch einen fofortigen Sturz durch die kammer bevor­

steht.

Die Kammer sperrt die Kredite. Paris , 7. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Die Anregung, die Kammer bis zum Ende der krije in Permanenz tagen zu laffen, war von den Sozialisten auf Wunsch Herriots und Painleves zurüd­gezogen worden. Die kammer wird statt deffen täglich eine Sigung abhalten, dagegen ist ein Antrag des Abgeordneten Moatet auf Aufhebung des Artikels 213 des Budgetgefeßes mit großer Mehrheit angenommen worden. Er hat zur Folge, daß die von der Kammer des Nationalen Blocs im vergangenen Jahre auf zwei Jahre fest gefehte Gültigkeit des laufenden Etats am 1. Juli aufhört und die vene kammer von diesem Tage ab nicht nur die Kontrolle über die ftaatliche Finanzgebarung, auf die die Reation verzichtet hatte, wieder an sich nimmt, fondern zugleich in die Cage gefekt wird, einer der Kammer gegen ihren Willen aufoftcogierten Regierung die kredite zu verweigern. Mit dieser Waffe in der Hand fann fie der Weiterentwicklung der Dinge in Ruhe entgegenfehen; denn da­mit ist nicht nur der Herrn Millerand zugeschriebenen Abficht, die Parlamentsfeffion sofort nach der Konfluierung des neuen Minifte­riums fchließen zu faffen, sondern auch allen machenschaften ähnlicher Art ein Riegel vorgeschoben. Die Kammer hat zur Bor bereitung der nötigen gefchlichen Maßnahmen eine 44gliedrige Kommission eingesetzt, die sich aus 18 Radikalfozialen, 12 So­zialisten, 6 Republikanisch- Sozialisten 2 Mitgliedern der Linken und 6 Vertretern der Minderheit zusammenfeht. Auch hier hat also die neue Mehrheit einen bemerkenswerten Sieg davongetragen. I

Paris, 7. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Das Elysee hat am Sonnabend abend um 8 Uhr ein völlig nichtsjagendes kom­muniqué herausgegeben, in dem lediglich mitgeteilt wird, daß Herr Millerand seine Konfultationen am Sonnabend beendet habe.

Paris , 7. Juni. ( WTB.) Um 74 Uhr abends wurde Poincaré cine Viertelstunde. Beim Verlassen des Elysee erklärte Poincaré , die vom Präsidenten der Republik empfangen. Die Unterredung dauerte Unterredung, die er mit dem Präsidenten der Republit gehabt habe, fei lediglich zur Erledigung der laufenden Angelegenheiten erforder­

lich geworden.

Die Tagung der Kammer.

-

In dem

Paris , 7. Juni. ( WTB.) Der Organisationsausschuß für die deutschen Industrieobligationen hat sich bis 19. Juni vertagt. De Ausschuß für die Organisation der Reichseisenbahngefell. fchaft nimmt seine Arbeiten in Paris am 16. Juni wieder auf.

Deutsch - französische Pfingsten.

Reichstagsentscheidung und Millerand- Krise.

Pfingsten pflegen die Abgeordneten bei sich zu Hause zu feiern; vielleicht läßt sich daraus erklären, daß der haftig wird. Dieses Fest symbolisiert die Entstehung der aller­Reichstag der Ausgießung des heiligen Geistes nie teil erften Internationale", des Christentums, und gäbe daher Gelegenheit zu allerhand melancholischen Betrachtungen über das Thema, inwieweit die christlichen Kirchen ihrer hohen AL gabe gerecht geworden find. Indes genüge die Feststellung, daß man echten Pfingstgeist in den Reichstagsdebatten der legten Tage nur an einer Stelle finden konnte, nämlich in den Reden der Sozialisten. In vielen anderen, war weder vom heiligen Geist noch von Geist überhaupt auch nur das geringste zu spüren.

*.

Immerhin darf man zufrieden sein, daß wenigstens in

gekommen ist. Der Reichstag hat mit einer größeren Mehr­heit, als selbst Optimisten erwarteten, die von der Sozialdemo gutachtens durch die Regierung ausdrücklich gebilligt. Er fratie geforderte Annahme des Sachverständigen­hat damit zugleich auch die bestehende Regierung wissentlich und willentlich als verfassungsmäßige Regierung in ihrem Amt bestätigt, daran fönnen alle staatsrechtlichen Flohknadereien der Rechten nichts ändern.

sigung der Kammer verlas der Vorsitzende Painlevé eine Rejo. Paris , 7. Juni. ( WTB) Zu Beginn der heutigen Rachmittags. lution der kommunistischen Frattion, in der die Rammer aufgefor. dert wird, morgen zur Abstimmung über einen Borschlag zusammen. zutreten, der darauf abzielt, dem Präsidenten der Republit jeden Kredit zu entziehen. Die Resolution wird von dem Bor­fizenden Painlevé für un annehmbar erklärt. Er schickt sich an, die Sigung aufzuheben. Der kommunistische Abgeordnete Ber : thon, der über das Datum der nächsten Sigung fprechen will und durch seine heftige Sprache eine Reihe von Zwischenfällen hervor. ruft, erklärt, die Kammer dürfe nicht auseinander gehen, ohne an­gefichts des Versagens der Regierung über die von den Kommunisten verlangten Maßnahmen abzustimmen.( Buruf aus der Mitte: Aber in der Regierung fibt Ihr ja selbst! Der fommunistische Abgeord nete Berthon fügte hinzu: Und des Verrats des Cinsee.) der Abstimmung des Reichstags die Vernunft zu ihrem Recht Lärm, der darauf entsteht, bleiben die verweisenden Worte, die der Borsigende Painlevé an den kommunistischen Redner richtet, un­verständlich. Berthon fährt fort, man weise darauf hin, daß das gemacht werde. Darauf erwidere er, daß der Präsident der Staatsoberhaupt in der Kammer zum Gegenstand einer Debatte Republik sich selbst auf den Rampf eingelassen habe. Millerand sei ein Berräter an seiner Bartei. Der Bor­hende droht, Berthon das Wort zu entziehen. Dieser fordert zum Schluß, daß die Kammer in Permanenz tage, bis Millerand zurückgetreten fei. Der Abg. Landry, der der Mitte angehört, befämpft den Borschlag auf Bertagung der Sigung auf morgen. Der sozialistische Abgeordnete Barenne erflärt im Ramen fammentrete. Abg. About erhebt Widerspruch gegen die Bertagung der Linksmehrheit, er verlange, daß die Kammer morgen zu. auf morgen, wünscht aber zu wiffen, was morgen auf der Tages ordnung stehen würde. Der Borsigende erklärt, es würden die Tagesordnungen für die späteren Sigungen festgefeßt werden. Der Abgeordnete bringt darauf einen Antrag zur Abstimmung, der die Vertagung bis Dienstag verlangt. Dieser Antrag wird mit 337 gegen 14 Stimmen abgelehnt. Der Borsigende schlägt darauf nochmals Bertagung auf morgen vor und schickt sich von neuem an, die Sigung aufzuheben. Darauf wird aus der Mitte gerufen: Montag, Montag! Die Linte protestiert und Painlevé läßt durch Handaufheben über die Bertagung auf Montag abftimmen. Auch dieser Antrag wird abgelehnt und es wird befchloffen, morgen nachmittag 5 Uhr zusammenzutreten.

Baris, 7. Juni. ( WTB) Die Kammer hat sich heute nach Fortsetzung der Prüfung der Wahlergebnisse auf morgen( Sonntag) abend 6 Uhr vertagt. Dieser Beschluß wurde mit 337 gegen 14 Stimmen herbeigeführt, wobei die Rechte sich der Abstimmung

enthielt.

Paris , 7. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Das Intereffe für die Vorgänge in deutschen Reichstag wird hier start beeinträchtigt durch die eigene Krise, die die ganze Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung absorbiert. Die Kommentare zu den letzten Sitzungen bes Reichstags find deshalb spärlich. Der Temps" unterstreicht insbesondere die Reden Breitscheids und Löbes, in denen die sozialistische Partei über zwei Parlamentarier von großer Be. deutung verfüge". Auch die Rebe Stresemanns findet das Blatt im großen und ganzen recht glücklich. Da der Wortlaut noch nicht vorliegt, beschränkt sich das Blatt darauf, die Reben des Soz. Barlamentsdienst" zu zitieren mit der Bemerkung, daß, da der Barlamentsdienst" in voller Unabhängigkeit und im Geiste des Friedens redigiert sei, man wohl auf dieses Urteil sehen könne.

"

Die Durchführung des Gutachtens. Die Pariser Beratungen.

Paris , 7. Juni. ( WTB.) Die Reparationsfommiffion veröffentlicht folgendes Rommuniqué: Der vorläufige Organi fations ausschuß für die deutschen Industrie. obligationen hat die ganze Woche hindurch getagt. Ende der Woche find die Vertreter der deutschen Regierung auf einige Tage nach Berlin zurückgekehrt. Der italienische Vertreter ist zur Teilnahme an den Arbeiten des Völkerbundes nach Genf berufen worden.

|

Dem vorläufig entschwundenen Bürgerblod weint Graf estarp in der Kreuzzeitung" einige bittere Tränen nach. stellung daran gescheitert, daß die Mittelparteien auf unver­Die Verhandlungen über ihn sind nach seiner eigenen Dar­änderter Fortseßung der bisherigen Außenpolitik bestanden, während die Deutschnationalen um des Kompromiffes willen auf einem vollständigen Kurswechsel nicht bestanden". aber doch den Kurs ein wenig verschoben haben wollten. Offenbar ist es den Deutschnationalen dabei nur darauf an. gekommen, vor ihren Wählern den Schein eines Kurs­wechsels aufrechtzuerhalten, was zwar für sie bequem aber für Deutschlands Außenpolitik verheerend gewesen wäre. Daß die Mittelparteien dafür nicht zu haben waren und daß daran der Bürgerblock scheiterte, stellt Graf Westarp selbst fest.

Seine eigenen Darlegungen beweisen, daß die Möglich­feit, eine verfassungsmäßige Regierung mit Einschluß der Deutschnationalen zu bilden, zurzeit nicht vorhanden ist. Wenn Graf Westarp trotzdem dem Reichspräsidenten einen Vorwurf daraus macht, daß er nicht, dem Befehl der stärksten Fraktion" folgend, Herrn v. Tirpiz zum Reichskanzler er­nannt hat, so ist es schwer, ein solches Verhalten anders denn als eine groteske Unverschämtheit zu bezeichnen. Die Regie­rung Marr hat am 6. Juni mit 247 gegen 183 Stimmen ge­fiegt, eine Regierung Tirpitz wäre mit etwa 150 gegen 300 Stimmen, gegen eine Zweidrittelmehrheit. unterlegen! Und was hätte eine, von nationalsozialistischen und deutsch­nationalen Diktaturaposteln gestükte Regierung wohl bann getan? Graf Weſtarp wünscht nicht mehr und nicht weniger, als daß sich der Reichspräsident zum Handlanger eines Staatsstreichs hätte hergeben sollen.

Da der Reichspräsident für solche Abfichten nicht zu haben ift, entwirft Graf Bestarp Pläne zu einer parlamentarischen Fundierung des Bürgerblocks. Sie fehen fonderbar genug aus, nämlich fo:

Wenn die 32 Abgeordneten der Nationalsozialistischen Frei­ heitspartei den Entschluß fassen, ihren grundsätzlichen Widerstand gegen den Eintritt in jede Roalition aufzugeben, und wenn anderer­feits 3entrum und Volkspartei fich doch noch bereitfinden laffen, eine Einigung auch mit der Freiheitspartei zu suchen, so würde unter Einschluß auch der Bayern und der Wirtschaftspartei eine zahlen. mäßig sehr starke rechtsstehende Mehrheit( 277 Abgeordnete) gesichert merden tönnen. Wir haben unsererseits die Fühlung mit ber Nationalsozialistischen Freiheitspartei nicht ver