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Nr.300 41.Jahrgang Ausgabe A nr. 154

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Redaktion und Verlag: SW 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Redaktion: Dönhoff 292-295 Verlag: Dönhoff 2506-2507

Sonnabend, den 28. Juni 1924

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Fast alle Ausweisungen aufgehoben. Deutsch  - französische Realpolitik.

Nachprüfung der Verurteilungen.

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Pariser Paris  

, 26. Juni. Das außenpolitische Programm der neuen französischen hat, mag der deutschen   Kritik manche Angriffsfläche Regierung, wie es Herriot vor dem Parlament definiert bieten. Aber es wäre ein Fehler, darüber vergessen zu wollen, daß der politische Umschwung, der sich seit dem 11. Mai in Frankreich   vollzogen hat, auch in der Richtung und Zielsetzung der franzöfifchen Außenpolitik und insbesondere in ihrer Ein­stellung zu Deutschland   klaren und unzweideutigen Ausdruc gefunden hat.

Baris, 27. Juni.  ( Eigener Drahtbericht.) Ein neuer Beweis| zeitige Rückkehr mit einigen Ausnahmen aller aus dem Ruhrgebiet  für die von uns wiederholt vertretene Behauptung, daß die neue( französische   Zone) und dem Düsseldorfer Brückenkopf Ausgewiesenen französische Regierung in ihren der Bereinigung der internationalen gestattet. Diese Entscheidung ist am 27. Juni dem Regierungs­Atmosphäre dienenden Handlungen bedeutend weiter geht, als präsidenten von Düsseldorf   mitgeteilt worden, damit er sie den es nach der durch die Rücksicht auf die Opposition gebotenen Zurüd- Interessenten bekanntgibt. Im übrigen sind Maß­haltung gewiffer Erklärungen Herriots den Anschein hat, ist die nahmen der Strafunterbrechungen, denen aber die end Durchführung der Amnestie in den besetzten Gebieten. Nachdem die gültige Begnadigung folgen wird, zugunsten derenigen Interalliierte Rheinlandkommission innerhalb kurzer Zeit allein in Personen erfolgt, die Verurteilungen wegen ihrer Teilnahmen am der ihrer Kompetenz unterstellten französischen   Zone des linken Rhein  - passiven Widerstand erlitten haben. Was die strafrechtlich Ber  - Lösung des Reparations- und Sicherheitsproblems' bewußt Herriot hat unter die Politik seiner Vorgänger, die die users 15 000 Ausweisungsbefehle zurüdgenommen und so etwa urteilten angeht, so werden alle ihre Alten einer neuen Prüfung fabotiert haben, um sich einen Vorwand für die dauernde Be­60 000 Ausgewiesenen die Rückkehr in die Heimat ermöglicht hat, hat unterzogen werden, damit die weitesten Begnadigungsfegung der Rheinbrückenföpfe und einen Deckmantel für ihre General Degoutte am Freitag die gesamten im Ruhrgebiet   maßnahmen gegenüber besonderen Einzelfällen ergriffen auf die Loslösung des linken Rheinufers von und im Brüdentopf von Düsseldorf   ergangenen Ausweisungsbefehle werden. Deutschland   gerichteten macchiavellistischen Pläne zu schaffen, mit ganz wenigen individuellen Ausnahmen aufgehoben. Weiterhin wird angekündigt, daß die Maßnahmen zur Aufhebung einen fühnen Strich gezogen. Vor die Wahl gestellt, zwischen einer Bolitik der nationalistischen Aspirationen und einer, den der wegen Beteiligung am passiven Widerstand verhängten Stra fen bereits im Gange sind und die Aften aller derjenigen, die wegen Realitäten der internationalen Situation ebenso wie dem als nichtpolitisch bezeichneter Straftaten verurteilt worden sind, einer Friedensbedürfnis der ganzen Welt Rechnung tragenden Boli­neven Prüfung durch die Besatzungsbehörden unterliegen sollen, um tif des Ausgleichs und der Verständigung hat er sich ent­die Amnestie noch weiter auszudehnen. schlossen für die letztere entschieden.

Aber immer noch Kriegsgerichtsurteilr. Mainz  , 27. Juni.  ( Mtb.) Das französische   Kriegsgericht ver­

urteilte den deutschen   Reichsangehörigen Jost wegen Aufrei. zung der Bevölkerung von Argenthal gegen Besatzungsmaßnahmen zu drei Jahren Gefängnis. Drei junge Burschen aus Argenthal  , die der Verbindung mit Just beschuldigt wurden und antifranzösische Lieder in einem Gasthof gesungen haben sollen, erhielten je ein Jahr Gefängnis.

Paris  , 27. Juni.  ( Eca.) Es wird folgende Information mit geteilt: Da die Regierung in der Absicht, eine Entspannung herbeizuführen, beschlossen hat, daß eine umfassende Be= gnadigungsmaßnahme gegenüber den Personen getroffen wird, die aus dem besetzten Gebiet feit dem 11. Januar 1923 aus gewiesen worden sind, hat der Oberkommandierende der Besagungs- Redner aus dem Saargebiet sich über verbotene politische Grenze der in dem Gutachten der Sachverständigen firierten

armee, General Degoutte  , Bestimmungen getroffen, die die gleich­

Poincaré

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fehre zurück!

Daß 60 000 Ausgewiesene aus der Zeit des Ruhrkampfes auf Veranlassung von Herriot die Genehmigung zur Rückkehr in die Heimat erhalten haben, bedeutet für die Deutschnationalen einen neuen schweren Schlag. Sie hätten es zu gern gesehen, wenn diese unglücklichen Opfer noch möglichst lange die Leiden der Berbannung hätten erdulden müssen. Jezt aber ist den berufsmäßigen Patrioten gründlich in die parteipolitische Suppe gespuckt worden. Immer deutlicher zeigt es sich, daß Herriot für die Deutschnationalen weit schlimmer ist als Boincaré. Wenn Herriot nämlich auf diesem Wege fort­schreitet, wird es für die Westarp und Genossen gar kein Ge­fchäft mehr geben fönnen. Na, hoffentlich wird er durch poin­caristische Intrigen doch bald gestürzt!

Die Berlegenheit der nationalistischen Blätter gegenüber der Maßnahme Herriots geht recht deutlich aus der Stellung­nahme der Deutschen Tageszeitung" hervor. Die Rückkehr­erlaubnis ist in ihren Augen gar nichts, solange die 60 000 Mann nicht außerdem von Frankreich   entschädigt werden! Auf diese Art ist es natürlich sehr leicht, jede Maßnahme des Entgegenkommens als ungenügend hinzustellen. Der Ber­fasser dieser unverantwortlichen Hezereien, Her Wilhelm Hack  , fagt zum Schluß, es sei höchste Zeit endlich wieder eine deutsche   Politik zu treiben und einen deutschen   außenpolitischen Millen zu zeigen."

Herr Hack soll uns nur auf eine furze, präzise Frage eine ebenso kurze und präzise Antwort geben:

Würde eine deutschnationale Regierung das Entgegen tommen Herriots- das übrigens ihr gegenüber niemals er­wiesen worden wäre mit der Forderung auf materielle. Ents schädigung der Zurückkehrenden durch Frankreich   beantworten? Wenn er das wirklich glaubt, dann erklären wir ihn für einen gefährlichen Narren.

Wenn er das aber nicht glaubt, dann erklären wir ihn für einen unverantwortlichen Hezer. Ach, wie schwer ist es für deutschnationale Redakteure, seit dem französischen   Umschwung Politik zu treiben! Poincaré  , fehre zurüd!

Deutschland   hat das Wort.

Neue Erklärungen Herriots. Paris  , 27. Juni.  ( Eca.) Herriot erklärte heute abend Presse­vertretern, er betrachte die falschen und tendenziösen Nachrichten, die ein Teil der Presse über seine diplomatischen Verhandlungen ver­öffentlicht hat, als leere und tote Buchstaben. Ueber die heutige Unterhaltung mit dem deutschen   Botschafter bewahrte Her riot vollkommenes Stillschweigen und erklärte lediglich,

das Wort hat nunmehr Deutschland  . Die Absichten der französischen   Regierung bezüglich der Micum. abkommen gingen nicht darauf hinaus, daß vor der Konferenz von London  , die am 16. Juli zusammentreten soll, ein Zwischenzu­stend geschaffen werden jolle. Das Interesse Deutschlerts, wie das Frankreichs   und Belgiens   sei einfach, die Abkommen zu ver längern, so wie sie seinerzeit abgeschlossen sind, so daß die Lon­doner Konferenz nützliche Arbeit verrichten könne, d. h. schnell

Landau  , 27. Juni.  ( Mtb.) Laut Landauer Anzeiger" wurden die Kommunisten Brühl   und Halbgewasch aus Kaiserslautern  , die eine fommunistische Wahlversammlung einberiefen, in der ein Fragen verbreitete, je zu acht Tagen Gefängnis verurteilt.

Poincaré   hatte geglaubt, die imperialistischen Ziele, die Clemenceau in Versailles   gegen Wilson und Lloyd George  nicht durchzusehen vermocht hatte, auf Umwegen erreichen zu fönnen. Herriot will die Erfüllung dessen, was Frankreich   im Vertrag von Versailles   zugesprochen erhalten hat, im Rahmen d. h. eine bis an die äußere deutschen   Zahlungsfähigkeit gehenden Reparationsleistung und die Lösung des Sicherheitsproblemes, auf dem Wege der

geeignete Maßnahinen ergreifen könne, um den Sachverständigenplan militärischen leberwachung Deutschlands   und der im Friedens­zur Ausführung zu bringen. Es sei

zu wünschen, daß Deutschland   von dem gleichen Willen beseelt sei, wie alle Alliierten, nämlich das Sachverständigengutachten

so schnell wie möglich zur Ausführung zu bringen und infolgedessen noch vor dem 16. Juli die gesetzlichen Maßnahmen zur Annahme zu bringen, die in dem Sach­verständigengutachten vorgesehen seien. Im gegenteiligen Fall sei es klar. daß die Londoner Konferenz an Nuzen verliere. Bereits jetzt seien die alliierten Kanzleien im Begriff, sich über die Bor­bereitung der Konferenz zu einigen. Herriot erklärte schließlich noch mals, daß nunmehr Deutschland   das Wort habe.

Matteotti  - Feier der Opposition.

Rom   wallfahrtet zur Mordstelle. Rom  , 27. Juni.  ( EP.) die Oppositionsgruppen haben sich unter dem Vorsitz des Abg. Turati( S03.) zur Gedächtnisfeier für Matteoffi um 10 Uhr im Monte Cifforio( dem Parlaments­gebäude) versammelt und sich nachher an diejenige Stelle begeben, wo Matteotti gewaltjam entführt worden ist. Nach diesem Ort hat eine regelrechte Wallfahrt der römischen Bevölke­rung eingesetzt. Heute morgen wurde ein Totenamt abgehalten. Große Mengen Blumen wurden an jener Stelle nieder­gelegt. Gleichzeitig wurde in der Hauptstadt während 10 minu­ten jeder Verkehr und jeder Betrieb unterbrochen. Die Paffanten blieben schweigjam auf den Straßen und Pläßen mit entblößten Häuptern stehen. Auch in Mailand   verlief die Gedächtnisfeier Für Matteotti ohne jeden Zwischenfall. Die sozialistischen   Blätter widmen Matteotti   lange Nachrufe.

Turatis Rede.

Rom  , 27. Juni.  ( EP.) Turati hat in seiner Gedächtnisrede für Matteotti u. a. ausgeführt, der Verschollene lebe im Herzen aller Guten weiter. Sein Blut befruchte die Freiheit des Vaterlandes. Mit der Beseitigung Matteottis habe der Faschismus nach seinem eigenen Geständnis einen nicht wieder gutzumachenden Fehler begangen, Matteotti   habe im Tode gesiegt. Er sei in der Versammlung zugegen, wogegen das Gebäude der Gegner zu sammenstürzt.

Die britischen   Flieger in Deutschland  .

Auch sie stehen nicht über dem Gesetz. London  , 27. Juni.  ( EP.) Die englische Regierung hat heute eine deutsche   Note erhalten, worin erklärt wird, wenn die englischen Flugzeuge vom 1. Juli an sich nicht den Bestimmungen unterwerfen, denen die deutschen   Piloten unterworfen sind, so würde ihnen die Landung nicht mehr gestattet werden. Die gegenwärtige Lizenz der englischen Flieger läuft mit dem 30. Juni ab. Die Note erklärt, daß die Lizenz nicht erneuert würde, wenn die eng­lischen Flieger sich nicht den deutschen   Vorschriften fügen würden.

Ob ein Kanalfunnel England- Frankreich   gebaut werden darf, wird der britische   Reichsverteidigungsausschuß begutachten. Mac­donald wird den Vorsitz führen und hat auch die ehemaligen Minister der beteiligten Ressorts zu der Beratung eingeladen.

vertrag festgelegten Neutralisierung( d. h. dauernde Entwaffnung. Red. d. V.) des linten Rheinufers, er­gänzt durch internationale, unter der Kontrolle des Völker­bundes stehende Garantieverträge. Sicher, Herriots Polifik ist feineswegs eine Politik des Verzichtes; sie ist weit mehr eine Politik der praktischen Realisationen, aber unter Beiseite­schiebung aller Illusionen, die die Erfahrungen der letzten fünf Jahre als unerfüllbare Utopien gekennzeichnet haben. Anderes oder gar mehr von einer französischen   Regierung erwarten zu wollen, wäre von deutscher   Seite ein gefährlicher Selbstbetrug. Diefe Politik unterscheidet sich von der Poincaréschen dadurch,

daß sie

1. zum Friedensvertrag zurückkehrt, über deffen Forderungen Poincaré   beträchtlich hinausgegangen war, 2. daß sie die Regelung der Reparationsfrage dem deutschen   Leistungsvermögen anpaßt und so eine Liqui­dation der Deutschland   auferlegten Schuld innerhalb eines absehbaren Zeitraumes ermöglicht,

baren Druck der Poincaréschen Pfänderpolitik befreit, 3. daß sie die beseßten Gebiete von dem furcht­

4. daß sie die militärische Räumung der im Friedensvertrag okkupierten deutschen   Gebietsteile, der Ruhr und der drei unter Briand   besetzten Städte Düsseldorf  , Duis­ burg   und Ruhrort  , in greifbare Nähe rückt und endlich

5. daß sie die im Friedensvertrag festge= fegten Laufzeiten für die Besezung des lin­ten Rheinufers und der Brüdenköpfe, die Poincaré   ad infinitum wollte, wieder in Geltung seßt, derart, daß hinausschieben bereits zu Beginn deskommenden Jahresmit der Räumung des Brüdentopfes von Köln  und seines Hinterlandes gerechnet werden fann.

Die deutsche   Regierung und mit ihr das deutsche   Volk wird durch diese Politik vor Entscheidungen gestellt, die schwer sind, die aber den Vorzug der Klarheit und absoluten Eindeu­tigkeit haben. Auch Deutschland   hat nunmehr zu wählen und der von der Rechten gepredigten Politik der nationalisti­zwischen einer Politik des nationalen Interesses fchen Propaganda, die dem parteipolitischen Egoismus die wahren Interessen der Volksgesamtheit zu opfern bereit ist.

Was die Alliierten von Deutschland   fordern ist hart. Die Annahme und loyale Erfüllung des S a chverständigen= programms bedeutet schwere materielle Opfer, die die ohnehin bereits erdrückende Last des deutschen   Steuerzahters noch weiter steigern wird. Sie werden gebracht werden müssen schen Westens, der heute unter der Fremdherrschaft der Sieger aus dem Bewußtsein heraus, daß damit die Freiheit des deut­leidet, erkauft wird. Aus dem gleichen Gedanken heraus muß das andere, für breite Boltsteile noch schwerer erträgliche moralische Opfer gebracht werden die Unterwerfung unter die militärischen Kontrollforderungen der Alliier­ten. Gewiß, es gibt für ein auf seine Freiheit und Unab­hängigkeit stolzes Bolt kaum etwas Demütigenderes, als jahre­lang sich die Einmischung der Sieger in seine eigensten Ange­Iegenheiten gefallen lassen zu müssen, zumal da die völlige Abrüstung, die man Deutschland   auferlegt hat, bisher in