Einzelbild herunterladen
 

Ludendorff   am Pranger.

Neue Dokumente vom Waffenstillstand. Soeben ist das amtliche Weißbuch über den Waffen stillstand von 1918 in neuer Auflage herausgegeben worden. Es ist vermehrt um weitere Dokumente aus den Akten der Obersten Heeresleitung, die erst später aufgefunden worden sind. Durch diese nunmehr fast Iüdenlose Zusammenstellung der amtlichen Dokumente wird das Berhalten Buben­dorffs in den fritischen Tagen vor und nach der Herausgabe des Waffenftillstandsangebotes noch deutlicher herausgeschält als bas bisher schon der Fall war. Und damit wird zugleich auch sein dreistes Gerede vom Dolch stoß" charakterisiert, das er bis in die neueste Zeit mit Hilfe gefälschter Bitate fortgesetzt hat.

Im Weißbuch werden noch einmal die schon bekannten drin. genden Forderungen Lube ndorffs dokumentarisch auf geführt, schleunigst eine Bitte um Waffenstillstand an den Präfi. denten Wilson hinauszugeben. Allein vom 1. Oftober werden fünf Aeußerungen in sechs Urfunden aufgeführt, die sämtlich auf das Gespräch Ludendorffs mit den Vertretern des Auswärtigen Amts Bezug nehmen. Darin kommen u. a. die Säge vor: Heute halte die Truppe, was morgen gefchehen könne, fei nicht vorauszusehen", die Ausgabe der Erklärung sei heute nacht geboten"," 48 Stunde könne die Armee nicht noch warten", es fomme alles darauf an, daß das Angebot spätestens Mittwochnacht oder Donnerstag früh in den Händen der Entente sei".

In dem schriftlich niedergelegten Borirag des Majors Freiherrn  von dem Bussche heißt es, daß die militärische Lage sich in wenigen Tagen grundlegend geändert habe:" Deshalb darf teine Zeit ver­loren gehen. Jebe 24 Stunden können die Lage verschlechtern und dem Gegner Gelegenheit geben, unsere augenblidliche Schwäche klar 3u erkennen. Das tönne die unheilvollsten Folgen für die Friedens aussichten wie für die militärische Lage haben."

Das alles war die Stellungnahme der Obersten Heeres. feitung, für die bekanntlich Hindenburg   sowohl als Ludens dorff verantwortlich zeichneten. Eine in der zweiten Auflage des Weißbuchs neu aufgenommene Urkunde vom 10. Oftober 1918 zeigt aber die besondere Haltung Ludendorffs noch deutlicher als bisher. Diese Urkunde ist eine Akten aufzeich nung und lautet:

Feldmarschalt läßt Entwurf zu einem Telegramm an Seine Majestät und einem Telegramm an Reichs­tanzler für Erzellenz Ludendorff durchtelephonieren, um dahin zu wirken, daß feine entwürdigende Antwort an Wilson er teilt wird. 10. Oftober, 12 Uhr 50 nachmittags. 1. Exzellenz Ludendorff   rät von der Absendung der Tele­gramme ab. Sieht Lage erheblich gespannter an.

Zur Räumung werden wir grundsäßlich zustimmen müssen.

2. Entwurf für militärischen Teil der Antwort an Wilson wird durch Fernsprecher durchgegeben.".

Bei diesen Erörterungen handelt es sich um die Rüdfrage ilsons, ob feine Bedingungen auch wirklich vorbehalt los angenommen würden. Er hatte u. a. auch die Räumung der befetten Gebiete verlangt und die Frage gestellt, ob der Sangler Mar von Baden nur für diejenigen Gewalten des Reiches spricht, die bisher den Krieg geführt haben". Sowohl Hindenburg   als Ludendorff   haben am 12. Oktober der auf diefe Rückfrage erteilten bejahenden Antwort ausdrücklich zugestimmt. Aus der vorstehend wiedergegebenen Attenaufzeichnung ergibt sich nun folgendes: Hindenburg   wollte das Antworttelegramm abän dern, es als nichtentwürdigend" erscheinen lassen. Luden­dorff aber fah die Lage erheblich gespannter an" und riet von der Absendung der Telegramme ab, die Hindenburg   an den Reichs­fanzler richten wollte. Ludendorff   hielt es also für notwendig, die Rückfrage des amerikanischen   Präsidenten so zu beantworten, wie sie der Reichstanzler tatsächlich beantwortet hat. Wenn das eine ent würdigende" Antwort war, wie er und seine Anhänger es jetzt darzustellen versuchen, so hat Ludendorff   dieser Entwürdigung selbst zugestimmt, weil er einfah, daß der Krieg verloren war.

Pfingsten in der Natur. Im uremigen Gezeitenfolge des Jahres hat die Flut des Frühlings die Ebbe eine troslojen langen Winters abgelöst. Und nun hat sich, wie Jahr um Jahr in unabänderlichem Reigen, aus Myriaden lebensschwangerer Knospen das neue Grün ans Licht gerungen, unbekümmert um die Generation des Letens, tie ihm vorangegangen und in Winterstälte vermorscht ist. Raich verging der erste Frühlingsflor. Noch lag Eis auf Geen und Gräben, als schon der gelbe Behang der Hafeln stäubte und die ersten Anemonen durch morsches Laub lugten. Nun aber blinkt es längst in allen Farben aus Floras Füllhorn in Wald und Feld und Wiese. Auf die Obstblüte ist der Blütentraum von Flieder, Kastanien und Goldregen gefolgt, die Rosen erschließen sich und in Gärten und Anlagen erstrahlen Garben von Schwertlilien, auf der Palette der Natur wunderfam in gelb und blau und violett abgetönt. Und schon faywellen die Blütenknospen der Linden, mit deren Ent faltung die Blütenmelle des Sommers bei uns- etwa um Johanni den Höhepunkt erreicht.

-

In den Laub und Mischwäldern erklingt die vleistimmige Gin­fonie der Finken, Meifen, Baubfänger und Droffeln. Ueber alle hin weg aber erschallt der jubelnde Flötenruf des Pirols, des Pfingst­vogels, durch die grünen Domhallen des Waldes. Die Rufe folgen einander unablässig, schmiegen fich ineinander fommen aus allen Richtungen, der golbgelbe Märchenvogel aber bleibt verstedt in den hohen Wipfeln, und nur selten sieht man ihn im Fluge goldig auf Eligen, wenn er sich von Krone zu Krone fchwingt

Solchen Mysterien des Waldes fönnen die Parts und Schmud­pläge der Großftabt wenig entgegensetzen. Aber erfreulich ist es doch, zu sehen, wie selbst mitten in Berlin   wilde Ringeltauben, Stare und Bachstelzen sich auf Rasenplägen tummeln weniger erfreulich freilich, wie wenige Paffanten einen Blick für sie haben,

Die Natur hat ihr Pfingstkleid angelegt. Zum Lichte reckt sie erdumipannend ihr grünes Gewand, in dessen Falten und in dessen Schatten sich das uralte Wechselspiel vom Werden und Vergehen wiederholt. Zum wierielten Male, und wie oft noch? Nehmt das grüne Bunder in euch auf und fragt nicht! Laßt das dünne Band, das den Großstädter noch mit der freien Natur verbindet, nicht zerreißen und knüpft es fester im Walde, an See und

Biese!

2. 2.

Neu aufgenommen in die Dokumentensammlung ist auch die An­weisung der Obersten Heeresleitung an Die Waffen stillstands tommiffion vom 23. Oftober. In dieser Anweisung wird die Frage erörtert, ob sich ein in zögern der Räumungsverhandlungen empfehle, um noch vor der Rückkehr des Westheeres nach Deutschland   die allgemeinen Konturen des Friedens flarzustellen. Diese Frage wird verneinend beantwortet und darüber u. a. gesagt:

Ein solches Verhalten würde dem Geiste unseres bisherigen Notenwechsels mit Wilson zweifellos widersprechen. Uns würde mit Recht Hinterhältigkeit vorgeworfen werden. Unsere Stellung gegenüber Wilson die bei dem von uns eingeschlagenen Berfahren von entscheidender Bedeutung für den Ausgang fein wird, würde eine ernstliche Trübung erfahren. Wir haben alles Inter­effe an einer offenen, rüdhalilofen Haltung gegenüber dem Präst­

denten.

Ganz allgemein wird in der Anweisung eine ehrliche und vertrauende Haltung gegenüber den amerikanischen   Vertretern für erforderlich erklärt. Jedes Mißtrauen der Vereinigten Staaten  gegen uns wird als schädlich angesehen!

Gleich zu Beginn gibt diese Anweisung eine heute besonders beachtenswerte Darstellung der militärischen Lage: Es sei nicht mehr möglich, heißt es, das Heer in furzer Zeit wieder auf ausreichende Kampffraft zu bringen. Unsere Feinde dagegen fönnen unter voller Aufrechterhaltung der Kriegswirtschaft ihre Heere mindestens auf gleicher Höhe halten. Das Stärkeverhältnis des Heeres wird sich daher dauernd zu un seren ungunsten verschlechtern". Zusammenfassend wird in der Anweisung ausdrücklich zugestanden, daß teine Möglichkeit bestehe, bestimmte Friedensbedingungen gegen das amerikanisch  - englisch. französische Heer durchzusehen. Die Anweisung an die Waffenftill ftandskommission" ist im Konzept gemeinsam von Hindenburg  und Ludendorff unterzeichnet; in der amtlich hinausgegebenen Faffung trägt sie die alleinige Unterschrift Hindenburgs  . Aus diesen neu aufgenommenen Urkunden geht also noch klarer hervor als aus den bisher schon veröffentlichten, daß Luden. dorff selbst am lebhaftesten zum Abschluß des Waffenstillstandes drängte, daß er die Wiederaufstellung eines neuen Heeres für voll­fommen aussichtslos hielt und deshalb alles daran setzte, um durch Entgegenkommen gegen Wilson und die Amerikaner möglichst günstige Bedingungen herauszuschlagen.

Mit diesen Tatsachen braucht man nur die I i genhaften Darstellungen der Ludendorff- Bresse von heute zu vergleichen, um die grandiose Unehrlichkeit zu erkennen, die in der Behauptung liegt, der Zusammenbruch wäre durch einen" Dolchstoß der Heimat" herbeigeführt worden.

Westarps Quellen.

Amtlich wird mitgeteilt: Die Telegraphen- Union hat am Freitag, Den 30. Mai, eine angebliche Meldung des Pariser Petit Journal" verbreitet, wonach das Organisationsfomitee für die deutsche Eisenbahn dem Plan für das neue Statut der Reichsbahn gegen die deutschen Vertreter zugestimmt hätte und für die Bahl der Beamten und Arbeiter die Kopfzahl der englischen Eisenbahnen angeordnet werden solle, was eine 40 prozentige 5er abfegung der jegt bei der Reichsbahn Beschäf tigten zur Folge haben würde.

Es ist an dem gleichen Tage von zuständiger Stelle mitgeteilt werden, daß die Meldung in allen thren Zeiten ungu treffend ist. Da trotz dieses Dementis bei der vorgestrigen Reichstagsdebatte der deutschnationale Redner diese falsche Meldung gegen das Sachverständigen gut achten angeführt hat, sei festgestellt, daß nach Auskunft der deutschen Vertreter im Organisationsfomitee für die deutsche Reichs bahn über die Personalfrage nur insoweit verhandelt worden ist als sie einem besonderen Gesez vorbehalten bleiben soll. Ein zelheiten sind überhaupt nicht zur Sprache gebracht, geschweige denn eine Personalperminderung be. schlossen worden.

Die bisherigen Nachforschungen haben überdies ergeben, daß das Petit Journal" eine solche Meldung nicht enthalten hat.

"

Was ein echter Thorwaldsen foflet. In Kopenhagen   fand tie Bersteigerung des Nachlaffes des früheren Landmanntantbiret tors Glückstatt statt, der im Gefängnis starb. Sie löfte am vierten Tage die erwartete Spannung aus, als das Thorwaldsen- Relief Die drei Grazien" unter den Hammer tam. Es herrschte atemlose Er regung. Deutsche   und schwedische, englische und standinavische Käufer überboten einander. Das Thorwaldsen- Museum hatte sich zurüd­gezogen, und zuletzt fämpften zwei Norweger um das Relief: das Chriftiania- Museum und ein Architekt. Leßterer bekam das Relief für 20 000 Stronen.

Amerita hat die meisten Morde. Für den Amerikaner ist das Ge. fahrenrifito, eines gewaltsamen Todes zu sterben, fünfundzwanzig­mal so groß wie für seinen englischen Better und dreimal so groß, als wenn er in Italien   lebte. Die Zahl der Morde zeigt in den Bereinigten Staaten eine Jahr für Jahr regelmäßig anfteigende Kurve. Hierüber belehrt die Verbrecherstatistik, die Dr. Frederick Hoffmann, der Mathematiker der Prudential- Lebensversicherungs gesellschaft, für das Jahr 1923 aufgestellt hat. Danach wurden von 100 000 Berfonen 10,2 ermordet, gegen neun im vergangenen Jahre. Im ganzen Land zählte man 10 000 Mordfälle gegenüber nur 200 in ganz Großbritannien  . Was die Einzelfälle anbetrifft, so ist die Bahl der Morde in der Stadt New York   verhälntismäßig niedrig; es entfallen hier auf 100 000 Menschen nur 5,5 Mordfälle gegen 12,7 in Chilago, 21,5 in St. Louis   und 25,5 in New Orleans  .

Benjamino Gigli  , ber erfte Ihrische Tenor der Metropolitan Opera   zu em ort, tritt in Deutschland   zum erstenmal in der hiesigen Staats. ober am Dienstag als Rudolf in, Bohème" auf. Am Donnerstag singt er zum Besten des Reichsverbandes der Deutschen Presse in der Oper am Königsplak den Lyonel in Martha".

"

Das Palästina- Theater beginnt unter der Zeitung des Regisseurs Gnessin sein Berliner   Gastspiel am Sonntag, 15. Juni, in der Comedia Baletti  ". Zur Aufführung gelangt die biblische Legende Belsazar" nach Motiven von Henri Nochet.

Das Frühlingsfest der deutschen Preffe, das für die Wohlfahrtskaffen des Reichsverbandes der deutschen   Presse am 12. Juni bei s ro II stattfindet, wird eingeleitet durch eine Festvorstellung der Oper Martha", in der Benjamino Gigli   als Lyonel fingt. Der in Amerifa als neuer Caruso" gefeierte Sänger tritt damit in seiner langrolle vor das Berliner  Bublifum. Das Gartenfeft, für das gleichfalls hervorragende träjte ( Mar Terpis u. a.) gewonnen find, beginnt um 7 Uhr( Eintritt zum Garten von 3 Uhr an). Starten zu 5 Warf bei Wertbeim, Bote& Bock  , Invaliden­dant und Stroll. Starten für die Over zu 20, 14, 8 und 4 Mark an den staffen der Staatsoper. Reſervierte Bläge im Garten( einschließlich Souper 8 Mart) müssen bis zum 9. Juni bei Stroll belegt sein.

Kant- Feier der Kant- Gesellschaft. Unter Mitwirlung des Demann- Duar tetts der Staatsoper veranstaltet die Berliner   Ortsgruppe der Stante Gesellschaft am Sonnabend, den 14. Runi, 7 Uhr, in der Neuen Aula ber Berliner   Universität eine große Stant- Feier. Die Festrede hält Prof. Ernst Cassirer   von der Univerfitat in Hamburg  .

Ali- Berfiner Possenabend. Das Renaissance Theater unternahm den an sich lebenswerten Versuch, den Allt- Berliner   Humor in einer Reihe älterer Bossen lebendig zu machen. Der Versuch ist mißglückt, troß der ehrlichen Bemühungen der Regie und der Dar­beller, die zum Teil recht achtenswerte Leistungen boten. In den beiten ersten Guiden von Ralisch Der gebildete Haus. fnecht und Die Müzenmacher von Finsterwalde  " fonnte man beim besten Willen feine Spur Ali- Berliner Humors entdecken. Mehr Lokalkolorit haben Glasbrenners Bossenszenen Rante", in denen der traditionelle Edensteher mit Wis und Be haglichkeit agiert. Heinz Hilpert  , unterstügt von Lotte Stein  , Die Dritte Rheinische Literatur- und Bachwoche wurde Sonnabend in gaben sich in den Hauptrollen redliche Mühe, den Glasbrennerschen Möln in Gegenwart zahlreicher geladener Gäffe feterlich eröffnet. Der Humor auf die Bühne zu bringen. Man spürte jedoch auch bei preußische Stultusminister Dr. Boeliz, der die Grüße der preußischen Regie­diesem, weitaus besten Stück des Abends, daß zwischen der Vers rung überbrachte, führte in seiner Eröffnungsansprache aus, die Ausstellung ein festes Bekenntnis zu dem unauslöslichen Zusammenhang von Hei gangenheit und der Gegenwart teine Brücke geschlagen wurde. 2. St., Nation und Staat. Ohne Seimat und ohne Menschenliebe, jei der handlers" Sonn- und Feiertags um 74, Uhr, wochentags um 7% 15. Im Großen Schauspielhaus beginnen die Borstellungen des Bogel Staat eine leere Form und ohne starkes Staatsgefühl sei die Heimatliebe

ihrer Krone beraubt.

I

Die sozialistische Internationale. Einmütige Haltung zum Sachverständigengutachten. Demonstrationen gegen den Krieg.

Wien  , 7. Juni.  ( Eigener Drahtbericht.) Die Egekutive der Sozialistischen Arbeiterinternationale beendete heute abend nach dreitägiger Dauer ihre Beratungen. Sie setzte zu­nächst die Debatte über die politische Lage fort und prüfte die durch das Sachverständigen gutachten geschaffene inter­nationale Lage. Sie stellte fest, daß alle unmittelbar betei­ligten sozialistischen   Arbeiterparteien dem Sachverständigengutachten gegenüber eine vollkommen übereinstimmende Hal= tung einnehmen, und bestätigte die bereits in Luxemburg   gefaßten Beschlüsse. Die Exekutive beschäftigte sich sodann mit der bevor­stehenden Tagung des Bölkerbundes und nahm einen Bericht des österreichischen Delegierten über die Behandlung des öster reichischen Problems im Bölterbunde zustimmend zur Kenntnis. Die Erefutive hörte einen Bericht der ruffischen und georgischen Dele­gierten über die Lage in der Sowjetunion   an. Sie bestätigte die Luxemburger   Beschlüsse über die russische Frage und die militärische Otfupation Georgiens   und stellte fest, daß es unbeschadet bes Kampfes gegen jede Intervention von kapitalistischen   Regierungen Pflicht aller sozialistischen   und Arbeiterparteien ist, die sozialistischen  Parteien in Rußland   und Georgien   zu unterstützen und in der Preffe und Literatur den immer stärker gegen die Arbeiter- und Bauern­massen in der Sowjetuniom geübten Zerror zur Kennt nis zu bringen. Die Erefutive stellte auf Grund eines Berichtes des englischen Delegierten Cramp gegenüber einer weitverbreiteten Propaganda fest, daß in Ungarn   das Regime des fonter. revolutionären Terrors fortdauere, und es auch weiterhin Pflicht aller sozialistischen   und Arbeiterparteien bleibt, dem miß­handelten ungarischen Proletariat ihre moralische Unterstützung zu leihen. Nachdem noch eine Resolution über die Lage auf dem Balfan und namentlich über die Verhältnisse in Bulgarien  angenommen worden war, trat die Erefutive mit dem Borstand des Internationalen Gewerkschaftsbundes   zu einer gemeinsamen Be­ratung über die Antikriegsdemonstration zusammen und faßte einen Beschluß, wonach in diesem Jahr in allen Ländern frafi­volle Demonstrationen zum Gedächtnis des Ausbruchs des Weltkriegs stattfinden sollen, um die Notwendigkeit des organisierten Kampfes gegen neue Kriege, gegen Kriegsrüstungen und Kriegshezze zum Bewußtsein der großen Massen aller Völker zu bringen. Der Tag des Kriegsausbruches, der Tag, an dem das entsetzliche Morden mit dem Tode des unvergeßlichen Vorfämpfers gegen den Krieg, Jean Jaurès  , feinen Ausgang nahm, wird der Beginn der Demonstration sein. Für diesen Tag wird die Sozialistische Arbeiterinternationale gemeinsam mit dem Internationalen Gewerkschaftsbund und der Sozialistischen Jugendinternationale auch ein gemeinsames Manifest erlaffen.

Um die Asche von Karl Marx  . Jean Longuet   an Macdonald.

Die gegenwärtig in London   weilende Delegation ber Sowjetregierung hat, wie wir por furzem melbeten, die englische Regierung um die Erlaubnis zur Ueberführung der Leiche von Karl Mart von London   nach. Moskau  ersucht.

Jean Longuet  , unser französischer Parteigenosse, hat Daraufhin als ältester Entel von Karl Marg folgenden Brief an Ramsay Macdonald   geschrieben:

Mein lieber Macdonald!

Paris  , 30. Mai 1924.

Ich habe durch die Presse erfahren, daß die Delegation der Sowjetregierung, die sich gegenwärtig in London   aufhält, dem briti­ schen   Innenminister einen Borschlag der russischen Regierung über­reicht hat, die Asche meines Großvaters Karl Marg, der seit 37 Jahren auf dem Friedhof von Hampstead   beerdigt ist, nach Moskau   zu über­führen.

Sowohl in meinem Namen wie im Namen meiner Brüder und meiner Schwester als einzige Erben von Karl Marg erhebe ich den unzweideutigsten und energischsten Einspruch gegen jeden Borschlag dieser Art.

Karl Marg ruht feit 1883 in London   neben seiner geliebten Ge mahlin Jenny, neben der Freundin und Gefährtin ihres Heims, Helene Demuth  , neben meinem jüngsten Bruder Harry Longuet, in britischer Erde, entsprechend seinem bestimmten Wunsche.

Als er nach der großen Niederlage der Arbeiterflasse in ganz Europa   im Jahre 1848 als politischer Flüchtling an den Gestaden Englands landete, fand er ein sicheres Asyl bei dieser Mutter der Geächteten". Während mehr als 40 Jahren lebte er in enger Ber­bindung mit der britischen Arbeiterklasse und fand in diesem Land die wissenschaftlichen Grundlagen für sein großes Werk Das Kapital  ".

Er hatte stets volles Vertrauen in die englische Arbeiterklasse. Die Geschichte hat bewiesen, daß sein Vertrauen voll gerechtfertigt Bivilisation nur in den wirtschaftlich und industriell aufs höchste ent­war. Seine grundlegende Auffassung war, daß eine sozialistische wickelten Nationen des Westens entstehen konnte. Ich bin sicher, daß er mit der tiefsten Sympathie den Bemühungen und Erfolgen der ersten Arbeiterregierung gefolgt wäre, die die Welt gesehen hat, und an deren Spize Ste mit so viel Aufopferung, ehrlichem Streben und Geschicklichkeit stehen.

Ich glaube nicht, daß Marg jemals eingewilligt hätte- welches auch fetne allgemeine Sympathie für die große revolutionäre Er­hebung des russischen Volkes gewefen wäre, daß seine Asche, fein Anbenken, feine fozialistische Auffassung durch den gegenwärtigen Typus des Moskauer Kommunismus zum Monopol gestempelt worden wäre.

Alle seine Schriften sind übrigens durchdrungen von einem tiefen Mißtrauen gegenüber den russischen Methoden, und zwar des Ruß­ lands   des 3aren sowohl wie des Rußlands   Bakunins  . Daß er die wunderbaren kämpferischen Eigenschaften Lenins   und seine grenzen­lose Aufopferung für die Sache der Weltrevolution bewundert hätte, daran zweifle ich keinen Augenblick; aber niemand hat das Recht zu sagen, daß er zugegeben hätte, daß das Werkt des Bolschewismus getragen sei vom Geiste marristischer Philosophie. Wenn es ein Rußland   gibt, das beseelt ist vom Geiste seiner Lehre, so ist es das Plechanows und Martows, aber sicher nicht das Sinowjews.

Der bestimmteste Wunsch und unbedingte Wille der Erben von Karl Marr ist, daß seine Asche nicht entfernt wird aus dem Friedhofe von Hampstead  , sondern daß sie in der vornehmen Erde der großen proletarischen Demokratie jenseits des Kanals bleibe.

Seien Sie, mein lieber Macdonald, meiner brüderlichen Zu­neigung versichert. Jean Longuet  .

Lutowinows Abschiedsbrief. In Moskau   sucht man eifrig nach dem Verbreiter bes Briefes, den der vor kurzem durch Selbstmord aus dem Leben gefchiedene Kommunist uto­winow an das Zentralfomitee gerichtet hat. In diesem Schreiden fritisiert Lutowinow scharf die Taltit des politischen Bureaus gegenüber der Arbeiterschaft. Unter Anführung von Tat­fachen aus seiner fommunistischen Tätigkeit weist er darauf hin, daß die kommunistische Partei einer schweren Zukunft entgegengehe.