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Nachmittagssitzung.

Zunächst wird der Bericht der Mandatsprüfungstom= mission entgegengenommen. Anwesend sind 400 Genossen und Genoffinnen, unter dieser delegiert 285, Mitglieder des Parteivor­standes 19, des Parteiausschusses 58, der Kontrollkommission 9, der Reichstagsfraktion 18, vor den Mitgliedern der Organisatiostom­mission, die sonst kein Anwesenheitsrecht auf dem Parteitag haben, 5, 1 Referent und 7 Mitglieder von Parteiinstitutionen, nämlich ein Vertreter der Geschäftsleitung des Vorwärts", ein Vertreter der Arbeiterjugend, des Bildungsausschusses, der Jungsozialisten, ein Bertreter der Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Lehrer sowie acht ausländische Gäste. Da Beanstandungen nicht vorliegen, werden alle Mandate für gültig erklärt. Als Ergänzung zum Borstandsbericht werden hierauf noch kurze Berichte des Bildungs­ausschusses und der Programmfommission entgegengenommen.

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Die Kulturaufgaben der Partei.

Heinrich Schulz  : Ganz spät, nachdem die Teilung längst ge­schehen, naht der Poet." Dies Wort hat im verflossenen Jahre ganz besondere Bedeutung gebabt. Erst müssen die materiellen Lebens: bedürfniffe befriedigt sein, ehe man an die Befriedigung der Kultur­bedürfnisse herangehen fann, jagt man. Das flingt begreiflich, aber es trifft doch nicht ganz zu. Kultur darf nicht nur eine schöne Feder am Hut des Menschen sein, sie muß als Lebensnotwen digkeit empfunden werden. Sie ist auch nicht nur abhängig von den materiellen Mitteln; wichtiger noch ist die Einsicht in die Not wendigkeit der Kultur und der Wille zur Kultur. Der taiser liche Obrigkeitsstaat hatte die Mittel zur Kultur in Hülle und Fülle, aber ihm fehlte der Wille zur Kultur. Die junge Republik   hatte den Willen, wenigstens in ihren ersten Jahren stärker als später, zur Unterstützung der Kultur, aber ihr fehlten Die Mittel. Immerhin ist es uns möglich gewesen, wichtige Kultur­einrichtungen zu fördern. Andererseits sind Kräfte an der Arbeit, die dem Reiche die Mitarbeit an den Kulturaufgaben des deutschen  Boltes verwehren, die alles zur Arbeit der Länder machen möchten. Bei aller Achtung vor den Kulturaufgaben, die die Länder geleistet haben, gibt es doch noch etwas wie eine deutsche Wissenschaft, eine deutsche Kunst und eine deutsche Kultur, und

ich würde es lebhaft begrüßen, wenn auch die deutsche Sozial­demokratie sich mit Nachdruck zum Einheitsgedanten auch auf fulturellem Gebiete bekennen würde und wenn unsere Ge­noffen in den einzelnen Ländern dem Reiche lassen würden, was ihm zukommt.

In der Partei wird leider nicht überall in gleichem Maße die Not­wendigkeit der kulturellen Betätigung der Partei anerkannt.( Sehr wahr!) Die Partei ist aber heute nicht mehr nur eine Agitations und Organisationspartei: Früher war sie nur gewissermaßen eine Bahlmaschine, heute steckt sie unmittelbar in der praktischen und teilweise auch schöpferischen Arbeit für Staat und Ge sellschaft. Auch auf dem Schulgebiet zeigt sich überall ein reges Streben und Vorwärtsdrängen. Außerhalb der Schule werden die Kinder durch unsere große Bewegung der Kinderfreunde zusammengefaßt. Die Fühlung der Partei mit dem übrigen geistigen Deutschland   ist vorerst nur lose, aber sie darf nicht verloren gehen. Es wäre nichts geführlicher, als wenn wiederum wie schon zweimal in der Geschichte der Sozialdemokratie das geistige Deutsch fand sich enttäuscht von der Sozialdemokratie abwenden würde, beide brauchen einander. Der Sozialismus bedarf des Anschlusses an die Wissenschaft; es wäre ein großes Unglück, wenn der wissen fchaftliche Sozialismus fich wieder in ein mehr oder weniger frei­williges Ghetto hineinbegeben würde. Und ebenso bedarf die Wissenschaft der Anregung und Befruchtung durch die sozialdemo­fratische Kritik. Die seelischen Kräfte der Jugend hat die Sozialdemokratie zu wenig unterstützt. Vor dem Krieg erforderte das Bekenntnis zum Sozialismus einen Entschluß und die Anspan­nung aller Kräfte. Das ist heute nicht mehr der Fall, und wir müssen heute neue Gefühlsenergien für den Sozialismus in der Jugend zu wecken suchen. Möge die deutsche Sozialdemokratie sich ren alten Ruhmestitel, bie Partei der Kultur zu sein, durch erneute und vermehrte Arbeit im Dienste der Kultur neu erwerben. ( Bravo  !)

Bericht der Programmkommission.

Dr. Braun: Wir bedauern als Mitglieder der Programm­fommission es auf das lebhafteste, daß ein Programment wurf dem Parteitag nicht vorgelegt werden kann. Wir alle emp­finden diefe Lücke unserer Rüstung. Leider muß man feststellen, daß in den letzten 20 Monaten in den Reihen der Partei diese Lücke wenig empfunden worden ist. Das Programm einer so demokra­tischen Bartei wie der Sozialdemokratie ist nicht zu schaffen von einer Programmfommission, sondern nur unter Mitwirkung sämtlicher Parteigenossen, unter Betätigung ihres Sprachrohrs, der Parteipresse. Leider hat sich die Partei presse sehr wenig um das Parteiprogramm gefümmert. Es ist für die prinzipielle sozialistische Schulung der Parteigenossen viel zu wenig geschehen. In den letzten 20 Monaten ist nur allzu oft Taktik und Prinzip verwechselt worden. Es ist aber ungeheuer wichtig zu wissen, was Tattik und Prinzip ist in einer Zeit, wo ein neues Programm gemacht werden soll. Freilich ist eine Zeit des Zwistes und des furchtbar gesteigerten Mißtrau­ens unter den Parteigenossen recht ungeeignet, ein Programm zu machen, das ein neues geistiges Band um die Partei schlingen soll. Das Wort des großen preußischen Rechtslehrers Franz Savigny: Unsere Zeit hat nicht den Beruf für die Gefeßgebung" gilt auch für die letzten 20 Monate in bezug auf die Schaffung des Pro­gramms der Partei. In dieser trüben Zeit hatten wir außerordent­lich wenig Stimmung, um ein Programm zu schaffen. Ich denke, wir gehen jetzt einer besseren Zeit in der Partei entgegen; viele Anzeichen sprechen dafür. Für die Programmfommission fam als hemmend in ihrer Arbeit auch in Betracht, daß unser alter Freund Karl Kautsky  , unter dessen großen Verdiensten um die Partei nicht das geringste die Schaffung des Erfurter Pro­gramms ist, lange Zeit frant und die letzten Monate im Auslande war. Der Einigungsfongreß in Nürnberg   hatte Kautsky   zum Vor­fizzenden der Programmfommission gemacht, und wir glaubten, daß ein Programm, das gestützt ist auf die Anregungen und Gedanken Kautskys von der Partei viel vorurteilsfreier und lieber angenom­men werden würde als ein Programm, bei dem man Kautskys Arbeit vermissen müßte. Hinzu kam weiter noch, daß die Genossen in Anspruch genommen waren durch sonstige Arbeiten für die Partei, so daß es außerordentlich schwierig war, die Brogrammfommission zu versammeln.

Wir standen vor der Notwendigkeit, auch unsere noch nicht er­füllten Forderungen zu meffen an den völlig veränderten Ber­hältniffen. 1890/91 haben wir ganz allgemein Grundfähe und Ziele aufstellen tönnen, während wir heute zu den Problemen des Tages Stellung nehmen müffen. Auch an dem großen Problem der Sozialisierung fann die Pro­grammkommission trotz aller Enttäuschungen nicht vorbeigehen. Wir dürfen aber nicht ausgehen von Zeiten, die verflossen sind und von Kräfteverhältnissen, die überholt find. Bir haben zu unterscheiden zwischen dem, was uns zu Sozialdemokraten macht und was die Zwangslage der praktischen Politik erfordert. Wenn wir mehr Sozialismus in die Massen tragen. dann wird von selbst erwachsen ein richtunggebendes, zum Siege führendes Programm.

Ehe die allgemeine Aussprache über die Referate beginnt, be­gründet Martwald- Frankfurt Anträge feines Bezirks auf Stellung nahme zur Kandidatur des Reichspräsidenten und auf Ausschluß des Genossen Ebert aus der Partei. Im Namen des Parteivor standes erklärt Cenosse Wels, daß die Anträge Frankfurts   statuten­widrig waren und daß der Antrag auf Aufstellung einer Reichs­präsidentenkandidatur dem Parteivorstand nicht zugegangen ist. Der Schlußjag des einen Antrags hatte allerdings gelautet: Die Reichstagsfrattion wird beauftragt, auf möglichst baldige Neuwahl

des Reichspräsidenten hinzuwirken.( hört, hört!) Der Parteivor| stand hat aber nicht das Recht, Teile aus Anträgen herauszunehmen. Dem Genossen Markwald wird anheimgegeben, die Anträge Frant­furts erneut vor dem Parteitag zu stellen.

Die Aussprache.

Dann beginnt die Aussprache, zu der sich 44 Redner gemeldet haben. Gegen die Rednerliste erhebt Genosse Krille München Protest.

Dißmann: In einer Reihe von großen politischen Fragen be­standen und bestehen ernste Meinungsverschiedenheiten. Den Ge­bantengang, daß wir eine Minderheit sind, daß wir aber trotz­dem mittun und mit dabei sein wollen und deshalb die Koalition mit bürgerlichen Parteien eingehen, haben wir zu bekämpfen; denn diese Politik trug bei zu dem Rückgang der Partei. Die Bour­geoisie hat im Laufe der Koalitionsperiode feinerlei Rücksichten auf Voltsinteressen genommen, sie hat die Erfüllungspolitik sabotiert und die Lasten auf die Schultern der Schwachen abgewälzt, so daß es bis zur wirtschaftlichen, politischen Diktatur der Bourgeoisie ge= fommen ist. Sie hat ihr Schuldkonto von sich auf uns abgewälzt. Demgegenüber wäre es Pflicht gewesen, das Proletariat als Klasse aufzurufen zur Sammlung und Geschlossenheit. Uns hat man das Korreferat versagt und es uns damit unmöglich gemacht, unsere Gedankengänge zu entwickeln.( 3ustimmung.) Wir werden uns aber nicht abbringen lassen, unsere Auffassung auch weiterhin über den Parteitag hinaus zu propagieren. Aber diese sachlichen Auseinandersehungen werden und müssen uns nicht auseinander, sondern zusammenbringen. Toni Sender- Frankfurt a. M.: Die Sozialdemokratie erklärt, sie sei eine Partei der Demokratie. Dann darf sie die Demokratie aber nicht nur im Staate verlangen, sondern muß sie auch in den eigenen Reihen verwirklichen.( Burufe.) Demokratie heißt nicht nur, daß die Mehrheit sich durch Beschlüsse durchsetzen tann, sondern Demo­fratie heißt auch Schuh der Minderheiten.( Sehr richtig!) Genosse Müller hat uns eine Resolution vorgelegt, die eine glatte Verurteilung der Politik der Fraktionsmehrheit und der Partei­instanzen bedeutet. Da es uns darauf ankommt, Klarheit zu schaffen, haben wir eine eigene, ganz unmißverständliche Resolution einge bracht. Genosse Müller sagt, die Partei sei genötigt gewesen, Roali­tionspolitik zu treiben, und das Ziel der Koalitionspolitik müßte sein: Sicherung der Republik   gegen den Ansturm der Reaktion. Er sagt weiter, die Teilnahme an der Regierung muß die Erfüllung der bürgerlichen Republik   mit sozialem Inhalt und die Durch segung der Demokratie zum Ziele haben. Aber in der Politit will man doch nicht nur Ziele haben, sondern auch Resultate. An den Resultaten sieht man, ob die Politik gut oder falsch gewesen ift. Darüber besteht wohl" Einmütigkeit, daß die von Müller selbst der Koalitionspolitik gestellten Ziele restlos nicht erreicht worden sind. Er selbst hat in seinen Ausführungen gesagt, daß wir nicht haben verhüten fönnen das Erstarken der Reaktion, nicht die be­wußte, planmäßig betriebene Politik der Inflation, daß wir nicht die sozialen Errungenschaften haben sichern können, nicht einmal die Garantie des Achtstundentages. Auf der anderen Seite ist gegen über dem Minus an positiven Resultaten ein sehr großes Plus an Opfern zu verzeichnen gewesen, die den anderen an der Koalition Beteiligten gebracht wurden durch die Zustimmung zu den Ermächtigungsgesehen, die eine restlose Blankovollmacht gaben, welche dann auch im antifozialen Sinne ausgenutzt worden ist. Durch diese Preisgabe der Demokratie auf legalem Wege haben wir

der Reaktion den Weg gewiesen,

wie sie auf legalem Wege ihre Diktatur errichten fönnte.( Sehr wahr!) Es kommt auch nicht auf den Namen ,, Republit" an, sondern auf den Inhalt und Charatter. Wie wenig die republikanische Form ausmacht, beweist ein Blick auf Frankreich  , auf das frankret des, Boincaré, und andererseits auf das Bestehen der Regierung Macdonald im monarchischen England.( Zuruf: Alfo Monarchie!) Dieser Zuruf beweist nur Ihren Mangel an Logit. In Wirklichkeit zeigt der Vergleich nur, daß es nicht auf die Staatsform, sondern vor allem auf den Staatsinhalt antommt. Unter der Koalitions: politik haben wir versäumt, die Gegenträfte gegen die Reaktion zu mobilisieren, die Geschloffenheit des gesamten Pro: letariats zu erhöhen.. Es kommt darauf an, unsere Macht als Klasse so zu festigen, daß fie eine ftarfe Anziehungskraft auf alle fluttuieren­den Elemente in der Gesellschaft ausübt, indem sie erkennen: hier ist die Kraft, die das Neue, das Junge und Gesunde schaffen will. Daher ist es abwegig, wenn nicht Klassen, sondern Staatspolitit getrieben wird, wenn man jagt, daß das Vaterland zur ge­gebenen Stunde über die Partei gestellt werden muß. Wir sind der vielleicht etwas antiken Auffassung, daß wir als Klasse, als Partei nicht nur die Interessen einer kleinen Schicht, sondern das Interesse der Gesamtheit des Volkes vertreten. Gerade daraus ziehen wir unsere ganze Begeisterung, daß wir wissen: was wir für uns als Klasse erstreben, liegt in derselben Linie wie das Wohl des gesamten Volkes.( Bravo  !) Die Bildung des Bürgerblods bedeutet nichts anderes als die Zusammen. schweißung aller bürgerlichen Kreise, die sich bedroht fühlen. So wollen wir auf der anderen Seite, daß das Proletariat durch eine gradlinige Politif, die von allen verstanden werden kann, die zum Proletariat gehören, eine einheitlich geschlossene Masse wird.( Beifall.)

Antrag zur Koalitionspolitik.

tät des Reichs entzogen und auch in die Hände des Privatfapitals gelegt wird.

All diese Erfahrungen sollten genügen, um diese Bündnispslifik mit den Klassengegnern in einer Zeit verschärften Klaffenkampfes für unmöglich zu erklären. Man verweist auf die allgemeinen Interessen. Gerade darin erbliden wir die Fehlerquelle. Die eigentliche Meinungsverschiedenheit liegt in der Stellung der Arbeiterklasse zu diesem Staate. Wir verteidigen wohl die Republik  als Staatsform, sind auch der Meinung, daß sie der Kampfboden für den Sozialismus ist, aber wir wollen nicht vergessen, daß diese Republik   nach wie vor großfapitalistisch geblieben ist. Danf ihrer Wirtschaftspolitik ist sie geradezu die Beute der Groß­industrie geworden. Deshalb fann die Sozialdemokratie in dem heutigen tapitalistischen Staate nicht mehr politische Berantwort lichkeit übernehmen, als sie wirtschaftliche Macht im Staate hat. ( Sehr gut!) Wir haben das Opfer gebracht und haben Unruhen verhindert, auf der anderen Seite aber hat man den Bürgerkrieg mit der wirtschaftlichen Waffe der Inflation gegen uns geführt. Bei der Frage der Lastenverteilung aus dem Sachverständigengutachten werden wir wieder einen geschlossenen Bürgerblock haben. Es kommt darauf an, daß dieser Parteitag für diese fünftige Wirtschaftspolitik, für die Verteilung der Lasten Richtlinien gibt. Ich sehe in dem Wahlergebnis durchaus tein Unglück für die Sozial­demokratie, wenn sie die Konsequenz zieht und bereit ist, ihre Politik nach der veränderten Wirtschaftslage zu ändern. Die Kommunisten brauchen wir nicht scheuen, aber wir müssen die soziale und wirt­schaftliche Struktur Deutschlands   für den Kampf der Arbeiterklasse ausnugen, müssen die starken Kräfte der Arbeiter und Angestellten sammeln, indem wir eine Politik machen, die sichtbar sozialistisch iſt. Bei der Koalitionspolitik haben ja die vielen Indifferenten gar. teine Gelegenheit, das eigentliche Programm der Sozialdemokratie fennen­zulernen. Was wir wollen, bedeutet nicht den Erfolg für morgen, aber es bedeutet den Weg zur Macht.( Bravo  !)

Sachsen   und die Kommunisten.

Seydewih- 3widau: Ueber die fächsische Frage wird beim Bericht der Berständigungskommission noch zu sprechen sein. Wenn man das Zusammengehen mit anderen Parteien für eine Frage der Tattit erklärt, so darf man auch nicht sagen, daß man niemals mit den Kommunisten zusammengehen dürfe.( Sehr richtig!) Man sollte objektiv sein und berücksichtigen, wie das Zusammengehen mit den Kommunisten in Sachsen   auf die Kommunistische Partei   gewirkt hat. ( Sehr gut!) Sinowiem hat selbst festgestellt, daß die sächsischen Kommunisten nicht erreicht haben, was sie sollten, sondern daß sie auf den Leim gegangen sind. Die Tatsache, daß Brandler, der so etwas wie der liebe Gott in der KPD  . war, beiseite gedrückt worden ist, ist erreicht worden durch die Bindungspolitik, die wir in Sachsen  und Thüringen   getrieben haben.

Wir geben zu, daß die Kommunisten die Absicht haben, unsere Partei zu zerstören. Unsere Meinungsverschiedenheiten bestehen nur darüber, wie man diese Versuche der Kommunisten am besten parieren kann. Zu der Beit, als wir mit der KPD. in Sachsen   und Thüringen   zusammen­arbeiteten, war diese Taktik durchaus richtig. Als die Meinungsver­schiedenheiten noch gar nicht bestanden, regierte auch das Ministe­rium Bud nur mit Unterstützung der Kommunisten, und was nach­her geschah, war lediglich eine Fortsetzung dieser bisher betriebenen Politif. Das war nicht eine Politik der Parteilinken, sondern die Bolitik der Fraktionsmehrheit in Sachsen  . Ich bestreite, daß die Aera Zeigner ein Schaden für die Republit gewesen sei. Da gegen war es die Reichseretutive. Wenn man sagt, daran sind die sächsischen Genossen selbst schuld, weil sie die Koalition mit den Kommunist en eingegangen find, so kommt das darauf hinaus, daß man die Reaktion nicht reizen darf, damit sie nicht noch stärker wird. Die verheerende Wirkung der Reichserefutive, als man mit dem Säbel die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse und ihre Auswirkung zerschlagen hat, auf die fächsische Arbeiterschaft, hat sich dann bei den Gemeindewahlen gezeigt. Gehen Sie nicht von dem Standpunkt aus, daß in Sachsen   nur dumme Jungen die Politik machen. Aus den Reichstagswahlergebnissen sollten Sie erkennen, daß die Politit Sachsens   nicht so schlecht gewesen ist, daß wir unsere Pflicht für die Partei erfüllt haben.( Beifall.)

Wo sind die Fehlerquellen?

Die

Ströbel- Berlin  : Es besteht die Gefahr, daß die Ursache des sozialdemokratischen Mißerfolges nicht erkannt und nicht abgestellt wird, sondern daß die alte Parteipolitik weitergetrieben wird. Ist es nicht seltsam, daß 5 bis 6 Millionen Wähler der Ver­hetzung von rechts und links erlegen sind? Wir dürfen nicht sagen, daß die Massen den größten Schreiern nachlaufen; das wäre undemo tratisch. Die Lage des deutschen   Proletariats war niemals fo elend und verzweifelt wie in den letzten Jahren. Partei hat in gewissem Sinne schuld an der Entwicklung der Dinge, daß sie die Massen nicht aufgerüttelt hat, wie es nötig gewesen wäre. Wir hatten für die Entwicklung nicht das nötige Verständnis. Der Ruhrkrieg hätte unter allen Umständen verhütet werden müssen. Wir haben nur gegen die Franzosen gefämpft und unsere Front nicht auch gegen die Schwerindustrie und Steuersaboteure gerichtet. Schon in den ersten Monaten hätte Cuno beseitigt werden müssen. Aber man befürchtete den Dolchstoß. Dabei werden auch Ebert und Scheidemann   des Dolchstoßes bezichtigt, die wirklich die November­revolution nicht herbeigeführt haben. Der Trennungsstrich ist nicht gefühl und bürgerlichem Nationalismus. Im Kampfe gegen die Rechte fehlte der sozialistische Angriffsgeift. Den Bölkischen und Deutschnationalen gegenüber, die von Novemberver­brechern sprechen, sollte man von Juli- und Augustverbrechern sprechen, die den Krieg heraufbeschworen haben.

Inzwischen ist folgender Antrag Hermann Müller   ein fcharf genug gezogen worden zwischen sozialistischem Vaterlands­gegangen: Roalitionspolitit ist keine Frage des Prinzips, sondern der Tattit. Das Viel- Parteien- System hat seit der Revolution die Sozialdemokratie im Reich und in den Ländern vielfach ge­zwungen, mit bürgerlichen Parteien an der Regierung teilzu­nehmen. Maßgebend waren dafür erstens außen, zweitens innen­politische Gründe. Das Interesse der Arbeiterklasse erforderte außenpolitisch die Befriedung Europas  , innenpolitisch die Sicherung der Republik   gegen den Ansturm der Reaktion.

Nur auf dem Boden der Republik   tann seit dem Berlust des Krieges eine für Deutschland   erfolgreiche Außenpolitik getrieben werden. Gleichzeitig ist die Republik der gegebene Boden für den Kampf um das sozialistische Endziel.

Die Teilnahme an der Regierung muß die Durchsetzung der Demo­fratie und die Erfüllung der bürgerlichen Republik   mit sozialem Inhalt zum Ziele haben. Sie darf deshalb nur unter Abwägung aller Vor- und Nachteile für die Interessen der Minderbemittelten erfolgen, damit die Sicherheit gegeben ist, daß die Arbeiterklasse nicht einseitig Opfer zu bringen hat."

Aufhäuser: In Nürnberg   haben wir den organisatorischen Rahmen für die beiden sozialistischen   Parteien geschaffen. Heute tommt es darauf an, diesem Rahmen Inhalt zu geben. Wir müssen die Konsequenzen aus dem Anschauungsunterricht der letzten Jahre ziehen, aus den Erfahrungen, die mit der Koalitionspolitik gemacht worden sind. Die erste Koalition ist gesprengt durch die scharfen wirtschaftlichen Gegenfäße außerhalb des Parlaments. die zweite ist ein Opfer der politischen Gegenreattion geworden. Das erste Ermächtigungsgesetz hat die freie Wirtschaft wiederhergestellt, das zweite den Abbau der Sozialpolitik herbei­geführt. Also die Koalitionspolitik war in ihrem Verlauf nicht ab­hängig von unserem Willen, sondern allein von den ökonomischen Kräften außerhalb des Parlaments. Wir müssen unsere Politik auch diftieren lassen von den wirtschaftlichen Erfordernissen der Arbeiter, wie die Gegenseite ihre Politif nach den wirtschaft­lichen Interessen der Unternehmer einstellt. Die Rentenmark, die Müller als Erfolg der Koalitionspolitik hervorhob, ist doch nicht die Währung, die die Sozialdemokratie gemollt hat, sondern wir haben es für einen Rüdfchritt gehalten, wenn die Währung der Souveränis

Reichspräsident Ebert und die Republik  . Scheidemann  - Kaffel( mit lebhaftem Beifall empfangen): Ich bin Ströbel dankbar, daß er festgestellt hat, daß Ebert und ich an der Novemberrevolution nicht schuld sind; aber die anderen werden es immer noch nicht glauben. Ich verstehe, wenn man in der Partei von einer Stimmung spricht, die fragt, wohin sind wir eigentlich geraten?, aber nicht von einer Unzufriedenheit, denn einen zufriedenen Sozialdemokraten habe ich noch nicht gesehen. Den Genossen im Lande hat es an der nötigen Infor­mation gefehlt. Denn die Politif, die wir treiben mußten, war oft undurchsichtig. Wo die Leiter der Parteipreffe die Partei­genoffen aufgeklärt haben, ist diese Stimmung bald zerstört worden. Biele Parteiblätter find aber Organe eines Redakteurs, der glaubt, alle Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Die neurasthe. nische Kraftmeierei in der Parteipreffe verstehe ich nicht, so zu tun( auf den Tisch schlagend), als ob wir die ganze Welt aus den Angeln heben fönnten in einer Zeit, wo die Gewerkschafts­beamten staatliche Erwerbslosenunterstützung beziehen mußten. Den Genossen, die beantragen, Ebert aus der Partei auszuschließen, sage ich: Sabt ihr denn gar fein bißchen Scham­gefühl?( Langanhaltender stürmischer Beifall und Bravorufe im Sigungsfaale und auf den Tribünen.) Ihr mollt einen Mann aus­schließen, der so viele Jahre als manche seiner Kritiker Lebens­jahre zählen, sein Leben in den Dienst der Partei gestellt hat? Wer wägt zu behaupten, daß Ebert mit allem ein­verstanden war, was er mit seinem Namen decken mußte auf Grund der Verfassung? Parteigenoffen, blamiert uns nicht vor der ganzen Welt! So ruppig wie die links von uns fönnen wir gar nicht werden.

Eine Partei mit Millionen hinter sich muß praktische Arbeit liefern, sonst laufen die Massen weg. Die Kommunisten berufen sich auf Rosa Luxemburg   und Radek. Dabei hat Rosa Luxemburg   1911/12 nicht geruht, bis Radet aus der deutschen   Partei entfernt war, Und Roja Luxemburg