Str. 30241. Jahrgang
4. Beilage des Vorwärts
Justizdebatte im Landtag.
Der preußische Landtag hat gestern, Sonnabend, in erster und zweiter Beratung die Vorlage zur Aenderung des Emschergesetes, des Entwässerungsgefeßes für das linksrheinische Industriegebiet, des Ruhrreinhaltungsgefeges angenommen. Die Zusammenstellung von Abbau und Ersparnismaßnahmen, die Dentschrift über den Stand des Domänenbefizes sowie die Zusammenstellung über die finanziellen Ergebnisse der in staatlicher Selbstbewirtschaftung stehenden Domänenbetriebe werden dem Hauptausschuß überwiesen.
Hierauf wird die allgemeine Aussprache zum Justizhaushalt
fortgesetzt.
Abg. Dr. Schmitt( 3.) legt eingehend seine Auffassung über die Neugestaltung des Strafvollzugs bar. Der Straf anstaltsbeamte muß sich nicht von dem Gedanken der Zufügung von Uebel leiten lassen, sondern von dem der Erziehung. Der Gefangene soll in der Anstalt lernen, sich wieder in die menschliche Gefellschaft einzufügen. Zwischen dem Beamten und dem Gefangenen muß ein Vertrauensverhältnis bestehen. Man sollte ein System einführen mit stufenweise festzulegenden Erleichterungen. Besondere Förderung verdient die Entlaffungsfürsorge.
Abg. Baczewifi( Bole) erklärt, ganz wie in alten Zeiten sei mai im neuen republikanischen Preußen, zumal in Zeiten der Wahlbewegung, mit allen erdenklichen Schikanen, mit Massenverhaftungen u. dgl. gegen die polnischen Minderheiten vorgegangen. In die gemischtsprachigen Landesteile folle man Richter entfenden, die auch die Psyche der nationalen Minderheit kennen.
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Abg. Dr. Liebknecht( U. Soz.) wendet sich gegen Klassen justiz und trägt Beispiele von Tendenzurfeilen vor. Die Aufhebung der Schwurgerichte bedeute eine glatte Entrechtung des Boltes.
Abg. Dolezych( Dnat.) begründet den Antrag seiner Fraktion auf Begnadigung von Händlern und Kleingewerbetreibenden, die wegen geringfügiger Bergehen gegen die Preistreiberei. verordnungen verurteilt wurden, sowie auf eine Revision dieser Berordnungen, damit den fleinen Geschäftsleuten Schutz gegen ungerechtfertigte Auffassungen einzelner Gerichte gewährleistet werde, Bet der Eintragung von Sandwertern ins Handelsregister feien zweckmäßig die Handwertstammern zu hören.
Abg. Dr. Rojenfeld( Soz.) verteidigt den Republitani- fchen Richterbund gegen die geftrigen Angriffe des Abg. Eichhoff.
Abg. Lawin( D. Bp.) bezeichnet die Angriffe des Abg. Baczewski als völlig ungerechtfertigt.( Andauernde Unterbrechungen bei den Polen und Kommunisten.) Die Polen hätten wirklich feine Veranlassung, sich über deutsche Bergewaltigung zu beklagen, vielmehr sei das Gegenteil richtig.
Bizepräsident Garnich teilt mit, daß von den Kommunisten ein Antrag eingegangen ist, ben Leiter des Strafvollzugs in Breußen, Ministerialdirektor Klein, fofort zu entlaffen.( Heiterfeit.) Abg. Göbel( 3.) wendet sich gleichfalls gegen die Ausführungen Des polnischen Redners; die Wünsche der nationalen Minderheiten werde auch seine Partei berücksichtigen, soweit sie berechtigt seien.
Abg. Eichhoff( D. Bp.) führt als Beweis seiner Behauptung, daß der Republikanische Richterbund in der Personalpolitik den Minister zu beeinflussen fuche, die Bemerkung des fozialdemokrati schen Abg. Heilmann im Hauptausschuß an, der dem Minister empfahl, fich an den Republikanischen Richterbund zu wenden, der ihm geeignete Mitglieder für die Besetzung hoher Stellen in der Justiz benennen tönne.
Nach einigen persönlichen Bemerkungen schließt die allge meine Ausfprache.
In der Einzelaussprache bringen die Rommunisten eine große Reihe bekannter Beschwerden vor. Sie vermissen eine Antwort des Ministers zu der Amnestiefrage und begleiten den Schluß der Aussprache über den Titel Ministergehalt", nachdem der Juftizminister zu dieser Frage feine Stellung genommen hatte, mit stürmischen Protesttundgebungen.
In der weiteren Aussprache gab u. a. ein Vertreter der Regierung die Erklärung ab, daß die Berbefferung der Befolbung her Justizwachtmeister nicht einseitig von Preußen erfolgen fönne; daß der Reichsfinanzminifter vielmehr mitzureben habe.
Nach einer großen Reihe weiterer Beschwerden der Kommuniften vertagte das Haus die Weiterberatung auf Mon, tag 1 hr. Außerdert Handelshaushalt und Kleine Vorlagen. Schluß 4% Uhr.
Die Steppe.
Auch die europäische Türkei trägt feit bem Abzug der allierten Truppen aus Konstantinopet wieder ein rein orientattiches Gepräeg Armin T. Begner, der mehrere Jahre in der Türkei gelebt hat, schilbert in folgendem das Leben in der türkischen Steppe hinter Ronstantinopel und am Marmarameer. ( Die Red.)
Hinter der Stadt erhebt die einsame Steppe thr Haupt. Ihr blasses Gesicht, unendlich gradlienig, unendlich schwermütig, zieht feine Falten bis an den Belgrader Wald und jenseits an die Pforte des Meeres. Der Flügelschlag des Frühlings weht über ihr. Hell plätschert die Luft, wie ein junges Wasser, und die Gräser der Hügel baden in grüner Sonne. Ein unendlich blaues Auge sieht auf die Steppe herab. Nun zieht ein Schleier darüber, eine weiße Träne. Eines Tages wird ein Haus in der Steppe gebaut. Steine und Bretter werden herbeigetragen, rot leuchten die Ziegeln in der Sonne. Aber Du weißt nicht, wie es kommt: des Nachts bricht Feuer an Deinem Herde aus, der Blig fällt in Deine Esse, der Sturm trägt das Dach ab. Gräser nicken über die zerbröckelnde Mauer. Denn die Steppe duldet fein menschliches Werk in ihrer Mitte. Leer ist sie wie ein Herz, bas teine Liebe hat.
Nur der Himmel ist über ihr. Sie fonnt die Sprache des Windes und die Schrift der Wolfen. Hier ist ein Elif schlank über den Himmel gezegen, ein Dschin mit gewölbtem Bauch, ein hüpfendes Känguruh, ein Sad, des seine Krebsschere ausstreckt. Steht hier nicht die festste Gure geschrieben:„ Und er ist's, der Euch entstehen ließ aus einem Menschen und Euch gab eine Stätte und einen Bagerraum". Die Sure der Morgenröte, des Nachtsterns oder des geronnenen Blutes? Himmel, gelehrt in der Kunst arabischer Schriftzeichen, ging ich je unter Dir, ohne den Koran gemalt an Deiner Kuppel zu finden?
Ich reite aus der Stadt, der Diener hinter mir. Drei erd farbene Ochsenwagen, breiträderig, beginnen den Staub der Land. straße zu malen. Zwischen Erdwogen verliert sich die Straße, das ausgetretcre Bett verlassend, durch Fuhrten, Hügel umwandernd, um wieder in die aite Fährte zurüdzukehren. Berge steigen Dor unfern Augen herauf. Sie fommen wie ein Mensch über die Ebene gegangen, noch ben verhüllte sie der Horizont, jetzt schreiten sie an dir vorüber. Morgen vielleicht wirst du sie nicht mehr wiederfinden. Weidende Lämmerherben bebeden, grauschimmernde Pilze, den Abhang der Hügel. Hier füllt eine Quelle den Stein. Unter den
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Sonntag, 29. Juni 1924
Wie entnehme ich eine Blutprobe?
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1. Bei unverdächtigen Leuten nimmt man einen Blutegel, seht ihn dem Individuum auf die Bruft und läßt ein paar Tropfen in einen Maßfrug voll Münchener Hofbräu fallen. Bermengt fich das Blut mit dem Bier, ohne Spuren zu hinterlassen, so ist es als zuverlässig germanisch- arisch erkannt.
3. Bei jüdisch Verdächtigen geht man am sichersten vermittelft eines Pogroms vor, wobei man alle, die auf der Strede bleiben, als Juden ansprechen darf.
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2. Bei sozusagen als liberal Berdächtigen wendet man die Nasenprobe an. Zu diesem Behuf verfeht man dem Ber. dächtigen einen fräftigen Schlag mit der geballten Fauft gegen die untere Rasenpartie. Gibt er dann Blut her, ohne daß er widerhaut, so tann er als völlig unverdächtig gelten.
4. Dahingegen erfennt man den marristisch- pazififtischrepublikanisch Jnfizierten am besten daran, daß man ihn von hinten erschießt.
Westen trostloser Bäume führt der Tschausch unsere Pferde spazieren; diefer Zeugung zuschen. Der Geliebten gedentend, erfüllt mich Be. ich liege im Grafe und zeichne Gebarsten auf. Ein armenischer dauern, sie um cben dieses Lebens willen verlassen zu haben, das Briefter, langhaarig, in schwarzem Röhrenhut, reitet auf einem Efel mich erneut mit Sehnsucht nach ihr überwältigt, während die Lüfte vorüber, ein Dreigespann schaufelt die Ebene entlang, rot flattert den Schrei der Brunft über mich sorttragen. Und noch Stunden das Schweißtuch des Kutschers über der Wagenbede. Bunte Tar. später, als ich in blutüberfülltem Abend ten verlassenen Bahnhof tarengestalten lagern am Wege, lendengegirtete Ochsentreiber, mit betrete, als die Tiero lange gefesselt an ihren Pflöden ruhen, höre gelbem Kopftud), das über der fahlen Landschaft aufflammt: die ich über mir den Ton dieser Slimme, schmetternd wie den Gesang Blumen der Steppe. einer Lerche, Meilen und Meilen wandernd in feligster Verzückung und Raserei.
Im Schlamm des Baches wälzen sich Büffel mit schwarzglänzen dem Fell, peitschen mit tropfendem Schweif den erhobenen Rücken; sie schnauben vor Wolluft. Bebächtig erheben sie sich, braun übermait und zum Schutz vor Insekten mit Erbe gepanzert, uralte Mütter des Steppengeschlechts, bereit, zwischen den gewölbten Hörnern Zeus oder Europa zu tragen. Mit saugender Nüfter die blaue Luft des Morgens burchschwimmend, entschwinden sie in der Ferne, mit dem wandelnden Schritt der Zeit, die immer zögernd ewig fortschreitet. Hinter den Bergen feimt eine Wolfe herauf, ein schwarzer Schatten, der sich in die Knie erhebt und seine Hände vor das Licht legt. Als ich das Pferd besteige, wirft sich mir das Gewitter gegen die Brust. Wir reiten, atemlos vom Winde geriffen, dem Wagen nach, der ben schützenden Mantel birgt, aber schon durchrinnt Wasser das Kleid, unsere Haut negend. Eistalter Hagel erstarrt meine Hände. Die Tiere, vom Regen geängstigt, fliegen in doppelter Eile, mit dem Huf in topasgelte Bfügen schlagend. Ich habe das Gefühl der Schwere verlorect. Regen zerfurcht mein Geficht, mich bis in die Seele durchflutend. Ich schreie, ich bebe vor Luft.
Wieder zerfällt der Himmel. Bon Somme verschüttet finden wir in einer Erbsenkung eine alte Ruine, zwei Zelte und ein ein fames Bestüt. Hier ist der Nabel der Steppe. Aus regenerfrischter Beide erhebt sich das Wiehern des Hengstes, ber die Stute erblidt. Zitternd, mit feuchten Flanken, gräbt er die Zähne in den Raden des Weibchens, zitternd verläßt er fie. Aufhorchend empfängt die Luft seinen Schrei. Es ist die Hochzeit der Steppe, es ist der Klang der Stimme, auf den sie gewartet hat, losgelöst hängt er im unendlichen Raume.
Betäubend durchrinnt seine Mufit meine Glieder und strömt ntröftliche Begierde in mich herauf. D Leben, glühend unbändig, der Freiheit geschenkt unter schrankenlojestem Himmel, auf einer Ebene, die dampfend mit feuchtglänzenden Bergen, sich wie die wiedervereinigte Erde aus dem Strome der Siniflut erhebt.
Ich habe die Steppe wiebergesehen. Ich fand sie im Herbste, fahl und fiebererfüllt, als man zum Tode erfrankt mich auf bretternem Wagen viele Etunden weit durch ihre trostlose Landschaft schleppte. In der Ferne zog der Dampf der brennenden Heide, cin qualmendes Cpferfeuer; ad, es war die Rauchsäule Kains , die niedrig über der verwunscheren Ebene schwebie. Quälend legte das sonnendurchglühte Dach sich über mein heißes Gesicht, und halbbetäubt, an die Griffe te: Wagendede geflammert, bei jedem Stein der ausgetrockneten Straße wie eine Gliederpuppe in den Armen schwankend, gedachte ich der Ruine, bei der ich einst so glückliche Stunden verlebte.
Ich schloß die Augen, um sie nicht eher wieder zu öffnen, als bis wir die alte Mauer erreichten. Aber an diesem Tage erkannte ich, daß die Steppe marschierte. Mit dem haarlosen Fell eines unendlichen Tieres, von Stunde zu Strade sich tehnend, wandeite sie por der Spur unserer Räder her. Ihr Hagerer Leib war mit schwarzen Brandwunden bedeckt, ihre Quellen pertrednet, mit Unfruchtbarkeit und Berzweiflung geschlagen wie die versiegte Brufi einer Greisin. Gelber Wind peitschte die Verruchte, und so oft ich die Augen aufschlug, gähnte ter gleiche, fiebererfüllte Atem der Leere mich an. Als endlich gegen Mittag die Ruine heraufstieg, waren Belt und Pferde verschwunden, löste sie nur noch Haß in der zer. brochenen Seele aus.
23ir erreichten die Bahnstrede. an schob mich in einen leeren Güterwagen, eine Blechschüssel neben mir, die sich langsam mit meiner Galle füllte. Bei jedem Stoß der harigefederten Räder schwenkte die grüne Flüssigkeit über den Rand urb spritzte zu Beden. Türkische Bahnbeamte, mit abgerissenen Baumzweigen das Ungeziefer verjagend, erfüllten den Raum mit Gelächter und Sigarettenqualm. In großer Finsternis jagte ein frodener Sturm über die Ebene, Dunkelheit. stieß mit schwarzen Fäusten in den tanzenden Wagen. Die Steppe befiel mich mit ihrem tödlichen
Und das Weib vermissend, schaue ich mich um unter der Shar dieser Männer, die findlich, mit anmuterfüllten Gebärden, dem Spiel| Schrecken.